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Bis so guet

Bonzen ruinieren unser Bier

Das Trinken von Bier dient nicht mehr dazu, sich zu besaufen, sondern zu zeigen, dass man besser ist als andere.

Foto von o_dmentd_o ı Flickr ı CC BY 2.0

Als ich vierzehn war, erschien mir Bier wie der Nektar der Götter. Der erste Schluck würde das sein, was für den Satere-Mawe-Stamm das Tragen eines mit Ameisen gefüllten Handschuhs ist: ein Übergangsritus. Da ich ein dummer Jugendlicher war, habe ich aber bis zu meinem 16. Geburtstag gewartet, um unter dem Applaus meiner Familie mein erstes Bier zu trinken, irgendein Billiggesöff aus einer südfranzösischen Supermarktkette

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Inzwischen habe ich wohl schon Badewannen voll Bier getrunken. Ich habe japanisches Reisbier in versifften Bars im Kyotoer Geisha-Viertel getrunken, ich habe in Warschau nach zu viel Żywiec ins Hostel gereiert und ich habe mir während eines sommerlichen Slowenientrips eingeredet, Laško sei die Lösung sämtlicher Probleme.

Ich habe mich während einer zweiwöchigen Reise durch Spanien mit Hemingway und San Miguel vor den Pflichten versteckt, die nach dem Gymnasium auf mich warteten. Und ich habe in Galway ein Bier getrunken, das Galway Hookers hiess und nirgendwo sonst erhältlich war, weshalb ich nicht aufhören konnte, es zu bestellen, da ich wusste, dass der letzte Schluck dann wirklich der letzte sein würde.

Foto von Jamie ı Flickr ı CC BY 2.0

Ich habe also einen sogenannten Geschmacksinn entwickelt. Als ich 16 war, schmeckte jedes Bier gleich: bitter nämlich, also wie meine Zukunftsaussichten. Was nicht unbedingt meine Schuld ist, sondern daran liegt, dass die Schweiz biermässig traditionell ein Land des seichten Hahnenwasserersatzes ist. Oder war.

Denn inzwischen tut sich einiges. Immer mehr HSG-Absolventen erfüllen sich ihren feuchten Traum: Selbstständigkeit und Weitersaufen. Mikrobrauerei um Mikrobrauerei (allein das Wort!) schiesst aus dem Mittelland: Chopfab, Entlebucher Bier, Monsteiner, Em Basler Sy Bier, Bünzwasser und wie sie alle heissen. Anfang der 90er gab es in der Eidgenossenschaft 32 Brauereien. 2012 waren es 385. Auf den ersten Blick ist das super.

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Nur ein Problem gibt es doch: Der Bierkonsum dient (frei nach Pierre Bourdieu) zunehmend dazu, zwischen „gutem" und „schlechtem" Geschmack zu unterscheiden. Das richtige Bier in der Hand hilft manchen Leuten dabei, nicht für Penner gehalten zu werden, obwohl sie sich wie welche anziehen.

Früher, in der Alfred Escher-Zeit, kippten sich der schnurrbärtige Patron einer Berner Zigarrenfabrik und seine lungenkrebskranken Arbeiter noch alle dasselbe Gesöff hinter die Binde. Heute dagegen konsumiert der Student zum Vorglühen Anker, während der Zürcher Bobo in einer kleinen, feinen Pop-up-Bar ein im hintersten Linthal aus Ziegenspucke gebrautes Indian Pale Ale geniesst, während sich die Asozialen am Bahnhof mit Prix-Garantie-Bier begnügen. Das Prekariat würde zwar auch Hoegaarden trinken, da kennt es keine Berührungsängste, weil man das Prekariat sowieso nicht nach seinem Geschmack bewertet.

Jemand aus dem Novartis-Verwaltungsrat würde sich dagegen nie mit einem Feldschlösschen in der Hand erwischen lassen. Ausser vielleicht, um Solidarität vorzutäuschen, wenn das Trois Rois ausnahmsweise während der Basler Fasnacht auch dem Pöbel offensteht.

Foto von Farhan Chawla ı Flickr ı [CC BY 2.0](http:// https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Ich bin auch nicht unschuldig. Oben habe ich versucht, mit meinem exotischen Biergeschmack zu beeindrucken. Und Anker trinke ich nur, wenn es nichts anderes gibt. Meine Bekannten trinken meistens lokales Biobier, ausser sie sind arbeitslos. Nicht nur schmecke es besser, sagen sie, es sei ausserdem besser für die Umwelt und für ein faires Wirtschaftssystem.

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Ich habe nichts gegen Produktevielfalt und ich trinke auch lieber ein gutes lokales Bier als Feldschlösschen. Aber bald wird es dem Bier so ergehen wie dem Wein. Man wird kein Feierabendbier mehr geniessen können, ohne gleich ein Gespräch über „lauchige Kaffeenoten", „Alabasteranklänge" und „vage Lindenholztöne" anfangen zu müssen. Die Farbcharts sind uns bisher zwar erspart geblieben. Doch wenn selbst das Bier der sozialen Distinktion unterworfen ist, wird es keine Methode mehr geben, Hirnzellen abzutöten, die die Menschen quer durch alle gesellschaftlichen Schichten verbindet.

Euch einen hinter die Binde kippen könnt ihr hier—es darf auch ruhig ein Billigbier sein:

Heute gibt es Sofakunst und Cocaine Piss im Coq d'Or.

Morgen beginnt das B-Sides Indoor Festival im Südpol. Ausserdem kommt Asap Rocky in den Komplex und die Zukunft feiert Double Trouble. Im Kaufleuten gibt es War On Drugs. Die besten Halloweenparties steigen bei euren Freunden oder noch besser, bei Freunden von Bekannten von entfernt Verwandten. In Basel gehen wir in den alten Zoll und geben uns Vagalatschk mit Borsch.

Am Samstag geben wir uns zuerst 20 Jahre Büro Destruct in der Soon Gallery und dann Glitter Gwitter im Plaza.

Am Sonntag schauen wirCure—Das Leben einer anderen, zum Beispiel im Bourbaki oder im RiffRaff.

Dienstags starten die Winterthurer Kurzfilmtage und am Mittwoch spielt Timber Timbre im [Frison](http:// http://www.fri-son.ch/de/program/next/2014/11/05/).