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Mehr Korane für Deutschland und die Ungläubigen!

Derzeit werden deutschlandweit Tausende Gratisexemplare des Korans auf der Straße verteilt. Wir haben uns natürlich auch die Taschen vollgemacht und radikale Salafisten getroffen.

Derzeit werden deutschlandweit Tausende Gratisexemplare des Korans auf der Straße verteilt. Nichtmuslime sollen den Islam kennenlernen und davon überzeugt werden. Wie nett, könnte man da meinen, doch Skepsis macht sich breit. Initiiert wurde die Aktion „Lies!“ von Ibrahim Abou-Nagie, einer Führungsfigur des Salafismus in Deutschland. Diese radikalislamische Gruppierung lehnt jede Rechtsordnung, die nicht auf dem Koran beruht, ab. Die Scharia steht über dem Grundgesetz, sogenannte „Ungläubige“ und Homosexuelle fahren direkt in die Hölle. Am Potsdamer Platz in Berlin steht der Stand mit der Aufschrift „Lies!“, auf dem die Salafisten Hunderte Korane stapeln. 20 Polizisten sind im Einsatz. Eine Medienschar versammelt sich um den Stand. Gegendemonstranten halten Plakate hoch, zeitweise kommt es zu heftigen Diskussionen. Was soll diese Aktion bewirken? Jegliche Fragen an die jungen, bärtigen Salafisten, die den Koran an Passanten verschenken, stoßen auf: „Ich sage nichts!“ oder „Kein Kommentar.“ Mehrfach kommt ein Salafist, der die Aktion überwacht, und stellt klar, dass man hier keine Auskünfte bekommt, nur den Koran. Am Ende ist jedoch einer der Männer bereit, mit uns zu reden. Doch was hat es mit der Aktion auf sich, warum ist kaum jemand zu Antworten bereit, was soll verschleiert werden und wer steht dahinter?

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Der Initiator Abou-Nagie, einst ein erfolgreicher Geschäftsmann, ist heute Hauptakteur und Hassprediger vor dem Herrn. Er verbreitet auf seiner Internetseite die Botschaft der Salafisten in Form von emotionalisierten Videos und Texten. Ungläubige sollen zu einem atavistischen Islam missioniert werden, wie er angeblich zur Zeit des Propheten Mohammed gelebt wurde. Schillernde Salafisten-Prominenz, in Star-Gestalt von Pierre Vogel, ist auch auf der Seite vertreten. Hier am Potsdamer Platz ist keiner der beiden, doch Gangster-Rapper und radikaler Salafist Abou Maleeq (ehm. „Deso Dogg“) schaut mal kurz vorbei. Er wird seit Langem vom Staatsschutz beobachtet, im Internet kursieren seine Songs mit verherrlichten Texten: „Scheich Osama, der schönste Märtyrer dieser Zeit, Scheich Osama, du bist ein Stern und unendlich weit.“ oder „Bis zum Ende dieser Welt führt unsere Pflicht uns zum Dschihad.“

Im Auftrag der radikalislamischen Organisation „Die wahre Religion“ werden schon seit langem Korane in deutscher Sprache gedruckt und verschenkt. Diese Aktion hat das Ziel, 25 Millionen Gratisexemplare in Deutschland zu verbreiten. Viele Politiker, kirchliche Organisationen und der Zentralrat der Muslime lehnen die Aktion ab und auch die Medien äußern Bedenken. All zu kritische Journalisten wurden deshalb in einem YouTube-Video bedroht und diffamiert. Während im Video private Fotos der Reporter gezeigt wurden, drohte eine Computerstimme: „Wir haben detaillierte Informationen über die Affen und Schweine, die verlogene Berichte über Dawa FFM [Salafisten-Gruppe im Raum Frankfurt] und viele andere Geschwister veröffentlicht haben. Wir besitzen eine Menge an Daten von dir, zum Beispiel wissen wir, wo du wohnst, wir kennen deinen Verein, wir besitzen deine Mobilfunknummer.“

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Auch andere Journalisten sollen damit eingeschüchtert werden. Mittlerweile ist das Video von YouTube verschwunden und strafrechtliche Ermittlungen wurden eingeleitet: „Es ist für uns absolut nicht hinnehmbar, dass in Deutschland Journalisten bedroht werden und damit die Pressefreiheit eingeschränkt wird“, sagte Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche zum Vorfall.

Die Verteilung von Büchern, in diesem Fall des Korans, in den Fußgängerzonen verschiedener Großstädte ist natürlich legitim. Doch wird der Koran hier von der ultraradikalen Salafisten-Strömung missbraucht. So etwas wirft ein schlechtes Bild auf die deutschen Muslime allgemein, was fatal ist, denn sie distanzieren sich absolut von den fundamentalistischen Ansichten der Salafisten. Ungefähr vier Millionen Muslime leben in Deutschland friedlich und in guter Nachbarschaft mit anderen Religionen. Um Flagge gegen die Salafisten zu zeigen, haben sich viele Gegendemonstranten mit Plakaten auf dem Potsdamer Platz versammelt, darunter auch Muslime.

Was die Unterstützer der Organisation zu sagen haben könnt ihr auf der nächsten Seite lesen.

Mohammed Kasmir, hat ein „Lies!“- T-Shirt der Aktion an und verteilt den Koran: VICE: Gehören Sie zu dieser Organisation?
Mohammed Kasmir: Ich gehöre nicht zu den Salafisten, ich spreche nur für mich. Was die Medien schreiben, dass die Salafisten gegen die Verfassung sind, das stimmt nicht. Die Muslime hier leben friedlich in Deutschland und sie respektieren die Religionsfreiheit und wollen mit Christen zusammen leben. Kürzlich gab es Drohungen gegen Journalisten im Internet, die Organisation wird vom Verfassungsschutz beobachtet, weil manche Salafisten die Scharia über das Grundgesetz stellen wollen.
Wir wollen friedlich hier leben und nicht das Grundgesetz abschaffen. Das ist alles nicht wahr, was in den Medien geschrieben steht. Haben Männer und Frauen nach Auffassung der Salafisten die gleichen Rechte?
Im Islam haben sie die gleichen Rechte. Und Homosexuelle?
Allah hat uns im Koran das Beispiel gegeben: Das Volk des Lot hat Homosexualität betrieben, und deshalb wurde das Volk mit den härtesten Strafen von Allah belegt. (Ähnlich in der Bibel Sodom und Gomorrah) Im Grundgesetz ist Homosexualität erlaubt.
Dann sollen es die Leute machen, das stört mich nicht. Solange sie mich nicht dazu zwingen, Homosexualität zu betreiben. Das macht wohl eher keiner. Was sagen Sie dazu, dass Salafisten extreme Gewalttaten ausüben?
Das stimmt nicht. Es ist gerade erst passiert. Ende März in Toulouse hat ein Salafist drei Kinder und einen Lehrer einer jüdischen Schule, zwei Soldaten und einen weiteren Armeeangehörigen umgebracht.
Es gibt Ausnahmen. Und das mit Toulouse ist total falsch, diese Morde hat Sarkozy selbst inszeniert, um wiedergewählt zu werden. Da steckt der Geheimdienst mit drin. (Ich lache) Das ist ja total absurd. Keine Ahnung, wo Sie das gehört haben, aber das ist eine Verschwörungstheorie sondergleichen.
(Er lacht.) Was sagen Sie über die „Lies!“-Aktion hier?
Es ist eine wunderbare Aktion. Das erste Mal, dass so was passiert in Deutschland, dass der Koran umsonst verteilt wird, dass die Leute ein besseres Verständnis vom Islam bekommen. Meinen Sie, dass Leute den Koran verstehen können, wenn sie ihn einfach nur lesen?
Es ist nicht einfach, den Koran auf einmal zu verstehen. Man muss die Grundidee von den Koran-Versen verstehen. Dazu muss man die Geschichte des Islams von Anfang an lernen. Wenn ich den Koran jetzt mit nach Hause nehme und nichts davon verstehe, was mache ich denn dann mit dem Buch?
Sie können das Buch ruhig behalten. Der Koran allein reicht nicht, um den Inhalt zu verstehen. Deshalb können sie andere Literatur dazu nehmen und sich belesen. Dafür gibt es eine Menge auch, in Moscheen, zum Beispiel die Al Rahman-Moschee in der Tromsöer Straße in Berlin Wedding. Da können die Leute hinkommen und sind willkommen und können Bücher über den Islam kaufen. Was passiert, wenn die Leute, denen hier der Koran in die Hand gedrückt wird, diesen zu Hause wegschmeißen?
Das ist ihre Sache. Vor Kurzem gab es ja einen ziemlichen Prostest gegen amerikanische Soldaten, die Korane weggeschmissen haben.
Mhh … na ja … Dieser Koran hier ist auf Deutsch, also sagen wir, es ist nicht der originale Koran. Wenn es ein Koran auf Arabisch ist, also ein richtiger Koran und der wird beschädigt, so wie es die Amerikaner getan haben, dann verstehe ich die Reaktion der Leute. Wenn hier die Leute den Koran in den Mülleimer werfen, dann passiert nichts?
Es ist zwischen den Leuten und Gott. Sie müssen ihre Taten dann vor dem jüngsten Gericht verantworten. Ich bin nicht verantwortlich für das, was sie machen. Warum fühlen sich dann trotzdem manche Leute dafür verantwortlich, wenn Andere, beispielsweise Amerikaner, den Koran wegschmeißen?
Die Amerikaner spielen mit den Ressentiments der Leute. Ich finde auch, dass das ein sehr respektloser Umgang mit der heiligen Schrift der Muslime war und verurteile die Tat der amerikanischen Soldaten. Aber man muss befürchten, dass viele der Leute, die den Koran heute mitnehmen, ihn eventuell wegschmeißen und dann gibt es Menschen, die daraufhin neuen Hass verbreiten.
Wir verbreiten hier keinen Hass, wir verschenken nur den Koran. (Er lacht)

Fotos: Fabian Brunsing