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Noisey Blog

Christen missionieren jetzt auch Raver

Ich hab mich durch eine Broschüre geblättert, mit der Christen versuchen, Raver von ihrem bösen Leben zu befreien.

So muss Cover—Foto vom Autor

Beim alljährlichen Ausmisten rund um den Jahreswechsel fiel meiner Tochter eine kleine Fibel in die Hand, die sie letztes Jahr beim Electric Love Festival erhalten hatte. Magisch angezogen vom verheißungsvollen Titel „Ultimate Rave—Die Story eines Ravers“, am Cover geschmückt mit einer halbierten Tablette, bettelte ich mir das kleine Büchlein ab, um darin zu schmökern. Nicht zuletzt, um auch auf dem Laufenden zu bleiben, was das Jungvolk so liest, wenn es mal ausnahmsweise auf Papier gedruckt ist.

Bereits die Umschlagseite machte mich etwas stutzig. „Dieses Buch handelt von der Drogenkarriere eines Techno-Junkies mit anschließendem Happy End“. Happy End? Was war das? Haus im Grünen, Frau, Kind, Hund? Hm. Die URL loveuall.de ignorierte ich erst Mal, das machte für mich eher so den Eindruck eines Online-Headshops oder Fairtrade-Vinylladens. Egal, mal reinlesen. Auf zum Vorwort.

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„LSD, Speed, Ecstasy, Crystal Meth und vor allem Techno, das waren so die Dinge, mit denen ich mein Geld verdiente und die mein Leben bestimmt haben.“ Geil. Das könnte gut werden. Doch schon auf Seite Zwei der dramatische Plot Twist: „In der schlimmsten Zeit meines Lebens ist Jemand in mein verkorkstes Leben gekommen, um mich von dem ganzen Shit, der mich so fertig machte, zu befreien.“ Absatz. „Viele werden jetzt vielleicht lachen, wenn ich sage, dass es Jesus Christus war, der mein Leben gerettet hat.“ Ach du Scheiße, Missionarswerk. Und ja, ich lache.

Obwohl, kurz musste ich mich ärgern, dass ich dem primitiven Aufschlagbait (Clickbait geht in dem Fall nicht) des Titels auf den Leim gegangen bin. Nach zwölf Jahren in einer katholischen Privatschule hätte ich den Braten eigentlich riechen müssen. Egal, es packte mich dann doch die Neugierde. Wie liest sich eine Geschichte auf knapp 80 iPhone-großen, gedruckten Seiten, die nur zum Zweck hat, Leute weg von der drogenbefeuerten Dauerparty in die Arme des Erlösers zu treiben? Spoiler: irgendwo zwischen erbärmlich und höchst amüsant.

Der Ich-Erzähler ist ein gewisser 25-jähriger Emilio, aber das tut nichts zur Sache. Denn die Namen von Personen und Orten(!) wurden laut Impressum geändert; die Fotos, die den bekehrten Sünder zeigen sollen, werden in den Credits lediglich mit „privat“ vermerkt. In 17 Kapiteln schildert dieser Emilio nun also seinen gleichzeitigen Aufstieg zum DJ, Dealer und großen Ficker und die parallel verlaufende mentale Verrohung bis, ja bis zur zerbrochenen Beziehung mit einer Frau, die ihm wirklich was bedeutet. Und dann ein schon fast biblischer Moment der Klarheit, in der ihm Jesus den Weg aus seinem „unerfüllten“ Leben weist und er mittels Gebet und Bibel den Dämonen und Drogen entsagt. Jetzt verteilt er christliche Flyer auf Raves, hat einen schönen 9-to-5-Job und nimmt an Einsätzen des Hilfswerks teil. Ende. Großes Kino, Herrschaften.

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Bibelverse und LSD

Bibelverse und LSD—Foto vom Autor

Zwischendurch wird das Büchlein immer wieder von (gestellten?) Schwarzweiß-Fotos aufgelockert, die Emilio beim Rauchen, Raven, Saufen oder an den Turntables zeigen. Und zwischendrin baut der gute Emilio immer wieder kleine Bibelverse ein, etwa in der Art: „Es ist aber nichts verdeckt, was nicht aufgedeckt, und nichts verborgen, was nicht erkannt werden wird.“. Geiler Scheiß. Klingt wie typisches Gefasel bei einer Kifferparty, ist aber das Lukasevangelium 12,2. Ihr seht schon, die Grenzen sind fließend.

Was diese kleine Fibel aber so richtig interessant und amüsant für mich macht, ist die Tatsache, wie fake und aufgesetzt das Ganze ist. Wie gesagt, zwölf Jahre katholische Privatschule—dazu kommen aber auch mehr als 20 Jahre Erfahrung als Werbetexter. Glaubt mir, ich kenne eine Auftragsarbeit, wenn ich sie lese. Ich habe oft genug das Ghostwriting für faule CEOs übernommen, Reiseberichte über Orte geschrieben an denen ich nie war, Leserbriefe gefaket oder als Redakteur getarnt jeden Scheiß in so genannten Reviews über den grüne Klee gelobt. Ja, ein schmutziges Geschäft, aber das Spice muss fließen. Oder so ähnlich, aber ich schweife ab. Punkt ist, ich kenn mich da echt aus.

Da wären die Formulierungen. Viele Passagen wirken, als ob ein Texter versucht krampfhaft Jugendsprech zu simulieren. „Ich traf Ihn bei Pilzi, einem verstrahlten Kollegen.“ Wie bitte? „Die Einfuhr meines ersten Teils (Ecstasy-Tablette) brachte mich zum Zappeln.“ Wer spricht so? Es macht den Eindruck, als wären hier die selben Leute am Werk, die „Smombie“ zum Jugendwort des Jahres erhoben haben. Ein weiteres Indiz für die zweifelhafte Authenzität ist nicht nur der klassische dramaturgische Aufbau (Overtüre-Erster Akt-Zweiter Akt-Überraschende Wendung-Auflösung), sondern auch die Unbeschwertheit, mit der hier streng nach 70er-Jahre-Kochbuch alle Drogen in einen Topf geworfen werden. Auf Alkohol folgt Cannabis folgt Ecstasy folgt LSD und so weiter bis hin zu Crystal Meth. Logisch, man geht mit der Zeit. Seit die Großeltern auch Breaking Bad bingewatchen, ist das Zeug der Gottseibeiuns der besorgten Christen. Heroin ist so 80er! Am Ende der Geschichte verweist der Autor dann noch beiläufig auf eine Mobilnummer, auf der man sich per SMS jederzeit den Kummer von der Seele schreiben kann, natürlich direkt zu Emilio. Ja klar. Und kostenlosen Kirchen-Merch gibt’s auch: Neues Testament und Jesus unser Schicksal als Buch sowie das Johannesevangelium als Hör-CD.

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Emilio in dunklen Tagen

Emilio in dunklen Tagen—Foto vom Autor

Was soll das alles, fragt ihr euch jetzt? Nun, Urheber des Ganzen ist Soulsaver e.V., ein „Internetprojekt mit dem Ziel, den christlichen Glauben zu fördern“, so die Beschreibung auf der Seite soulsaver.de. Auch wenn es sich hier bei weitem nicht um so wahnsinnige Fundis wie bei der Katholische Post handelt, sind die Betreiber durchaus dem ernsten, eher spaßbefreiten Katholizismus zuzuordnen. Verdammung von Internetporno, krude Vermischung von NS-Widerstand und Glaube, der moderne Götze Fußball, usw. Wer schon mal morgens schwer verkatert mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Faszination bei den amerikanischen Mega-Predigern auf BibelTV hängengeblieben ist, kennt die Materie.

Was das Ganze allerdings in Form von gedruckter und mehr schlecht als recht getarnter Propaganda auf einem EDM-Festival verloren hat, verstehe ich nicht. Schon gar nicht, wenn hier unterschwellig Musik, Clubkultur und fröhliches Singledasein mit Drogen von A bis Z vermengt werden, als würde eines mit dem anderen untrennbar verbunden sein. Liebe Christen, in eurem kranken Missionswahn macht ihr nicht nur wertvolle sachliche Aufklärungsarbeit zunichte, sondern stellt praktisch jeden bei EDM-Veranstaltungen abgehenden Jugendlichen unter Generalverdacht der Promiskuität und Drogensucht. Das ist infam, untergriffig und dumm.

Ihr könnt euch hier übrigens das durchaus professionell gemachte Büchlein als PDF runterladen, falls euch meine Beschreibung ausreichend angeteasert hat.

Mehr Texte von Markus Höller findet ihr hier.

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