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Was man vom 1. Mai 2015 in Zürich erwarten kann

2015 findet zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder eine bewilligte Demo auf dem Helvetiaplatz statt, von wo früher immer die Krawalle ausgegangen sind. Wir haben bei Polizei und Veranstalter nachgefragt, was sie erwarten.
Titelbild von Dominik Fellmann

Der 1. Mai ist eigentlich immer dasselbe. Gewerkschafter schreien in Megafone, Fahnen werden geschwenkt—alle ausser die der SYNA sind rot—und jede Linksaussen-Kleingruppe bringt ein Migros-Wägeli mit grossen Speakern drauf (linke Kleingruppen mit mehr als 20 Mitgliedern kommen vielleicht auch mit einem Traktor). Ändern tut sich nicht viel, statt Irie Revoltés oder Greis läuft heute vielleicht häufiger Electro aus besagten Lautsprechern, aber damit hat sich's. Die Mottos sind etwa so austauschbar wie die der Fasnacht und wie an der Fasnacht kann man einen parolen- und alkoholintensiven 1. Mai verleben, ohne das Motto zu erfahren.

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Früher war der 1. Mai in Zürich immer auch ein Tag der Ausschreitungen. Das Video vom Jungen im Tram, der sich aufmacht zum „Bulle schlah", findet man vielleicht noch halbwegs lustig, aber spätestens mit dem 1. Mai 2008, als ein betrunkener Amokfahrer an der Ecke Dienerstrasse/Langstrasse in die Menge fuhr, hat auch der radikalste Mistkübel-Brandstifter gecheckt, dass das weder komisch, noch ein Spiel ist. Nur durch Glück gab es an dem Tag keine Toten.

Diese hässlichen 1. Mai-Bilder sehen oder erleben wir spätestens seit dem Amtsantritt von AL-Stadtrat Richard Wolff nicht mehr. Letztes Jahr soll laut SRF „am Helvetiaplatz kein Spritzer Tränengas los und kein Stein geflogen" sein. Richard Wolff, den der Revolutionäre Aufbau einen „gezähmten Pudel" nennt, nahm in seiner Jugend selbst an Demonstrationen am Rande der Opernhaus-Krawalle teil. Mittlerweile hat er den Ruf, dass Demonstrationen unter ihm als Sicherheitsvorsteher für Polizisten und Demonstranten angenehmer sind (obwohl es Ausnahmen wie diese oder diese gibt).

AL-Stadtrat Wolff misst mit verschiedenen Ellen - Jungfreisinnige Kanton Zürich — Andri Silberschmidt (@andrisilbi_)17. April 2015

Der 1. Mai 2015 wird es der Polizei aber nicht leichter machen: Zuerst planten die Jungfreisinnigen, zusammen mit der JSVP und den rechtslibertären von UP! eine Gegendemo. Diese erhielt keine Bewilligung und da die jungen Bürgerlichen in der Schweiz noch nicht mit illegalen Demos aufgefallen sind, wird es die Gegendemo wohl nicht geben.

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Aber auch ohne die Gegendemo wird es noch mindestens zwei Demonstrationszüge geben. Erstmals will das 1. Mai-Komitee sich nicht wie in den Vorjahren in der Lagerstrasse besammeln, sondern auf dem Helvetiaplatz. Diese Vordemo wird bereits um 9 Uhr stattfinden, danach will man an der Lagerstrasse zum Gewerkschaftsbund, der sich weiterhin dort besammelt, dazustossen. Dies führt nicht nur bei den Ladenbesitzern an der Europaallee zu Unwohlsein, auch Björn Resener, Sekretär des Zürcher Gewerkschaftsbundes, sagte mir am Telefon, dass man diesen Plan „anfänglich für nicht so gut hielt".

Grund ist der Symbolgehalt des Helvetiaplatz: Schon als ich als Teenie am 1. Mai in Zürich rumlungerte, war der Helvetiaplatz der Hotspot von Konflikten zwischen Polizei und Demonstranten (genauer: betrunkenen Leuten, die auf dem Kanzleiareal sassen und Musik aus Boxen hörten und ab und an eine Flasche Richtung Kastenwagen schmissen).

Luca Maggi, der Sprecher des 1. Mai-Komitees, sieht keine Risiken. Das Statement, das er mir zukommen liess in voller Länge und unreguliertem Pathos:

„Mit dem diesjährigen Start auf dem Helvetiaplatz möchte das 1. Mai-Komitee ein Zeichen gegen die Aufwertungs- und Verdrängungspolitik in der Stadt Zürich setzen. Die Europaallee an der Lagerstrasse ist wie auch das PJZ beim Güterbahnhof Sinnbild dieser Politik. Wir wollen kein Zürich, das sich in „arm" und „reich" teilen lässt und haben darum beschlossen in diesem Jahr am Helvetiaplatz zu starten. Der Kreis 4 war einst ein Arbeiterquartier. Heute werden aber genau die kleinen Leute immer mehr aus diesem Gebiet vertrieben. Das 1. Mai-Komitee wehrt sich dagegen. Als Komitee mit über linken 60 Mitgliedsorganisationen setzen wir am 1. Mai ein Zeichen. Zudem bietet der Helvetiaplatz die Möglichkeit den Morgen am 1. Mai bereits politisch zu gestalten. Es wird auf dem Helvetiaplatz verschiedene Reden geben. Dies ist an der Lagerstrasse nicht möglich. Für uns ist der 1. Mai ein politischer Tag."

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Warum der 1. Mai nicht auch am Bürkliplatz ein politischer Tag sein kann, geht aus Luca Maggis Aussage nicht hervor. Natürlich hat die Gentrifizierung in Zürich krasse Ausmasse angenommen, aber niemandem der an der Langstrasse wohnen will, hilft diese Demo. Resener vom Gewerkschaftsbund sieht die Symbolwirkung der Vordemo darum auch eher auf einer konkreten Ebene: „Der 1. Mai ist durch diese Vordemo stark auf den Helvetiaplatz fokussiert. Und prompt kam auch ein Aufruf zur revolutionären Demo um 15 Uhr!"

Tatsächlich hat der Revolutionäre Aufbau am Helvetiaplatz zur Nachdemo aufgerufen. Ob diese dann in dem Ausmass ausartet, wie es sich der eine oder andere im Aufbau wünscht, wird sich zeigen. Mit Ausnahme der JF, up! und der JSVP sind jedenfalls alle Beteiligten zufrieden mit der Situation.

Bild von Dominik Fellmann

Björn Resener vom Gewerkschaftsbund gibt sich versöhnlich und lobt den Ordnungsdienst des 1. Mai-Komitees. Man habe einen kleinen, mittlerweile bewältigten Konflikt gehabt, der Grund dafür sei einfach „Never change a winning horse" gewesen, aber dieser Konflikt sei überwunden. Auch Stadtpolizei-Sprecher Marco Cortesi ist zuversichtlich: „Natürlich waren wir anfänglich nicht wirklich begeistert, aber wir haben eine Lösung gefunden, die für alle Beteiligten tragbar ist."

In dem Sinn wünsche ich allen, Gewerkschaftern, Komiteemenschen, Polizisten und Besoffenen auf dem Kanzleiareal einen schönen 1. Mai (ausser ex-Polizeivorsteherin Esther Maurer)!

Benj auf Twitter: @biofrontsau

Vice Switzerland auf Twitter: @ViceSwitzerland