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Kann man offen schwul und gleichzeitig muslimischer Imam sein?

Muhsin Hendricks glaubt, dass der Koran kein Problem mit Homosexualität hat.
Foto: Wisaal Abrahams

Der schwule Südafrikaner Muhsin Hendricks ist ein international praktizierender Imam und Aktivist. In seiner Kapstadter Moschee bietet er Gläubigen Raum, gleichzeitig religiös und queer zu sein. Kürzlich stellte der 48-Jährige seinen Dokumentarfilm Al-Fitrah in Hamburg vor. Wir haben mit ihm über Homosexualität im Koran, südafrikanische Pride-Paraden und das Recht auf Spiritualität für Nicht-Heterosexuelle gesprochen.

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VICE: Im deutschsprachigen Raum gibt es seitens der Mehrheitsgesellschaft massive Vorurteile gegenüber Menschen muslimischen Glaubens. Sind Sie in Südafrika auch mit solchen Tendenzen konfrontiert?
Muhsin Hendricks: In Kapstadt haben wir eine Geschichte des friedlichen Zusammenlebens verschiedener Glaubensrichtungen. Es gibt mittlerweile auch viele Hochzeiten zwischen unterschiedlichen Religionen und Kulturen. In Deutschland ist es ja so, dass viele Muslime eine Migrationsgeschichte haben und deshalb stark an diesem Teil ihrer Identität festhalten. Genau so ist das dann auch andersrum: All diese neuen Leute kommen ins Land, verändern die etwas? Deshalb gibt es hier so eine starke gesellschaftliche Anspannung. In Südafrika haben wir die nicht.

Mit welchen Spannungen müssen Sie sich dort auseinandersetzen?
Konkrete Probleme sind beispielsweise Vergewaltigungen von Lesben, die Annahme, dass Homosexualität „unafrikanisch" und „unislamisch" sei, und diskriminierende Aussagen einflussreicher religiöser Personen.

Mit ihrer Organisation The Inner Circle begegnen Sie diesen Problemen. Sie haben eine Moschee gegründet, die es allen Muslimen unabhängig von geschlechtlicher und sexueller Identität ermöglichen will, ihren Glauben zu praktizieren. Wie sieht die Praxis in Ihrer Gemeinde aus?
Wir sitzen alle zusammen in einem Raum, ganz egal, wie sich eine Person geschlechtlich oder sexuell identifiziert. Frauen, die ihre Haare nicht verdecken wollen, müssen das nicht tun. Alles ist möglich!

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Inwiefern unterschiedet sich das von anderen Moscheen in Kapstadt?
Normalerweise gibt es eine starke Segregation zwischen Männern und Frauen. Manchmal müssen Frauen hinter einem Vorhang sitzen, sodass sie nicht mal gesehen werden. Das machen wir anders. Ich würde sagen: Es ist respektvoll durchmischt. Die Leute scheinen es zu mögen, da es ein Ort ist, an dem nicht geurteilt wird. Egal, woran du glaubst: Es ist OK. Wie du den Islam praktizierst, ist deine Sache, solang du niemandem Schmerz hinzufügst.

Sie sagen, dass der Koran an sich keine eindeutige Aussage bezüglich der Legitimität von Homosexualität trifft. Wie erklären Sie sich dann, dass queere Lebensweisen für so viele Gläubige und auch einflussreiche Prediger haram sind?
Das war nicht immer so! Wenn wir beispielsweise muslimische Gesellschaften im heutigen Saudi-Arabien zwischen dem siebten und neunten Jahrhundert betrachten, finden wir sehr viel Poesie dazu, wie Männer sich zu Männern hingezogen fühlen. Auch Männer, die in ihrem Verhalten feminine Züge hatten und Teil der Gesellschaft waren, werden thematisiert.

Heutzutage gibt es in islamischen Ländern sehr wohl Männer, die geheime homosexuelle Affären haben. Darüber wird aber nicht gesprochen, solange der Mann seine sozialen Verpflichtungen wie Heirat und so weiter erfüllt. Stärkere Tendenzen gegen Homosexualität sind sichtbar, seitdem der Islam in Salaffi- und Wahabi-Traditionen reformiert wurde.

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Dieser schwule Muslim ist heimlich nach Mekka gereist, um dort zu filmen.

Diese Reformen lassen sich tatsächlich auf Einzelmeinungen zurückführen. Beispielsweise gab es nach dem Tod des Propheten in Medina eine Zeit, in der Männer homosexuellen Sex haben wollten. Bei genauer Koranlektüre könnte es auch so ausgelegt werden, dass die Männer einander heiraten wollten. Die Gelehrten wussten später nicht, wie sie damit umgehen sollen. Deshalb schlossen sie daraus, dass das wie in Sodom und Gomorra interpretiert werden muss. Und was hat Gott da getan? Alles abgefackelt. Bestrafungen haben sich wegen dieser Interpretation etabliert.

Wenn Leute des gleichen Geschlechtes miteinander Sex haben, sollen sie beispielsweise von einem hohen Gebäude geschmissen werden. Meine Interpretation ist, dass es definitiv einen Unterschied zwischen Sodom und Gomorra und homosexuellen Praktiken gibt. Diese Unterscheidung wird durch die muslimische Community noch nicht anerkannt. Wenn wir diese Anerkennung erreichen können, werden sich die Dinge ändern.

Bisher haben Sie vor allem soziale Medien genutzt, um Ihre Arbeit publik zu machen, beraten weltweit über das Internet Menschen. Nun präsentieren Sie ihren Dokumentarfilm über queeres muslimisches Leben. Weshalb haben Sie sich entschlossen, einen Film zu drehen?
Wir fokussieren uns derzeit auf Jugendliche, die mit Medien ganz anders umgehen als ältere Menschen. Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir unsere eigenen religiösen Führer fördern, statt die Arbeit auf Ältere zu beschränken. Dies geht am besten durch Medien. Film ist eines der wichtigsten Mittel, um Leute zu bilden, deshalb nutzen wir es.

Wie haben die Leute reagiert, als Sie ihren Film Al-Fitrah das erste Mal in Deutschland zeigten?
Sie waren überrascht. Ich glaube, dass es auf gewisse Art und Weise die Erwartung gab, dass der Film die Islamophobie in Europa lösen kann, denn viele Nachfragen gingen in diese Richtung. Als wir den Film beispielsweise in Malaysia zeigten, war das Publikum ein anderes, es hat sich mehr für religiöse Fragen interessiert. In Deutschland waren die Leute politisch interessierter.

Sehen Sie es als Ihre Verantwortung, den Leuten Islamfeindlichkeit oder Homophobie auszutreiben?
Der Prophet Mohammed hat sich mit genau dieser Situation konfrontiert gesehen. Er unterrichtete die Leute über die Einigkeit Gottes, diese wollten aber partout nicht zuhören. Plötzlich kam der Engel Gabriel und fragte: „Warum weinst du?" Der Prophet antwortete: „Ich predige und predige, aber niemand will mir zuhören." Auf eine gewisse Art und Weise stimme ich dem zu.