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Interviews

„Der ‚Arschficksong‘ ist mein ‚Wind of Change‘“—Sido im Interview

Wir haben vor seinem Heim-Konzert in Berlin mit Sido gesprochen, über Beef, das Erbe von Aggro Berlin, Bushidos Angriffe auf Politiker und Promis und Sozialneid auf die Geissens.

Ein knappes Jahrzehnt ist vergangen, seit Sido in Boxershorts und Totenkopfshirt die Tür zu seinem Ein-Zimmer-Loch in einem Hochhaus im Märkischen Viertel öffnete und mir kiffenderweise erklärte, was es mit seinem Block, Ecstasy, Analverkehr, seiner Maske und dem zukünftigen Überlabel Aggro Berlin auf sich hat. Ein bewegtes Jahrzehnt, in dem Sido sich vom prototypischen Rüpelrapper und Elternschreck zu einem der erfolgreichsten Rap-Musiker Deutschlands und unbestrittenen A-Promi entwickelte.

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Nebst zahlreichen Hits, unerhört vielen verkauften Platten und diversen Auszeichnungen bescherte ihm diese Karriere aber auch die eine oder andere öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung mit anderen Rappern—dass Beef in der Szene heute noch so einen hohen Stellenwert genießt, geht auch auf seine Kappe. Mittlerweile hält er sich aus solchen Dingen raus, wie er vor seinem ausverkauften Gig in der Berliner Columbiahalle mal wieder kiffenderweise erklärt. Tweef, Statements, Disstracks—das können andere machen. Sido verkauft lieber mehr Platten als je zuvor.

Noisey: Ich hab heute eine Konzertreview gelesen, da war die Rede vom „neuen Sido“ und dass der einzige Ausfall der „Arschficksong“ gewesen sei.
Sido: Für die ist das vielleicht ein Ausfall. Aber für die Fans ist der „Arschficksong“ mein „Wind of Change“. Und das wird er auch immer bleiben, damit muss ich leben.

Hattest du nicht mal überlegt, den Song nicht mehr zu spielen?
Der „Arschficksong“ gehört einfach dazu. Manchmal bekomme ich eine Ansage, dass ich den nicht spielen darf. Aber es gibt ja Möglichkeiten, das zu umgehen—der Song muss einfach sein. Heute ist es allerdings ein bisschen komisch, denn mein ältester Sohn kommt mit ein paar Jungs aus seiner Klasse. Eigentlich müsste man als Sido ja locker sein und sich denken: Ey, der ist 14, der hat den Song bestimmt eh schon gehört. Aber irgendwie hab ich diese Lockerheit nicht. Für mich ist das komisch. Zum Glück spielen wir den Song als Zugabe. Und ich werde schon dafür sorgen, dass er die Zugabe nicht mitkriegt.

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Was machst du denn, wenn dir untersagt wird, den Song zu spielen?
Dem Publikum ist es ja nicht untersagt. (grinst) Und wenn man dem Publikum klarmacht, dass es zwar mir untersagt ist, aber ihnen nicht, dann …

Verstehe. Dein Sohn kommt ja jetzt langsam in ein Alter, in dem du angefangen hast, Musik zu machen. Würdest das auch lieber verhindern wollen, dass er so eine Karriere einschlägt?
Nö. Er spielt Schlagzeug, und das fördere ich auch. Ich hätte schon gerne einen Musiker unter meinen Söhnen. Wenn es nicht passiert, passiert es nicht, aber es wäre schon sehr schön.

Ist er ein HipHop-Typ?
Nee, kein HipHop-Typ. Er interessiert sich für Musik, aber da ist neben Rap alles mögliche dabei. Alles außer Justin Bieber.

Hättest du denn Bock darauf, dass er sich in der HipHop-Szene engagiert?
Ja, klar. Die Szene, so wie sie sich gerade darstellt, war noch nie toleranter. Und das finde ich gut. Klar gibt es noch immer die verschiedenen Genres, Gangsta-Rap, Öko-Rap, Hipster-Rap etc. Aber man versteht sich irgendwie untereinander und akzeptiert das jeweils andere auch. Und für jemanden, der sich neu dafür interessiert, ist die Frage eigentlich nur: Welche Schublade gefällt mir da am besten?

Woran machst du deine Analyse konkret fest?
Daran, dass ich Videos sehe von Haftbefehl mit Cro und Psaiko.Dino. Das sind ja wirklich Welten, die da aufeinander prallen. Auch so jemand wie Olexesh, den ich durch dich kennen und schätzen gelernt habe, ist ein weltoffener Straßentyp. Den kannst du auch mit einem Hipster auf die Bühne stellen, ohne dass die sich schlagen. Das funktioniert. Und der ist trotzdem rough und verliert weder seine Härte noch seine Eier. Eben weil er so ein toleranter Typ ist.

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Vor einer Weile hast du im Interview gesagt, dass du eine gewisse Verantwortung für die Szene verspürst und es dich stört, dass du und deine Aggro-Kollegen einer ganzen Generation diese Beef-Geschichten vorgelebt und sie dadurch geprägt habt.
Ja, was wir mit denen gemacht haben, das stört mich tatsächlich. Aber damit die Szene sich so entwickeln konnte, wie sie heute ist, mussten wir erst in dieses Extrem abdriften. So haben die Leute verstanden, dass es auch anders geht, dass es nicht so extrem sein muss. Die Ideologie von Aggro Berlin war damals ja sehr radikal. Das musste man erst mal ausprobieren, um zu peilen, dass es nicht das Wahre ist.

Seit euren Erfahrungen mit dem Index weiß man genau, wie weit man gehen kann. Und durch euch weiß man auch, wie sehr Beef ausarten kann. Fühlst du dich ein bisschen wie der große Bruder, der erst mal alle Grenzen austesten muss?
So könnte man das mittlerweile sehen. Aber Beef ist ja immer noch im Fokus. Das ist leider nicht wieder zurückgegangen, da sind die jungen Leute immer noch sehr drin engagiert. Aber das liegt vermutlich daran, dass Beef eben das war, was sie an ihren Vorbildern damals am meisten interessiert hat. Und deswegen glauben wohl viele, dass sie das auch so machen müssten. Das ist schade.

Wenn man jetzt ins HipHop-Internet geht, dann liest man ja nur noch solche Dinge: Statement hier, Statement da, der klingelt bei dem an der Tür usw.
Du redest von dem tödlichsten Internetportal, das es gibt. (lacht)

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Wir müssen jetzt hier keine Namen nennen. Aber verfolgst du das?
Ja, ich verfolge das. Aber das ist einfach nur Sensationsmache, was da betrieben wird. Eigentlich ist das ganz schön peinlich für HipHop, eine richtig peinliche Nummer. Aber ich schaue ja auch „Mitten im Leben“ oder „Frauentausch“, gerade weil es so peinlich ist.

Es ist ein bisschen wie bei einem Unfall, man kann nicht wegsehen.
Ja, exakt. Das ist richtig gruselig, was da passiert.

Andererseits ist es ja so, dass Rapper bestimmte Dinge wohl gar nicht tun würden, wenn diese Medien nicht darüber berichten würden. Siehst du das auch so?
Klar. Die sind ja alle nicht blöd. Die wissen ja: Wenn ich das und das mache, ist das morgen auf jeden Fall online. Das wissen ganz genau, dass jeder darüber sprechen wird, wenn da jemandem Möhren vor die Tür gelegt werden. Und deswegen machen die das. Natürlich hoffen die auch, dass da dann nicht sechs Typen mit Keulen die Tür aufmachen, aber da haben die bestimmt auch den richtigen Moment abgepasst. Da bin ich mir ziemlich sicher. Vielleicht haben die gewartet, bis Fler außer Haus war—und haben dann erst geklingelt. Das ist jedenfalls alles sehr durchdacht. Auch die Beefs heutzutage, da geht es um nichts anderes, als darum, seinen Bekanntheitsgrad zu steigern.

Deine Generation hat das ja quasi „erfunden“. Wie viel Plan steckte bei deinen Beef-Geschichten damals dahinter?
Ich hatte ja nicht so viel Streit. Aber alles, womit ich in der Hinsicht zu tun hatte, war wirklich ernst. Da liefen auch Sachen hinter den Kulissen ab, die keiner mitbekommen hat. Und das sind auch Dinge, die ich nicht an die große Glocke hängen möchte, weil das auch einfach nicht Thema meiner Kunst ist. Aber da sind natürlich Sachen passiert, und manches war wirklich sehr, sehr ernst. Gerade bei uns Aggro-Berlinern. Die ganze Action, die Messer-Sachen und das alles, das war echt. Das blaue Auge auf dem HipHop Open damals, das war auch echt. Auch der Einbruch in unser Studio war echt.

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Heute bist du aber gar nicht mehr in solche Beef-Geschichten involviert, auch in deiner Musik sind solche Dinge kein Thema. Bushido hingegen legt sich gerade mit jedem an. Wie bewertest du das?
Für seine Karriere ist das genau das Richtige. Wenn er jemals einen Rat von mir gewollt hätte, hätte ich ihm genau das gesagt. Das wollen die Leute von dir hören. Die wollen nix anderes. Also mach das doch. Und wenn jemand legitimerweise solche Sachen sagen kann, wenn sich jemand legitimerweise mit Politikern anlegen kann, dann er. Die reden ja auch über ihn, die wissen, wer er ist. Politiker nennen ihn namentlich in Zeitungsinterviews und sagen, er sei gefährlich. Also ist das legitim, wenn er antwortet. Ich kann das also komplett nachvollziehen. Und ich finde es großartig.

Ist das also das nächste Beef-Level, sich mit Politikern und Personen des öffentlichen Lebens auseinanderzusetzen?
Für ihn ist das das normale Level. Ich hoffe natürlich, dass andere Rapper jetzt nicht anfangen, auch Politiker zu dissen, weil das bei Bushido so gut funktioniert. Denn nur bei ihm ist das legitim. Das sind ja alles Leute, die ihm auf den Schlips getreten sind, also war da auch mal ein Satz fällig. Ganz einfach.

Interessiert dich das alles nur aus einer Beobachterposition oder musst du dir in Interviews manchmal auf die Zunge beißen, um nicht auch mal einen Namen zu droppen?
Das passiert einem natürlich manchmal. So ein Quatsch ist ja auch schnell getwittert. Früher hattest du ja sehr viel Zeit, bis du so ein Statement machen konntest—entweder musstest du denjenigen treffen und ihm das direkt sagen oder es wurde irgendwo gedruckt. Und da konnte man sich noch genau überlegen, ob es jetzt wirklich schlau ist, das zu sagen. Jetzt hast du halt Twitter auf deinem Handy und kannst sofort irgendwelche Dinge raushauen, die du im Nachhinein vielleicht bereust.

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Du hältst dich aber zurück. Ist das Absicht?
Ja. Ich würde es auch voll peinlich finden, wenn ich mit meinem Status und in meinem Alter noch bei diesem Zeug mitmischen wollen würde. Warum sollte ich das auch machen? Weil ich mich beweisen will? Im Grunde entsteht echter Beef ja immer durch Neid. Auch wenn man das nicht zugeben mag, aber wenn man der Sache auf den Grund geht, dann geht es immer um Neid. Und dann gibt es den erfundenen Beef, um bekannt zu werden. Aus welcher Intention heraus sollte ich also Beef haben? Das würde mir gar nicht einfallen.

Bist du auf niemanden neidisch?
Nein. Ganz im Ernst: Ich bin auf niemanden neidisch. Und wenn, dann sind das keine Rapper. Ich bin auf Robert Geiss neidisch. (lacht) Wenn ich „Die Geissens“ ansehe und der mit seiner ganzen Familie auf einer Jacht zwölf Wochen durch die Weltmeere schippert … Kannst du dir das vorstellen, dass da der Sprit 2.000 für eine halbe Stunde kostet?

Hast du überhaupt Bock auf diese Art von Luxus?
Ich würde gerne Boot fahren. Aber es muss nicht so ein riesiges Schiff sein. Für die Freizeit, die er haben kann, beneide ich ihn am meisten. Und nicht für dieses Boot. Sondern, dass er einfach sagen kann: Los Kinder, ab in den Hubschrauber, wie fliegen nach St. Tropez. Es muss nicht St. Tropez sein, es muss kein Hubschrauber sein. Aber diese Freiheit, einfach sagen zu können: Wir machen das jetzt.

Wenn du dich und Bushido vergleichst, wie bewertest du eure musikalische Entwicklung?
Ich finde, es hat auf jeden Fall eine logische Entwicklung genommen. Schon damals bei Aggro Berlin war Bushido der Dunklere, der auch immer eine bestimmte Art von Leuten in seinen Videos gehabt hat. Er war schon immer sehr ernst, sehr street. Bei mir war es eher ironisch und lustig unterhaltsam. Also ist es auch logisch, wie sich das bei uns entwickelt hat. Dass er jetzt Politiker disst, ist einfach das, wo er sich legitimerweise hin entwickeln musste. Und bei mir ist es genau dasselbe. Ich war früher wirklich ein runtergekommener Typ, muss man ganz ehrlich sagen. Und dass ich dann doch schlau genug war, um hinter all dem Nebel noch rauszukommen und meinen Job zu machen, das hat mich dann hier hergebracht. Und dadurch, dass ich eben all das durch habe, bin ich mittlerweile derjenige, der ich eben bin.

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Was glaubst du, welcher Entwurf langfristiger funktioniert: deiner oder der von Bushido?
Ich glaube, wenn der harte Entwurf immer wieder ein Thema findet, worauf man rumhacken kann, dann wird das immer wieder funktionieren. Aber ich glaube, dass langfristig beide Entwürfe funktionieren werden. Wir werden ja beide jedes halbe Jahr für tot erklärt. Aber dann bringen wir doch wieder ein Album und brechen alle Verkaufsrekorde. Heute hat mir wieder eine bei Twitter geschrieben: Es reicht jetzt langsam, du Opa. Du hattest lange genug deinen Spaß. (lacht) Aber ey, was soll ich machen? Bushido und ich sind immer noch die oberste Liga. Ich würde das ja gern anderen Leuten überlassen. Ich kann mich auch über Casper und Marteria freuen. Ich freu mich über alle, die Erfolg haben. Ich will nur meinen Teil abhaben. Und wenn der nun mal der größte ist, dann kann ich da auch nichts dafür. Dann müssen die sich einfach alle ein bisschen mehr Mühe geben (lacht).

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