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Schon wieder Wahlen!!!

Das war's: Unser gesamtes VICE-Tagebuch zur Nationalratswahl 2017

Kanzler-Krönung, Dirty-Campaigning, Hofers Wiederkehr, Stammtisch-Rassismus und Plazenta-Essen: Das war die Wahlkampf-Welt zwischen 1. September und 15. Oktober. Willkommen beim dunklen Finale.

Dieses Tagebuch zu schreiben, war nicht ganz einfach. Vor allem, weil mein Thema der Wahlkampf war und nicht zum Beispiel das Leben von Leo Tolstoi, der [am 25. Jänner 1851](https://www.thepa Tagebuch zu schreiben, ist gar nicht so einfach, wie ihr denkt. Erst recht nicht, wenn es auch noch gut und kurz sein soll. Ein gutes Beispiel für beides war Leo Tolstoi, der <a href=) folgenden Eintrag in sein Tagebuch geschrieben hat: "Ich habe mich verliebt oder bilde es mir wenigstens ein; ging auf eine Feier und verlor meinen Kopf. Kaufte ein Pferd, das ich absolut nicht brauche." Was für eine Steilvorlage!

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Aber man kann sich eben nicht immer aussuchen, was die Tage im Wahlkampf für einen bereithalten. Es hätte Tolstoi werden können, aber es wurde Houellebecq. Über den sagte der New Yorker einmal: "Sich vorzustellen, dass es immer genauso weitergeht wie bisher, ist das, was Satiriker tun. Es ist auch das, was Dummköpfe machen." Irgendwie kommt mir das passend vor.

Manchmal waren es neue Leaks zu Schmutzkampagnen, die eigentlich nur Innenpolitik-Redakteure interessieren und deshalb von uns in der Blase großgeschrieben wurden, was dann da draußen nur als diffuses "Ich hab's schon immer gewusst, alle korrupt" ankam. Manchmal waren es auch Stenzel-News oder Fellner-Fotomontagen von Kurz' Kanzler-Krönung. Und manchmal waren es einfach nur sehr, sehr österreichische FPÖ-Wahlkampf-Videos.


Auch auf VICE:

Das hier ist das Ergebnis von eineinhalb Monaten Wahnsinn, Wahlkampf und totaler Überarbeitung. Nicht nur bei mir, sondern bei allen, deren Augenringe gleichzeitig mit der Politikverdrossenheit in der Gesellschaft gewachsen sind – auf Mission für eine bessere Berichterstattung, maximale Schadensbegrenzung oder eine grundlegende Kurskorrektur im politischen Diskurs.

Es ist zum Weinen, zum Lachen, dann wieder zum Weinen, sehr, sehr lange zum Weinen, dann wieder zum Lachen und schließlich zum Durchdrehen. Während man weint. Für mich war die Zeit von 1. September bis 15. Oktober, als ob ich versuchen würde, mit fünf Kegeln gleichzeitig zu jonglieren. Die brennen. Auf einem Einrad. Das auch brennt. In einem Minenfeld. Voller Flammen. Während einen Affen mit Kot bewerfen. Der vorher angezündet wurde. Mein Punkt ist, es gab ziemlich viel Feuer und ziemlich viel verbrannte Erde.

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Ich bin mir sicher, ich spreche damit auch jedem Wahlkampf-Team und jedem Spitzenkandidaten und jeder Spitzenkandidatin aus der Seele. Also, auf ein letztes Mal. Sie spielen unser Lied!


15. 10. 2017: "Wer auch immer gewinnt … wir verlieren." Oder: Es wird auch gar nicht wehtun

Liebes Tagebuch,
es ist soweit. Der Wahlkampf ist vorbei, die Nabelschnur ist fast durchtrennt und bald wird uns ein harter Klaps auf den Hintern die ersten Schreie aus der Lunge treiben. Es war eine schwere Geburt für alle Beteiligten und wir alle haben noch ein bisschen Schnappatmung.

Die letzten eineinhalb Monate wurden so oft mit Serien und Filmen über Intrigen verglichen, dass mir sogar schon davor graut, Namen wie House of Cards noch mal in den Mund zu nehmen. Ich muss bei diesem Wahlkampf außerdem an ein ganz anderes Franchise denken:

Konkret fällt mir seit Tagen immer wieder die Tagline von Alien vs. Predator ein, die lautet: "Whoever wins … we lose." Noch nie hab ich mich in einem Nationalratswahlkampf so sehr von einem der schlechtesten Science-fiction-Filme aller Zeiten abgeholt gefühlt. Und es schaut wirklich nach Totalverlust aus. Ein ehemaliger Nationalratsabgeordneter schreibt mir "Wir sind nach Hameln geflüchtet", der Wahlkampfleiter einer der drei Kanzlerkandidaten-Parteien at seinen Twitter-Account gelöscht, selbst Rudi Fußi ist leise geworden.

Nur Manfred Juraczka dreht weiter auf und zeigt den "Neuen Stil" der ÖVP vor, indem er auf Twitter den VICE-Erfahrungsbericht von Sara Hassan, die als Kind unter Schwarzblau rassistisch beschimpt wurde, als "peinlich" und "dumm" bezeichnet. Newsflash: Natürlich hat Schwarzblau den Rassismus in Österreich nicht erfunden. Aber genauso hat Trump die Neonazis nicht aus Lehm erschaffen. Sie waren schon da, ja. Und trotzdem gab es unter Obama keine rechten Aufmärsche, die so mehrheitlich geduldet wurden, wie unter Trump. Rechte Regierungen erfinden nie Rechtsextremismus, aber sie empowern ihn.

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Für einen Moment habe ich eine fiebrige Vision; von alten ÖVP-Recken mit Darmverschluss, die den Nachwuchs mit Hass-Tweets disziplinieren und fragen: "Neuer Stil, Neue Gerechtigkeit – wollt ihr auch den Neuen Krieg?" Und vor ihnen eine Formation aus JVP-Jungspunden: Sebastians Armee aus Geilomobil-Zeiten, die im Sekten-Setting der Stadthalle ihrem Leader lauscht und dabei Sprechchöre anstimmt wie:

"Kurz?" – "Geil!"
"Kurz?" – "Geil!"

Es wird langsam wirklich Zeit, dass das alles aufhört. So oder so. Ich halte kurz inne und versuche, an etwas anderes zu denken.

In 6 Tagen habe ich Geburtstag. Es wird vielleicht mein erster unter Kurz. Und wer sagt, dass das etwas Schlechtes sein muss? Peter L. Eppinger würde sich freuen. Und solange wir lernen, wo unsere Grenzen liegen (zum Beispiel bei kritischen Nachfragen), wird wahrscheinlich alles gut gehen. Kurz würde vielleicht nicht mit uns reden und sich durch Dutzende Securitys abschirmen lassen, genau wie gegenüber der Heute Show. Aber hey, ich würde auch nicht mit mir reden. Es ist also nicht, als könnte ich seine Motive nicht verstehen! Bis es soweit ist, muss ich noch ein wenig üben. Ins Facebook-Event zu meiner Geburtstagsparty habe ich zum Beispiel geschrieben:

Der Ort wird (genau wie das Wahlprogramm von Kurz) erst kurz davor bekannt gegeben; das Bild ist (genau wie die Wahlplakate von Kurz) völlig austauschbar; die Details zum Event werden (genau wie die Website von Kurz) nach Belieben verändert.

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Solche Texte sollte ich mir in Zukunft besser sparen. Obwohl: Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist Kurz viel liberaler als die meisten glauben und sein harter Kurs reine Kalkulation, um die Wähler so lange zu täuschen, bis er endlich an der Macht ist und die Ehe für alle umsetzen und Sobotka ein für alle Mal rauswerfen kann. Nicht, dass es diese unbestätigten Gerüchte aus ÖVP-Kreisen gäbe; ich deliriere nur vor mich hin. Auf meiner Schulter sitzt ein kleiner Blob und flüstert mir zu: "Ich bin die Wanderkacke, die vor Sobotkas Tür Platz genommen hat – ich bin der Grund für ALLES."

Ich versuche, ruhig zu bleiben. Warum auch nicht? Wer weiß, ob es nach morgen die Welt überhaupt noch gibt? Es könnte genau so gut das Ende von allem sein, wenn der Autor David Meade mit seiner neuesten Apokalypse-Prophezeiung Recht hat. Nach 2000, 2003 und 2012 soll jetzt im Oktober 2017 erneut der Planet Nibiru mit der Erde kollidieren. Laut NASA ist das alles Schwachsinn, ohne jede Beweisgrundlage. Aber was weiß die NASA schon vom echten Leben? Das hier ist Österreich. Das einzige, was wir mit Raumfahrt zu tun haben, sind Franz Viehböck und diese UFOs im Sci-fi-Propagandafilm Der 1. April 2000. (Am Ende davon erschleichen wir uns übrigens die österreichische Unabhängigkeit, indem wir das tun, was wir als einziges können – allen etwas vorspielen.)

Eine Planetenkollision wäre definitiv nicht das Verrückteste, das an diesem Sonntag passieren könnte. "Es besteht immer noch die Chance, dass Kern gewinnt!", flüstert der Blob auf meiner Schulter und lacht. Was mich aber wirklich wundert: Wo bleiben die Aufschreie wegen einer möglichen Wahlmanipulation? Wieso gibt es noch keine Verschwörungstheorien zu ausradierbaren Bleistiften oder Anti-FPÖ-Zaubertinte? Funktioniert der Klebstoff wirklich bei allen Briefwahlkuverts? Und wann beginnen die ersten mittelalten Männer damit, Andeutungen auf das Ergebnis zu machen, weil sie natürlich vor uns anderen Bescheid wissen?

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Kommt schon! Hat euch das bisschen Dirty-Campaigning alle mürbe gemacht? Bevor das Ergebnis kommt, muss ich irgendwie wieder einen klaren Kopf bekommen. Ich nehme ein MexaVit B, eine Immuntablette, dazu einen Schluck Whisky und stelle mich schon mal auf die Betäubung der nächsten fünf Jahre ein. Es wird auch gar nicht wehtun …


14. 10. 2017: Der Wiedergänger Norbert Hofer, die Wiederkehr der Fake-Memes, Das Widersprüchliche an den Grünen

Foto via Facebook

Liebes Tagebuch,
weißt du noch, gestern? Als ich meinte, der Wahlkampf sei vorbei, aber ich würde der Stille misstrauen? Wie sich herausstellt, hat mein Instinkt die News kurz nach 18 Uhr eingeholt, als bei der FPÖ-Schlusskundgebung am Viktor-Adler-Markt ein gewisser Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer den Menschen, die nicht danach gefragt hatten, zurief, dass er bei der nächsten Präsidentschaftswahl wieder antreten werde. Das erklärt auch, warum sein glorreicher Facebook-Account immer noch jener mit dem Slug /praesidentnorberthofer ist.

Es ist noch nicht vorbei, liebes Tagebuch. Es ist nie vorbei. Zumindest nicht, bis ein Freiheitlicher im Kanzleramt und ein Freiheitlicher in der Hofburg sitzen. Und dann ist es VORBEI.

Oder vielleicht auch nicht. Wie der Politikwissenschaftler Emmerich Tálos einmal zu mir gesagt hat: Der Grund, warum Schwarzblau mit allen schiefen Geschäften aufgeflogen ist, ist weil sie nicht die Seilschaften und Systeme der Großen Koalition nutzen konnten, in denen solche Dinge nie auffliegen würden. Insofern würde der Clusterfuck einer Doppel-FPÖ-Spitze von Staat und Regierung vielleicht nur sichtbar machen, was sonst hinter den Kulissen ablaufen würde. Aber ich schweife ab.

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Währenddessen hat der Kanzler Krone.at ein Video-Interview gegeben, bei dem sich die Redaktion auf schicken alten Ledersofas als die Stimme des kleinen Mannes inszenierte ("Ich unterrichte ja nebenbei in der HTL", "Wo haben Sie Wörter wie 'kontemplativ' gelernt, in Simmering redet man nicht so") und Christian Kern ein bisschen wie am Beichtstuhl wirkte, aber – für ein katholisches Land wie das unsere: sympathisch.

tl;dr: Kern will noch 9 Jahre Politik machen, Geld hat er schon genug, Politik ist schwierig, weil wenig umgesetzt und wenig Erfolg gemessen wird, aber das Land ist ihm wichtig, drum zieht er das durch.

Lieb auch, wie man in Internet-Interviews über die viel zu vielen TV-Interviews lästern kann, ohne sich komisch vorzukommen, während man eine neue halbe Stunde in den endlosen Stream dieser Wahlkampf-Videogespräche einspeist.

Aber genauso wie es bei der FPÖ dazugehört, sich außerhalb des Systems zu positionieren, obwohl sie längst darin mitspielen, ist es eben auch der Krone ein Anliegen, nicht als der Mainstream-Player, sondern als die Aufstandsstimme gesehen zu werden. Pfui, diese unnötigen TV-Debatten! Erzählen Sie uns bitte alles noch mal, damit wir auch Klicks davon haben.

Kein Sujet der ÖVP. Screenshot via Twitter

Bei der ÖVP gibt es nichts Neues zu vermelden, außer dass sie immer noch für einen "Neuen Stil" ist, Kurz gestern dem rechtsrechten Wochenblick ein Exklusiv-Interview gegeben hat und auf Twitter gerade wieder ein Fake-Plakat der Kurz-Partei die Runde macht. Es zeigt den Parteichef im Zentrum eines Sujets, das für ein "Neues Frauenbild" werben soll. Nach "Neuer Stil" und "Neue Gerechtigkeit" (und mit etwa gleich viel Glaubwürdigkeit) ist der Gag fast zu gut, um wahr zu sein. Was normalerweise genau der Haken ist.

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Aber das eigentlich Interessante hier: Während die einen über die Echtheit diskutieren, streiten die anderen darüber, ob es nicht zumindest theoretisch zu Kurz und dem Frauenbild seiner Partei passen könnte. Die einen messen die Botschaft an ihrem News-Wert, die anderen an ihrem Satire-Gehalt. Die alte Frage dabei: "Was ist wichtiger: Das, was ist oder was sein könnte?"

Wie bereits bei Trump waren einige Gegner der konservativen Rechten auch hier nur allzu bereit, genau denselben Fehler zu machen, den sie den konservativen Rechten vorgeworfen hatten: Sie fielen auf Fake-Memes rein und wollten ihre Meinung auch dann nicht revidieren, wenn diese Fakes einwandfrei bewiesen worden waren.

Im Fall von Trump zeigte das wahrscheinlich bekannteste Meme einen jungen, 52-jährigen Donald Trump und darunter ein Zitat, das er 1998 im People Magazine gegeben haben soll: "Wenn ich je als Präsident antreten würde, dann als Republikaner. Sie haben die dümmsten Wähler." Nichts davon stimmte – aber wenn man Trump-Gegner fragte, hätte er es genauso gut gesagt haben können.

Schon ein Auszug aus dem ÖVP-Wahlprogramm.

Was mich wieder zu Kurz bringt. Natürlich plakatiert die ÖVP kein "Neues Frauenbild" mit Kurz im Zentrum und einer unscharfen Frauensilhouette davor. Vielleicht auch, weil die ÖVP kein neues Frauenbild hat; in ihrem Wahlprogramm finden sich zur Frauenpolitik immerhin nur 4 Sätze auf genau einer Seite, illustriert mit einem Turm aus Frauendingen, nämlich einem Stöckelschuh, einem Tablet, einem Lippenstift, einer Gurke, einer Babymilchflasche und einer Füllfeder (nein, das ist kein Scherz).

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Wobei, da hätte ich der ÖVP jetzt fast Unrecht getan. Es gibt noch einen zweiten Punkt zum Thema Frauen in ihrem Programm: Er heißt "Gewalt gegen Frauen stärker bestrafen", besteht aus drei Sätzen und ist ein weiterer Schauplatz von Kurz' ewig gleichem Gebet von den aus dem Ausland importierten Problemen wie "Zwangsheirat, Genitalverstümmelung". Ein Frauenbild, das Frauen nicht unbedingt involviert, geschweige denn ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellt, ist vielleicht satirische Überhöhung – aber Überhöhung von etwas, das für viele im Grunde genommen der Wahrheit entspricht.

Daran würde auch ein "Neu" nichts ändern. Im Gegenteil: Sind nicht auch der "Neue Stil" und die "Neue Gerechtigkeit" eigentlich die Abschaffung davon, was sie angeblich erneuern wollen? Die "Neue Gerechtigkeit" ist das Ende der Christlichen Soziallehre und damit auch der traditionell konservativen, christlich-sozialen Werte der ÖVP. Der "Neue Stil" ist nichts als inhaltsleerer Populismus, eine ideologische Biegsamkeit vom Willkommenskultur-Befürworter zum Verhüllungsverbot-Exekutor in nur 18 Monaten – und die totale Flexibilität in allem, was Kurz dabei hilft, sich besser mit der Richtung des Volkswinds zu drehen. Lieber Opportunismus als Opposition. Lieber "Neu" versprechen als alt aussehen. Willkommen im Neu-Sprech der ÖVP. Kurz macht Boulevardpolitik und wird am Boulevard dafür gefeiert. Fake-Memes hin oder her. Alles richtig gemacht, Kurz. Alles falsch gemacht, alle anderen.

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Apropos, die anderen: Über Strolz habe ich gestern schon alles gesagt. Zu Ulrike Lunacek fällt mir aber noch eine Ergänzung ein: In unserem "10 Fragen an…"-Interview hat Lunacek auf die Frage "Was war das beschissenste Wahlplakat, das die Grünen je gemacht haben?" das hier geantwortet:

"Da gab's eines zu den Anfangszeiten, wo nur viel Text draufgestanden ist. Das halte ich nicht für gescheit."

Am selben Abend – gleich nach dem Interview, das damit endete, dass Ulrike Lunacek fünf Minuten versuchte, sich an politisch unkorrekte Dinge zu erinnern, die sie mal getan haben könnte – habe ich beim Jonas-Reindl am Schottentor dieses Plakat gesehen:

Foto von VICE Media

Keine weiteren Fragen.


13. 10. 2017: Misstraue der Stille, feiere den Strolz

Liebes Tagebuch,
wie es aussieht, ist der Wahlkampf vorbei – aber ich misstraue der Ruhe. Gestern Abend fand die letzte TV-Debatte mit einer Elefantenrunde der fünf Spitzenkandidierenden statt und schon hier war ich anscheinend der Einzige, der das Ganze nur durch skeptisch zusammengekniffene Augen schauen konnte. Alle anderen fanden die Diskussion sachlich, lobten die Zurückhaltung der Kandidaten. Tarek Leitner lobpreiste sogar: "Es gibt einen Ort, wo zivilisiert diskutiert werden kann. Es ist der ORF."

Zu diesem Zeitpunkt war mein Blick längst auf 16:9 verengt und das Bild genauso weichgezeichnet und dubios wie der Aufbau der ORF-Sendung. Wie konnte es sein, dass ich das sehr leise Schreien von Strache als einziger nicht zivilisiert fand? Wieso störte es niemanden außer vielleicht ein, zwei Journalisten, dass die Kandidaten ihre Themen selbst auswählen durften und damit eine noch reinere PR-Show abziehen konnten als in allen TV-Debatten davor?

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Vielleicht lief bei mir als einzigen eine ganz andere Sendung als bei den anderen Zuschauern. Es ist wie eine Folge Black Mirror, nur dass die Szene mit dem Schweine-Ficken nur ich sehen kann. Kurz gesagt, ein Jammer. Und zwar nicht nur wegen Dialogfetzen wie diesem hier:

Strolz: Einspruch!
Lunacek: Laungsaum!
Strolz: Langsamer Einspruch! Einspruch.

Mein nicht ganz wortwörtliches, psychohyienisch bereinigtes Transkript zur gestrigen Sendung findet ihr hier. Und ja, ich bin womöglich ein, zwei Male zum neuen Star Wars-Trailer abgedriftet, aber ist es nicht die Aufgabe der Politik, genau dieses Desinteresse gar nicht erst aufkommen zu lassen? Wenn es seit dieser Wahl eine neue Art von Politikverdrossenheit gibt, dann sicher nicht, weil sich die Menschen nicht für Politik interessieren – eher, weil sie es in der Vergangenheit zu viel getan haben und es nicht mehr packen, wie wenig ernst sie von Lobbyisten, Großspendern und Dirty-Campaignern genommen werden.

Selbst die Wahlplakate sind diesmal nicht mit kreativer Inbrunst verschandelt, sondern nur halbherzig mit Edding beschmiert. Als hätte die Jugend endgültig aufgegeben. Der einzige Lichtblick – und ich hätte nie gedacht, dass ich das jemals sagen würde – ist Matthias Strolz.

Foto via Twitter

Der NEOS-Chef hat nicht nur bei der TV-Debatte sein bestes NLP-Einmaleins ausgepackt und die wiederkäubarsten Ein-Satz-Sager für unsere Social-Media-atrophierten Gehirne geliefert; er hat sich erst heute mit Bodycam und dem Hashtag #Perspektivenwechsel in den Wahlkampf-Endspurt begeben und sich ein bisschen meinen Respekt für seine Verspieltheit und Leichtfüßigkeit erarbeitet. Ich meine, letzte Woche hatte er sogar FREI und hat das Ereignis live von einer Schaukel im Park gestreamt. Heute war er außerdem bei seiner Mama zum Frühstück und auch DAS hat er auf Facebook gestellt.

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Gut, vielleicht wird er für so viel unösterreichische Entspanntheit auch von den Wählern gerügt und mit einem nassen Fetzen aus dem Parlament gejagt. Aber bis dahin ist Matthias Strolz mein Spirit Animal. Auch, weil man sich als Bildunterschrift zu seinem Bodycam-Foto denken kann, wie er so etwas sagt wie: "Schau her, Sobotka, so kannst du überwachen und sonst gar nicht. Ich geh jetzt meine Flügel entfalten, einen wunderschönen Tag noch!" So viel gute Laune ist fast schon unpatriotisch.


12. 10. 2017: Facebook hilft beim Wählen, Stenzel hilft beim Wahlkämpfen, Kurz vs. Kern hilft beim Wähler-Frustrieren, Plazenta-Essen hilft bei genau gar nichts

Liebes Tagebuch,
heute veröffentlichte die Medizinische Universität Wien eine Pressemitteilung mit dem Hinweis, dass sich Plazenta nicht als Superfood eignet – und ich kann nicht anders, als es politisch zu verstehen. Vor allem, weil die Med-Uni nicht nur darauf hinweist, dass die Plazenta ein Abfallprodukt ist, sondern, wie der Gynäkologe Alex Farr sagt: "Nachdem die Plazenta genetisch zum Neugeborenen gehört, grenzt das Verspeisen der Plazenta an Kannibalismus." Boom!

Könnte es sein, dass nicht nur die Revolution ihre Kinder frisst, sondern auch wir? Sind wir die Revolution? Wollten wir eigentlich den Aufbruch, die Veränderung, das Aufbegehren – und haben uns am Ende selbst statt einer neuen toleranten Gesellschaft eine Terrorherrschaft errichtet, genau wie in Georg Büchners Theaterstück Dantons Tod, wo das Zitat "Die Revolution frisst ihre Kinder" herkommt?

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Der Wahlkampf ist inzwischen zu einem Rorschach-Test geworden und ich habe Angst davor, was das alles über mich aussagt. Dantons Tod wurde übrigens erst 68 Jahre nach seiner Veröffentlichung uraufgeführt, weil es lange als unspielbar galt. 68 Jahre! Revolution!! Versteht ihr!!! Die Presseinfo geht aber noch weiter: "Das Baby einer Mutter, die Plazentakapseln gegessen hatte, erlitt mehrmals eine lebensbedrohliche Blutvergiftung durch Streptokokken." Wie das jetzt zum Revolutionsvergleich passt, weiß ich auch nicht, aber ich schätze, die Moral hat irgendwie body-horror-mäßig mit Soylent Green zu tun ("Soylent Green is people!").


Auch auf VICE: 10 Fragen an Roland Düringer, G!LT


Gestern fand außerdem das letzte TV-Duell zwischen Sebastian Kurz und Christian Kern statt. Endlich. Laut Kern ist klar, dass einer der beiden der nächste Kanzler wird. Laut Wikipedia ist ein Duell übrigens "ein freiwilliger Zweikampf mit gleichen, potenziell tödlichen Waffen […], um eine Ehrenstreitigkeit auszutragen. Das Duell unterliegt traditionell festgelegten Regeln. Duelle sind heute in den meisten Ländern verboten." Das mit den traditionell festgelegten Regeln wäre zumindest eine Idee. Das mit den tödlichen Waffen vielleicht auch. Von der Ehre will ich lieber gar nicht erst anfangen. Und das mit dem Verbot … eh auch.

Ich will dich hier nicht mit einer Nacherzählung der 42. TV-Konfrontation langweilen, drum exemplarisch nur zwei Sätze aus der Sendung (es ging ursprünglich um Kampagnen-Großspender der ÖVP):

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Kern: "Den Leuten bleibt viel zu wenig netto von ihrem Brutto übrig." Kurz: "Tal Silberstein sitzt im Gefängnis und das Dirty-Campaigning hört nicht auf."

Mein Highlight war übrigens Christian Kerns Mappe mit einem Aufkleber seiner Tochter drauf. Auch kalkuliert, klar, aber zumindest netter als das restliche leidige House of Cards-Spiel. Lasst uns mehr über diese Mappe reden. Es ist eine schöne Mappe, mit einem sehr lieben Gesicht in Herzform. Weißt du, wer auch ein Gesicht in Herzform hat? Sebastian Kurz. Ich kann das Foto hier aus rechtlichen Gründen nicht zeigen, aber wenn ihr einfach hier klickt und euch ein Herz dazu denkt, das seine zwei Flügel dort hat, wo bei Kurz die Ohren liegen, und das in Kurz' Kinnspitze zusammenläuft, werdet ihr mir sicher zustimmen.

Womit wir wieder beim freien Assoziieren wären. Und damit auch bei all den Meldungen der letzten paar Stunden, die mein wahlgeschwächtes Herz ein bisschen angeknackst haben. Da ist zum einen Peter Puller, der Mitarbeiter von Tal Silberstein, der mit einem zwielichtigen Lügendetektor-Test auf YouTube beweisen wollte, dass die ÖVP ihm 100.000 Euro für einen Seitenwechsel geboten habe. Das Ganze war so "shady", dass Puls4 die Geschichte gleich ganz fallen ließ und Der Standard auch nur abfällig darüber berichtete.

Dann ist da ein FPÖ-Nationalratskandidat, der auf WhatsApp Fotomontagen von sich versendet hat, die ihn neben Nazi-Größen unter anderem bei den Nürnberger Prozessen zeigen. Wie DerStandard.at berichtet, hat er das Ganze auch noch mit dem Text "Don't cry because it's over, smile because it happened" versehen.

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Und dann ist da außerdem noch Ursula Stenzel. Grundgütiger Gott. Die ehemalige Bezirksvorsteherin der Inneren Stadt, die sich selbst als "politisches Animal" bezeichnet, hat im 2. Bezirk die Enthüllung einer jiddischen Gedenktafel gestört: Zuerst musste sie explizit erwähnen, dass die FPÖ die Initiative unterstützt habe, dann beschwerte sie sich, weil sich der Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Oskar Deutsch ziemlich deutlich gegen die FPÖ aussprach; ein Affront, der im Protokoll gar nicht vorgesehen war!

(Ein Freund von mir sagt gerne, Stenzel wäre mit ziemlicher Sicherheit auch die einzige, die einen "Heil Hitler"-rufenden Nationalsozialisten zuerst wegen Anstandsverletzung und Ruhestörung und dann erst wegen Wiederbetätigung anzeigen würde. Ich halte das natürlich für Wahnsinn und habe ihm für diese unschickliche Aussage einen flachen Schlag aufs Ohr verpasst. Die einzige Sprache, die diese Linken verstehen.)

Du siehst, liebes Tagebuch: Die Nerven liegen blank. Und das nicht nur bei mir. Als vorhin gerade das Internet im gesamten VICE-Haus ausgefallen ist, hat uns das in der Redaktion zu zwei Dingen veranlasst: Erstens zu einer Wette, wer bei der Wahl auf wie viele Prozent kommen wird und zweitens zu einer Debatte darüber, mit welchem Tier man am ehesten Sex hätte, wenn man müsste.

Und es sind nicht nur wir. Das ganze Land befindet sich in einem Zustand der konstanten Überreizung, wie eine Gesellschaft, der das naive Zahnpasta-Grinsen endgültig aus der Visage geschlagen wurde und die jetzt mit halb abgebrochenen Zähnen und freiliegenden Wurzeln in der Warteschlange vor den Wahlkabinen steht, statt einfach zum Arzt zu gehen.

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Und glaub mir, wir alle hätten einen Arztbesuch inzwischen dringend nötig. Meine bevorzugte Anlaufstelle wäre ein Psychiater, der uns lustige Pillen verschreiben kann, damit bald alle so ausschauen wie das Herzgesicht auf Christian Kerns Mappe – mein einfacher Traum …


11. 10. 2017: Zwei Verstoßene wollen eine "Alternative für Kärnten" gründen und wir begehen Jörg Haiders Todestag

Screenshot via Facebook

Liebes Tagebuch,
Österreich ist ein merkwürdiges Land – nur falls du daran noch irgendwelche Zweifel gehabt haben solltest. Hier gewinnt derjenige, der schon am längsten am weitesten rechts war; und wenn es im rückblickenden Schwanzvergleich nichts zu gewinnen gibt, dann kann man in unserem Land immer noch als Rebell durchgehen, wenn man rechts von den Rechtskonservativen (der ÖVP), den Rechtsextremisten (der FPÖ) und den Ultra-Rechtsextremisten (der FLÖ) noch eine rechtsrechtsextremistische Partei gründet.

Wie Kurier.at berichtet, wollen die beiden Politiker Martin Rutter und Karlheinz Klement eine n Austro-Ableger der AfD, eine Art "Alternative für Kärnten", gründen. Rutter, der auch als einziger Kärntner Abgeordneter das Volksbegehren zum EU-Austritt unterstützt hat, wurde zuvor aus dem Team Kärnten ausgeschlossen, Klement wurde von der FPÖ exkommuniziert – nämlich gleich dreimal, was weder für seine Umgangsformen, noch für die Konsequenz der FPÖ spricht.

Nachdem die Freie Liste Österreich mit Spitzenkandidatin Barbara Rosenkranz schon als Alternative zur FPÖ aufgetreten ist, versucht es die noch namenlose "Alternative für Kärnten" jetzt also als Alternative zu beiden.

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Fotomontage von VICE Media

Und was gäbe es für einen besseren Zeitpunkt dafür als den 9. Todestag von DOKTOR (!) Jörg Haider, der in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2008 auf tragische Weise zu Tode kam, als der Führer zu viel Gas gab und die Sonne in Österreich daraufhin vom Himmel fiel. Martin Rutter selbst verfasste dazu einen rührenden Facebook-Beitrag mit der Conclusio: "Politiker wie Jörg Haider/mit Gespür für's Volk/gibt es in Kärnten kaum." Das ist zwar weder ein Haiku, noch irgendeine andere Form von Lyrik, aber es hat bedeutungsschwangere Absätze und ist auf ganz andere Art trotzdem ein Gedicht von einem Posting.

Ich frage mich ja, wann in der österreichischen Politik endlich mal jemand etwas wirklich Rebellisches macht. Zum Beispiel eine Mitte-Links-Partei gründen. Oder einen Wahlkampf in TV-Debatten und über Wahlwerbemittel führen, statt über Dirty-Campaigning. Aber für so viel ungezügelte, systemfremde Wildheit sind wir Bergbewohner wahrscheinlich einfach nicht bereit.

Noch fehlt den Rechtsrechten jedenfalls der Geldgeber, aber wenn sich einer finden lässt, will die neue Liste schon bei der Landtagswahl im März 2018 antreten. Und an rechten Millionären fehlt es in Österreich zirka so wenig wie an rechten Parteien.


10. 10. 2017: Neonazismus, Normalisierung und nicht ganz neue Einzelfälle

Liebes Tagebuch,
was normal ist und was nicht, fragen in der Regel nur Mathematiker oder Teenager in total tiefsinnigen Selbstfindungsdiskussionen mit ihren Ethik- oder Religionslehrern. Manchmal glaube ich aber, dass sich auch der erhabene Rest von uns diese Frage wieder öfter stellen sollte. Nicht, um Schwule und Anarchisten mit dem Argument vor die Stadtmauern zu verjagen, sondern um hin und wieder zu überprüfen, wo wir eigentlich mit unserem politischen Diskurs angekommen sind.

Das Phänomen der "Normalisierung" von extremen Positionen ist nämlich keins, das nur Amerikaner unter Trump betrifft, wo man sich kaum noch erinnern kann, dass das größte Problem mit dem Präsidenten einmal war, welche Farbe sein Anzug hatte oder wie unverschämt es eigentlich ist, einen Starbucks-Becher beim Salutieren in der Hand zu halten.

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Normalisierung ist gerade bei uns in Österreich etwas, mit dem wir ständig zu tun haben – jedes einzelne Mal, wenn Strache uns wieder staatsmännisch und mit Maulkorb-Brille aus dem Fernsehen heraus entgegen stichelt und wir mit den Schultern zucken, weil er immerhin eh keine Juden vergasen will oder wenigstens nicht so schlimm ist wie die AfD.

Manchmal braucht es für die richtige Perspektive leider erst den Blick aus der Ferne, wie seit heute eine sehr umfangreiche zweiteilige Reportage über Heinz-Christian Strache in der Süddeutschen Zeitung zeigt. Darin wird zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder Straches vermeintliche Wehrsport-Vergangenheit thematisiert; und Österreich zurecht ermahnt, weil wir die Sache inzwischen so sehr als Teil der freiheitlichen Folklore akzeptiert haben, dass wir Strache nicht mal mehr die richtigen Frage stellen, geschweige denn auf neue Antworten hoffen.

Aber hey, wenigstens ist es in den USA immer noch schlimmer! Dort ist Trump derzeit in den Schlagzeilen, weil sein Außenminister Tillerson in angeblich einen "Idioten" genannt haben soll – was der US-Präsident zwar nicht glaubt, aber zur Sicherheit trotzdem für den Gegenfall einen Vergleich der beiden IQ-Tests verlangt. Andererseits: Wir hatten auch schon Klenk und Strache in der Haartest-Debatte und die Frage, wer welche Drogen und wie viel davon konsumiert haben könnte …

Aber zumindest hatten wir kein "Grab 'em by the pussy"! Weil wir Europäer mit Anstand sind! Sogar die FPÖ! Das kann uns kein Drogentest dieser Welt wegnehmen! Muschigrabschen ist eine zutiefst zuwidere, großkotzig amerikanische Unart des untergriffigen Umgangs miteinander und wir sind moralisch überlegen! Eh. Dumm nur, dass wir in bester Bergbewohner-und-Kellerkinder-Tradition das verbale Muschigrabschen einfach gleich mit handfester Gewalt gegen Frauen ersetzt haben. Zumindest, wenn die Anschuldigungen stimmen, die derzeit gegen einen prominenten FPÖ-Nationalrat erhoben werden. Er soll seine Ex-Geliebte krankenhausreif geschlagen haben.

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Aber eine Sache unterscheidet uns dann doch sehr deutlich von den Vereinigten Staaten: Während dort zumindest alle Medien den "Grab 'em by the pussy"-Sager aufs Schärfste verurteilt haben, gibt es bei uns oe24.at, die die Vorwürfe gegen den FPÖ-Politiker eine "unappetitliche Affäre" nennen. Viel geliebtes Öööhööösterreich!


09. 10. 2017: Kurz wird Königkanzler, oder: Wo sind die Nackt-Duelle aus dem letzten Wahlkampf?

Screenshot von ÖSTERREICH via Facebook

Liebes Tagebuch,
wo sind die Wahlkämpfe hin, als Österreich noch Headlines wie "Strache gegen Stronach: Das Nackt-Duell" hatte? Ich bin wirklich kein Kulturpessimist und erzähle normalerweise jedem, der es hören will, dass schon Plato die Jugend für dumm gehalten und neue Medien (wie die Schrift) als Verblödung verdammt hat, aber dieser Wahlkampf könnte meinen Optimismus noch brechen. Was, wenn wirklich alles schlechter wird?

Die Fakten sind zwar nicht auf meiner Seite (in Wirklichkeit wird auch in Österreich alles immer besser), aber heißt das nicht, dass ich einfach umso mehr daran glauben muss und meine Position gegen alle Anschuldigungen verteidigen sollte? Wer auf Inhalten hängen bleibt, wird sicher nicht zum Kaiser, äh, Kanzler gekrönt. Weil vernünftige Menschen solche Dinge nicht machen. Scheiß auf die Vernünftigen! Ich will eine Krone aufs Haupt gephotoshoppt bekommen, während ich dreinschaue, als ob jemand einen Schnappschuss von mir bei der Benutzung eines Glory-Holes gemacht hätte. DAS ist ein Ziel.

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Ihr könnt euch gern über die Montage lustig machen, Wolfgang Fellner verdammen, ihn einen missgünstigen, rachsüchtigen, intriganten, mafiösen Ungustl nennen, der aus persönlicher Kränkung Christian Kern in die Wirtschaft zurückekeln will und Wählerinnen und Wähler für Marionetten hält, oder es mit Armin Wolf auf Twitter halten, der schreibt: "Einst brauchte es für Krönungen in Österreich ja noch Gottes Gnade. Heute tut es Wolfgang Fellner." Aber ich mache da nicht mit. Weil ich es besser weiß und nicht mit euch Verlierern diskutieren will. Die Welt WIRD schlechter. Ihr wollt das nur nicht akzeptieren, weil ihr der GRUND seid. Ich sage: "Kurz? Geil! Kurz? Geil! Kurz? Geil!!!"

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09. 10. 2017: Kern is on Fire – Is This Real Life?

Liebes Tagebuch,
habe heute gelesen, dass wir laut Physikern mit ziemlicher Sicherheit doch in keiner Simulation leben. Bis zu diesem Wahlkampf wären das gute Neuigkeiten gewesen; jetzt fühle mich um den einzigen Ausweg aus diesem Horror namens Wahlkampf betrogen.

Wenigstens gibt es zwei Dinge aus der Welt der Politik, die mich aus der Lethargie reißen: Erstens hat der beste Ex-Präsident der Welt heute Geburtstag und versorgt uns auch aus der Pension immer noch mit Fotos, die mehr Energie spenden als 20 Katzenbaby-Streams; und zweitens hat Christian Kern gestern im Puls4-Duell mit Sebastian Kurz so aufgedreht, dass man glauben könnte, es wäre Wahlkampf und er schon in Opposition.

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Während Kurz sehr wortstark über seine Lieblings-Schlagwörter "Silberstein", "Dirty-Campaigning", "Balkanroute", "Balkan", "Route", "Balkanroute schließen" und "Balkan, Balkan, Balkan" sprach, gab Kern den querschießenden Querulanten im roten Rocky-Modus. Als Kurz zum Beispiel angriff und meinte: "Sie wissen ja selbst, dass Sie in der Migrationsfrage so oft die Meinung geändert haben, dass wahrscheinlich Sie selbst schon den Überblick verloren haben", hat Kern zur Abwechslung genau das geantwortet, was man auch als Zuschauer zurückfragen will: "Das sagen Sie gerade?"

Und da reden wir noch gar nicht davon, dass Kern die gern aus dem Wahlkampf verbannten Fakten auf seiner Seite hatte – zum Beispiel, als er Kurz vorhielt, dass dieser noch vor zwei Jahren meinte, Flüchtlinge seien im Durchschnitt intelligenter als Österreicher. Kurz, der das nie gesagt haben will und Puls4 zum Faktencheck auffordert, hat blöderweise eben schon gesagt; und zwar im Jahr 2015, wenn auch mit dem Wort "gebildeter", statt "intelligenter".

Was ist da los? Ein Kern, der Gas gibt? Ein Kurz, der abstinkt? Sind wir vielleicht doch noch in der Matrix und brauchen die Hilfe von Milliardären, um uns zu befreien? Es ist wie in einem Suspense-Thriller von Hitchcock, bei dem das Publikum immer ein bisschen mehr weiß als die Hauptdarsteller und man dem Hauptdarsteller zuschreien will: "Dreh dich doch bitte kurz um! Da sitzen schon hundert Vögel hinter dir!!" – und bei dem sich der Hauptdarsteller auf einmal tatsächlich umdreht. War ich das?, fragt man sich. Habe ich telepathische Fähigkeiten? Liegt es am Drehbuch? Oder haben die Protagonisten am Ende sogar … zu denken begonnen?

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08. 10. 2017: Verwechslungsspiele, Doppelrollen: Willkommen im Endspurt

Screenshot via Twitter

Liebes Tagebuch,
kannst du dich noch erinnern, als ich gestern meinte, der Wahlkampf würde langsam verwirrend? Was waren das noch für schöne und einfache Zeiten! Mittlerweile weiß ich nicht mal mehr, ob Christian Kern nicht Sebastian Kurz ist. Zumindest hat die ZIB gestern Kern einfach Kurz genannt (was wirklich nicht nett ist). Und der echte Kurz griff bei einer Rede die antisemitische Hetz-Seite von Silberstein an, indem er sich selbst angeblich bei antisemitischen Codes bediente und die Wahl als "eine Volksabstimmung darüber […], ob wir die Silbersteins und andere wollen", bezeichnete.

Wenn es dahinter noch irgendeinen Plan gibt, ist er zumindest komplizierter als alle Casino-Raube der Ocean's 11-Reihe zusammen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde es nicht mal mein Aug zum Zucken bringen, wenn sich herausstellen sollte, dass alle drei Kanzler-Kandidaten von Karl von Habsburg gleichzeitig gespielt werden (wie er das bei den Duellen macht, keine Ahnung – wahrscheinlich Quantenverschränkung oder so).

Und wenn wir schon bei gleichzeitig spielen sind: Genau das hat der ATV-Macho-Darsteller Hans-Christian Haas jetzt für die SPÖ und die FPÖ gemacht. Der bärtige Mann mit der reichhaltigen Sozialporno-Erfahrung (neben Machos & Playboys war er auch bei Big Brother) war am 5. Oktober schon im Wahlspot der FPÖ als Tätowierer zu sehen – jetzt tritt er zusätzlich auch für Christian Kern und die SPÖ in einem Wahlspot auf. Und zwar als echter Mensch, wie Christian Kern auf seiner Facebook-Seite betont, während die Freiheitlichen nur den Schauspieler bekommen hätten.

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Screenshot via Facebook

"Wie will man gemeinsam etwas leisten, wenn man sich davor ans Bein pinkelt?", fragt der vermeintlich Geläuterte im Kern-Video. Und: "Mensch ist Mensch. Es ist egal, welches Geschlecht du hast, es ist egal, welche Herkunft du hast oder welche Religion."

Und ganz ehrlich: Man muss auch nicht immer nur zynisch sein und das Schlechteste von allen annehmen. Nicht mal von Menschen, die in Machos & Playboys, Big Brother und einem FPÖ-Video mitgespielt haben. Wer sagt, dass Hans-Christian Haas gleich ein Macho ist, nur weil er auf ATV eine Staffel lang als Macho zu sehen war? Wer sagt, dass Hans-Christian Haas ein exhibitionistischer Z-Promi ist, nur weil er sich in ein Haus mit lauter exhibitionistischen Z-Promis sperren lassen hat? Und wer sagt, dass Hans-Christian (auch genannt "HC") Haas gleich ein Rechter sein muss, nur weil er für die Effen sehr glaubhauft einen solchen dargestellt hat?

Das ist schließlich das, was Schauspieler machen – und niemand würde Anthony Hopkins unterstellen, in Wirklichkeit Menschen verspeist zu haben, nur weil er in Schweigen der Lämmer einen Kannibalen gespielt hat. Andererseits hätte es wohl auch niemand für eine gute Idee gehalten, gleichzeitig mit Schweigen der Lämmer einen Kinderfilm mit Anthony Hopkins in der Hauptrolle ins Kino zu bringen. Aber was versteht Hollywood schon vom österreichischen Wahlkampf!

Ich weiß, was ihr jetzt denkt: Woher wissen wir nach Auftritten bei Machos & Playboys, Big Brother und einem FPÖ-Video, dass der Hans-Christian Haas aus dem SPÖ-Spot nun der echte ist? Und für wie viele Parteien kann man eigentlich gleichzeitig Wahlkampf machen, bevor das Raumzeit-Kontinuum implodiert?

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Sagen wir so: Da ich in diesem Wahlkampf einiges über politikkonforme NLP-Antworten gelernt habe, kann ich mit absoluter Deutlichkeit ganz klar sagen, dass das alles schon sehr lange her ist (im Fall des FPÖ-Spots immerhin 4 Tage) und wirklich niemand auf der Welt dafür kritisiert werden kann, wenn er auf alle Pferde setzt, um zu gewinnen. Außerdem ist das hier immer noch Österreich. Hier sind hinterfotzige Doppelrollen nicht nur möglich, sondern sogar erwünscht, weil jede Geradlinigkeit sofort Skepsis und, schlimmer noch, "Piefke"-Alarm auslöst.

Hans-Christian Haas hat inzwischen auch auf Facebook Stellung zu seiner Doppelbuchung bezogen und sagt: "Die politische Grundeinstellung meiner Mitmenschen interessiert mich nicht und wird niemals ein Grund für mich sein, jemanden zu beurteilen." Oder um es mit dem anderen Hans-Christian Haas aus dem FPÖ-Video zu sagen:

Screenshot via Facebook


07. 10. 2017: Rudi Fußi ist kein geschickter Bestecher – und Peter Pilz ist keine junge Frau

Liebes Tagebuch,
manche Dinge klingen so banal, wenn man sie erst mal ausspricht. Zum Beispiel das mit Pilz. Natürlich ist Peter Pilz keine junge Frau. Ich meine, ich sehe zwar kein Geschlecht und auch kein Alter und weiß daher eigentlich gar nicht, wer oder was Peter Pilz ist.

Aber eins zumindest ist sogar bei aller korrekten Blauäugigkeit fix: Peter Pilz ist keine Erstwählerin. Das weiß man eigentlich. Ich frage mich nur, ob die Facebook-Synchronisation mancher Politiker das auch weiß. In dem Fall eben der Account von Peter Pilz gestern Abend:

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Screenshot via Twitter

Gut, wenn man sich bis zum Facebook-Video weiterklickt, wird die Identitätsverwirrung schnell aufgelöst und eigentlich sind das Problem nur die fehlenden Anführungszeichen. Bei Rudi Fußi hingegen fehlte schon ein bisschen mehr.

Der PR-Berater, der unter anderem an einer von Kerns Reden mitgeschrieben und den Kanzler in der Vergangenheit beraten hat, bot der vermeintlichen Silberstein-Leakerin via WhatsApp Schweigegeld an. Außerdem schrieb er der Frau, die als Übersetzerin für die Silberstein-Korrespondenz tätig war und von der SPÖ als Quelle der Medieninfos zu Silberstein gehandelt wird, noch ein paar weitere ungefragte und unbeantwortete Nachrichten, wie zum Beispiel: "Glaub mir, so ein Leben willst du nicht führen. Oder glaubst du, die Partei lässt dich in Ruhe, wenn du sie versenkst? ".

Das kann man entweder als höfliche Warnung im Sinne eines "Sagen, was ist " oder als eine eher unhöfliche Drohung im Sinne eines "Sagen, was gefälligst zu passieren hat, damit etwas anders ist " verstehen. Man kann aber auch in Betracht ziehen, dass die ganze Geschichte von der völlig neutralen, keineswegs SPÖ-bashenden, absolut faktenversessenen und in jeder Hinsicht ethisch erhabenen Krone.at berichtet wurde.

Und sich fragen, was blöder ist: Ein Medium, das für seine Stimmungsmache einzelne WhatsApp-Nachrichten aus einer ziemlich komplizierten Causa herausgreift, um den Leuten die alte "Jemand hat jemanden bestochen und es hat mit der SPÖ zu tun "-Story aufzutischen; die Leute, die darauf hereinfallen; oder ein Rudi Fußi, der eigentlich nur seine Mails zurückwollte und sich deshalb zu einem Schweigegeld-Angebot hinreißen ließ – zu einem Zeitpunkt, als die Mails längst nicht mehr zurückzuholen waren.

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Ich selbst hab auf nichts davon eine Antwort. Rund um mich riecht es verbrannt und ich weiß nicht, ob es ein Schlaganfall ist oder das Haus gleich evakuiert wird. Vielleicht ist meine Nase auch einfach auf Metaphern umgestiegen und hat sich, genau wie meine restlichen Sinne einer nach dem anderen, aus der sensorischen Wirklichkeit verabschiedet. Ich weiß es nicht, aber es ist mir auch egal. Ich habe aufgegeben.

Wenn es so etwas wie eine Matrix gibt, will ich dorthin zurück. Ich stelle mir dieses Simulacrum ein bisschen so vor wie den gestrigen Abend von Michael Niavarani und Christian Kern im Odeon Theater: Egal, wie fake und vorgeschrieben alles sein mag, am Ende hat man doch echt was zu lachen. Und ein geneigtes Publikum, das einem applaudiert, während draußen das Scheißhaus in Flammen aufgeht.


06. 10. 2017: Ein Widerruf, zwei Kern-Videos und unendlich viel Dreck

Liebes Tagebuch,
das Schlechte an der aktuellen Staffel von "Wahlen " ist ja – neben den ganzen Vergleichen mit TV-Serien –, dass es ohne ein eigenes Wiki langsam unübersichtlich wird, aber die Storylines für ein eigenes Wiki eindeutig viel zu fad sind.

Zuerst war da Silberstein und die SPÖ, dann angebliche Überlaufangebote der ÖVP mit anschließenden Klagedrohungen auf beiden Seiten und jetzt kommt zu allem Überfluss auch noch ein später Dämpfer für einen älteren "Dirty-Campaigning "-Vorfall bei der FPÖ dazu. Und da rede ich im Wesentlichen nur von den letzten 24 Stunden. Wenn man das alles in eine Synopsis packen müsste, die auf IMDb passt, würde das vermutlich so klingen wie der ORF-Teletext-Beitrag in einfacher Sprache zur Silberstein-Affäre:

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Nur, dass die Welt auch in einfacher Sprache nicht stehen bleibt, und deshalb quasi stündlich neue Storyline-Wendungen dazukommen. Wer soll das alles noch mitverfolgen, wo es doch auch Netflix gibt? Ich meine, was ist mit American Vandal, dem neuen Marc-Maron-Programm oder Kaminfeuer 4K: Knisterndes Birkenholz?

Eigentlich ist so ziemlich alles besser und unterhaltsamer als die wahllos weiterlaufende Shitshow auf der Streaming-Plattform namens "Politische Dreckswirklichkeit ", die niemand abonniert oder auch nur gewollt hat. Und das Streaming geht weiter, immer weiter. Inzwischen sind wir an dem Punkt angelangt, wo alle schon so oft gestorben und trotzdem wieder zurückgekehrt sind, dass es nicht mal mehr Spaß macht, die Oberbösewichte verrecken zu sehen, weil alles nichts mehr bedeutet und die Sendung sowieso nur noch auf ihre antiklimaktische Absetzung wartet (bis zu der alle Darsteller aber schnell noch so viel wie möglich an Gage abcashen).

Du hast schon richtig verstanden, liebes Tagebuch: Ich freue mich nicht mal mehr, wenn es einen FPÖler erwischt. Und das, obwohl die Sache sogar auch was mit Dirty-Campaigning im weitesten Sinne zu tun hat. Konkret geht es um eine Broschüre, die das Mauthausen-Komitee im August 2017 veröffentlicht hat und die den Titel Die FPÖ und der Rechtsextremismus: Lauter Einzelfälle? trägt. Darin wurden zirka 60 konkrete bewiesene Fälle von FPÖ-Politikern aufgelistet, die rechtsextremistisch aufgefallen waren – einige inklusive rechtskräftiger Verurteilung.

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Eins der FPÖ-Mitglieder, die darin erwähnt werden, ist Gerhard Deimek, und zwar wegen der Verbreitung von "Hetzpropaganda ". Deimek ist Landesparteiobmann-Stellvertreter der FPÖ Oberösterreich und hatte auf Twitter seinem Chef, dem Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner, beigepflichtet, dass die Broschüre "fake und gelogen " sei. FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl nannte die Veröffentlichung sogar Dirty-Campaigning seitens des Mauthausen-Komitees (an dieser Stelle bitte eine BuzzWord-Trigger-Warnung dazu denken).

Screenshot via Twitter

Jetzt musste Gerhard Deimek offiziell auf Twitter eingestehen, dass das mit dem "fake und gelogen " entweder fake oder gelogen war. Auch, wenn er den Widerruf um 23:59 Uhr gepostet hat. Und weißt du was, Tagebuch? Es ist mir egal. Genauso wie mir die Silberstein-Affäre egal ist und wie mir die Videobotschaften von Christian Kern und seiner Ehefrau Eveline Steinberger-Kern egal sind.

Ja eh ist es ein Witz, dass FPÖ-Mitglieder bei über 60 Fällen von Rechtsextremismus immer noch von Einzelfällen reden. Ja eh ist es eine Farce, wenn sie das dann auch noch abstreiten – und die Richtigstellung erst zu Mitternacht posten, damit sie schon untergeht. Ja eh ist Kern nicht Silberstein und seine Position im Abgleich mit den anderen beiden Kanzlerkandidaten noch die am wenigsten beschissene.

Aber am liebsten würde ich ab sofort gern das lustige Spiel "Alle halten bis zum 16. die Goschn " spielen. Leider weiß ich, dass ich allein spielen und jeder andere da draußen weiter leitartikeln würde, drum kann ich leider nicht, wie ich gern würde. Aber ich würde gerne. Das musst du mir glauben, Tagebuch. Und wehe, du zweifelst an mir, dann klag ich.

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05. 10. 2017: Die FPÖ tätowiert jetzt Kurz-Fans, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen

Screenshot via Facebook

Liebes Tagebuch,
ja ganz recht: Die FPÖ tätowiert jetzt Menschen, um ihnen einen Denkzettel zu verpassen. Zumindest in ihrem neuesten Video, das der Account mit der Facebook-URL "Präsident Norbert Hofer " heute geteilt hat. Die Botschaft: Wer glaubt, dass er mit Kurz etwas anderes als die normale, abgedroschene, stinklangweilige ÖVP bekommt, der hat sich geschnitten. Oder: wird geschnitten. Mit vielen schnellen Nadelstichen und Tinte.

Ich weiß nicht, was mich daran mehr irritiert: dass am Ende der Pointe (zumindest in der Erzählwelt aus dem Wahl-Spot) ein Mann übrig bleibt, der gegen seinen Willen und gegen seine Anweisung fünf ÖVP-Fressen auf dem Rücken verewigt bekommen hat – oder dass Norbert Hofer immer noch den Account mit dem Slug "Präsident Norbert Hofer " benutzt. Es ist wie Fantasy-Football, nur mit Politik. Vielleicht sollten sich die Freiheitlichen doch eine Scheibe vom Kurz'schen Farb- und Namens-Modernisierungs-Mindset abschneiden und die Abkürzung FPÖ nach der Wahl einfach in "Fantasy-Politik aus Österreich " umbenennen.


04. 10. 2017: Das Cordoba von Social-Media

Foto: Adam Carter | Flickr | CC BY 2.0

Liebes Tagebuch,
du dachtest vielleicht, das Stammtisch-Video von Christian Kern wäre wichtig. Dann dachtest du womöglich, Tanja Playners Engagement für Sebastian Kurz wäre ein Highlight der Vorwahlzeit. Und zuletzt hast du eventuell sogar geglaubt, Tal Silbersteins antisemitische Hetz-Page und die tausenden Updates, Breaking-News und Leaks rund um Silberstein, Silberstein, Silberstein wäre der unschlagbare Höhepunkt dieses dreckigsten Nationalratswahlkampfs aller Zeiten.

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Und das alles hast du angenommen, weil ich es dir erzählt habe. Und weil Tagebücher ihren Tagebuchschreibern eben fast so bedingungslosen Glauben schenken wie die Jünger von Kurz ihrem Sebastian. Dabei hast du kein einziges Mal hintergefragt, warum eigentlich alle über eine Facebook-Seite reden, die trotz der angeblichen 500.000 Euro an Werbebudget nur 16.000 Fans erzielen konnte – geschweige denn, warum die Medien die Menschen wieder mal für so dumm und unmündig halten, dass sie sich von einer Seite mit dem Titel "Die Wahrheit über Sebastian Kurz " wie Schafe zum Scherer führen und in ihrer Wahlentscheidung umstimmen lassen.

Deshalb fühle ich mich umso schlechter bei dem, was gleich kommt. Aber du musst mir einfach vertrauen. Jetzt haben wir nämlich definitiv den Höhepunkt des Wahlkampfs erreicht. Wirklich. Kein Magic Christian™®, keine manipulierte Kurz-Studie, kein Kern-Bashing dieser Welt kommen an das heran, was mir gestern auf Twitter untergekommen ist.

Österreich ist nämlich endlich wieder wichtig. Und Deutschland ist es endlich wieder weniger. Zumindest auf Twitter. Wo sich zwar zugegebenermaßen nur Journalisten und Politiker tummeln (oder Leute, die von einer der beiden Gattungen Fans sind, also komplette Freaks), aber wurscht. Man muss die Lobhudelei einfach nehmen, wie sie kommt und darf gerade als kleines Land ohne übergeordnete weltpolitische oder weltwirtschaftliche Bedeutung nicht wählerisch sein.

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Woran man das mit der Wichtigkeit merkt? Ganz einfach: Die österreichische Nationalratswahl hat unter dem Hashtag #nrw17 ein eigenes Twitter-Emoji bekommen (auch genannt Hashflag). Das ist eine Ehrung, die bisher nur für Events wie den Song-Contest, neue Star Wars-Filme und WrestleMania reserviert war. Noch wichtiger ist eigentlich nur, dass der Hashtag zur deutschen Bundestagswahl 2017 #btw17 keine eigene Hashflag bekommen hat. (Und wenn du jetzt sagst: #btw17 hatte eh auch sowas, aber die Dinger sind eben nur für begrenzte Zeit sichtbar, dann sage ich: Erinnere dich daran, dass du ein Tagebuch bist, wir in postfaktischen Zeiten leben und gusch.) Es ist gut. Es ist schön. Es ist ein Erfolg unter dem Mikroskop. Das Cordoba von Social Media, quasi.


03. 10. 2017: Der Zauberer "Magic Christian " will nicht mit Kanzler Kern verwechselt werden

Screenshot via Website der Stadt Wien

Liebes Tagebuch,
wir nähern uns dem Wahltag wie Heinz-Christian Strache sich einem Ibiza-Urlaub – also mit schnellen Schritten und einem delirierenden Funkeln in den Augen, aus lauter Vorfreude darauf, endlich am anderen Ende der Reise anzukommen. Bis dahin stehen uns trotzdem noch ein paar TV-Duelle, Silberstein-Debatten und Dirty-Campaigning-Anschuldigungen bevor. Umso dankbarer bin ich über jede Auflockerung an der Wahlkampffront. Und was die FPÖ Sierning gestern konnte, schafft der 72-jähriger Zauberkünstler Magic Christian™® aus Mauthausen schon lange.

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In einer bezahlten Aussendung von heute Morgen wirft Magic Christian™® wortwörtlich "Missbrauch vom Künstlername Magic Christian in Verbindung mit Christian Kern " vor – wem genau, wird allerdings nicht ganz klar. Magic Christian™® kritisiert jedenfalls, dass seine hohe Zauberkunst mit den "faulen Tricks " eines Christian Kern in Zusammenhang gebracht werden. Das ist würdig und recht. Unklar ist nur, ob Magic Christian™® damit Christian Kern selbst oder die Berichterstattung über Christian Kern in den Medien meint – also ob er sagen will: "Hört auf, meinen Namen und den von Christian Kern in den Dreck zu ziehen. " oder doch eher: "Der andere Christian ist bitte nicht so Magic wie ich! "

Jetzt werdet ihr vermutlich denken, dass diese gefinkelte Mehrdeutigkeit auch mit seinem Zauberberuf zu tun haben könnte – und das könnte sie wirklich, wenn Magic Christian™® nicht ansonsten ziemlich gerne sehr ausführlich über alles reden würde; wie zum Beispiel in diesem 53-minütigen Interview-Monolog mit der Stadt Wien. Was ich aber nach dem Durchskippen des Videos viel eher vermute, ist dass Magic Christian™® mit den Händen besser ist als mit Worten. Das legt zumindest der Teil nahe, in dem Magic Christian™® die Verführung durch Magier zuerst mit den alten Sumerern und dann mit der Verführung durch Politiker und die Nazis vergleicht und man am Ende nicht mal mehr weiß, in welcher Hand er jetzt seinen Verstand versteckt hat.

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Aber die eigentliche Ironie der Geschichte liegt, wie das bei Zaubertricks so üblich ist, ganz woanders: In bester Face- und Handpalm-Manier verschweigt Magic Christian™® uns in seiner Aussendung, was "Magic Christian " auch ist: nämlich der Titel eines Romans von Terry Southern aus 1959 und eines gleichnamigen Films mit Peter Sellers und Ringo Starr aus dem Jahr 1969. Dabei wäre Magic Christian™®, der eigentlcih Christian Stenzel heißt, als Jahrgang 1945 durchaus alt genug, um beides zu kennen. Wie auch immer – meines Wissens hat bisher keiner der Urheber von Magic Christian eine Beschwerdemitteilung gegen Magic Christian™® veröffentlicht. Terry Southern ist außerdem schon seit 1995 verstorben. Ringo Starr würde allerdings noch leben. Nur, falls ihm jemand Bescheid sagen will.


02. 10. 2017: Die FPÖ Sierning hat Österreich als Video eingefangen

Der zweite Mann von rechts liest noch schnell seinen Text fertig ("Weil Österreich die zügellose Zuwanderung … satt hat ") | Screenshot via Facebook

Liebes Tagebuch,
nach diesem Wochenende haben wir ein bisschen Auflockerung dringend nötig. Zum einen, weil Tal Silberstein und sein angeblich 12-köpfiges Team (von dem Sebastian Kurz als einziger etwas gewusst zu haben scheint) eine Silberspur des Grauens durch die SPÖ gezogen hat. Und zum anderen, weil eben Wochenende war und niemand mit ein bisschen Anstand und Gespür für Psychohygiene unbeschadet in der neuen Woche angekommen ist (ich sage nur: Vermummungsverbot, katalanisches Referendum und Dirty Campaigning).

Und wie immer ist für gute Stimmung natürlich Verlass auf die Gemeindeparteien. Das gilt bei jedem Bierzelt-Megaevent genauso wie (und sogar ganz besonders) bei Facebook-Videos in der Wahlkampfzeit. Womit wir bei der FPÖ Sierning wären.

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Hier kurz zusammengefasst, was wir unter Begleitung der Klänge aus "Immer wieder Österreich! " von der John-Otti-Band sehen:

- Kamerafahrt von links nach rechts (get it?) durch die leere Landschaft (Sierning?) - Es ist wirklich eine sehr, sehr leere Landschaft - Das Wetter ist auch nicht gut - Ich verliere langsam den Lebenswillen - Die Kamera fährt manchmal ein bisschen schneller, als würde sie am rechten Rand jemanden oder etwas erwarten (GET IT??) - Überblendung vom Feldweg zum selben Feldweg, nur ein bisschen später - Auftritt der FPÖ Sierning in Gestalt eines Elektro-Scooter-Fahrers mit Österreich-Flagge - Hinter ihm fährt jemand auf einem Rad und zieht ein Strache-Plakat nach - Die Landschaft ist jetzt nicht mehr leer, sondern am Wegesrand gesäumt von anderen FPÖlern mit genau denselben Strache-Plakaten - Zoom-in, dann harter Schnitt zur Bezirkspartei von Sierning; einer liest noch seinen Text vom Schummelzettel ab, eine andere verspricht sich ("Weil Kurz einfach … kurz gesagt, Strache mein Favorit ist! ") - Mein Lebenswille packt alles für eine Überfahrt nach Amerika - Die aufgestellte Mannschaft aus 14 sichtbaren Personen (und einer verdeckten) hebt teilweise die Daumen (einige davon mit der gut erkennbaren Regieanweisung "Mach DYNAMISCH ") - Überblendung zu einer digitalen wehenden Österreich-Flagge und dem Claim: "Auf Nummer sicher wählen! " Vorhang. Applaus.

Die Facebook-Crowd (bis dato: 3 User) dankten es der FPÖ Sierning mit Kommentaren wie "Der Most entfaltet seine Wirkung " und "Warum verwenden Sie illegalerweise die Bundesdienstflagge? Gesetze werden überbewertet, oder wie sieht das die FPÖ? " – zumindest, bis die Kommentare von der deklarierten Meinungsfreiheits-Partei FPÖ wieder gelöscht wurden.

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Noch schöner als die Machart, die an eine Mischung aus Die Tagespresse und Stromberg erinnert, ist aber eigentlich, dass die FPÖ Sierning mit ihrem "Wahl-Werbefilm " auch gleich die Frage beantwortet, wer eigentlich der faule, leicht dickliche Herr aus der anderen Fahrrad-Werbung der Freiheitlichen ist, der Österreich bremst:

Hier zum Vergleich:

Da liegen die Zeichen die längste Zeit direkt vor uns und dann braucht es trotzdem erst eine Bezirks-FPÖ, damit wir die Wahrheit erkennen. Schande über unseren Berufsstand. Alles Heil der FPÖ.


01. 10. 2017: Des Kanzlers Antwort auf des Kanzlers Partei-Eklat

Liebes Tagebuch,
heute hat Kanzler Kern auf die Vorwürfe zur Facebook-Kampagne gegen Kurz geantwortet. Er verspricht eine lückenlose Aufklärung. Wie gestern gesagt, weiß ich nicht, ob es uns wirklich beruhigen sollte, wenn das SPÖ-Team nichts von den Social-Media-Schmutzkampagnen in den eigenen Reihen wusste.

Andererseits ist das alles sowieso egal. Eine nichtrepräsentative Umfrage in meinem Freundeskreis hat ergeben, dass man am anderen Ende der Nachrichten ohnehin nur den Rücktritt von Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler mitbekommen hat (der am 2. September noch forderte: "Kurz-VP muss Sudelkampagne sofort einstellen! "). Von einer Facebook-Seite oder einer Schmutzkampagne wusste keiner irgendwas. Aber was will man auch von einer Page erwarten, die trotz 500.000 Euro Budget nur 16.000 Fans hatte

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30. 09. 2017: Wenn selbst die SPÖ mit fremdenfeindlichen Fake-Kampagnen wirbt, sind wir im Arsch

Liebes Tagebuch,
kannst du dich noch erinnern, als die Freiheitlichen rechts waren? Zur Erinnerung: Das waren die mit dem älteren Kurz als Parteiobmann und dem etwas dunkleren Blau als Parteifarbe. Es waren glorreiche, einfache Zeiten, in denen man immer wusste, auf wen man mit dem nackten Finger zeigen konnte und auf welcher Seite des Fingers man dabei stehen musste. Zeiten, in denen wir wir und die die waren – und "wir " noch gerne in die Filterblasen-Kathedralen für die Social-Media-Messen zur Selbstbeweihräucherung gepilgert sind.

Heute ist das alles vorbei. Das Schlaraffenland ist verwüstet, der Ponyhof hat zugesperrt, die Kinderjause ist beendet. Die FPÖ ist zwar nicht weniger rechtsextrem geworden, aber andere haben sich in ihr Gravitationsfeld begeben und das ganze verdammte innenpolitische Sonnensystem mit nach rechts gezogen.

Das ist soweit nicht neu. Dass die ÖVP unter Kurz die FPÖ unter Strache längst rechts überholt, wenn es um Flüchtlingsfragen geht, und Kurz wie ein junger Strache bei jeder TV-Debatte nach dem kürzesten Weg zum Asylthema sucht, ist inzwischen wohl auch schon bei jenen angekommen, die einen Soft-Spot für fesche, frisierte Figuren wie Sebastian Kurz oder Hansi Hinterseer haben.

Drum war bis vor kurzem auch klar: Wenn irgendwo im Internet eine Kampagne mit der Botschaft "Kurz ist das neue Rechts! " oder "Ja, aber Strache war es schon vorher! " auftaucht, dann ist sie mit ziemlicher Sicherheit entweder von Kurz oder von Strache. Aber nur, weil wir schon zwei rechte Großparteien haben, die sich um den Thron der Menschenverachtung battlen, heißt das noch lange nicht, dass nicht die dritte Großpartei auch ein bisschen beim Hate-Game-of-Thrones mitmischen will.

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Screenshot via Die Presse

Auftritt: SPÖ. Oder genauer: Tal Silberstein. Der ehemalige SPÖ-Berater, der am 14. August von der israelischen Polizei wegen des Verdachts auf Geldwäsche in Milliardenhöhe verhaftet wurde, soll hinter der Facebook-Seite "Die Wahrheit über Sebastian Kurz " stehen, wie profil berichtet. Die inzwischen offline genommene Page postete regelmäßig wilde Verschwörungstheorien über Kurz' Verstrickungen in dubiose politische Netzwerke und framte ihn als flipfloppenden Islam-Versteher.

Dass ausgerechnet ein israelischer Politikberater eine antisemitische Kampagne für die sozialdemokratische Partei aufgezogen haben soll, wäre unter anderen Umständen wahrscheinlich ganz witzig. Zum Beispiel, wenn es sich dabei um einen dystopischen Roman von Michel Houellebecq und nicht die Realität von 2017 handeln würde.

Wenn die Vorwürfe stimmen, ist entweder Tal Silberstein ein Renegade, den die SPÖ nicht im Griff hatte, oder die SPÖ ein Scheißverein, der Tal Silberstein damit durchkommen ließ.

Aber wenn die Vorwürfe stimmen, ist entweder Tal Silberstein ein Renegade, den die SPÖ nicht im Griff hatte, oder die SPÖ ein Scheißverein, der Tal Silberstein damit durchkommen ließ. Beides ist gruselig; das eine aus Unfähigkeit, das andere aus Überzeugung. Und angesichts der noch viel schlimmeren Alternativen bei dieser Wahl fällt es schwer, sich eins von beidem einzugestehen.

Die SPÖ könnte sich das jedenfalls zum Anlass nehmen, um kurz über sich nachzudenken. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Aber alles ist besser als die Aussicht darauf, dass wir uns in ein paar Jahren fragen: "Kannst du dich noch erinnern, als nur die FPÖ, ÖVP und SPÖ rechts waren? Das waren noch Zeiten! "

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29. 09. 2017: Hat Kurz bewusst eine Statistik zu Entwicklungshilfe auf seiner Website verfälscht?

Liebes Tagebuch,
es ist Freitagabend und damit alles ein bisschen egal. Menschen gehen nachhause, rempeln auf dem Weg Kinder an und zertreten die Gratiszeitungen, die sie vor zirka 10 Stunden noch religiös durchgeblättert haben. Ich habe keine Ahnung, ob die Zeit im Bild am Freitagabend niedrigere Einschaltquoten als die an den restlichen Tagen hat, aber ich würde darauf wetten.

Insofern müsste sich auch wirklich niemand die Mühe machen, an diesem strategisch ungünstigen Datum (oder in diesem strategisch ungünstigen Jahr, wenn wir schon dabei sind) noch mit Fakten zu argumentieren. Trotzdem ist es spannend, was Ulrike Lunacek im ORF-Duell mit Sebastian Kurz aufgezeigt hat.

Die Grünen-Chefin konfrontierte den sichtlich angespannten ÖVP-Boss mit der Behauptung "Österreich liegt im europäischen Spitzenfeld ", was die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit in Europa angeht. Bis heute Mittag war die Grafik auch mit dem Claim auf der Website online, wie ein Blick ins Internet-Archiv zeigt. Interessanterweise verwies die offizielle ÖVP-Seite sogar auf die Originalquelle der OECD – wo Österreich aber nicht auf dem 4., sondern auf dem 12. Platz liegt.

Die Kurz-Partei streicht also einfach die Top 8 Länder aus einer OECD-Statistik, damit Österreich vorrückt und wir beruhigt weiter "Wia tan bitte eh gnuag, wos woin de no olles von uns? " wutbürgern – und hat dabei offenbar ein so großes Grundvertrauen in die Medien-Inkompetenz ihrer Wähler, dass sie sogar ungeniert auf die Quelle verlinkt.

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Und das völlig zurecht. Die Wurschtigkeit der Freitagsmeschen in Kombination mit Journalisten, die in ihrem TV-Tagebuch zur Wahl über so ziemlich alles schreiben und die "schiefe Ebene " in Richtung der Grünen kritisieren, aber kein Wort über die manipulierte Statistik verlieren (ich will hier keine Namen oder Medien nennen, aber Oliver Pink und Die Presse), braucht sich der Volkspartei-Führer wirklich vor nichts mehr fürchten.

Dass Kurz zumindest ein kompliziertes Verhältnis zu Zahlen und Fakten hat, zeigte im Juli 2017 ein geleaktes Word-Dokument zur Islam-Kindergärten-Studie. Auch, wenn Kurz selbst alle Vorwürfe bestreitet und sich in bester Führungsmanier an seinen Beamten abputzte, wurden die Ergebnisse zumindest dezent an das gewünschte Outcome angepasst, wie der Falter berichtete: "Islamische Werte " blieb stehen, die Auflistung "wie Respekt, Gelassenheit, Individualität des Kindes, Hygiene " und so weiter wurden gestrichen.

Aber auch das ist natürlich egal. Weil Freitagabend ist und ich gleich mit John Waters essen gehe. Ich hoffe, ich hau auf dem Weg nicht zu viele Kinder um.


28. 09. 2017: "Vielfalt als Chance sehen " sagt Kurz bei einer Rede 2013

Screenshot via Twitter

Liebes Tagebuch,
in Also sprach Zarathustra schreibt Friedrich Nietzsche sinngemäß: Ich habe so viele Meinungen, dass man mich nicht auch noch nach den Gründen dafür fragen kann (hier der genaue Wortlaut). Keine Ahnung, warum mir das gerade jetzt einfällt, aber es wird wohl irgendwas mit dem Auftritt von Sebastian Kurz beim 5. Familienfest der Islamischen Föderation Wien im Jahr 2013 zu tun haben, der gestern wieder in meiner Timeline hochgespült wurde.

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Damals lobte Kurz nämlich noch die Vielfalt von Österreich und insbesondere Wien. Ja, derselbe Sebastian "Ich bin kein Rassist, ich mag nur wirklich hart gewinnen " Kurz, der heute die Inselkonzentrationslager von Australien lobt und einen "Arbeitsdienst für Asylwerber " fordert. Und weil man so unfassbar absurde Sachen – genau wie bei sehr großen Zahlen – einfach in Worten vor sich braucht, um sie wirklich zu verstehen, hier ein kleines Transkript seiner Dankesworte, die auf seine Begrüßung ("Schön, dass ich dabei sein darf! ") folgten:

"Österreich ist mittlerweile ein vielfältiges Land, Wien ist eine vielfältige Stadt geworden. Und da ist es glaube ich wichtig, diese Vielfalt auch als Chance zu sehen – nicht immer nur an Probleme zu denken, sondern vor allem auch daran zu denken, wie sehr uns diese Vielfalt eigentlich bereichern kann. "

In Bezug auf die Spenden und den Zusammenhalt der Community meinte er abschließend noch: "Da darf ich als Mitglied der Bundesregierung auch sagen: Ich bin sehr stolz, dass das in Wien passiert und dass das in Wien von Ihnen geleistet wird. " Nietzsche hätte seine Freude.


27. 09. 2017: "Rechtsextrem " heißt jetzt "Vintage " – Willkommen im Kurz-Land

Screenshot via YouTube

Liebes Tagebuch,
dass Ulrike Lunacek schwimmen kann, haben sich zwar die meisten von uns gedacht, aber gesehen haben es trotzdem nur 1.500 Leute. Zumindest auf YouTube und bis zum Zeitpunkt, in dem ich diese Zeilen schreibe (Update 6. 10.: inzwischen sind es 3.300 Views – nicht unbedingt ein Viral, würde ich sagen). Dabei ist das Wahlkampf-Video der Grünen jetzt schon ganze 5 Tage online und lockt nicht nur im Universum-Stil mit wilden Tieren und einer fitten Spitzenkandidatin, sondern auch mit einer Sprecherstimme, die bestimmt nur ganz zufällig klingt wie Alexander Van der Bellen.

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Obwohl ein bisschen bewusster Retro-Touch in diesem Wahlkampf sicher nicht verkehrt wäre. Jetzt wo auch Schwarzblau wieder vor der Tür steht und eine Regierungspartei mit Opposition droht, wenn sie verlieren sollte. Die KurzVP probiert es sogar mit noch mehr Retro-Flair:

Nachdem ihr Führer Sebastian "Team Kurz " Kurz schon letztes Jahr einen gewissen Faible für faschistoide Positionen gezeigt hat, indem er Australien für seine Einwanderungspolitik lobte (zur Erinnerung: Australien, das sind die mit den Inselkonzentrationslagern), legt er jetzt nach – und will (nicht ganz) neuerdings "null Zuwanderung " in Kombination mit einem "Arbeitsdienst für Asylwerber ", wie Der Standard heute berichtet.

Screenshot via ÖVP.at

Auch für Medien hat sich Sebastian "Ein neuer Stil " Kurz etwas überlegt: Seine Pläne zur ORF-Reform kann man mittlerweile, ganze zwei Wochen vor der Wahl, endlich auch offiziell nachlesen – unter dem Punkt "Ordnung und Sicherheit " in seinem Wahlprogramm.

Manche vorlauten Nestbeschmutzer fragen sich jetzt bestimmt, was das alles soll. Aber nicht ich. Habt ihr denn gar nichts aus dem ÖVP-Wahlkampf gelernt? Kurz wird euch sagen, was Sache ist, sobald ihr ihn gewählt habt. Also bald genug. Dann wissen wir auch endlich, ob die Kurz'sche Asylpolitik weiterhin als "rechts " oder eben schon als "retro " gilt. Obwohl das ganze Recycling von Jahrzehnte altem Rechtsmief ja fast schon wieder vintage ist. Jedenfalls bleibt die Antwort abzuwarten. Genau wie jene auf die Frage, ob der Masterplan die Fusion von ÖVP und FPÖ unter der Parteifarbe "Durchsichtig " ist. Ich werde bis dahin längst als Hofschreiber im Kurz-Bunker arbeiten. Macht's gut, ihr Idioten!

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26. 09. 2017: "Wenn sie sich keine Miete leisten können, sollen sie halt Wohnungen kaufen! "

Hintergrundfoto: Sherry's Rose Cottage | Flickr | CC BY 2.0, Kurz-Porträt: Dragan Tatic | Wikimedia | CC BY 2.0, Collage von VICE Media

Liebes Tagebuch,
das Wichtigste an der Politik ist ja, nahe an den Menschen zu sein. Die Frage ist nur, wie nahe und an welchen Menschen – immerhin sollte man bei dem ganzen Hineinversetzen nicht auf die eigene Haltung vergessen. Das bedeutet für manche Parteien zum Beispiel, die ein bis zwei Prozent an hartgekochten Kellernazis vor den Kopf zu stoßen, und für andere, genau das Gegenteil zu tun.

Screenshot via Twitter

Im Fall der Konservativen, Christlich-Sozialen und Neoliberalen heißt es aber auch, den Unternehmern und Großverdienern und ihren hauptberuflichen Söhnen und Töchtern eine Politik zu geben, mit der sie "relaten " und "resonaten " können. Entsprechend hat die KurzVP Montagnacht via Twitter klargemacht, wie ihr Konzept gegen Armut aussieht: und zwar, indem man sich halt einfach Eigentum anschafft.

Screenshot via Twitter

Und damit sind die Kurz'schen nicht alleine: Auch die NEOS haben vor ein paar Tagen in einem Angriff auf die SPÖ die typische Wiener Studentin als jemanden charakterisiert, der am Juridicum studiert und im Ersten Bezirk lebt. (Warum sie trotzdem auf einem Schemel sitzt, geht aus dem Scherenschnitt nicht hervor – aber die logischste Erklärung scheint mir, dass sie nicht zuhause abgebildet ist, sondern den Schemel auf der Uni mit hat, wo normale Menschen auf dem Boden sitzen.)

Ein bisschen erinnert das Ganze natürlich an das berühmte Zitat von Marie Antoinette: "Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen. " Dass Marie Antoinette das ziemlich sicher nie gesagt hat, ist eigentlich genauso egal, wie der Umstand, dass Studenten nicht im Ersten Bezirk wohnen und Menschen, die von Armut betroffen sind, in der Regel nicht Kaufverträge wie Autogrammkarten unterschreiben. Man kann aber sowieso auch auf ein moderneres Beispiel ausweichen und statt Marie Antoinette einfach Mr. Peanut Butter aus BoJack Horseman paraphrasieren: Kein Zuhause zu haben ist doch eigentlich ziemlich toll, solange es bequeme Hotels gibt. Auch das ist Realpolitik – wenn deine Realität der Meinl am Graben ist.

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25. 09. 2017: Zu viele Fakes – oder zu viel Schrei nach "Authentizität "

Screenshot via Michael Niavaranis Facebook-Seite

Liebes Tagebuch,
weil wir gestern gerade bei Zufällen waren: Es ist ziemlich erstaunlich, wie oft in letzter Zeit jemand zufällig den Kanzler trifft. Zuerst Michael Niavarani, dann ein paar SPÖ-Wahlkampfhelfer, und immer begleitet von Social-Posts, die die Lässigkeit und Spontaneität des Kanzlers unterstreichen.

Jetzt ist es natürlich so, dass echte Zufälle weniger wie solche wirken, wenn sie im Internet alle untereinander gesammelt aufscheinen. Eh. Und ich will auch keine Verschwörungstheorie aus etwas stricken, das sich vielleicht ohne Verschwörungstheorie genauso gut erklären lässt (weil bekanntlich die einfachere Erklärung unter Berücksichtigung aller Fakten oft die richtigere ist und so).

Aber wenn unser Bundeskanzler "zufällig " von Michael Niavarani, der ihm herrschaftlich huldigt, auf der Straße angetroffen wird (völlig überraschenderweise vor dem Bundeskanzleramt), unser Bundeskanzler natürlich sofort auswendig weiß, was Michael Niavarani über ihn gepostet hat und unser Bundeskanzler selbstverständlich kein Problem damit hat, wenn das Ganze sofort auf Facebook Live landet (weil sich Christian Kern bekanntermaßen sehr einfach damit tut, die Kontrolle abzugeben), dann fühlt sich diese ganze Authentizitäts-Inszenierung doch ein bisschen ein bisschen fake an – oder sagen wir zumindest: genauso echt spontan wie ein Catfight in Der Bachelor.

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Nicht, dass es verwunderlich oder verwerflich wäre, wenn Politiker Fakes produzieren. Man nennt es normalerweise Wahl-Werbung und die ist völlig legitim. Zumindest, solange sie als das ausgewiesen wird, was sie eben ist. Und solange man nicht gleichzeitig auf Biegen und Brechen auf seine eigene Unverbiegbarkeit und ungebrochene Authentizität hinweist.

Aber am Schönsten und Selbstentlarvendsten sagen es ironischerweise Kern und Niavarani selbst in ihrem total improvisierten Facebook-Live-Stück:

Niavarani: "Das war wirklich ein zufälliges Treffen, oder? " Kern: (Pause) "Sie haben mich nachdenklich gemacht. "


24. 09. 2017: "Wie finden Sie die ÖVP, zufällig ausgewähltes ÖVP-Mitglied? "

Screenshot via Twitter

Liebes Tagebuch,
mit dem Zufall ist das so eine Sache. Natürlich kann jemand von einer bestimmten Partei zufällig jemand anders von derselben Partei auf der Straße treffen und total ungeplant zu Parteithemen befragen. Wie zufällig das Ganze wirklich war, muss man sich dann aber trotzdem als Frage gefallen lassen. Obwohl man genauso zugeben muss, dass es zumindest transparenter ist, wenn jemand einen Kurz-Button am Revers trägt, als wenn sich jemand ohne SPÖ-Button eine Pizza vom Kanzler liefern lässt. So oder so bleibt in beiden Fällen offen, wie sinnvoll es ist, die eigenen Fanboys für O-Töne vor die Kamera zu karren. Aber vielleicht gibt es ja auch einen Masterplan. Oder wie Friedrich Nietzsche schreibt: "Kein Sieger glaubt an den Zufall. "

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23. 09. 2017: Zeugnisvergabe? Zeugen Jehovas? Zu viel von beidem?

Screenshot via Twitter

Liebes Tagebuch,
2014 habe ich den Kongress der Zeugen Jehovas im Wiener Ernst-Happel-Stadion besucht und ein kleines Video darüber gemacht. Darin sieht man unter anderem euphorische Massentaufen, fanatisch eingeschworene Gläubige mit gleichgeschalteten Antworten und einen Pressesprecher, der seltsam exakte Vorstellungen davon hat, wie lange die Gästeliste im Himmel ist.

Keine Ahnung, warum mir das gerade alles einfällt. Wie heißt es im Nachspann von Filmen immer? Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig. Nicht, dass das hier ein Spielfilm wäre (oder ich jedem ÖVPler das Attribut "Person " zuschreiben würde), aber ihr wisst, was ich meine. Ansonsten gibt es zum Monsterkongress der Kurz-Jünger nicht besonders viel zu sagen, das nicht schon Sebastian Huber auf Facebook ventiliert hätte. Außer vielleicht: Warum musste Manfred Juraczka eigentlich so weit hinten sitzen? Und das, obwohl er doch so sehr brav und blutleckend wahlkämpft?


22. 09. 2017: Intermezzo

Liebes Tagebuch,
heute mache ich mal Pause. Das bin ich dir und meiner Psychohygiene schuldig. Außerdem ist es ein langsamer Tag in der Wahlkampf-Welt und ein noch langsamerer abseits davon. Das könnte daran liegen, dass sich alle im Brace-Yourself-Modus vor der deutschen Bundestagswahl am Sonntag befinden – oder daran, dass ich in Marseille am Strand unterwegs bin. Wir werden es wohl nie erfahren.


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21. 09. 2017: Faschismus oder Flüsterfuchs, das 21. Jahrhundert ist ziemlich schwierig

Liebes Tagebuch,
Handzeichen sind in der Politik eine komplizierte Sache. Vor allem bei uns in Österreich sind die Grenzen zwischen Hitlergruß, Kühnegruß und drei Bier bestellen manchmal fließend. Das neueste Beispiel liefert ein Foto aus dem Flickr-Archiv der ÖVP, das inzwischen von genau dort wieder verschwunden ist und Sebastian "Team/Kanzler " Kurz in trauter Umarmung von vier Grinsemännern zeigt, von denen drei die Finger so halten, dass man darin einen Wolfsgruß erkennen könnte. Also: auch. Aber: nicht nur. Weil: es wie immer nicht so einfach ist mit den Handzeichen.

Das Symbol steht nämlich einerseits für den Gruß der faschistischen Grauen Wölfe, aber andererseits auch für den sogenannten "Leisefuchs ", den Pädagogen verwenden, um größere Gruppen zum Schweigen zu bringen. Ob sie damit seit den 1950ern viel Erfolg haben, weiß ich nicht. Aber irgendwie passt auch diese zweite Bedeutung gar nicht so schlecht zu Kurz. Eine dritte wäre übrigens der "Wolf Head "-Gruß einer eingeschworenen Bro-Gruppierung aus der Wrestling-Welt der Jahrtausendwende. Auch hier gilt: Sowohl zeitgeschichtlich, als auch bro-technisch würde sich eine gewisse Deckungsgleiche mit der ÖVP ergeben.

Viel komischer als der Gruß selbst, an dem Sebastian Kurz nicht mal beteiligt war, ist aber sowieso, dass sein flippig-modernes Leader-Team das dazugehörige Foto wie gesagt inzwischen gelöscht hat. Und das, obwohl Menschen außerhalb der ÖVP seit ein, zwei Jahrzehnten wissen, dass man Dinge, die auch andere Leute schon im Internet gepostet haben, sowieso nicht durch das Löschen der Originalquelle aus der Welt zu bekommen sind. Aber ja, man muss als Partei im Wahlkampf natürlich nicht logisch handeln. Das kostet einen nur Stimmen.

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20. 09. 2017: "Waunst nu a Wuat sogst, Gschissena "

Screenshot via Twitter

Liebes Tagebuch,
dieser Wahlkampf erinnert mich langsam an ein frühes Semester in meinem Studium, das ich ausschließlich damit verbracht habe, ein einziges Videospiel zu spielen – und davon nur die Demo-Version, in endloser Wiederholung. Es war WWE Raw für den PC und man konnte nur genau zwei Wrestler auswählen. Ich habe trotzdem tagelange Turniere mit ihnen gespielt, dabei die Augen zusammengekniffen und mir vorgestellt, sie wären jemand anders.

Genau das ist es, was seit einigen Wochen in den endlosen TV-Debatten um uns herum passiert. Insgesamt wird es 41 geben. Der Unterschied ist nur, dass uns das Ergebnis länger als ein Semester verfolgen wird und das ganze Augen-Zusammenkneifen der Welt nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass auch wir nur die Demo-Version einer erwachsenen Demokratie mit einer entsprechenden Diskussions- und Debattenkultur spielen. Ich wünschte, Kern und Kurz und Strache wären tatsächlich Wrestler, dann wäre der Wahlkampf zumindest unterhaltsamer (nur bitte ohne den Trump-Turn am Ende, bitte, danke).

Einen seltenen Blick in diese Parallelwelt gewährte ein TV-Moment zwischen Bundeskanzler Kern und NEOS-Chef Matthias Strolz, bei dem der erste einen Smacktalk vom Feinsten hinlegt und der zweite sich in einem Staredown versucht, das zwar verbal endet mit: "Das war jetzt nicht das Thema ", aber eigentlich bedeutet: "Waunst nu a Wuat sogst, Gschissena. "

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19. 09. 2017: Kurz und die Meerschweinchen

Screenshot via Facebook

Liebes Tagebuch,
Sebastian "Liste " Kurz macht einen Kern und zeigt sich in seinem neuen Videoclip als etwas, das einem Menschen zum Verwechseln ähnlich sieht – inklusive O-Tönen von realen Personen, einem Fahrrad-Ausflug mit dem Vater und viel Herumswipen am iPhone (natürlich nicht Tinder, Kurz ist ein Ehrenmann, wo denkt ihr hin).

Gut, ein paar "Glitches " gibt es dann doch noch im Kurz-Programm (haha – apropos: Gibt es eigentlich schon das ganze Pro … ach, egal): Zum Beispiel wirkt das Auf-und-ab-Gehen in der Scheune noch ein bisschen unnatürlich und man neigt beim Schauen dazu, abzuschweifen und sich zu fragen, warum der Außenminister dauernd auf den Boden schaut wie ein Schulbub, der mit der Sneaker-Spitze im Staub Muster malt, während er von der Lehrerin geschimpft wird. Aber dafür packt Sebastian "Team " Kurz gleich zu Beginn seine besten NLP-Tricks aus und lässt einen einfachen Satz über seine Jugend am Bauernhof so klingen, als würde er gerade vor laufenden Kameras eine Affäre mit Monika Lewinsky gestehen, wenn er sagt: "Ich erinnere mich – das muss ich zugeben – extrem gern an meine Kindheit zurück."

Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Für mich steht da schon ohne Zweifel fest: Sebastian "Es ist Zeit" Kurz ist ein integerer, treuer, verlässlicher und authentischer Mensch, der sich in Backstage-Bereichen und gegenüber fremden Frauen ganz genauso aufführt wie vor der Kamera. Oder wie es ein Kommentator unter dem offiziellen Videopost auf Facebook auf den Punkt bringt: "Radlfahrn ist auch meine Passion, darum alles Gute Sebastian Kurz."

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18. 09. 2017: Was wurde aus Peter "Die Türe ins Nichts" L. Eppinger?

Liebes Tagebuch,
am Wochenende war neben der großen Kern-Kurz-Strache-Diskussion auch noch die Mini-Runde der Kleinparteien, über die aber Philipp Wilhelmer im Kurier schon alles gesagt hat – abgesehen vielleicht davon, dass Düringer dort eigentlich nichts verloren hätte, weil er gar nicht Spitzenkandidat ist, was er schon eingangs mit einem total lustigen Witz bestätigte, als er das von Peter Pilz mitgebrachte ausgedruckte ORF-Gesetz mit den Worten kommentierte: "Ich hab glaubt, das ist der Koran, was da liegt" (weil der Koran wahrscheinlich das einzig dicke Buch ist, das Düringer auf die Schnelle eingefallen ist und natürlich das Strafgesetzbuch und die Bibel und Ulysses nicht zählen, ähem).

Viel dringender scheint uns aber sowieso die Frage, was eigentlich mit Kurz-Testimonial und Tor-zur-Hölle-Verwalter Peter L. (wie Leere-hinter-der-Türe) Eppinger passiert ist. Gerade noch Gesicht der Bewegung, jetzt bestenfalls in ihrem Arsch verschwunden, ist der ehemalige Ö3-Mann seit seiner Tür-Aktion beim Parteitag in Linz nicht mehr wirklich vor iPhone-Kameras getreten oder in Facebook-Live-Videos gesichtet worden. Wurde seine Werberolle endgültig eingespart und durch krone.at-Chefredakteur Richard Schmitt ersetzt? Haben seine gelöschten Pro-Refugee-Tweets aus der Vergangenheit Eppinger doch eingeholt und den Job als Aushängeschild gekostet? Oder ist er selbst durch die Tür gegangen und durchlebt jetzt für uns Sünder sämtliche Höllenkreise der ÖVP, also das multikulturelle Wien des Jahres 2015? Sachdienliche Hinweise bitte per Mail an uns.

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17. 09. 2017: Pilz shroomt zwischen Vergessen und Populismus

Liebes Tagebuch,
kurz vergessen, dass es Peter Pilz gibt – so wie Peter Pilz kurz vergessen hat, dass es sein Anti-Asyl-Papier gibt, in dem so tolle Zwei-Wort-Sager stehen wie "Österreich zuerst" und "Europa voll", leider aber nicht "Pilz = toll" und "Wurscht, wähl", was seine ideologische Haltung noch besser und authentischer zusammenfassen würde. Ob Peter Pilz jetzt eigentlich rechts oder links ist, lässt sich am besten mit dem Sager eines guten Freundes beantworten, der auf die Frage "Bier oder Whisky?" gerne sagt: Es ist keine Entweder/Oder-Welt.

Update: Seht euch hier unsere 10 Fragen an Peter Pilz an


16. 09. 2017: Die Kanzler-Kandidaten im Triple-Threat-Match

Screenshot via Facebook

Liebes Tagebuch,
gestern sind zum ersten und einzigen Mal die drei Kanzler-Kandidaten in einer Diskussionsrunde aufeinander getroffen, die wenig Diskussion und auch keine Runde war, sondern ein Abklopfen von biografischen Anekdoten und Wahlkampf-Claims, was natürlich Sinn ergibt, weil die Konfrontation von den Bundesländerzeitungen ausgerichtet wurde (also Salzburger Nachrichten, Tiroler Tageszeitung, Kleine Zeitung, Oberösterreichische Nachrichten, Vorarlberger Nachrichten und aus irgendeinem Grund Die Presse).

Entsprechend hatte die Sendung ziemlich viel Bundesländerzeitung-Flair; mit einem Strache, der wieder oft "erläbän" sagen durfte und erzählte, wie er im Fußball "als rechter Flügelstürmer eingesetzt worden [ist], aber ich konnte auch von der linken Seite überraschen und Tore schießen"; mit einem Kurz, der Average-Joe-Anekdoten über einsame österreichische Schulkinder in Ausländer-Klassen aus dem präparierten Ärmel schüttelte; und mit einem Kern, der langsam zum biografischen Äquivalent von Gerhard Schröder mutiert und wieder mal seine Alleinerzieher-Origin-Story aufrollen musste, bevor er "Ich sehe das anderst" mit T sagte.

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Sonst war nicht viel, außer dass Heinz-Christian Strache Sebastian Kurz Soletti nannte, weil er in der Regierung bei allem "immer dabei" wäre, Sebastian Kurz Heinz-Christian Strache ermahnte, weil er sich ärgern würde, wenn jemand nicht seiner Meinung wäre, aber auch, wenn man es schon täte, und Christian Kern sowohl Sebastian Kurz als auch Heinz-Christian Strache schimpfte, weil sie ihre Eheprobleme in aller Öffentlichkeit austragen und nur über Integration reden würden.


15. 09. 2017: Strolz lässt sich im Haupthaar herumfingern

Screenshot via Facebook

Liebes Tagebuch,
heute war NEOS-Chef Matthias Strolz im Kindergarten – und im Gegensatz zu so ziemlich allem anderen, was Matthias Strolz tut oder sagt, war er das nicht im metaphorischen Sinn, sondern wortwörtlich, weil: "Das ist das Wichtigste, was wir haben. Das sagen wir doch immer als Eltern: 'Die Kinder … sind das Wichtigste …… was wir HA-ben?", wobei ihm wohl alle zustimmen würden, nur dass das leider nicht bedeutet, dass ihn deshalb auch alle wählen; vor allem nicht, wenn er im nächsten Satz sagt: "Am besten, wir hängen einen Link dazu", und das Video dann völlig ohne Link gepostet wird, weil es vielleicht doch nicht ganz so viel ausgearbeitetes Programm von den NEOS zum Thema gibt, wie ein sich auf den Kopf greifen lassender Strolz uns in die Handykamera erzählt – naja schade.


14. 09. 2017: Mauer, Schmauer, Poller, Schmoller

Screenshot via DiePresse.com

Liebes Tagebuch,
kaum eine Debatte ist so österreichisch wie die um die Anti-Terror-Mauer vor dem Kanzleramt, die sich in den letzten Tagen zu einem regelrechten Austro-Watergate-Skandal zugespitzt hat – zuerst haben sich alle über die Steuergelder aufgeregt (auch wenn 325.000 Euro so wenig ist, dass man es bei den Staatsausgaben mit der Lupe suchen muss), dann über die Ironie beschwert, eine Terror-Mauer in einer so sicheren Stadt wie Wien zu bauen (obwohl sich die Österreicher genauso schnell darüber aufregen würden, wenn man ihre "Wien darf nicht Chicago werden"-Sorgen zu wenig ernst nimmt) und am Ende darüber lustig gemacht, dass die Mauer jetzt doch nicht kommt, aber stattdessen ein paar Poller aufgestellt werden sollen, um Autos aufzuhalten (und über die bezeichnenderweise niemand weiß, ob es nun 15, 30, 40 oder 42 Pfeiler sind, die da aufgestellt werden sollen).


13. 09. 2017: Humus, das ist toter Boden

Screenshot via Facebook

Liebes Tagebuch,
heute von der Kurz-Clique, Ortsgruppe Graz und Umgebung, daran erinnert worden, dass die "Ehe zwischen MANN und FRAU" (in All-Caps) der "Humus der Gesellschaft" ist, was gleich mehrere Fragen aufwirft, zum Beispiel: Wäre es wirklich unser Untergang gewesen, wenn homosexuelle Persönlichkeiten der Weltgeschichte einander hätten heiraten dürfen (wie Alexander der Große, Hatschepsut, Alan Turing oder Oscar Wilde)?, oder auch: Wenn die Ehe so heilig ist, wie OK findet es die türkise ÖVP dann, dass sogar Stephen Hawking mehr Ehen hatte als er Finger bewegen kann (nämlich zwei)?, oder auch: Wenn Wikipedia Recht hat und Humus "die Gesamtheit der toten organischen Substanz eines Bodens" beschreibt, ist "Humus der Gesellschaft" dann nicht eine ziemlich akkurate Beschreibung der ÖVP?


12. 09. 2017: Die Grünen sind die neuen Rechten (wenn es nach den alten Rechten geht)

Liebes Tagebuch,
durften gestern erneut erläbän, wie kompliziert Rechtsextremismus heute geworden ist – jetzt werfen die Freiheitlichen den Grünen im Puls4-Duell Ulrike Lunacek vs. Heinz-Christian Strache von allen Dingen ausgerechnet Antisemitismus vor, weil es den unter muslimischen Zuwanderern eben auch gebe und die Grünen davor die Augen verschlössen – ignorieren aber gleichzeitig die "Einzelfälle" in den eigenen "Neuen Juden"-Reihen und zeigen gleichzeitig in Tirol ihre eigene Toleranz, indem sie die Namen von Schulkindern mit Migrationshintergrund öffentlich machen, obwohl sie selber Povysil, Vilimsky und Belakowitsch heißen


11. 09. 2017: "Never again"-Schriftzug weg? Never again!

Foto von Josef Zorn, via VICE Media

Liebes Tagebuch,
haben erst heute, nach unserem Tanja-Playner-Binge am Wochenende, gesehen, dass am gestrigen Sonntag der übermalte "Never Again"-Schriftzug am Flakturm im Wiener Augarten jetzt angebracht wurde – weil auch die zuständige Bezirksvorsteherin und eine Wiener Gemeinderätin gemeinsam mit Aktivisten denken, dass Erinnerung nicht ausgelöscht werden sollte, was ganz gut zum heutigen 11. September passt, von dem eine ganze Generation an Unter-18-Jährigen schon nicht mehr selbst mitbekommen hat, was hier im Jahr 2001 passiert ist.


10. 09. 2017: Tanja Playner auf Rückwegen

Liebes Tagebuch,
heute hat Pop-Art-Artistin Tanja "Pop-Art" Playner, Artistin "bei Tanja Playner Pop Art artist" und laut eigenen Angaben bekannteste Pop-Artistin des Landes, sich doch wieder mit ihren FPÖ-Fans versöhnt und wir sind endgültig verwirrt – obwohl das vielleicht einfach Pop-Art ist, wovon wir als Banausen wenig verstehen, und es nur einmal mehr zeigt, dass FPÖ und ÖVtürkisP halt doch ein bisschen wie die Volksfront von Judäa und die judäische Volksfront sind.


09. 09. 2017: Tanja Playner auf Abwegen

Screenshot via Facebook

Liebes Tagebuch,
die berühmte Pop-Art-Artistin Tanja "Pop-Art" Playner, die laut ihrer Facebook-Bio "Künstlerin bei Tanja Playner Pop Art artist" ist, hat heute zum vielleicht ersten Mal einen Politiker, der nicht Norbert Hofer oder Heinz-Christian Strache heißt, mit ihrer abfärbenden Anwesenheit geadelt – nämlich den allseits beliebten Anstands-Hünen und Party-Recken Sebastian Kurz, der seine ganze Stattlichkeit in den Schnappschuss legt und zur zweiten Hälfte des First-Popart-Artist-Couples des Landes avanciert; pop-artist haters gonna hate #popartartisttanjaplayner!

Update: Wie es aussieht, hat Pop-Tanja "Pop-Artist Tanja Playner" Playner, "Künstlerin bei Tanja Playner Pop Art artist" ihr Foto mit Sebastian Kurz inzwischen von Facebook gelöscht. Pop-schade!


08. 09. 2017: Zeig mir dein Plakat und ich zeig dir deinen Poscher

Liebes Tagebuch,
nachdem wir die Plakate aller Parteien einer gründlichen und total seriösen Analyse unterzogen haben, wissen wir jetzt, dass die Grünen nicht mitdenken, die Roten nicht mehr lächeln können, die Schwarztürkisen nichts zu sagen haben, die NEOS nicht wirklich wen umwerben außer sich selbst, die Liste Pilz nicht blöd bei der Ressourcen-Planung ist und die Blauen nicht sehr viel Kontrolle darüber haben, wen sie auf ihr Fahrrad steigen lassen.


07. 09. 2017: 4 Sätze über Frauen

Screenshot via Twitter

Liebes Tagebuch,
heute von der ÖVP endlich mit Frauenpolitik beschenkt worden – wenn auch nur genau vier Sätze lang – und in der begleitenden Illustration gelernt, dass sich Menschen mit XX-Chromosomenpaar durch Füllfeder, Babyflasche, Gurke, Lippenstift, iPad und Stöckelschuhen darstellen lassen.


06. 09. 2017: Sogar Kurz hat bei Wahlkabine KPÖ

Liebes Tagebuch,
heute den Selbsttest auf wahlkabine.at gemacht und nicht nur gelernt, was die Parteien eigentlich wirklich wollen, sondern auch, dass bei absolut jedem Menschen die KPÖ rauskommt – wenn man Twitter glauben darf, sogar bei Sebastian Kurz (und wenn es auf Twitter steht, ist es bekanntlich die Wahrheit).


05. 09. 2017: Gebt diesen reaktionären Scheißdreck weg!

Liebes Tagebuch,
heute hat ein SPÖ-Mitglied auf Kerns Stammtisch-Video reagiert und gemäß dem antiken Verständnis von Rhetorik als "die Kunst des angemessenen Redens" folgenden Leitsatz formuliert: "Gebt diesen reaktionären Scheißdreck weg, entschuldigt euch und schämt euch in Grund und Boden, dass sowas überhaupt durchgegangen ist!"


04. 09. 2017: +++ Breaking: Kurz hat ein Programm +++

Liebes Tagebuch,
heute hat Sebastian Kurz beziehungsweise die Neue Volkspartei beziehungsweise die Liste Kurz beziehungsweise die ÖVP den ersten Teil seines/ihres Wahlprogramms an die Medien weitergeleitet – was ziemlich klug von ihnen ist, weil sie bisher so inhaltsleer waren, dass schon die bloße Existenz des Wahlprogramms genug Inhalt für eine Meldung ist, wie zum Beispiel beim ORF, der heute schreibt: "Wahlprogramm: ÖVP leitet ersten Teil an Medien weiter" und sehr viel mehr muss man dann eigentlich auch gar nicht mehr über die ÖVP sagen, außer vielleicht: Lorem ipsum.


03. 09. 2017: Wenn die Regierungsparteien doch bloß in der Regierung wären …

Liebes Tagebuch,
heute breit angelegtes Staunen über SPÖ und ÖVP bei Im Zentrum, weil beide alles ändern und eine dynamische Bewegung für junge Menschen sein wollen, aber gleichzeitig beide Parteien seit 1945 nur 7 Jahre (SPÖ) beziehungsweise 17 Jahre (ÖVP) nicht selbst mitregiert haben.


02. 09. 2017: Strache bettelt die Lugner City an, nicht Kurz zu wählen

Liebes Tagebuch,
heute Straches "Bitte wählt nicht den Kurz"-Wahlkampfauftakt in der Lugner City mitverfolgt und anschließend beim Swipen auf Tinder heute den Kanzler entdeckt – wenn auch nicht als User, sondern nur in der Form eines Wahlkampfspenden-Aufrufs –, woraufhin wir uns gefragt haben, wie oft wohl sexhungrige Millennials wirklich 10 Euro auspacken, um dem Regierungschef unter die Arme zu greifen, wenn sie eigentlich da sind, um andere Dinge auszupacken und noch mal ganz andere anzugreifen.


01. 09. 2017: Willkommen in der Finsternis!

Liebes Tagebuch,
heute biedert sich Christian Kern in einem neuen SPÖ-Werbevideo der FPÖ-Wählerschaft an, indem er sich an einen Stammtisch setzt und den rassistischen Ressentiments der "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!"-Kundschaft freien Lauf lässt – anstatt zum Beispiel auf so sinnbefreite Sager wie "Wenn ich auf der Kärntner Straße, meinem Heiligtum, jemanden in Burka sehe, bekomme ich Angst; ich weiß ja nicht, ob da ein Mann oder eine Frau drinnen ist" sowas zu antworten wie: "Wenn Sie, gnädige Frau, auf der Kärntner Straße jemanden in einer Burka sehen, ist das erstens mit ziemlicher Sicherheit eine Frau, auch wenn sie ihr Geschlechtsteil nicht frei einsehbar trägt, und zweitens wahrscheinlich eine steinreiche Touristin aus den Emiraten, keine radikalisierten Ottakringerin … denkt denn niemand an die armen Juweliere???"

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