Ich habe an einem "Twerk it like Miley"-Workshop meine weibliche Kraft entdeckt
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Ich habe an einem "Twerk it like Miley"-Workshop meine weibliche Kraft entdeckt

Unsere Autorin twerkte sich in den Sonntagnachmittag und wurde mit drei Tagen Muskelkater belohnt.

Twerking ist spätestens seit Miley Cyrus' Auftritt an den MTV Music Awards 2013 aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken. Und obwohl du auf YouTube unzählige Anleitungen zum "richtig Twerken" findest, sorgte die Amerikanerin mit ihrer expliziten Show für reichlich negative Reaktionen und wurde regelrecht geslutshamed. Twerking übt auf der einen Seite eine heimliche Faszination aus – sonst gäbe es diese ganzen Tutorials ja wohl nicht – gilt auf der anderen Seite aber als sexuell verrucht und damit verpönt.

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Auch mir käme es nie in den Sinn (oder es wurde durch hochprozentige Spirituosen aus meinen Gedächtnis gespült) plötzlich im Club mit meinem Hintern ungehemmt durch die Gegend zu wackeln. Erstens, weil ich es schlichtweg nicht kann und dabei wohl eher aussehen würde, als bräuchte ich ärztliche Hilfe und zweitens, weil ich mich, auch wenn ich es manchmal möchte, schlicht und einfach nicht trauen würde. Denn auch wenn ich keine Angst vor der Meinung der anderen Partygäste habe, habe ich eine Hemmschwelle zu aufreizend zu sein. Womöglich weil wir uns dies in unserer Gesellschaft so eintrichtern.

So entgegnete ich vor kurzem meiner Arbeitskollegin Linda, als sie mir erzählte, dass sie ihrer Freundin einen Twerking Workshop zum Geburtstag geschenkt hatte, eher mit einem überraschten Lachen. "Lass uns doch darüber einen Artikel schreiben", meinte ich dann in der Redaktionssitzung und weil wir gerne für euch schwitzen, war der Kurs kurzum auch schon gebucht. "Was für eine lustige Idee", hallt es mir im Kopf nach, als ich mich an einem sonnigen Sonntag in Opfikon bei Zürich wiederfinde. Ganz im Sinne meines Vorsatzes, mehr Pflichtbewusstsein zu zelebrieren, bin ich sogar früh ins Bett. Stehe dann aber trotzdem völlig müde und verpeilt vor der milchfarbenen Scheibe des "YS Polefitness" Studios. Hier werde ich also die nächsten eineinhalb Stunden meine Gesässmuskel wackeln lassen.

Hinter den Scheiben der Eingangstüre, begrüsst uns, mit kräftigem russischen Akzent Yevgeniya Stöcklin, Inhaberin des Polefitness-Studios und Leiterin des Twerking-Workshops. Nach uns trudeln zwei weitere Frauen ein, welche Yenni, wie Yevgeniya von den meisten genannt wird, herzlich begrüsst. Es macht den Anschein, dass die meisten anderen Teilnehmerinnen auch sonst Polefitness-Kurse besuchen und dementsprechend durchtrainiert sehen auch ihre Körper aus. Dass Polefitness die Superlative aus der Mischung von Kraft, Akrobatik und Ästhetik ist, dürfte mittlerweile den meisten bekannt sein. Das auch Twerken ein absoluter Hardcore-Sport ist, werde ich noch die nächsten Tagen spüren, doch davon weiss ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts.

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Knapp vor Beginn eingetrudelt, machen sich meine Arbeitskollegin und ich schnell auf den Weg zum Umziehen, durch den Raum hindurch, zur improvisierten Garderobe, welche aus einem Regal als Sichtschutz und einem Sofa besteht. Während ich meine Kleider für den Workshop aus meinem Jute-Turnsack raushole und mich im Raum umschaue, merke ich, dass ich mit meinem grauen Basic-T-Shirt und den olivgrünen Baumwollshorts neben den anderen Frauen aussehe, als würde ich nach dem Workshop straight noch eine Runde auf dem Uetliberg wandern gehen. "Wo sind deren Hosen?", fragt meine Kollegin mich verwundert. Die meisten tragen die üblichen Pole-Fitness-Outfits, welche aus ziemlich knappen zweiteiligen Stretch-Outfits bestehen.

Die Samtkissen retten mir später noch meine Knie.

Bevor es aber richtig losgeht, und weil wir bei Noisey stets in unserem Hinterkopf die Motivation hegen, dein Wissen stetig zu erweitern – sei es um brilliante neue Musik, Einblicke in Subkulturen und Nachtleben, oder wichtige Internetvideos, wie beispielsweise Pferdetrainer, die mit ihren Mini-Ponys zu Sia tanzen – hier es eine kurze Einführung in die Geschichte des Twerkings:

Auch wenn du dich mit dieser Art des Tanzes nicht gross auseinandersetzt, ist dir wahrscheinlich bewusst, dass das Twerking nicht erst als Miley Cyrus ihren Allerwertesten an Robin Thicke rieb und eine Nicki Minaj oder Rihanna den Tanzstil in den Charts etablierten, existiert. Wie oft behauptet wird, hat Twerking seinen eigentlichen Ursprung auch gar nicht in der Dancehall-Szene Jamaikas, sondern kommt aus der HipHop-Szene New Orleans der 90-er Jahre. Die Wurzeln des Twerkings, das aus den zwei Wörtern Twist und Jerk, also rasche, schnelle und unkontrollierbare Bewegungen der Hüfte besteht, kommen aber aus der afrikanischen Stammeskultur. In der HipHop-Szene New Orleans brachte schlussendlich die Rapperin Cheecky Black das Twerking um 1995 mit ihrem Song "Twerk Something" zur Popularität. Immer ihrem Motto folgend: "Je grösser die Backen, desto besser schüttelt sich der Po."

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Nachdem alle ready sind und sich zwischen den Pole-Stangen verteilt haben, kündigt Yevgeniya das Warm-up an. Zu verschiedensten EDM-Pumper-Tracks peitscht sie uns mit Squats, Kraftübungen und ersten Schüttelversuchen durch das Einwärmen. Dann, die ersten Twerk-Einheiten: Durch die abwechselnde Gewichtsverlagerung beider Beine und einem Hohlkreuz, sollen die Bootyshakes glücken. "Dawai! Dawai!", ruft Yenni uns entgegen während sie uns aufzeigt wie der Hintern zu wackeln hat. "Um Himmels Willen, was zur Hölle tue ich hier eigentlich?!", geht es mir durch den Kopf, als ich in meinem Alpenurlaub-Outfit neben den anderen gestählten Körpern in den knappen Höschen und hautengen Tops zur Musik versuche mitzusquaten, dabei aber eher alles andere als lasziv aussehe.

Der Weg zum erfolgreichen twerken: Tief in die Knie gehen und ein Hohlkreuz formen.

Die Verwandlung von Robbe zu Gesässschwinger

Nach dem Aufwärmen beginnen wir mit den einzelnen Twerk-Übungen. Dabei zeigt uns Yenni die verschiedensten Variationen des Gessässmuskelschwingens. Im Stehen, in der Hocke oder auf den Knien, wird hier das Bootygame gross geschrieben. "Strafft eure Popetschkas", erklingt es fast schon mütterlich aus Yennis Richtung und so bemühe ich mich mit meinem Hinterteil kräftig durch die Gegend zu fuchteln. Natürlich habe ich die Knieschoner vergessen, die in der Kursbeschreibung als wichtiges Sportutensil aufgelistet waren und so kriege ich für die Bodenübungen rote, kleine Samtkissen, die an diese kitschigen Herzkissen erinnern, die in jedem Geschäft an Valentinstag als Deko im Schaufenster liegen. Wieso Knieschoner wirklich wichtig sind, merke ich, als ich mich dabei versuche, auf dem Boden anständige Bewegungen von mir zu geben, aber mir dabei eher vorkomme wie eine elektrogeschockte Babyrobbe. Ohne diese Kissen wäre ich wohl gerade auf gutem Wege, meine Knie zu malträtieren, da ich meine Knie in die Kissen pressen muss. Ordentliches Twerken ist eben ein richtiges Ganzkörpertraining. Das merke ich auch, als mir nach längerem Rumgewackel die Puste ausgeht und ich kurz durchatmen muss, bevor ich wieder die Kondition finde, weiter zu machen.

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Doch, ich hätte es nicht gedacht, aber nach einigen Wiederholungen der verschiedenen Variationen merke ich, dass mein anfängliches Seelengefühl eines unbeholfenen Robbenbabys langsam verschwindet und ich es tatsächlich schaffe, meine Backen, auch dank dem Korrigieren meiner Position durch Yenni, richtig schwingen zu lassen. Von diesem Zeitpunkt an verschwinden meine anfänglichen Hemmungen und Zweifel, und ich beginne tatsächlich Spass an der Sache zu haben. Mir ist bewusst, dass Twerken von vielen belächelt wird und auch verrucht wirkt. Das hat auch seine Berechtigung. Es sieht ein bisschen lustig aus und ist sehr explizit. Aber verdammt, es macht eben schon Spass, seinen Arsch durch die Gegend zu wackeln.

Da Yenni ihre Wurzeln im HipHop-Tanz hat, wie sie uns zu Beginn der Stunde verkündete, hat sie noch eine kleine Twerk-Choreo vorbereitet, in der alle erlernten Elemente zu noch schlechteren EDM-Tunes in einen Tanz gebracht werden. Ich komme mir dabei ein bisschen lächerlich vor und hätte lieber noch mehr einzelne Basic-Übungen gemacht, um in meinem baldigen Jamaika-Urlaub vielleicht minim mithalten zu können. Aber was soll's, denke ich mir und mache brav mit.

Dass Polefitness anscheinend auch sehr viel mit sich in Szene setzen und Show zu tun hat, merke ich vorallem, als Yenni vorschlägt, in mehreren Durchläufen alles auf Video festzuhalten. Einige setzen dabei aus, inklusive mir. Ich will nicht durch die Kamera vorgehalten bekommen, dass meine Dancemoves dann doch mehr nach Robbe als Miley aussehen. Dabei klettert eine zierliche, junge Frau nonchalant in drei Zügen die Chromstange hoch, verharrt kurz unterhalb der Decke, in dem sie die Pole mit ihren Beinen umklammert, um die Performance von Yenni und einem Miley-Cyrus-Verschnitt mit beeindruckendem Hintern zu filmen. Sie verharrt fast vier Minuten da oben und hält sich praktisch nur mit ihren Bauchmuskeln und Beinen fest, da sie in den Händen das Handy zum Filmen hält. Dabei sieht sie tiefenentspannt und grazil aus, als würde sie gerade auf der bequemsten Couch der Welt chillen. Später versuche ich auch mal, mich mit den Beinen an der Stange festzuhalten. Natürlich nur knapp oberhalb des Bodens und mit Yennis Hilfe, halte es aber nicht lange aus. Nach mehreren Filmdurchgängen sind drauf, die ein Video von sich wollten und es geht zum letzten Teil des Workshops, der gar nicht in der Kursbeschreibung stand, aber wohl auch zum Teil des sich in Szenesetzens gehört: Das Gruppenfoto. Ungefähr zehn Minuten lang wird jede einzelne von uns Teilnehmerinnen von Yenni in die "richtige" Pose gestellt. Sie stellt meine Kollegin und mich Po an Po hin. Nach scheinbar ewigen Rumzupfen und hin- und herrichten, entsteht das Gruppenfoto. Endlich können wir uns aus der angewiesen Pose befreien und unsere Hintern voneinander lösen.

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Als die anderen ihre Stretch Pole-Outftis wieder durch Strassenkleidung ausgetauscht haben, sich bei Yenni für den Vormittag bedanken und ihren Weg nach draussen bahnen, unterhalte ich mich noch kurz mit Yevgeniya Stöcklin und merke, dass ich gar nicht wusste, wen ich da so vor mir habe. Yenni ist nämlich zweifache Schweizermeisterin im Polefitness, Miss Polefitness Zürich, ist bei der deutschen Castinshow Das Supertalent bis in die Liveshows gekommen, sowie auch eine bekannte Trainerin in der Pole-Szene und bereitet ihre Schülerinnen auch auf Meisterschaften vor. Erst jetzt fallen mir die unzähligen Diplome und das Foto mit Dieter Bohlen an der Wand auf.

"Twerking mache sie seit eineinhalb Jahren", erzählt Yenni. Davor habe sie zwölf Jahre HipHop getanzt. "Ich bin in der Ukraine, welche damals noch zur Sowjetunion gehörte, aufgewachsen. Bei uns war es normal, dass jedes Kind einer Sportart nachgeht. So kam ich als Kind schon früh mit Gymnastik, HipHop, Breakdance und Modern Dance in Berührung", erzählt Yenni. Zum Polefitness sei sie durch eine Werbetafel beim Autofahren gekommen. "Ich habe diese Anzeige für Polefitness gesehen und mich gefragt, was denn dahinter steckt. Die Stange verband ich in meinem Kopf immer noch mit dem Rotlichtmilieu und fand eine Frau an der Stange ein bisschen suspekt." Schnell hätte Yenni jedoch gemerkt, dass es wirklich ein seriöser Sport ist und es nicht allein ums Poposchwingen geht.

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Sie sei sehr schnell vorwärts gekommen, war nach nur sechs Monaten Schweizermeisterin. Nachdem sie durch die Castingshow Das Supertalent einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatte, machte sie sich selbstständig und ist mittlerweile Inhaberin von drei Studios.

Eine der Zeitungscollagen von Yennis Erfolgen.

"Ich habe erst mit 27 Jahren mit Pole angefangen. Zuerst dachte ich, dass ich in dem Alter keine Chance hätte. Aber ich habe schnell gemerkt, wenn du regelmässiger trainierst, baust du Kraft auf und wirst beweglicher. Ich war noch nie in einer besseren Form als heute. It's never too late. Pole kann jede Frau schaffen." Twerking-Workshops biete sie an, weil diese in der Schweiz noch nicht so etabliert seien. "Es gibt keine Twerking Kurse, deshalb biete ich die Workshops an und ich will auch damit aufzeigen, dass Twerking sehr anstrengend ist und gar nicht so einfach wie viele meinen."

Als sich hinter mir die Türe des YS Pole-Fitnessstudios schliesst, entgegnet mir der blaue Himmel und die wärmende Mittagsonne. Meine anfängliche Müdigkeit und mein morgendliches Erkältungsgefühl habe ich anscheinend weggeschüttelt. Das Twerken in unseren europäischen Kreisen oft belächelt wird und ein bisschen verpönt ist, liegt sicher vor allem daran, dass wohl die meisten den Tanzstil aus sexistischen HipHop-, Pop- und Dancehall-Videoclips kennen.Während hier oft argumentiert wird, dass Twerking Frauen objektiviert, fühlen sich viele jamaikanische Frauen – die sich in abgefahrenen Dancehall Queen Contests im Twerken messen – dadurch emanzipiert, da sie ihren Körper so zeigen, wie sie es möchten und ihre Reize ausnutzen können.

Obwohl mir persönlich meine Weiblichkeit nie so präsent ist und ich den Twerking-Workshop anfangs eher belächelt habe, fühle ich mich gerade ziemlich stark und empowered in meinem Körpergefühl. Wie ich oben erwähnt habe, konnte ich persönlich die Einstellung der jamaikanischen Frauen auch nie wirklich nachvollziehen. Gerade jetzt aber verstehe ich sie. Beim Twerken führst du mit einem sexualisierten Körperteil Bewegungen aus, die dich selbst darin bestätigen, dass es völlig okay ist deinen Arsch zu zelebrieren.


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