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Der Großeinsatz der Polizei in Ottakring am 8. Mai wirft einige Fragen auf

Die Polizei rückte nach einer spontanen Demonstration mit einem Hubschrauber, Hundestaffel und einem Räumpanzer an. Warum, weiß keiner.
Foto: Nathan Spasić​

Am Abend des 8. Mai kam es rund um den Yppenplatz im 16. Wiener Gemeindebezirk zu mehreren Ereignissen, die einen Großeinsatz der Wiener Polizei und der Sondereinheit WEGA auslösten.

Noch am späten Sonntagabend veröffentlichten einige Medien—darunter der Standard, Heute, Österreich und Krone—Berichte zu dem Einsatz. Das ging wie so oft ziemlich schnell; aber es waren auch ziemlich viele seltsame Meldungen, die ein verzerrtes Bild auf die tatsächlichen Ereignisse warfen. Wir waren von Beginn an vor Ort und werden deshalb hier versuchen, den gestrigen Abend zu rekonstruieren, um einige offene Fragen zu klären und ein paar Dinge richtigzustellen.

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Der 8. Mai am Yppenplatz und ein Mord in der Brunnengasse

Foto: Nathan Spasić

Der Grund für den Bahö am Sonntagabend am Yppenplatz ist schnell erklärt: In der Nacht vom 3. auf den 4. Mai wurde am Brunnenmarkt in Wien-Ottakring eine 54-jährige Frau grundlos von einem psychisch kranken Kenianer mit einer Eisenstange erschlagen. Der Mann lebte trotz eines ausgelaufenen Touristenvisums und mehrerer bekannter Vorfälle als Obdachloser in Wien.

Die rechtsextreme Identitäre Bewegung rief kurz nach der schockierenden Bluttat zu einer Mahnwache am Tatort in der Brunnengasse auf und versuchte, den brutalen Mord für ihre Agenda zu instrumentalisieren. Mit Sprüchen wie "Maria war eine von uns. Kein Vergeben, kein Vergessen", "Der Mord in Ottakring hat Maria getroffen aber gemeint sind wir alle!", "Unsere eigenen Städte werden dank Van der Bellen und Co zu zu Vergewaltigungs- und Todeszonen" und "Maria E. ist ein Opfer der Multikulti-Politik" versuchte die neofaschistische Bewegung außerdem, eine Petition zur Abschiebung des Mörders von Maria E. zu verbreiten.

Nicht nur, um der rassistischen Vereinnahmung des völlig unpolitischen Mordes durch die Identitären entgegen zu treten, sondern vor allem auch, um einer Bewegung, die gute Kontakte zur österreichischen Neonaziszene pflegt, am Tag der Befreiung von der deutsch-österreichischen Vernichtungspolitik keinen Raum zu geben, mobilisierten linksradikale und antifaschistische Gruppen ebenfalls zum Yppenplatz. Aufgrund dieser antifaschistischen Intervention wurde die rechte Mahnwache von den Identitären selbst bereits am 6. Mai um 19:03 Uhr via Facebook-Posting abgesagt.

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Die Spontandemonstration der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Foto: Nathan Spasić

Unter dem Motto "Gegen die Vereinnahmung des 8. Mai! Für das Leben, gegen den Tod" riefen antifaschistische Gruppen zu einer spontanen Demonstration um 19:30 Uhr am Yppenplatz auf. Zirka 150 Menschen folgten dem Aufruf.

Eine Mahnwache der Identitären fand, entgegen anders lautender Medienberichte, zu keinem Zeitpunkt statt. Nur Markus Ripfl, Burschenschafter und RFJ-Landesgeschäftsführer in Niederösterreich, kam gegen 19:40 Uhr in Begleitung mehrerer Freunde auf den Yppenplatz, um "eine Kerze zu entzünden", wie er auf Twitter erklärte.

Foto: Nathan Spasić

Ripfl und seine Begleiter wurden tatsächlich sofort verbal und physisch attackiert und vertrieben. Ein oder sogar mehrere Baseballschläger, die von einigen Medien und auch der Polizei erwähnt wurden, waren aber den ganzen Abend über auf keiner der beiden Seiten zu sehen. Vereinzelt wurden zwar pyrotechnische Gegenstände abgebrannt und ein Begleiter Ripfls zog einen Pfefferspray. Verletzt wurde aber sowohl von den Rechten als auch von den Linken niemand.

Ein Begleiter Ripfls zieht einen Pfefferspray. Foto: Kurt Prinz

Um etwa 19:50 Uhr setzte sich dann ein spontaner Marsch der Antifaschistinnen und Antifaschisten in Bewegung, der gute 10 Minuten und 650 Meter durch das Brunnenviertel zog. Dabei wurden auch zwei kleine Barrikaden—in Form einer umgekippten Mülltonne und eines auf die Straße gezerrten Bauzauns—errichtet.

Erst als die Demonstration schon etwa fünf Minuten unterwegs war und bereits wieder Richtung Yppenplatz marschierte, tauchten die ersten Polizeieinheiten auf. Bis zu diesem Zeitpunkt war am gesamten Yppenplatz und auch in den Straßen rundherum keine Polizeipräsenz zu spüren.

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Route des spontanen Demonstrationszuges | Grafik via Google Maps

Trotzdem sprach Polizeipressesprecher Paul Eidenberger später davon, dass aufgrund der angemeldeten Kundgebung der Identitären und der spontanen Gegenveranstaltung "davon auszugehen war, dass es auch zu Gewalttätigkeiten kommen könnte" und deshalb ein "großer Polizeieinsatz ausgerufen wurde".

Wenn man der Exekutive grundsätzlich genug Kompetenz zuspricht, dass sie bei einer Mahnwache der Identitären Bewegung am 8. Mai (dem Tag der Befreiung) mit Gegenprotesten rechnet, tut sich aber die Frage auf, warum nicht schon von Beginn an Polizeieinheiten am Yppenplatz präsent waren, um mögliche Zwischenfälle zu verhindern. Laut Eidenberger wusste man bei der Polizei nicht, dass die Mahnwache abgesagt wurde. Die zweite Möglichkeit wäre also, dass Eidenberger lügt, die Polizei sehr wohl wusste, dass die Veranstaltung von den Identitären abgesagt wurde und deshalb keine Einheiten vor Ort waren.

WEGA, Hubschrauber, Hunde, ein Panzerwagen und der Umgang der Wiener Polizei mit Pressevertretern

Foto: Nathan Spasić

Was dann folgte, war an Absurdität kaum zu übertreffen. Gegen 20:00 Uhr endete die spontane Demonstration am Yppenplatz. Es wurde noch ein Redebeitrag verlesen, in dem sowohl der 8. Mai, als auch der Mord an Maria E. thematisiert wurde und zu dezentralen Aktionen gegen den identitären Aufmarsch am 11. Juni aufgerufen wurde.

Gegen 20:10 Uhr verstreute sich die Menge langsam. Einige traten den Heimweg an, andere ließen sich in den Gastgärten der Lokale am Yppenplatz nieder und wieder andere standen in kleinen Grüppchen herum und tranken Dosenbier. Die Stimmung war sehr entspannt. Auch die etwa 30 Polizisten, die die Demonstration am Ende begleitet hatten, wurden immer weniger. Vorerst.

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Auch ich wollte mich gerade ohne großartige Story auf den Weg nach Hause machen, als ich mitbekam, dass angeblich irgendwas in der Veronikagasse—etwa zwei Gehminuten vom Yppenplatz entfernt—vor sich gehen sollte.

Was ich in der Veronikagasse sah, war dann aber doch skurriler, als erwartet. Hier stand jener grüne Räumpanzer, der zuletzt bei der Räumung der Pizzeria Anarchia zum Einsatz gekommen ist. Rundherum hatten sich bereits einige Anrainerinnen und Anrainer versammelt, die kopfschüttelnd das monströse Gefährt begutachteten. Währenddessen kreiste seit guten fünf Minuten ein Polizeihubschrauber über dem Brunnenviertel.

Foto: Nathan Spasić

Mittlerweile war es circa 20:30 Uhr und die Demo längst vorbei. Trotzdem nahm plötzlich die Polizeipräsenz enorm zu. Immer mehr Autos rasten mit Blaulicht Richtung Yppenplatz und Brunnenviertel. Polizeihunde kläfften in der Brunnengasse. WEGA-Beamte mit Stahlhelmen liefen gestresst herum, Straßenabschnitte wurden abgesperrt. Auch Rettung, Notfall-Sanitäter und ein Katastrophenzug standen in der Ottakringerstraße bereit.

Was war passiert? Das fragte sich zu diesem Zeitpunkt so ziemlich jeder. Bewohner der Veronikagasse spekulierten darüber, dass der Großeinsatz mit einer nahe gelegenen Moschee zu tun haben könnte. Ein Verkehrspolizist sagte gegenüber VICE, dass er und sein Kollege zwar wegen einer Demonstration gerufen wurden, jetzt aber "was Größeres" passiert wäre. Ich hatte kurz den Gedanken, ob vielleicht das Kunst- und Kulturzentrum mo.ë in der ebenfalls nahen Thelemangasse geräumt werden würde.

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Polizei rüstet sich bei Antifa-Mahnwache zum 8. Mai am — WienTV (@WienTV)8. Mai 2016

Erst eine Stunde später stellte sich heraus: Der martialische Polizeiaufmarsch fand tatsächlich wegen der schon seit über einer halben Stunde beendeten Spontandemonstration statt. Ich habe zum ersten Mal um 20:53 Uhr versucht, den Journaldienst der Polizei-Pressestelle zu erreichen. Wie viele andere Kolleginnen und Kollegen landete ich in der Mobilbox. Es folgten noch mehrere vergebliche Versuche, die Pressestelle zu erreichen.

Erst nach 20:30 Uhr traf schließlich Polizeipressesprecher Paul Eidenberger am Yppenplatz ein. Eidenberger schien selbst nicht genau zu wissen, was es mit dem Einsatz auf sich habe. Er sprach lediglich von notwendigen Maßnahmen, um "Angriffe auf Leib und Leben und Sachbeschädigungen zu verhindern". Auf die Frage, wie der Räumpanzer eingesetzt werden sollte, antwortete Eidenberger: "Welcher Räumpanzer?" Als ich ihn auf den Räumpanzer, der ums Eck stand, hinwies, meinte er: "Ah der! Vergessen Sie den und gehen Sie einen Chai-Latte trinken."

Aber wie das mit dem Vergessen nun mal so ist, funktioniert es leider nicht immer auf Knopfdruck. Stattdessen hatte ich am Ende des Abends noch mehr Fragen. Zum Beispiel, warum ein Polizeipressesprecher mit solchen Aussagen auf relativ naheliegende Fragen von Vertreterinnen und Vertretern der Presse reagierte. Oder wieso der Journaldienst während eines solchen Großeinsatzes nicht erreichbar war. Und nicht zuletzt, warum die verunsicherten Anrainerinnen und Anrainer zu keinem Zeitpunkt informiert wurden, was eigentlich vor sich ging.

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Nach Intervention von Birgit Hebein, Polizei zieht wieder ab. — Daniel Hrncir (@Daniel_Hrncir)8. Mai 2016

Gegen 22:00 Uhr zog sich die Polizei schließlich aus dem Grätzl zurück, nachdem auch Birgit Hebein, Sozialsprecherin der Wiener Grünen, interveniert hatte. "Ich wurde beim Fest der Freude am Heldenplatz mit Besorgnis davon informiert, dass bei der Kundgebung am Yppenplatz ein Panzer, ein Hubschrauber und Hundestaffeln im Einsatz sind, war aber selbst erst um 20:40 Uhr vor Ort", erzählt Hebein. Den Polizeieinsatz bezeichnet sie gegenüber VICE als "völlig unverhältnismäßig".

Während die Kronen Zeitung in ihrem Artikel noch suggerierte, dass 120 Antifaschisten mit Baseballschlägern in Ottakring aufgetaucht wären, hat Polizeipräsident Pürstl im Gespräch mit Birgit Hebein inzwischen bestätigt, dass bei den Antifaschistinnen und Antifaschisten, anders als medial kolportiert, keine Baseballschläger gesichtet wurden und schon gar nicht beschlagnahmt wurden. "Es muss meiner Meinung nach noch geklärt werden, warum einer der drei Identitären bei der Veranstaltung eine Waffe, nämlich einen Pfefferspray, verwendete", sagt die grüne Sozialsprecherin.

Der gesamte Einsatz zeugt jedenfalls entweder von einer katastrophalen Informationspolitik auf Seiten der Wiener Polizei, oder davon, dass es hier zu massiven Schwierigkeiten in der internen Informationskette gekommen ist. Anders ist nur schwer erklärbar, dass während der Demonstration kaum Polizei präsent war, eine Stunde nach ihrem Ende aber eine Leistungsschau gestartet wurde, die man sonst nur am 26. Oktober geboten bekommt. Aber vermutlich sollte ich nicht so viel fragen und lieber einen Chai-Latte trinken gehen.

Paul hat auch gestern schon live vom Einsatz auf Twitter berichtet: @gewitterland


Titelbild: Nathan Spasić