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Gehirn

Wieso es dir dein Gehirn so schwer macht, es bei einem Getränk zu belassen

Eine neue Studie der Texas A&M University zeigt, dass es dein Gehirn ist, das unbedingt den dritten Piña Colada bestellen will.

Kommt dir folgendes Szenario bekannt vor?

Du befindest dich bei der Arbeit und bist müde und schwach, aber ein Kollege überredet dich, noch auf ein Feierabendbier in der Bar um die Ecke zu gehen. „Nur auf ein Getränk", um ein bisschen Dampf abzulassen und ein bisschen Büroklatsch auszutauschen. Das nächste, was du weißt, ist, dass deine vierte Weißweinschorle vor dir steht, du Tanja aus der Buchhaltung all deine dunkelsten Geheimnissen erzählt hast und irgendein Typ am Ende der Bar eine Runde Tequila für alle bestellt hat. Was ist nur passiert?, fragst du dich, während du auf dem Weg nach Hause eine Currywurst mampfst. Du warst doch voller Überzeugung, als du zu deinem Kollegen sagtest, du würdest wirklich nur auf ein Getränk mitgehen und dir dann einen ruhigen Abend machen.

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Tja, du darfst deinem Gehirn die Schuld dafür geben. Deine Unfähigkeit, entschlossen nein zum verflixten zweiten Getränk zu sagen, hat sehr viel damit zu tun, wie wir gepolt sind. Das besagt eine neue Studie der Texas A&M University.

Die Forschungsergebnisse, die am 19. August im Journal of Neuroscience veröffentlicht wurden, bieten einen neuen Einblick, wie eine Sucht funktioniert—besonders im Hinblick auf Alkoholkonsum—und welche die Rolle die Gehirnaktivität bei der Förderung von Verhalten, das auf die Beschaffung von Alkohol abzielt, spielt.

Bei der Studie wurde herausgefunden, dass der Konsum von Alkohol die Struktur und Funktion von Neuronen im dorsomedialen Striatum—der Bereich des Gehirns, der Motivations- und Belohnungssysteme im Gehirn kontrolliert—verändern kann. Wenn man ein Glas Chardonnay oder einen Krug Whisky Sour schlürft, wandelt sich die Form dieser anspornenden Neuronen und sie lassen das Bedürfnis entstehen, ein weiteres Getränk zu bestellen und den leicht beschwipsten Zustand beizubehalten. Bei übermäßigem Alkoholkonsum werden diese D1 (Dopamin)-Neuronen weiter aktiviert, was dazu führt, dass Personen mit einem Hang zu Alkoholmissbrauch über das sichere oder angenehme Maß hinaus trinken. Es ist also ein übler Teufelskreis, bei dem der „Ja"-Mechanismus des Gehirns viel leichter aktiviert wird und je mehr man trinkt, desto empfänglicher ist man für seine Motivationsfähigkeit.

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„Wenn diese Neuronen aufgeregt sind, hat man das Bedürfnis, Alkohol zu trinken", erklärt Jun Wang, einer der Co-Autoren der Studie und ein Assistenzprofessor in Neurowissenschaften und experimenteller Therapeutik an der medizinischen Fakultät der Texas A&M University, in einer Stellungnahme. „Man verspürt ein Verlangen."

Trotz der weiten Verbreitung von Alkoholismus—in Deutschland gelten 1,3 Millionen als alkoholabhängig, 9,5 Millionen konsumieren Alkohol in gefährlichem Ausmaß—haben Mediziner bisher noch keine Lösung für Alkoholmissbrauch mit konstanten Erfolgsraten gefunden.

Die Forschung der Texas A&M University könnte möglicherweise einen Hinweis darauf geben, weshalb das so ist. „Wir haben herausgefunden, dass der Alkoholkonsum eine langanhaltende Verstärkung der Kanalaktivität und eine permanente Veränderung der neuronalen Morphologie in einem Teil des Gehirns (DMS), das das Alkohol-Trinkverhalten kontrolliert, hervorruft", schreiben die Autoren der Studie. „Außerdem zeigen wir, dass diese Veränderung nur bei einer Subpopulation von Neuronen vorkommt, die für Belohnung und die Verstärkung des Drogenmissbrauchs zuständig ist."

Was schließen wir also daraus? Diese Erkenntnisse könnten ein erster Schritt in die Richtung eines neuen Medikaments sein, das D1-Rezeptoren blockiert und den vorher erwähnten Kreis im Gehirn bricht, der für den Alkoholmissbrauch verantwortlich ist.

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„Mein größtes Ziel ist es, zu verstehen, wie das Gehirn funktioniert", sagt Wang, „und wenn wir eines Tages so weit sind, werden wir in der Lage sein, das Verlangen nach einem weiteren Getränk unterdrücken zu können und schließlich den Kreislauf des Alkoholkonsums zu unterbrechen."

Wenn du Alkohol in moderaten Mengen konsumierst und nur gelegentlich zu tief ins Glas schaust, hat diese Studie eventuell nicht allzu viel Bedeutung für dich. Wenn man aber bedenkt, dass Alkohol eine der häufigsten vermeidbaren Todesursachen ist und in Deutschland jedes Jahr um die 15.000 Menschen daran sterben, könnte das ein wichtiger Schritt zu einer sichereren Welt sein für alle, die nach einem Getränk nicht nein zum nächsten sagen können.