Die russischen Präsidentschaftswahlen kann man schnell erklären: Am Sonntag wird Wladimir Putin wohl mit einer übergroßen Mehrheit wiedergewählt werden. Hinter ihm werden zwei Männer die Plätze zwei und drei unter sich ausmachen. Der eine fiel durch seine Stalin-Verehrung auf, der andere durch einen Ausraster während einer Fernseh-Debatte – er nannte eine Mitkandidatin "Schlampenhure". Eben diese Kandidatin ist es, die den Wahlkampf aber erst richtig interessant macht.
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Xenia Sobtschak, 36, ist seit den 2000ern ein fester Bestandteil der russischen Glamour-Welt. Moderatorin, It-Girl, Covermodel: Die Tochter des ehemaligen Bürgermeisters von St. Petersburg ist praktisch überall bekannt und bestens im Establishment vernetzt – nur heißt das nicht, dass ihre politischen Ambitionen gerne gesehen werden.Für viele Russen ist sie so etwas wie der Antichrist der Präsidentschaftswahlen. Vorurteile, indoktrinierte Meinungen und quasi festgeschriebene moralische Gesetze greift sie frontal an. Beispiele? Die 36-Jährige setzt sich für die Gleichberechtigung von LGBTQ-Menschen ein, fordert eine Legalisierung von Marihuana in Russland und will die Krim an die Ukraine zurückgeben. Viele Russen dürften spätestens bei Nummer drei ihren Wodka vor lauter Schreck in die Borscht prusten, um es mit den abgedroschendsten Russlandklischees zu beschreiben. 82 Prozent der Russen sind sich laut einer Umfrage einig, Sobtschak auf keinen Fall wählen zu wollen – der höchste ablehnende Wert unter allen Bewerbern. Trotzdem zählt Sobtschak zu den ganz wenigen Politikern in Russland, denen mehr als ein Schattendasein in der Pseudo-Opposition zugetraut wird.Hinter der Kandidatin und ihrem Slogan "Sobtschak gegen alle" steckt vor allem eins: Lautstärke. Das gute daran: Die 36-Jährige weiß, wie sie sich und ihren Themen in den russischen Medien Aufmerksamkeit verschafft. Bereits mit 23 moderiert sie die Fernsehsendung Dom Dwa – eine Art Big Brother auf Steroiden. Während in Deutschland zwischen Zlatko, Jürgen und Andrea die ein oder andere Beleidigung hin und her geworfen wurde, flogen in der russischen Version Aschenbecher.Die Sendung prägt noch heute das Bild der Kandidatin, ebenso wie ihre 2000er, die sie im russischen Öl-Rausch mit der Oligarchen-Elite durchfeierte. Öffentliches Knutschen, wechselnde Partner, betrunkenes Fluchen – in ihren 20ern führte Sobtschak ein relativ normales Leben, nur dass sie stets von Kameras begleitet wurde. Innerhalb weniger Jahre hatte sie es geschafft, sich den Ruf einer "Paris Hilton Russlands" zu erarbeiten. Sobtschak zierte das Cover des Playboy, schenkte Freunden auf riesigen Feiern Lapdances mit Kamerabegleitung und gab schon mal medienwirksam 5.000 Dollar auf einer Shoppingtour aus. Die älteren, sowjetisch geprägten Russen waren entsetzt, für viele Jugendliche wurde sie zum Idol. Der Ruf, ein "leichtes Mädchen" zu sein, nicht ernsthaft genug für die Politik, bleibt ihr bis heute. Und es sind nicht nur Konservative in Russland, die das so sehen.
Ihr Wahlslogan: "Sobtschak gegen alle"
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"Sie hat keine Autorität", sagt Zhanna Nemzowa, Deutsche Welle-Redakteurin und Tochter des 2012 in Sichtweite des Kreml erschossenen Oppositionellen Boris Nemzow im VICE-Interview. "Egal, was von ihr kommt, auch Richtiges, es wird die Russen nicht überzeugen." Sobtschak sei zwar landesweit bekannt, politischer Zuspruch fehle ihr aber komplett, erklärt Nemzowa.
Auch bei VICE: Russische Oligarchen lassen es krachen
Für viele in Russland kommt das politische Engagement von Sobtschak überraschend, obwohl ihr Weg zur jetzigen Kandidatur bereits vor etlichen Jahren begann. 2011, als 100.000 Russen gegen mutmaßliche Wahlfälschungen demonstrieren, spricht auch Sobtschak auf einer der zentralen Bühnen in Moskau. Sie kritisiert die Wahlfälschungen, das politische System, den Präsidenten – und wird trotzdem ausgebuht. Für viele Protestierende wirkte ihr Auftritt wie eine Provokation, sie wollten kein Teil einer "Sobtschak-Show" sein. "Es schien so, als würden die Leute gleich nach oben klettern und sie auseinandernehmen", erinnert sich Ilja Ponomarjov, einer der Anführer der Demonstrationen, gegenüber der Moscow Times. Doch das scheint Sobtschak nicht abzuschrecken. Ein Jahr später startet sie eine politische Talkshow, lädt Gäste ein, die im russischen Fernsehen de facto ein Auftrittsverbot haben. Damit scheint das Band zwischen ihr und dem politischen Establishment endgültig zerschnitten. Ihre einträgliche Fernsehkarriere im staatlichen Rundfunk – sie ist von einem auf den anderen Tag vorbei.
Auch bei VICE: Russische Oligarchen lassen es krachen
Für viele in Russland kommt das politische Engagement von Sobtschak überraschend, obwohl ihr Weg zur jetzigen Kandidatur bereits vor etlichen Jahren begann. 2011, als 100.000 Russen gegen mutmaßliche Wahlfälschungen demonstrieren, spricht auch Sobtschak auf einer der zentralen Bühnen in Moskau. Sie kritisiert die Wahlfälschungen, das politische System, den Präsidenten – und wird trotzdem ausgebuht. Für viele Protestierende wirkte ihr Auftritt wie eine Provokation, sie wollten kein Teil einer "Sobtschak-Show" sein. "Es schien so, als würden die Leute gleich nach oben klettern und sie auseinandernehmen", erinnert sich Ilja Ponomarjov, einer der Anführer der Demonstrationen, gegenüber der Moscow Times. Doch das scheint Sobtschak nicht abzuschrecken. Ein Jahr später startet sie eine politische Talkshow, lädt Gäste ein, die im russischen Fernsehen de facto ein Auftrittsverbot haben. Damit scheint das Band zwischen ihr und dem politischen Establishment endgültig zerschnitten. Ihre einträgliche Fernsehkarriere im staatlichen Rundfunk – sie ist von einem auf den anderen Tag vorbei.
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Seitdem steht Sobtschak zwischen den Stühlen. Selbst als 2012 im Vorlauf einer großen Anti-Putin-Demo ihre Wohnung durchsucht wurde, kam wenig Solidarität mit ihr auf. Auch nicht von denen, deren Wohnungen ebenfalls durchsucht wurden. Das liegt zum großen Teil an einem Punkt ihrer Familiengeschichte, der für viele Oppositionelle ein wahres Horrorszenario ist: die Nähe zu Wladimir Putin. Zwar distanziert sie sich ein ums andere Mal von der Politik des ewigen Präsidenten, doch das täuscht kaum über das enge Verhältnis der beiden hinweg. "Ich bin in einer schwierigen Situation", erklärte sie auf ihrer ersten Pressekonferenz als Kandidatin. "Putin hat meinem Vater geholfen – und ihm praktisch das Leben gerettet."Anatoly Sobtschak war es, der als erster demokratisch gewählter Bürgermeister St. Petersburgs Putin unter seine Fittiche nahm. Er half beim Start der wohl beeindruckendsten Polit-Karriere im post-sowjetischen Russland. Als bis heute nicht erwiesene Korruptionsvorwürfe aufkamen und Sobtschak seinen Bürgermeisterposten verlor, reiste er nach Paris – angeblich mit der Hilfe seines dann bereits mächtiger gewordenen Protegés. Für Xenia Sobtschak, die doch "gegen alle" antritt, eine Hypothek so groß wie eine Oligarchenvilla. Vorwürfe, ihre Kampagne sei von der Kreml-Führung gewollt oder wenigstens akzeptiert worden, verstummen kaum; auch weil Sobtschak in einem BBC-Interview zugab, Putin bereits im letzten Jahr über ihre Kandidatur informiert zu haben.
Sobtschaks Vater und Putin verband so ziemlich alles
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"Das Land ist noch nicht bereit für eine Sobtschak-Präsidentschaft"
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