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Drogen

Als mein Vater starb, zerstörte ich mich mit Heroin

Nach einem schweren Schicksalsschlag glaubte unsere Autorin, Trost in der Nadel zu finden. Nach Jahren als Abhängige hätte sie dieser Irrtum fast das Leben gekostet.
Links: die Autorin nach dem Entzug; rechts: die Autorin während ihrer Heroinsucht | Alle Fotos: bereitgestellt von der Autorin

Im Herbst 2011 saß ich auf der Toilette des Restaurants, in dem ich damals kellnerte, und stach mir gehetzt eine Spritze in den Arm. Draußen warteten meine Gäste ungeduldig auf ihre Getränke. Ich hörte, wie mein Vorgesetzter auf der anderen Seite der Tür herumfragte, wohin ich gegangen sei. Als ich mir mein Heroin gedrückt hatte, eilte ich wieder zu den Gästen. Einer von ihnen sagte: "Hey, mit deinen schwarzen Haaren und roten Lippen siehst du aus wie Amy Winehouse … aber natürlich bist du nicht heroinsüchtig." Er hatte ja keine Ahnung.

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Als mein Vater unerwartet starb, trank ich mich monatelang fast zur Besinnungslosigkeit. Eines Tages war es dann soweit: Ich färbte mir mein blondes Haar pechschwarz, probierte zum ersten Mal Heroin und ließ mir "Clyde" auf mein rechtes Handgelenk tätowieren. Das Timing war perfekt. Die heiße Liebesaffäre mit der Droge, die folgen sollte, verdrehte mir förmlich den Kopf. Meine ganze Verzweiflung, Einsamkeit und Trauer waren wie auf wundersame Weise verschwunden und eine angenehme Taubheit und Euphorie nahmen ihren Platz ein. Wenn ich etwas mache, dann eben immer auf die extremste Art und Weise. Clyde war übrigens ein Pseudonym für den Mann, der mich zum Heroin brachte. Ich fand die Hommage damals sehr passend.

Die Autorin lässt sich ein Tattoo aufs rechte Handgelenk stechen

Schon bald bemerkten meine Freunde und Verwandten eine Veränderung. Ich weiß noch, wie ich mir dachte: "Wow, dank dem Heroin saufe ich nicht mehr wie ein Pirat." Ich schlief besser, heulte weniger und nahm die gut fünf Kilo wieder ab, die ich durch die ganzen Margaritas zugelegt hatte. Die Droge war für mich wie ein geheimes Diätmittel und Fröhlichkeitskatalysator in einem. Leider war sie nicht mein bestgehütetes Geheimnis.

Was ich als positive Veränderungen meines Aussehens und Verhaltens empfand, ließ bei meiner Familie die Alarmglocken schrillen. Und die anfänglichen Bedenken meiner engsten Freunde entwickelten sich dahin, dass sie mich aktiv mieden. Aber das war mir egal, denn durch das Heroin war ich so glücklich wie noch nie zuvor. Dann folgte jedoch der Morgen, an dem ich nach Hause kam und meine Mutter auf meinem Bett saß – umgeben von dem Spritzbesteck und den Drogenvorräten, die ich meiner Meinung nach so gut versteckt hatte.

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Ich liebe meine Mutter über alles und würde alles für sie tun. Als sie mich an diesem Morgen verwirrt und mit einem tränenüberströmten Gesicht ansah, war mir klar, dass ich schon zu tief drinsteckte. Man sagt ja, Liebe sei wie eine Droge. Nun, bei mir konnte man diesen Satz wörtlich nehmen – und ich war noch nicht dazu bereit, Schluss zu machen. Meine Mutter so erschüttert zu sehen, war dennoch niederschmetternd. Deswegen packte ich – auch beeinflusst durch das Heroin – ein paar Klamotten, mein Make-up und die von meinem Vater geerbten Gitarren ins Auto und haute ab nach Hollywood.

Dort angekommen ging ich in das nächstbeste Restaurant, wo ich den Manager davon überzeugen konnte, mich direkt anzustellen. Schon hatte ich eine feste Einkommensquelle. Nach wenigen Tagen unterschrieb ich den Mietvertrag für eine schöne Wohnung direkt am Hollywood Boulevard. Alles lief so einfach, ich hatte fast das Gefühl, dass es so vorbestimmt war.

Ich stand total auf Nadeln und fand es sexy, wenn ich mit der Kanüle meine Haut durchstach.

Man kann Liebe mit vielen Worten beschreiben, zum Beispiel Zuneigung, Bewunderung, Verbundenheit, bedingungslose Fürsorge oder sexuelles Verlangen. All das verspürte ich für Heroin und das dazugehörige Ritual. Außerdem liebte ich die riskanten Abenteuer, die mich die Droge täglich erleben ließ. Jeden Morgen wachte ich auf und freute mich sofort auf den ersten Schuss des Tages.

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Die Vorbereitung war mir dabei immer genauso wichtig wie das High. Ich stand total auf Nadeln und fand es sexy, wenn ich mit der Kanüle meine Haut durchstach, die Spritze aufzog und dabei zusah, wie sich mein rotes Blut mit dem karamellfarbenen Wasser-Heroin-Mix vermischte. Ich hatte eine Vene gefunden und konnte mir endlich die teuflische Illusion des Paradieses injizieren.

Der Anfang vom Ende kam bei mir, als ich wegen der gestiegenen Toleranz meines Körpers jeden Tag über hundert Dollar für Heroin ausgeben musste.

Ich bin in einer Familie der oberen Mittelschicht groß geworden. Ich hatte eine liebevolle Mutter, vier Geschwister und einen aufopfernden Stiefvater. Meinen richtigen Vater sah ich jeden Montag. Ich kann meine Sucht also nicht auf irgendein Kindheitstrauma schieben. Nein, ich hatte einfach schon immer einen gewissen Drang dazu, andere Leute zu schockieren. So schmiss ich bereits im Kindergarten mit Schimpfwörtern um mich und fing später an, ältere Männer mit Alkohol- und Drogenproblemen zu daten. Als mein Vater starb, starben meine letzten guten und selbstlosen Absichten mit ihm. Ich war sein einziges Kind und hatte ihn immer bewundert. Wahrscheinlich habe ich von ihm auch meine hedonistische Seite.

Genau wie die meisten Liebesbeziehungen beginnt auch eine Heroinsucht mit einer schieren Vernarrtheit. Der Mittelteil ist dann normaler Alltag und das drohende Ende bringt schließlich nur noch Kummer und Verzweiflung. Der Anfang vom Ende kam bei mir, als ich wegen der gestiegenen Toleranz meines Körpers jeden Tag über hundert Dollar für Heroin ausgeben musste. Ohne genügend Stoff wurde mir schlecht und ich bekam Panik.

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Dass ich ein Problem mit Heroin hatte, merkte ich, als ich zum ersten Mal in ein Pfandhaus ging, um eine der von meinem Vater geerbten Gitarren zu veräußern. Obwohl das Instrument eigentlich viel mehr wert war, akzeptierte ich das Angebot von 75 Dollar, um mir endlich wieder Drogen kaufen zu können. Dafür hasste ich mich. Wenige Wochen später spritze ich mir versehentlich das Bleichmittel, mit dem ich zuvor meine Spritzen gereinigt hatte. Weil mir der Strom abgedreht worden war, stolperte ich mit Gift im Blut über den Hollywood Boulevard, bis ich endlich eine Steckdose fand und meinen leeren Handyakku etwas aufladen konnte, um den Notruf zu wählen. In diesem Moment wurde mir klar: Wenn ich so weitermache, sterbe ich als Drogensüchtige, die der eigenen Mutter das Herz gebrochen, den eigenen Stiefvater zum Weinen gebracht, alle Freunde verloren und die Gitarren des eigenen Vaters völlig unter Wert verscherbelt hat.

Ich war die ganze Zeit fälschlicherweise davon ausgegangen, dass mich meine Familie nicht mehr zurückhaben wollte.

Und trotzdem machte ich weiter. Obwohl ich die Person hasste, zu der ich mich entwickelt hatte. Obwohl ich jetzt nicht mehr von fürsorglichen Menschen, sondern nur noch von den zwielichtigsten Junkies von ganz Los Angeles umgeben war. Mit meiner Familie hatte ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit keinen Kontakt mehr gehabt. Ich sehnte mich voller Reue nach meiner Mutter. Wenige Tage nach einem einsamen und schmerzvollen Weihnachtsfest checkte ich nach fast einem Jahr mal wieder mein E-Mail-Postfach. So las ich endlich die schier unzähligen Nachrichten meiner Mutter: "Ich hoffe immer noch, dass du irgendwann nach Hause kommst"; "Bitte komm zurück zu uns"; "Ich liebe und vermisse dich". Ich war die ganze Zeit fälschlicherweise davon ausgegangen, dass mich meine Familie nicht mehr zurückhaben wollte – dass sie ohne mich viel besser dran wäre. Tränenüberströmt rief ich meine Mutter an und bat sie darum, mich abzuholen und in eine Entzugsklinik zu bringen.

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Während des Entzugs gab mir mein Suchtberater die Aufgabe, einen Abschiedsbrief an Heroin zu schreiben – denn plötzlich auf die Lieblingsdroge verzichten zu müssen, sei vergleichbar damit, einen geliebten Menschen zu verlieren. Man klärte mich darüber auf, wie relevant die fünf Phasen der Trauer bei einer Drogensucht sind. Außerdem sollte ich einen Brief an meinen verstorbenen Vater formulieren. So setzte ich mich zum ersten Mal mit den unterschwelligen Problemen auseinander, die mein Leben so schwierig gemacht haben. Ich schrieb darüber, wie kompliziert es war, ihn zu Lebzeiten zu lieben – und wie sehr mir sein Tod zugesetzt hatte.

Der verstorbene Koch und Doku-Host Anthony Bourdain hat über seinen Weg aus der Drogensucht mal gesagt: "Ich bin ein eitler Mensch und mir gefiel nicht mehr, was ich da im Spiegel sah." In diesem Zitat fand ich mich wieder, denn früher war ich hübsch, smart, schlagfertig und trotz einiger Eigenheiten immer aufrichtig. Und genau diese Person wollte ich wieder sein.

Es dauerte mehrere Jahre, bis ich komplett über meine Liebesbeziehung mit Heroin hinweg war und mir unsere gemeinsamen Jahre nicht mehr schönredete. Heute ist diese schlimme Zeit nur noch eine Erinnerung. Ich weiß noch, in welchem Moment es endlich Klick machte: Als mir klar wurde, dass ich für mein Wohlbehagen in mich selbst investieren muss, anstatt mich dafür auf so etwas Unzuverlässiges wie Heroin zu verlassen. Ich habe meine Sucht zwar nur knapp überlebt, aber rückblickend bin ich triumphierend daraus hervorgegangen.

Du hast ein Suchtproblem oder machst dir Sorgen um betroffene Freunde und Verwandte? Die Caritas bietet unter dieser Adresse eine anonyme Online-Suchtberatung an. Hier findest du zudem Suchtberatungsstellen in deiner Nähe.

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