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Kill Your Idols

Kill Your Idols: Hat Aaliyah ihren Status als Legende überhaupt verdient?

Auch wenn es vielen nicht gefallen wird: Aaliyah war gar nicht so krass.

Keine Frage: Wer zur großen Musikikone erklärt wird, hat meistens auch einiges geleistet, bevor er sich mit dem musikalischen Lorbeerkranz schmücken darf: jahrelanger Erfolg, innovative Arbeitsprozesse und natürlich Hits, die noch lange nach dem Ableben des Künstlers Menschen verschiedener Generationen und Kulturkreise gleichermaßen verzaubern. Doch das mit dem Tod ist so eine Sache. Oft scheinen in der Musikindustrie Künstler, sobald sie versterben direkt mit dem Legenden-Titel versehen zu werden. Ihr musikalisches Schaffen und ihre kulturelle Bedeutung werden gern zur unantastbaren und nicht diskutierbaren Tatsache verklärt. Der verdiente Lorbeerkranz wird mit dem Tod scheinbar automatisch zu einem Heiligenschein geupgradet.

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In Kill Your Idols versuchen wir, unseren vor Ehrfurcht und Fantum verschleicherten Blick etwas klar zu blinzeln und genauer hinzugucken, ob unsere großen Idole ihren Status tatsächlich verdientermaßen genießen, oder ob wir vielleicht einer Kombination aus Nostalgie und übertriebener Lobpreisung aufgesessen sind. Dieses Mal mit Aaliyah.

Aaliyah war in den 90ern und Anfang der 00er Jahre DIE Sängerin schlechthin. Alle Frauen wollten so sein wie sie und alle Männer begehrten sie. Als erste Frau „im Game“ ebnete sie den Weg für künftige weibliche R'n'B-Sensationen. Wenn Beyoncé die Königin und Rihanna die Prinzessin ist, dann ist Aaliyah—um im Märchen-Jargon zu bleiben—die gute Fee des R'n'B. Auch wenn die Königinnen und Prinzessinen sie an Ruhm und Bekanntheit übertreffen, war es doch ihren guten Zaubern zu verdanken, dass ihre Sprösslinge zu den anmutigen Powerfrauen heranreifen konnten, die sie heute sind. Zumindest wird das von Aaliyah behauptet.

Ich möchten nicht sagen, dass das komplett falsch wäre. Im zeitlichen Kontext betrachtet, war Aaliyah bestimmt eine zu respektierende und sehr erfolgreiche Sängerin, die für einige der beliebtesten R'n'B-Klassiker verantwortlich ist. Dennoch muss ich leider auch sagen, dass ich das Maß an Verehrung, das Aaliyah entgegengebracht wird, für ungerechtfertigt und romantisiert halte. Zu diesem (unpopulären) Schluss kam ich das erste Mal, als nacheinander in einer Playlist ein Lied von Ciara und danach von Cassie gespielt wurde. Plötzlich jagte mir ein Gedanke durch den Kopf, von dem ich wusste, dass ich ihn nicht öffentlich sagen kann, ohne dass mir selbiger abgerissen wird: „Irgendwie haben die alle die gleiche Stimme, so ein bisschen Aaliyah-mäßig.“

Jetzt könnte man als treuer Aaliyah-Jünger natürlich behaupten, diese Beobachtung unterstütze nur die These, wie einflussreich und wichtig Aaliyah für die zukünftigen R'n'B-Sängerinnen war, da diese ja schließlich ihren Style kopieren. Man könnte aber auch sagen, dass Aaliyah einfach keine herausragende Stimme hatte und deswegen immer besonders leicht zu kopieren war. Auch wenn es vielen nicht gefallen wird: Aaliyahs muskalisches Talent war nicht wirklich kernerschütternd. Weder ihre stimmlichen Skills, noch die Inhalte ihrer Texte, die größtenteils Missy Elliott und Static Major für sie schrieben, heben sie großartig von anderen Künstlerinnen ab. Manche mögen sogar so weit gehen zu behaupten, das spannendste an Aaliyah ist, dass sie mit 15 Jahren mit R. Kelly verheiratet war. Was dem Konzept Aaliyah zu seinem bahnbrechenden musikalischen Erfolg verhalf, war dagegen vielmehr die Kombination aus Aaliyah, einer mittelmäßigen, aber sehr schönen Sängerin, und ihrem herausragenden Team um Missy Elliott und Timbaland, die keinen unwesentlichen Teil zu Aaliyahs musikalischer Exzellenz beitrugen.

Die Annahme, es sei Aaliyah zu verdanken, dass heutzutage eine Beyoncé oder Rihanna überhaupt existieren, ist außerdem durchaus streitbar. Beyoncé startete bereits zeitgleich mit Aaliyah ihre eigene, extrem erfolgreiche Karriere mit Destiny's Child. Dass jemand wie Beyoncé ihren Status nur deswegen erreichen konnte, weil sie nach Aaliyahs Tod deren Platz einnehmen konnte, wäre somit allein durch ihren kommerziellen Erfolg zur gleichen Zeit entkräftet. Dass Beyoncé generell die bessere Sängerin, Tänzerin und Performerin war und bis heute ist, kann hier sogar vernachlässigt werden, da Aaliyah ihren Status als Legende sowieso eher dem Mythos der sexy Minderjährigen, die dennoch verdammt cool war, zu verdanken hat. Das heißt natürlich nicht, dass Aaliyah eine schlechte Sängerin oder Entertainerin war. Es heißt nur, dass Beyoncé vermutlich genau dort wäre, wo sie heute ist, ob nun mit Aaliyah oder ohne sie.

Es ist unbestreitbar, dass Aaliyah für ein goldenes Zeitalter des R'n'Bs steht. Aber wenn man sich wirklich bewusst ihre großen Hits anhört—von denen sie einige hatte—muss man einfach zugeben, dass Aaliyah wirklich keine besonders dolle Sängerin war. Solide, aber nicht umwerfend. Vielleicht fällt es aber auch schwer aus der heutigen Sicht, mit einer Beyoncé, Alicia Keys und FKA Twigs im Hintergrund, zu erkennen, welche Bedeutung Aaliyah abseits ihrer mäßigen stimmlichen Skills vor über zehn Jahren für die Muskbranche, für R'n'B und für Frauen hatte.