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man hört nur mit dem herzen gut

Duck Hee Lee ist der weltbeste Tennisspieler seines Jahrgangs—und taub

Der junge Koreaner erklärt uns, warum er beim Tennis seine Gehörlosigkeit als Segen und nicht etwa als Fluch empfindet.
Photo via Duck Hee Lee

Bei den Seoul Open stehen die Viertelfinalpaarungen an und plötzlich herrscht auf den ansonsten nur mäßig gefüllten Tribünen ein reges Treiben. Auf dem Center Court bereitet sich derweil der Japaner Go Soeda auf seinen nächsten Gegner vor. Obwohl nur die Nummer 85 der Welt, gilt Soeda für die Veranstalter schon als ziemlich dicker Fisch, ist das Turnier in Korea doch Teil der nur zweitrangigen ATP Challenger Tour. Auf der spielen für gewöhnlich Spieler, die außerhalb der Top 100 der Weltrangliste stehen. Doch das stärker werdende Zuschaueraufkommen hat weniger mit Soeda als mit seinem Gegner zu tun.

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Der heißt Duck Hee Lee und ist gerade mal 16 Jahre alt. Und gilt als das größte Tennistalent Südkoreas.

Und das aus gutem Grund. Denn Lee ist in seinem Jahrgang der beste Tennisspieler der Welt. In einem Alter, wo die meisten Spieler lieber noch für ein paar Jährchen Jugendturniere spielen, kann Lee schon auf eine zweijährige Profikarriere zurückblicken. Mit vier Turniersiegen auf dem Buckel steht er kurz davor, in die Top 300 der Welt vorzudringen. Und das alles, obwohl Lee seit seiner Geburt taub ist.

„Die Leute beschreiben Taubheit als Behinderung, doch das stört mich nicht, für mich ist es mein größter Vorteil gegenüber den anderen Spielern", erzählt er mir. „Ich sehe es eher als besondere Gabe, die normale Spieler nicht haben. Ich lasse mich während eines Spieles beispielsweise nicht so leicht ablenken, weder vom Publikum noch von meinem Gegner. Ich kann mich also viel mehr auf mein eigenes Spiel konzentrieren."

Schaut man Lee dabei zu, wie er sich mit dem 14 Jahre älteren Soeda packende Ballwechsel von der Grundlinie liefert, wird klar, was er mit Taubheit als Ruhepol meint. Er wirkt weitestgehend unberührt, als um ihn herum die Zuschauer in Jubelstürme ausbrechen, nachdem ihm mal wieder ein toller Schlag gelungen ist. Und auch als sein Gegner nach verpatzter Vorhand seinen Frust rausschreit, wirkt er komplett gleichgültig. Am Ende sollte es gegen den Japaner noch nicht ganz reichen, auch wenn es zwischenzeitlich schon nach der großen Sensation aussah.

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„Ducks größter Vorteil ist seine mentale Stärke", findet Danai Udomchoke, ein früherer Profispieler aus Thailand, der es einmal bis in die dritte Runde der Australian Open geschafft hat. „Er schafft es, die Konzentration über längere Zeit hoch zu halten, was ihn zu einem sehr stabilen Spieler macht. Er trainiert extrem hart und ist ein Kämpfertyp, die keinen Punkt verloren gibt. Für sein Alter sind das echt außergewöhnliche Eigenschaften."

Foto: Duck Hee Lee via Facebook

Udomchoke und andere glauben, Lees ausgesprochene Reife habe vor allem damit zu tun, dass er nicht zulassen wolle, dass ihn die Taubheit beim Erfüllen seiner Träume im Weg steht. Auch wenn es gehörlosen Spielern generell zusteht, an ATP-Turnieren teilzunehmen, ist er aktuell der einzige, der das auch tut. Die meisten beklagen Schwierigkeiten beim richtigen Timing. Manche haben auch Gleichgewichtsprobleme. Darum gibt es für gehörlose Tennisspieler auch eigene Turniere. Im Juli dieses Jahres findet zudem in Großbritannien die erste Tennis-WM für Gehörlose statt.

Timing ist eine der wichtigsten Faktoren beim Tennis. Die Fähigkeit, den Ball—unabhängig von seiner Geschwindigkeit—im richtigen Moment zu treffen, ist eine der größten Herausforderungen, die Profis von Amateuren unterscheidet. Wenn Tennisspieler noch im Kindesalter sind, achten Trainer und Scouts bei der Talentauslese vor allem auf deren Timing. Und was das richtige Timing angeht, ist vor allem eins wichtig: ein gutes Gehöhr: Fast alle Spieler lernen, ihre Schläge zu timen, indem sie auf das genaue Schlaggeräusch achten. Das hilft ihnen dabei, die Geschwindigkeit und Flugrichtung des Balls besser einzuschätzen.

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All das ist Lee natürlich fremd. „Ich bin seit meiner Geburt taub, also habe ich keine Ahnung, wie sich das anhört, den Ball mit dem Schläger zu spielen", sagt er. „Ich habe beim Tennis relativ schnell meine eigenen Methoden entwickelt. Ich kann den Ball zwar nicht hören, ihn dafür aber gewissermaßen spüren. Mit meinem sehr gut ausgeprägten Sehvermögen und Körpergefühl mache ich das Hörhandicap wieder wett. Ich kann über die Körperhaltung meines Gegners viel über seinen nächsten Schlag ablesen. Meine Augen ersetzen meine Ohren."

Lee war sieben, als er zum ersten Mal einen Schläger in den Händen hielt. Mit seinen schnellen Händen, seiner guten Ausdauer und dem starken Return fiel er schnell auf. Schon mit acht Jahren durfte er auf einem Showevent in Seoul Rafael Nadal und Roger Federer kennenlernen—ein Ereignis, an das er sich immer noch gerne erinnert. Vier Jahre später gewann er das prestigeträchtige Eddie Herr International Junior Tournament in Florida, bei dem die Weltbesten ihrer Altersgruppe zusammenkommen.

Wenn Lee unterwegs ist, sind stets auch sein Trainer und sein Manager an seiner Seite. Auch sein Vater fährt, so oft er nur kann, zu den Turnieren seines Sohnes. Im Alter von 14 Jahren sicherte sich Lee bei einem kleinen Turnier in Japan seinen allerersten Weltranglistenpunkt. Das Turnier hat zwar nicht gerade die Crème de la Crème des Tenniszirkus anlocken können, dennoch ist Lees erstes kleines Ausrufezeichen nicht unbemerkt geblieben. Denn kein Geringerer als Rafael Nadal hat dem jungen Südkoreaner seine Glückwünsche getwittert.

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Doch schon schnell warteten neue Hindernisse auf ihn. Denn bei unterklassigen Turnieren gibt es oft weder Schieds- noch Linienrichter. Stattdessen müssen die Spieler selbst angeben, ob ein Ball im Aus war oder wie der Zwischenstand lautet. Doch da er das natürlich nicht hören kann, haben ihn einige seiner Gegenspieler in der Vergangenheit schon um etliche Punkte betrogen, vor allem bei engen Spielständen. „Ich habe irgendwann einfach akzeptiert, dass auch beim Tennis beschissen wird", erzählt Lee. „Natürlich regt mich das immer noch sehr auf, auch wenn ich das normalerweise immer erst nach dem Spiel erfahre."

Doch auch wenn Schieds- und Linienrichter von der Partie sind, läuft nicht immer alles reibungsfrei, was vor allem an Kommunikationsproblemen liegt. Lee kann zwar relativ gut Lippenlesen, doch er hört natürlich nicht, wenn ein Ball aus gegeben wird. Also spielt er oft weiter, bis ihm sein Team oder der Schiedsrichter zuwinkt, dass das Spiel schon längst unterbrochen wurde. Auch Doppel können knifflig sein, was die Kommunikation betrifft.

Lees Erfolg im letzten Jahr hat ihn davon träumen lassen, es schon bald seinem Freund aus Kindheitstagen, den bereits 19-jährigen Hyeon Chung, nachzumachen, der mittlerweile zu den Top 100 gehört. Chung hat dieses Jahr sogar schon im Hauptfeld der French Open gestanden. Doch Udomchoke betont, dass Lee noch viel Arbeit bevorstehe, bis er so weit wie Chung ist.

„Aktuell ist er der beste Spieler seiner Altersklasse, aber um wirklich um Titel auf der Challenger Tour mitspielen zu können, muss sein Spiel noch aggressiver und kraftvoller werden", findet Udomchoke. „Er ist zwar für einen 16-Jährigen schon sehr kräftig, doch an seinem Aufschlag und seiner Beweglichkeit muss er noch arbeiten. Er zeigt ein gutes Grundlinienspiel, hat aber noch Luft nach oben, was das Spiel am Netz betrifft. Doch da er noch jung ist, kann man da noch viel machen."

Doch wer so viel trainiert und rumreist, kann gleichzeitig keine Zeit für die Schule haben. Und das scheint ihm nicht nur zu gefallen: „Ich habe keine Chance, in die Schule zu gehen, weil ich auf der ganzen Welt Turniere habe. Darum vermisse ich auch sehr meine Freunde von zuhause. Die behandeln mich wie einen ganz normalen Mitschüler", sagt er. „Die achten gar nicht mehr auf meine Behinderung, auch die Kommunikation mit denen klappt super. Mit denen ist es so, wie wenn ich auf dem Tennisplatz stehe."

Lees großes Talent hat ihm in seiner Heimat schon so einige Fans beschert. Und auch wenn es ihm gefällt, dass ihn einige Leute als inspirierendes Beispiel dafür sehen, wie man einer Behinderung erfolgreich trotzen kann, betont er stets, dass er nicht aus den falschen Motiven gefeiert werden möchte: „Ich will als guter Tennisspieler Anerkennung finden und nicht etwa als Gehörloser, der gut Tennis spielen kann."