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Warum ich es toll finde, dass der Bierkönig auf Malle wieder aufmacht

Wenn Fußballvereine sich die Bierbong-Röhre in den Rachen stecken, ist das genauso legitim, wie wenn andere sich die vierte Flasche Rotwein aufmachen.
Mia Julia performt vor einer Menschenmenge im Bierkönig auf Mallorca
Mia Julia macht Politik im Bierkönig auf Mallorca | Bild: IMAGO / nicepix.world

Als ich das erste Mal im Saufurlaub war, fand ich Fußball noch spannend. Es war das Jahr, als Deutschland gegen Italien verlor, was ich schade fand, ohne genau sagen zu können, wieso. Na gut – eigentlich wusste ich sehr wohl, wieso. Der Grund waren unsere Strandnachbarn.

Das waren nämlich Italiener. Sie trugen ihre blauen Trikots, wenn sie an den Strand gingen und tauschten sie dort gegen dunkelbraune Oberkörper, bevor sie sich auf ihre Handtücher setzten. Wir kamen derweil weiß an den Strand und gingen rot, bis wir gegen Ende des Urlaubs wieder weiß waren. 

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Mit den Nachbarn stritten wir uns, sie auf Italienisch, wir auf Deutsch, wer nun die bessere Mannschaft habe und ob der Streit ernst war oder nicht, weiß ich bis heute nicht. Ich weiß nur, dass dieser Urlaub einer der schönsten war, die ich je hatte und dass es dringend Zeit wird, dass man wieder auf dem Ballermann ballern kann. 


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Ich war damals mit einem Kumpel auf Lloret de Mar. Wir nutzten bewusst die falsche Präposition, weil wir das lustig fanden. "Auf" sollte klarmachen, warum wir da sind. "Auf" sollte den Bezug herstellen zur Insel Mallorca, auf die man fährt, um zu tun, was wir zu tun vorhatten. Nämlich, na ja, Bierkönige werden, ballern. Wir waren im Saufurlaub.

Wir hatten uns vor dem Urlaub einen Ghettoblaster gebaut. Eine Autobatterie versorgte die Auto-Endstufe mit Strom, die wiederum die acht Lautsprecher, die wir an das 30 Kilogramm schwere Gerät geschraubt hatten, mit 75 Watt in beide Richtungen vollpumpte. Wir hörten Big-Brother-Jürgen, Mickie Krause und Jürgen Drews, während wir unser Dosenbier so tranken, dass die Polizei es nicht mitbekam. Und womöglich resultierte der Disput mit den Italienern auch weniger aus unserer Glorifizierung des Nationalspielers Lukas Podolski und mehr aus Jürgen Milskis "Lu-Lu-Lu-Lukas Podolski", das aus unseren Boxen hämmerte.

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Der Saufurlaub war unser spätpubertäres Mittel, um der Welt den Stinkefinger zu zeigen. Wir waren noch Schüler, hatten sechs Wochen totzuschlagen und per se keinen Bock. Der Urlaub war also unser Weg, um wieder klarzukommen. Um die Schule zu vergessen, Energie zu sammeln fürs Abi, das vor uns lag und alles, was halt im Leben erwachsener Jugendlicher noch so stattfindet. 

Wenn jetzt am Freitag also der Bierkönig auf Mallorca wieder öffnet, werden wir ein Stück dringend notwendiger Kultur zurückbekommen. Zwar wird der Betrieb vorerst nicht mehr in der Form stattfinden, in der Deutsche aus aller Herren Bundesländer ihn schätzen. Keine Konzerte, kein Bierbankhüpfen und Schunkelpurzeln. Stattdessen gesittetes Essen und Trinken am Tisch, vier Personen max. Aber der erste Schritt ist getan. Der erste Schritt in Richtung immerwährender Party und Erholung vom grauen Büro-Leben im deutschen Deutschland.

Klar kann man den Exzess nun verurteilen. Auch ich muss nicht im Achselschweiß von 2.000 oberkörperfreien Bierbäuchen nach Luft hecheln, auch mir sind besoffene Menschenmengen suspekt. Aber der Bierkönig ist nun mal Tradition, vielleicht nicht als Institution als solche, aber sein Spirit. Die Tradition des Sauf- und Partyurlaubs, ob er auf Malle, Lloret, Mykonos, Cancún oder am Goldstrand stattfindet. Und dieser Tradition die Daseinsberechtigung abzusprechen, ist unfair. Wenn Fußballvereine sich einmal im Jahr die Bierbong-Röhre in den Rachen stecken wollen, dann ist das genauso legitim, wie wenn andere sich beim Italiener die vierte Flasche Rotwein aufmachen. 

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Und der Bierkönig ist ja nun wahrlich kein schlechter Ort. Wer hat nicht mehr die Bilder vor Augen von einer riesigen Menschenmenge, die, angestachelt von der Schlagersängerin und Pornodarstellerin Mia Julia, einen Neonazi-Mob raus grölte? "Nazis raus", rief er und sang "Jeder Nazi ist ein Hurensohn". Auch im Saufurlaub kann man nämlich ein Gewissen behalten.

Auf Mallorca selbst ist diese Art des Tourismus mittlerweile etwas in Verruf geraten. Die Anwohnerinnen und Anwohner wollen ihre Insel zurück. Genug gekotzt, geprügelt und gesoffen, finden sie. Das Hinterland ist doch auch sehr hübsch, warum nicht mal wandern gehen? Die Politik zeigt sich auf ihrer Seite und schränkt die Party-Institutionen der Deutschen ein. Sogar der Ballermann-Erfinder will jetzt an seinem Konzept feilen und zeigt sich reumütig. Vielleicht habe man es übertrieben, meint er.

Natürlich hat er Recht. Natürlich hat man es übertrieben. Jeder Mensch, der mit dem alleinigen Ziel, sich wegzuballern in den Urlaub fährt, übertreibt. Aber nichts anderes ist doch Karneval. Oder deine Geburtstagsfeier. Oder mein Weihnachtsfest. So lange dabei niemand zu Schaden kommt, ist der Rausch ein legitimes menschliches Bedürfnis. Und so lange Neonazis dabei keine Plattform bekommen, gibt es weitaus widerlichere Etablissements als den Bierkönig.

Meinen letzten Saufurlaub hatte ich übrigens zwei Jahre nach meinem ersten. Gemeinsam mit einem Großteil meiner Stufe fuhr ich nach Calella, Llorets Nachbarort. Am ersten Tag ging ich an den Strand, nach einer Woche fuhr ich auf einen Ausflug nach Barcelona, ansonsten verbrachte ich jeden Tag am Pool des Hotels, dessen Getränke kostenlos waren. Zum Frühstück gab es White Russian, zum Mittagessen Gin Tonic und was es abends gab, weiß ich nicht mehr. Der Urlaub war furchtbar.

Wenn wir nachts in die Diskotheken gingen, waren wir alle schon so kaputt, dass wir kaum noch tanzen konnten. Einer auf der Party machte sich einen Spaß daraus, in der Unübersichtlichkeit der Schaumpartys fremde Menschen anzupinkeln und dass jemand geknutscht hat, das geheime Versprechen eines jeden Rauschs, kann ich mir kaum vorstellen. Stattdessen wurde Christian zusammengeschlagen, als er sein gestohlenes Portemonnaie zurückforderte.

Ich war froh, als ich wieder zu Hause war. Wenn ich alleine zuhause bin, muss ich auch nicht Fußball gucken und so tun, als wüsste ich, ob "wir" uns nun in der Gruppenphase oder dem anderen Teil des Turniers befinden. Inhaltslose Saufurlaube sind seitdem auch nichts mehr für mich. Ich mache lieber die vierte Flasche Rotwein beim Italiener auf, gerne auch in Spanien.

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