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Linus Volkmanns Umsturzprosa

So belastend war 2017: Die Musik-Fails des Jahres

Von Max Giesinger bis Casper, von Mark Forster bis Schwesta Ewa, dem Tod und verdammten Huren: Linus Volkmann zerpflückt dieses Jahr in seine Einzelteile.
Fotos: imago | Jan Huebner ; imago | Future Image ; imago | Future Image

Fünf-Sterne-Comeback, ein nachdenklicher Prinz Pi, der dauerbeleidigte Campino und Travis Scott hat einen Vogel … Was 2017 an Höhepunkten fehlte, machte es durch zahlreiche Reinfälle wett. Eine Abrechnung mit dem Pop-Jahr von Linus Volkmann.

Max Giesinger vs. Campino

Trotz seines immensen Erfolgs im warmen Urin-Bad des Wohlfühl-Radiopop ("Einer von 80 Millionen") war Max Giesinger aus Waldbronn vielen bis zu diesem Jahr noch gar kein Begriff. Das "Eier aus Stahl" in Böhmermanns Neo Magazin Royal anlässlich der diesjährigen ECHO-Verleihung änderte das. Giesinger wurde dort exemplarisch gegrillt für die Masse an aktueller deutscher Idiotenmusik. Doch er nahm’s mit Humor und kam fast schon sympathisch aus der Nummer raus.

Was man nicht von Campino sagen kann. Der war zwar gar nicht gemeint, hat Böhmermann allerdings nie verziehen, dass jener in einem früheren "Eier aus Stahl" seine Charity-Nummer zu "Do They Know It’s Christmas" zerlegte. Daher holte sich Campino bei seiner Rede während der ECHO-Verleihung von den gelangweilten Plattenindustrie-Ottos ein bisschen Zustimmung ab, wie unmöglich doch gegen all die guten, fleißigen, ehrbaren Künstler in diesem Lande vorgegangen werde.

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Bei früheren ECHO-Auftritten von Campino und den Hosen war der Aufreger noch ein anderer gewesen: die Nominierung der Band Frei.Wild. In diesen Jahren hatte es Campino vermieden, sich auf der ECHO-Bühne empört zu äußern – als andere Acts aus Protest die Veranstaltung boykottierten. Nun, jeder setzt seine Prioritäten. Aber spätestens 2017 wünscht man sich, man könne Campino von all seinem Leiden erlösen. Ein Ruhesitz für den so verkannten Helden in der Toskana mit Rotwein und Staffelei … Wäre das nicht für alle das Beste?

Mark Forster

Aber natürlich geht’s immer noch peinlicher. Mark Forster ("Sowieso"), neben Giesinger einer der führenden Köpfe für obszöne, leere Gebrauchsmusik, hatte einem Journalisten ein Interview gegeben. Im Nachhinein untersagte er aber, dass seine Zitate veröffentlicht werden. Normalerweise der unweigerliche Tod eines jeden Beitrags, doch der Interviewer nutzte das Recht, das ihm noch blieb: Er machte aus der Story drum herum und seinen eigenen Fragen einen Text. Und der lässt Mark Forster und dessen Management schlechter aussehen, als es jede nicht so perfekt gebügelte Antwort des Musikers hätte tun können.


Noisey-Video: "KitschKrieg übernimmt":


Fünf Sterne Deluxe

"Direkt auf die Ohren", "Von Wien bis Winterhude rufen wir 'Moin' ins Haus", "In eine andere Dimension fliegen", "Abgespaced am Nachmittach!", "Das ist der heiße Scheiß direkt aus Hamburch Ciddy!" – Fünf Sterne Deluxe 2017

Es klingt wie der Baukasten eines norddeutschen Egalo-Radiosenders, der mit abgelutschtem Schnack und tausendfach repetierten Phrasen eine Simulation von antiquarischem Jugendsprech aufbieten möchte. Um seine ebenfalls hoffnungslos gestrigen Hörer kurz zu “flashen”, bevor die sich dann wieder ihren öden Jobs und noch öderen Familien zuwenden müssen. Denn Musik und Ekstase spielt bei diesem Publikum eine weitaus geringere Rolle als vor knapp 20 Jahren. Also zu jener Zeit, als Fünf Sterne Deluxe für ein, zwei Sommer mal das Maß der Dinge waren im Deutschrap. Diese vier Typen waren mal Stars! Nun, das ist ja keine Schande – im Gegenteil. Schlimm wird es bloß, wenn man diesen Status nach zwei Jahrzehnten wieder einfordern möchte, aber nichts dabei hat außer dieser Comeback-Platte namens Flash. Mumifizierter Flow trifft auf überkommenen Daddy-Humor, so viel Ratlosigkeit hinsichtlich Coolness hat man schon ganz lange auf keinem HipHop-Album mehr gehört. Das Fan-Interesse für diese hanseatische Selbst-Exhumierung konnte sich dann auch nur für eine sehr geringe Zeit halten: Statt dass man wie einst ein, zwei Jahre den Talk of the Town darstellte, reichte es 2017 bloß für zwei, drei Wochen.

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Fettes Brot

Apropos Hamburger Coolness gone Kadaveranstalt: Das Live-Album plus Tourfilm, mit denen Fettes Brot routiniert ihren Rest-Fame noch im aktuellen Weihnachtsgeschäft parken wollen, nennt sich tatsächlich: Gebäck In The Days. Kein Scheiß! Wo Wortwitz zum Kalauer wird, wird Widerstand zur Pflicht.

Samy Deluxe

Ich möchte mir allerdings nicht nachsagen lassen, dass ich ganz egal für welche Lebensäußerung aus der in die Jahre gekommenen "Hamburg Ciddy Heftig" immer bloß als Mitleid getarnte Häme übrig hätte. Daher ein Vermerk zu Güte: Das neue Stück "Allein in der Überzahl" von Samy Deluxe’ Halbum erscheint gar nicht so lahm. Sicherlich fällt es style-mäßig hinter den allermeisten aktuellen Milchgesichtern ab, die onanierend auf eine gratis Autotune-App im Playstore gestoßen sind. Aber für Hamburger-Oldie-Verhältnisse ist es auf jeden Fall nicht völlig reizlos.

Dennoch muss gesagt werden: Wer Das Bo von Fünf Sterne Deluxe dafür verachtet (und das tue ich), dass er Werbung für die Bundesagentur für Arbeit machte, der sollte wissen, dass es noch schlimmer geht. Samy Deluxe nämlich stellte sein Gesicht einst nämlich für die GEZ zur Verfügung.

Insofern dürfen eigentlich alle Beteiligten relaxen: Denn so gut kann niemand rappen, um das je wieder wett zu machen.

Schwesta Ewa

Nur weil man samstagabends nicht mehr Wetten, dass..? auf ZDF mit den Eltern schaut, sondern verlaberte Selfie-Videos von HipHoppern im Netz, heißt es noch lange nicht, man würde letztlich so viel besser unterhalten. Schließlich kennt man irgendwann alle guten Clips von Fler! Insofern muss 2017 einer Rapperin gedankt werden: Schwesta Ewa. Ihr Geständnis-Video, in dem sie sich nervös durchs Haar geht und die Hintergründe zu ihrer Festnahme sowie zu ihrer illegalen Escort-Agentur ("Kein Menschenhandel!") erläutert. Okay, für die Mädels gab es auch mal eine Ohrfeige, unter anderem wegen "einer pinken Socke in der Weißwäsche". Aber zur "Prostitution gezwungen wurde niemand!!!11", erfahren wir.

Dass Schwesta Ewa nun noch weiter in Haft soll, kann sie daher überhaupt nicht verstehen. Zumindest in Anbetracht dieses Grammy-verdächtigen Video-Bekennerschreibens hoffen auch wir auf einen milden Richter. (Oder wenigsten auf eine Smartphone-Kabine im Knast.)

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Marek Lieberberg

Als im Sommer gemeldet wird, dass Rock am Ring in der Eifel wegen Terroralarm geräumt werden muss, dachten sicher die meisten: Sehr gut, endlich tut Vater Staat mal was gegen Festivalauftritte von Schmutzki und Sum 41. Allerdings handelte es sich dann doch um echte Verdachtsmomente, die sich zum Glück zwar nicht erhärteten – aber Betreiber Marek Lieberberg auf einer Pressekonferenz gegen die deutschen Muslime toben ließen.

Morrissey

Vor etlichen Monaten geisterte eine Konzertabsage durchs Netz. Morrissey hätte die Bühne verlassen oder gar nicht erst betreten, weil es dort "zu kalt" gewesen sei. Reflexhaft wurde sich im Netz über den schwierigen Alt-Popstar empört. Ich hatte Bock, eine Lanze für das launische Genie zu brechen. Einen Text über diva-eske Musiker, die eben keine servilen Dienstleister darstellen #markforster. Das ging sich allerdings zeitlich nicht aus. Ein Glück, muss ich wenige Monate später sagen. Denn mit seinem Interview für den Spiegel und Zitaten wie “Ich möchte, dass Deutschland deutsch ist” verliert sich der Ex-Smiths-Sänger auch aus meiner eigentlich immensen Gunst gegenüber durchgedrehten Künstlern.

Sterben 2017

Der größte Fail des menschlichen Daseins ist nun mal der Tod. 2016 war daher nicht zu Unrecht als das Jahr gefürchtet, das übertrieben viele Popstars vor ihrer Zeit niedermähte. Doch auch 2017 hat die verdammte Endlichkeit nicht abgeschafft. Die Musikszene verlor unter vielen anderen Chris Cornell, Chester Bennington, Prodigy, Lil Peep. Rest in peace.

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Casper

Apropos: Lang lebe der Tod heißt die diesjährige Platte von Casper. Schon vor Veröffentlichung, ja, sogar lange vorm Schreiben der Songs war das Album zur Nummer Eins der Charts verdammt. Man bekommt bei solchen Big Sellern ja immer mehr das Gefühl: Da hängen jetzt auch Arbeitsplätze dran und erst dann spielt es eine Rolle, ob überhaupt auch noch Emotionen und geile Songs übrig sind. Casper ächzt unter diesem Druck, das spürt man, aber hat diese Last noch mal wuchten können. Das Ergebnis lässt ihn weiterhin sichtbar bleiben in diesem ganzen Mega-Musikbiz-HipHop-Stardom-Pomp. Absolut kein Fail.

Was ich aber wirklich nicht mehr ertrage: Casper auf Social Media. Die unzähligen Bilder, mit denen seine Touren auf Instagram begleitet werden, zeigen ihn in immer wieder neuen, immer wieder gleichen Rock-Zampano-Posen. Die riesige Bühne, die Millionen Fans davor, die ausverkauften Stadien – was ein visuelles Hochglanz-Blabla. Wir geritzten Emo-HipHops mit Casper-Sprüchen auf dem Rucksack würden lieber viel mehr vom Catering sehen, vom Saufen, vom Boy hinter der Maschine. Doch das einzige Narrativ, was Casper übergestülpt wird, ist das des großen Erfolgs. OK, we get it: Er ist der Rap-Springsteen! Aber jetzt lasst den Typen doch endlich mal wieder wie einen Menschen rüberkommen. Sonst klingt garantiert auch bald die Musik wie sein Instagram-Account aussieht.

Nutte, Bitch, Nutte

Das lyrische Ich im Gitarrenpop ist ein elender Sexist! Muss man zumindest meinen, wenn man sich dieses Jahr mit einigen Schlüsselzeilen von Kraftklub ("Du verdammte Hure!"), Von Wegen Lisbeth ("Bitch, ich bin für dich den ganzen Weg gerannt!") oder Faber ("Warum, Du Nutte, träumst Du nicht von mir?") befasst. Ihre aus dem Rap eingeschleppten Abwertungen von Frauen funktionieren letztlich als Provokation. Nie wirken sie wie der behauptete lyrische Kunstgriff, sondern eher wie Macker-Sprech, den die sonst so heimeligen Boys im Schutze des Rap-Zeitgeists einfach auch mal raushauen wollten. Wir sind halt auch krass, Freunde! Der Nachgeschmack dieser Nummer: eher holzig.

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Autotune vs. Travis Scott

Deine Eltern erinnern sich immer noch gern an den Musiksender MTV. Damals kurz nach dem Krieg sahen sie hier erstmalig die Clips von Madonna, Michael Jackson, Marlene Dietrich oder Bismarck. In Deutschland wurde der greise Big Player aber schon lange ins Nirwana entsorgt, irgendwo auf Sendeplatz 300+. Im Englischsprachigen indes gilt der Opa MTV noch was – zumindest seine jährlichen, absurd öden Award-Shows. Bei den VMAs 2017 ist allerdings eine Performance wirklich bemerkenswert. Travis Scott schwebt auf einem Pappmaché-Vogel über dem Saal und singt "Butterfly Effect".

In diesem Moment ist ein Gedanke nicht mehr zu verdrängen: "Der Autotune-Hype wird sein Ende haben – es wird gar nicht mehr so lange dauern. Bloß: Bis dahin muss ich mir mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf schlagen, weil dieser Sound einfach nicht mehr zu ertragen ist!"

Prinz Pi

"Prinz Pis Songs auf dem neuen Album […] erinnern inhaltlich aber an vielen Stellen eher an erwachsenen Pop und sind oft sehr reif und nachdenklich."

Das kann Friedrich Kautz alias Prinz Pi über sein aktuelles Album in der Musikpresse lesen. Tja, bei solchem "Lob" fällt einem echt nicht mehr viel ein. Außer vielleicht ein Zitat von Moe Szyslak von den Simpsons: "Das ist auch schon wieder so eine Sache, bei der man eigentlich Selbstmord begehen müsste."

Just kidding! Prinz Porno möge natürlich ewig leben – und ihr erst recht! Happy 2018!

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Linus Volkmann hat Twitter und macht inzwischen auch echt belastend schöne Storys bei Instagram.

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