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Was zur Hölle ist in Südsudan los?

Die Angaben über die Zahl der Opfer variieren beträchtlich. Dienstag sprach der Informationsminister von 72 toten Soldaten. Mittwoch stieg die Zahl erneut an—zwei Krankenhäuser zählten zwischen 400 und 500 Toten und 800 Verletzten. Aber was ist...

SPLM-Soldaten in Südsudan. Foto via Wikipedia Commons

Als am Dienstag die Dämmerung in Juba anbrach, hofften die Einwohner der südsudanesischen Hauptstadt, dass es in dieser Nacht nicht zum dritten Mal in Folge zu Schießereien kommen würde. Die Gewalt zwischen den rivalisierenden Armeefraktionen droht, sich auf andere Teile des jüngsten Landes der Welt auszuweiten. Die monatelangen Spannungen innerhalb der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLM)—der früheren Widerstandsbewegung und nun herrschenden Partei des Landes—übertrugen sich am späten Sonntagabend auf die Armee des Landes. Aus der Hauptkaserne in Juba dröhnte der Lärm eines schweren Waffengefechts, und weitere Schusswechsel am Montagmorgen bestätigten, dass es sich hierbei nicht nur um versehentlich explodierte Munition oder um die Gefechte von ein paar betrunkenen Soldaten handelte. Natürlich dauerte es nicht lange, bis sich in der Stadt die Gerüchte verbreiteten. Daraufhin tauschte Präsident Salva Kiir seinen Cowboyhut gegen eine volle Militärmontur aus und gab eine Pressekonferenz. Kiir deutete an, dass abtrünnige Soldaten versucht hatten, die Macht zu ergreifen, und gab bekannt, dass es in der Präsidentengarde zum Bruch zwischen loyalen Gefolgsleuten und Anhängern seines ehemaligen Stellvertreters und Rivalen Riek Machar gekommen war. In der Stadt Bor des Bundesstaats Jonglei wurden zentrale Militäreinrichtungen angegriffen, wodurch jene Soldaten, die dem Präsidenten und seiner Regierung loyal gegenüberstanden, die Flucht ergreifen mussten.

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Präsident Kiir bei einer Pressekonferenz am Montag. Foto vom offiziellen Twitter-Account der Regierung

Ein Entwicklungshelfer, der nicht namentlich genannt werden möchte, berichtete mir per E-Mail, dass die schweren Spannungen zwar später am Montag abgeklungen seien, am Dienstagmorgen jedoch wieder neue Kämpfe ausbrachen. Da die Telefonleitungen nur zeitweise funktionierten, informierten sich die Einwohner, die Internetzugang hatten, mit Hilfe von sozialen Medien. Die Angaben über die Zahl der Opfer variieren beträchtlich, selbst die der Regierung. Dienstag sprach der Informationsminister von 72 toten Soldaten, Kiirs Sprecher dagegen von über 40 Toten, worunter angeblich keine zivilen Opfer gewesen seien. Mittwoch stieg die Zahl erneut an—zwei Krankenhäuser zählten zwischen 400 und 500 Toten und 800 Verletzten. Diese Zahlen stammen von den Vereinten Nationen. Die südsudanesische Regierung verkündete über ihren offiziellen Twitter-Account, dass „zehn Personen verhaftet wurden, die mit dem gescheiterten Putschversuch zu tun hatten“. Machar und andere seien jedoch noch immer „auf freiem Fuß“.

Juba, die Hauptstadt von Südsudan. Foto von Aris Roussinos

Wodurch genau die Kämpfe vom Sonntag ausgelöst worden sind, ist noch immer umstritten. Machar, dessen Lager am Dienstag von der Armee unter Beschuss genommen wurde, wies Verwicklungen in den sogenannten Staatsstreich kategorisch zurück. Er bezeichnete das Ganze als einen weiteren undemokratischen Versuch Kiirs, sich politische Kritiker innerhalb der Partei und in der Regierung vom Hals zu schaffen. Einen Putsch habe es nie gegeben, sagen Kritiker Kiirs. Vielmehr habe es sich um einen spontanen Kampf gehandelt, der ausbrach, weil einige Offiziere den Befehl verweigert hatten, die politischen Gegner des Präsidenten zu verhaften. Dienstagabend schien es, als hätte Kiir seinen Willen bekommen. Mehr als zehn hochrangige SPLM-Angehörige—darunter sechs ehemalige Minister und der suspendierte Generalsekretär der Partei—sind verhaftet worden. Der Sprecher der südsudanesischen Armee Philip Aguer beharrte darauf, dass den „Sicherheitsbehörden Beweise vorliegen“, dass es sich bei den Kämpfen um einen Staatsstreich gehandelt habe. Er fügte hinzu, dass auch „der Versuch, die Hauptquartiere der Präsidentengarde zu besetzen“ als solcher interpretiert werden könnte. „Es ist kein Stammeskrieg“, sagte er mir in Bezug auf Berichte, denen zufolge sich Kämpfe zwischen Soldaten der Dinka (der Ethnie Kiirs) und der Nuer (der Ethnie Nuers) entwickelt hätten.

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Zivilisten flüchten vor den Kämpfen.

Indem er Machar als „Propheten des Untergangs“ bezeichnete und ankündigte, dass er „es nicht erlauben [wird], dass sich die Vorfälle von 1991 wiederholen“, beschwor Kiir die Erinnerung an die extreme Gewalt zwischen den Ethnien der Dinka und der Nuer während des Bürgerkrieges, bei dem um die zwei Millionen Menschen getötet wurden, jedoch geradezu herauf. Im achten Jahr seines zwanzigjährigen Konflikts mit der sudanesischen Regierung hatte Machar versucht, Kiirs Vorgänger John Garang zu verdrängen. Doch seinem Anliegen mangelte es an der notwendigen Dynamik, und so gelang es ihm nur, einige Nuer-Führer und ein paar andere zu überzeugen, sich seinem Lager anzuschließen. Obwohl die Differenzen zwischen den beiden Gruppen ursprünglich politischer Natur waren, nahmen die Gefechte bald ethnische Züge an—besonders bei dem „Massaker von Bor“ im Jahr 1991, bei dem Machars Splittergruppe 2.000 Dinka-Zivilisten tötete. Nach einem Flirt mit der Regierung in Khartum—der Regierung, die damals den gesamten Sudan regierte—, trat Machar 2002 wieder in die SPLM ein. Diesen Schachzug hat ihm kaum ein politischer Gegner je verziehen. Wenige Tage nach der Unabhängigkeit Südsudans entschuldigte sich Machar im August 2011 bei einem privaten Treffen im Haus von Garangs Witwe Rebecca für den Angriff auf Bor. In den letzten zwei Jahren ist Rebecca eine der schärfsten Kritiker Kiirs geworden. Sie gesellte sich auf die Seite von Machar und den anderen Unzufriedenen der SPLM, die Kiir vorwerfen, die junge Nation in die falsche Richtung gelenkt zu haben. Am Dienstagabend war sie angeblich eine der wenigen Anführer, die nicht inhaftiert wurden—stattdessen wurde sie in Juba unter Hausarrest gesetzt, der von Soldaten gesichert wurde. Als eine Art Sprachrohr seiner Mutter schimpfte Mabior Garang auf Facebook über Kiirs „Arbeit im Inneren“, die ihm zufolge „darauf ausgerichtet [ist], Spaltungen zwischen den Stämmen anzufachen“. Die politischen Gefangenen sind „hochrangige SPLM-Mitglieder, die alle Regionen der Republik Südsudan repräsentieren. Sie sind keine Nuer-Politiker, wie Salva Kiir es darzustellen versucht“, schrieb er.

Präsident Kiir in nicht-militärischer Kleidung bei einem Treffen mit einem Kuweiter Würdenträger, das im letzten Monat stattfand. Foto vom offiziellen Twitter-Account der Regierung

Die Sudanexpertin Sara Pantuliano versicherte mir, dass es „sehr untypisch“ wäre, sollte Machar die gegenwärtige Krise tatsächlich angestiftet haben—insbesondere, weil er den Vorsitz der SPLM anstrebt und hofft, für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2015 zu kandidieren. „Salva Kiir profitiert davon, dass man die Sache als ,Putsch‘ bezeichnet, aber es sieht eher nach spontanen Gefechten innerhalb der Präsidentengarde aus, die außer Kontrolle gerieten und eskalierten“, sagte Pantuliano. Jegliche Gegnerschaften wären eine Enttäuschung für die Sudanesen, die darauf gehofft hatten, dass Kiir die politischen und ethnischen Gruppen in Südsudan miteinander versöhnen könnte. Pantuliano erklärt, Kiir sei im letzten Jahr zu einem „völlig anderen Politiker“ geworden, was ihr zufolge daran liegen könnte, dass seine Berater ihn „von der Realität dieses Landes abgeschnitten haben“. Während Kiir letzte Woche die Beerdigung von Nelson Mandela in Südafrika besuchte, konfiszierten seine Sicherheitsbehörden die Ausgaben einer kritischen Zeitung und verhafteten den Herausgeber. Seinen Gegnern zufolge scheiterte Kiir neben der Gewährleistung der Pressefreiheit auch bei der Bekämpfung von Korruption, Unsicherheit, Menschenrechtsverletzungen und ähnlichen Problemen. Die Folgen dieser Krise sind schwerwiegend: Momentan suchen rund 16.000 Menschen Schutz in den UN-Quartiere in Juba. Pantuliano, die Leiterin der Gruppe für Humanitäre Politik des britischen Overseas Development Institute, erzählte mir, dass sie große Sorge hat, dass sich die Situation weiter verschlimmert. Sie sagte, dass Länder mit langjährigen Beziehungen zum Südsudan dabei helfen müssen, einen Dialog in Gang zu setzen, da es unklar ist, ob die nationalen Kräfte hierzu in der Lage sind. Außerdem fragte sie, warum angesichts der starken Kapitel-VII-Mandate der Vereinten Nationen zum Schutz der Zivilbevölkerung auf den Straßen von Juba keine Friedenstruppen der UN eingesetzt werden. Die Leiterin der UN-Mission, Hilde Johnson, forderte alle gegnerischen Parteien dazu auf, ihre Interessen zurückzuhalten und auf eine Einigung hinzuarbeiten.