FYI.

This story is over 5 years old.

Popkultur

Die Coens machen einen Film über Folk, bei dem nichts Bemerkenswertes passiert

Ein Film, in dem nichts Bemerkenswertes passiert, mit einem Hauptdarsteller, der auch nichts macht, das besonders bemerkenswert wäre—ein Coen-Film? Absolut.

Als ich die Einladung bekomme, nach London zu fliegen, um dort die Coen-Brüder zu ihrem neuen Film zu interviewen, ist meine Antwort nicht mehr als ein Reflex. Die COEN-BRÜDER! Erschaffer von The Big Lebowski, Fargo, No Country For Old Men, O‘ Brother Where Art Thou, True Grit. (OK, Letzteres war ein Remake—aber was für eins!)

Normalerweise beschäftige ich mich beruflich nicht mit Filmen, sondern mit Musik. Da hätte ich schon stutzig werden können. Als ich Minuten nach meiner Instant-Zusage den Trailer sehe, werde ich es dann auch. Moment, das soll ein Coen-Brothers-Film sein?

Anzeige

Inside Llewyn Davis ist ein Film über einen Musiker—Llewyn Davis—, der sich Anfang der 60er Jahre mit Folk in New York durchzuschlagen versucht. Ein Musikfilm. Folk. Wenig Gewalt, keine Waffen, keine versehentlichen oder beabsichtigten Erschießungen von Menschen, die zufällig am falschen Ort sind, und kein Gepisse auf irgendwelche bekackten Teppiche. Ein Coen-Film? Auf den ersten Blick schwer zu glauben.

Aber es gibt ja noch einen zweiten Blick. Und in diesem Fall gibt es sogar ein Gespräch mit den Regisseuren und dem Hauptdarsteller Oscar Isaac. Die Interviews finden in einem Hotel in einer engen Seitenstraße in Soho statt, von außen wirkt es klein, verwinkelt und dunkel. Von innen dagegen überraschend geräumig, hell, modern. Die Coens haben eine halbe Etage für sich, dort wechseln sie zwischen den Räumen hin und her, in denen immer schon die Journaille wartet.

Kann eigentlich nicht gut werden, denke ich. Die Coens sind nicht gerade dafür bekannt, die einfachsten Interviewpartner zu sein. Vielleicht ist es auch einfach Gerede, gepaart mit Nervosität, denn während ich schon jeder Menge bekannter Musiker begegnet bin, habe ich noch nie jemanden getroffen, der einen Oscar im Schrank stehen hat. Geschweige denn vier.

Zuerst treffe ich allerdings auf den Hauptdarsteller Oscar Isaac, der (noch) keinen Oscar im Schrank hat. Wir reden hauptsächlich über Musik, schließlich glänzt Isaac in Inside Llewyn Davis musikalisch mindestens genauso wie schauspielerisch. Schon die erste Szene des Films geht so tief unter die Haut, dass es schmerzt: Llewyn Davis sitzt auf der Bühne eines kleinen New Yorker Clubs und singt die alte amerikanische Volksweise „Hang Me, Oh Hang Me“.

Anzeige

Ich frage ihn, warum ausgerechnet die Coens einen Film über Folk machen? Folk sei unheimlich wichtig in der amerikanischen Kultur, sagt er. „Es ist der größte Export, den Amerika je hatte.“ Aber ist es nicht ungewöhnlich, dass diese beiden einen Musikfilm machen? Inside Llewyn Davis ist gar nicht wirklich ein Musikfilm, sagt er, eher eine Charakterstudie. Die Hauptperson ist halt ein Musiker.

Ist es also ein Film in der Tradition der Coen-Filme über Loser und Arschlöcher? Irgendwie ja. Der Begriff „Loser“ ist im Deutschen allerdings ausschließlich negativ konnotiert, die Loser bei den Coens sind dagegen genau das, was das Wort bedeutet: Verlierer. Deswegen sind sie nicht gleich Arschlöcher, meist sind diese Verlierer der Gesellschaft sogar ganz liebe Typen. Lebowski zum Beispiel. Oder Chad Feldheimer, der von Brad Pitt gespielte, dumme, aber gutmütige Fitnesstrainer in Burn After Reading. Llewyn Davis? Ein Loser, ohne Bleibe, ohne Perspektive, ohne Geld.

Wir sprechen eine Weile über seine Rolle, die Folk-Bewegung und Bob Dylan, das Interview könnt ihr bei Noisey.com lesen. Danach treffe ich auf Joel und Ethan Coen. Die Brüder sind unheimlich nett, eloquent, einnehmend und redefreudig—die Nervosität war umsonst. Die beiden erklären, dass sie schon ewig der frühen Folkszene verfallen sind, dem Sud, aus dem Bob Dylan aufgestiegen ist. Dass sie diese Szene porträtieren wollten, bevor sie groß wurde, bevor sie eine kulturelle Revolution entfachte. Sie wollten keine Film über Dylan (der übrigens in der letzten Szene von Inside Llewyn Davis auftaucht), sie wollten einen Film über die Zeit vor ihm.

Anfangs planten sie sogar, einem Musiker die Hauptrolle zu geben, weil die Musik einen so großen Teil im Film einnimmt. „Wir dachten, dass die Musik so wichtig in diesem Film ist, dass nur ein echter Musiker diese Rolle spielen könnte“, erzählt Joel. „Das Problem war, dass wir keinen Musiker gefunden haben, der gleichzeitig schauspielerisch so stark war, dass er den ganzen Film tragen konnte. Also suchten wir nach einem Schauspieler. Erst als Oscar ins Spiel kam, wussten wir, dass wir hier jemanden hatten, der nicht nur bereit für eine solche Rolle war, sondern auch ein wirklich vollendeter Musiker ist.“

Wie passt ausgerechnet Justin Timberlake in diesen Film—jemand, der schon in zig Filmen, auch Hauptrollen, mitgespielt hat und zugleich einer der größten Musiker der Welt ist. Und sie besetzen ihn als bärtigen Folkmusiker. Seltsam. „Es ist seltsam, ja“, gibt Joel zu und lacht. „Aber es war toll für uns, ihn als Folkmusiker zu besetzen …“—„…und sehr reizend für ihn“, ergänzt Ethan.

Zurück zur Anfangsfrage: Musikfilm, ernsthaft? „Es ist in erster Linie eine Charakterstudie“, erklärt Ethan. „Es geht um jemanden, dem nichts Bemerkenswertes passiert und er macht auch nichts, das besonders bemerkenswert wäre—wenn es eine Story gibt, dann ist das die Story.“ Der Rest ist also Setting. Und das Setting ist dieses Mal eben die New Yorker Folkszene Anfang der 60er. Ein Coen-Film? Absolut.