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bataillon d’amour

Mit dem „Bataillon d’Amour“ im Berliner Osten

Tennis Borussia Berlin steht für Kult und gegen Homophobie und Rassismus. Bei einer Auswährtsfahrt im Ostberliner Mahlsdorf wurde uns gezeigt, dass diese Werte auch am Spielfeldrand verteidigt werden wollen.

Berlin, Sonntagmittag 13 Uhr, Treffpunkt Ostkreuz. Erkennungszeichen: Lila-Weiß. Etwa 20 Leute haben sich schon versammelt. Ein paar Jungs begrüßen sich mit Küsschen. Eine junge Frau trägt einen lilafarbenen Jutebeutel mit der Aufschrift „Bataillon d'Amour". Ein älterer Mann hat einen violetten Turnbeutel auf dem Rücken, auf dem „Aus Daffke!" steht: „Aus Trotz", eine Berliner Redensart. Es nieselt, der Wind pfeift zwischen den Bahnsteigen her. Und alle, die sich an diesem Novembertag hier auf Gleis sechs treffen, tragen Lila-Weiß, die Vereinsfarben von Berlinligist Tennis Borussia Berlin.

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Die Fußball-Bundesliga hat an diesem Wochenende spielfrei. Die Berlinliga, das ist die sechste Spielklasse, hat keine Pause. Heute geht es gegen Eintracht Mahlsdorf, auswärts, ein Topspiel. Tennis Borussia tritt als Tabellenführer an. Mahlsdorf ist Dritter.

Auf die S5 Richtung Strausberg Nord warten mittlerweile etwa 50 Leute. Das ist beachtlich: Tennis Borussias Gegner heißen VSG Altglienicke, SC Staaken oder eben Eintracht Mahlsdorf. „Normalerweise haben die Vereine in dieser Spielklasse nicht mal 100 zahlende Zuschauer, die zu den Spielen kommen. Wenn ‚TeBe' kommt, ist es, als sei der Zirkus in der Stadt", sagt Denis Roters, der Pressesprecher des Klubs.

Tennis Borussia hat in den Siebzigerjahren immerhin schon in der Bundesliga gespielt. 1998, unter der Leitung des „Tigers" Hermann Gerland, klopfte der Verein noch mal am Tor zur ersten Liga, rutschte dann aber nach Lizenzentzug und Zwangsabstieg in die sportliche Bedeutungslosigkeit ab. Doch bis heute sind die „Veilchen" ein Publikumsmagnet und haben eine der buntesten Anhängerschaften in Deutschland.

Spätestens seit den Zwanzigerjahren hat Tennis Borussia aus Charlottenburg seinen festen Platz auf der Berliner Fußballlandkarte. Das zeigt der Blick in die Vereinschronik. Anfang des vergangenen Jahrhunderts, am 9. April 1902, gründeten zwölf sportbegeisterte Studenten die „Berliner Tennis- und Ping-Pong-Gesellschaft Borussia". 1903 haben sie den Verein in „Berliner Tennis Club Borussia" umgetauft, doch besonders der Fußball rückte rasch in den Vordergrund. „Borussia", den lateinischen Namen Preußens, wählten die Gründer damals aufgrund ihrer Nähe zur gleichnamigen studentischen Burschenschaft.

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Die S5 fährt ein. Eine Verbundenheit mit Burschenschaften pflegt von den Fans, die in den Waggon einsteigen, sicher keiner. Die TeBe-Fanszene genießt besonders in linken Kreisen einen sehr guten Ruf. In den Neunzigern entwickelte sich eine Subkultur aus alternativen Fans, die keinen Bock auf die prollige Hertha hatten. Bei Tennis Borussia konnte man im Stadion „Fußball ohne Rassismus" in einem „Bunt statt Braun"-Ambiente genießen, wie es schon damals auf Spruchbändern hieß. Dieses Image zieht bis heute viele Leute an.

An den S-Bahn-Fenstern zieht die Stadt, in Grau gehüllt, vorbei. Ein paar der Fans im Waggon wirken verkatert. Es ist ein bisschen wie auf einem Schulausflug: Schnittchen in Alufolie und Äpfel in Tupperdosen.

Nils trägt eine schwarze Mütze von Roter Stern Leipzig und einen lila-weißen Schal. Er ist seit vier Jahren aktiver TeBe-Fan. Er mag „dieses Underdog Ding, für die Kleinen sein." „Hochklassiger Fußball ist es nicht", gibt er zu. „Der läuft auf Sky. Das Gefühl und die Stimmung gibt es aber nicht auf Sky." Wenn Nils den TeBe-Schal trägt, ist das für ihn auch ein politisches Statement gegen Homophobie und Rassismus. Auch Erik gefällt, dass „Vereine – im Idealfall – Antidiskriminierungsarbeit leisten." Der Werder-Fan aus Bremen wohnt erst seit fünf Wochen in Berlin und trotzdem hat er seitdem noch kein Spiel von TeBe verpasst.

Vom S-Bahnhof Berlin-Mahlsdorf geht es mit dem Bus noch tiefer in den Osten der Stadt: Keine Randblockbebauung, kein Supermarkt. Freistehende Häuser und geparkte Rentnerlimousinen, Vorgärten und Maschendrahtzaun. Der „Sportplatz am Rosenhag" ist mitten im Nichts. Der Duft von Grillfleisch und gemähtem Rasen liegt in der Luft. Ein Streifenwagen steht vorm gusseisernen Eingangstor der Sportanlage.

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Mahlsdorf gehört zum Bezirk Marzahn-Hellersdorf, wo die rechte „Bürgerbewegung Hellersdorf" spukt – Tennis Borussia gehört wegen seiner jüdischen Wurzeln und antirassistisch couragierten Fans zum Feindbild der rechten Szene. Bis 1933 wurde dem Verein der höchste jüdische Mitgliederanteil in Berlin nachgesagt, viele der Gründungs- und Vorstandsmitglieder vom 9. April 1902 waren Juden. Für die Fans von Tennis Borussia ist Mahlsdorf „eines der unangenehmsten Auswärtsspiele", wie viele von ihnen sagen. Vor zwei Wochen trafen die beiden Teams hier schon in einem Pokalspiel aufeinander und es habe Provokationen von Rechtsgesinnten gegeben.

Die Mannschaften machen sich warm. Rund um den Platz stehen ein paar Häuser und schauen stumm zu. An den kargen Bäumen klammern sich die letzten Herbstblätter an die Zweige. Der Regen stippelt auf die Werbebanden und den Rasen. „Grässliches Wetter", findet auch der Stadionsprecher. Viele Leute sind schon da: Rentner, Jugendspieler in Trainingsanzügen, Angehörige – das übliche Amateurfußballpublikum.

Eine große Gruppe der TeBe-Fans stellt sich links neben die Trainerbank. Sie wollen ein Zeichen setzen. Sowohl für das Team, als auch gegen Rechts und befestigen mit Gaffertape ein Antifa- und „Fußballfans gegen Homophobie"-Banner am Zaun. Ein paar Mahlsdorfer Ordner mit orangefarbenen Leibchen behalten das im Auge. Eigentlich wollten sie verhindern, dass die „Lila-Weißen" hier stehen. Sie hatten aus Sicherheitsgründen die gegenüberliegende Seite des Platzes für die Fans von TeBe vorgesehen.

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14 Uhr, Anstoß. Das Spiel beginnt. Etwas mehr als 300 Zuschauer sind gekommen, gut die Hälfte davon trägt Lila-Weiß. „We are TeBe! No one likes us, we don't care", rufen sie und singen „TeBe für alle" zur Melodie von „Shalom Alechem".

20. Minute, Fehlpass im Aufbauspiel von Tennis Borussia, ein Mahlsdorfer Spieler mit der Balleroberung. Er schlenzt den Ball über den Torwart ins Netz. 1:0 für Mahlsdorf. TeBe-Trainer Daniel Volbert ist unzufrieden, hadert mit seinen Spielern, die schneller nach vorne spielen sollen: „Backen die da `nen Kuchen, oder was!?" Eine Viertelstunde später gibt es Elfmeter für Tennis Borussia. Der Schütze trifft und es geht mit 1:1 in die Halbzeit. „Atemlos" von Helene Fischer dröhnt über den Sportplatz – Halbzeitshow light. Vor der TeBe-Fangruppe sitzen vier Mahlsdorfer Rentner auf einer Bierbank und trinken Schnaps aus einem Flachmann.

Zwei Polizisten stehen mittlerweile in der Nähe der TeBe-Fans. Die Ordner hatten sich beschwert, dass die Fans nicht im „vorgesehen Bereich" stehen. „Wir machen jetzt hier einen auf Toleranz und dann geht das schon", nuschelt der eine Polizist.

Das Spiel dümpelt in der zweiten Halbzeit vor sich hin. Plötzlich schleicht sich eine Handvoll schwarzgekleideter Personen in den Rücken der Fans von Tennis Borussia. Darunter zwei Aktivisten der islamfeindlichen Bürgerbewegung Hellersdorf. Ihnen kommt gelegen, dass einige TeBe-Anhänger auf der „falschen Seite" stehen. Sie sagen nichts weiter, starren die Fans an, belächeln sie, machen Fotos von ihnen. Es ist eine perfide Provokation. Die TeBe-Fans fühlen sich bedroht und beginnen aufgescheucht „Nazis raus!" zu rufen. Ein mulmiges Gefühl.

Die beiden Polizisten fordern Verstärkung an, auf Wunsch einiger TeBe-Fans, die Angst haben. Die Schwarzgekleideten ziehen sich zum Eingangsbereich zurück und lauern. Das Fußballspiel scheint sie nicht zu interessieren. Es steht kurz vor Schluss immer noch unentschieden. Es fällt fast noch der Siegtreffer für Tennis Borussia, dann ertönt der Abpfiff. Ein Fan fängt an, die Banner einzurollen. Der graue Himmel wird langsam dunkel. Die Mahlsdorfer Rentner nehmen ihre Regenschirme und verstauen den Schnaps in der Westentasche. Die Spieler von Tennis Borussia klatschen mit den Fans ab, bedanken sich für die Unterstützung. Sie triefen vor Regen und Schweiß.

Am Ausgang kommen die TeBe-Fans zusammen. Keiner geht allein. Zu groß ist die Angst. Sie diskutieren das Spiel, bis der Mannschaftswagen der Polizei eingetroffen ist, der sie zur Bushaltestelle geleitet. Der Spuk ist vorbei. Die Stimmung während der Rückfahrt ist gedämpft.

Der Nullachtfuffzehn-Bundesliga-Fan hat heute frei und fragt sich: Wer stellt sich in Gottes Namen an so einem Sonntag stundenlang in den Regen, um dem Gebolze einer Amateurtruppe zuzujubeln? Am kommenden Wochenende fährt er wieder in die überdachte Multifunktionsarena, um seiner Lieblingsmannschaft beim Siegen zuzusehen. Wenn das Wetter genauso schlecht ist, wie heute in Mahlsdorf, guckt er es halt auf „Sky". Nils und Erik, die nach der Auswärtsfahrt am Ostkreuz-Späti noch ein Bier trinken, können da nur mit dem Kopf schütteln.

Ihnen und fast allen, die heute in Mahlsdorf waren, kommt es nicht auf Glitzer, Glanz und große Siege an, sondern auf Identifikation und aktive Teilhabe. Sie unterstützen einen Klub, den sie als weltoffen und tolerant repräsentieren. Die meisten werden in der nächsten Woche auch beim Heimspiel sein, in der übernächsten Woche beim Auswärtsspiel und so weiter. Sie machen das aus Liebe, Überzeugung und auch ein bisschen „aus Daffke".