Capo hat uns seine wichtigsten Orte in Frankfurt gezeigt
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Der Noisey City-Guide

Capo hat uns seine wichtigsten Orte in Frankfurt gezeigt

"Die Kanaken von der Straße wollen nicht sein wie ein Murat, der Big Boss war für zwei Jahre und dann erschossen wurde. Sondern wie ein Joachim, der mit einem Bentley anfährt, im Anzug aussteigt und 'ne Sonnenbrille aufsetzt."

Einen Stadtplan kaufen und sich in einen Touri-Bus setzen, das kann jeder. In unserer Reihe "Der Noisey City-Guide" zeigen euch ganz besondere Experten, wie ihre Stadt wirklich tickt: Musiker.
Statt die bekannten Sehenswürdigkeiten und Attraktionen abzuklappern, führen euch unsere berühmten Guides zu den Orten, die für sie die Stadt ausmachen. Ihre Stadt.


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Maxwell hat uns bereits sein Hamburg gezeigt und uns nebenbei noch ins Fadenkreuz der dortigen Zivilpolizisten gebracht. Frauenarzt und Taktloss aka Gott waren mit uns in ihrem Garten Eden, aka Westberlin, unterwegs. Es wird also Zeit, Deutschlands dritte große HipHop-Heimat besser kennenzulernen: die Hauptstadt der Kriminalität, Frankfurt am Main. Und wer wäre dafür der perfekte Stadtführer? Richtig, Azzlack Motherfuck.

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So lud uns Capo in sein weißes Bentley Cabrio ein und machte mit uns eine Stadtrundfahrt, die es uns ab jetzt unmöglich macht, jemals wieder in einen Doppeldeckerbus zu steigen. Vom Bahnhofsviertel nach Offenbach, von gläsernen Bankentürmen zum Beton des Plattenbaus, wo er und seine Brüder aufwuchsen, zeigte uns Capo die ganze Vielfalt seiner Heimat. Und damit nicht zuletzt seine eigene.

Erste Station: Bahnhofsviertel

Noisey: Ich war noch nie in Frankfurt. Aber als ich vorhin hier rumgelaufen bin, kam es mir so vor, als wär es nochmal ein ganzes Stück asozialer als Berlin. Nicht böse gemeint!
Capo: Ja, Frankfurt ist nochmal abgefuckter. Die Leute hier nehmen auch nochmal ganz andere Drogen. Das, was die sich hier ballern, hat nicht mal 'nen Namen.

Ich würde mich hier nachts allein unwohl fühlen. Das hab ich in Berlin nie.
Das Bahnhofsviertel ist für Frauen tabu! Die dürfen da nicht alleine rumlaufen, nicht am helllichten Tage und nicht bei Nacht.

Das kommt mir jetzt doch etwas übertrieben vor.
Du hast hier keine normalen Menschen! Da kommt ein Junkie zu dir und sagt: "Hör zu, ich hab Aids und ich brauch Geld. Du musst mir Geld geben. Wenn du mir kein Geld gibst, hast du auch Aids." Und was machst du dann? Sogar die Bullen haben keinen Bock hier. Die Bullen haben Angst vor den Junkies. Das sind tote Menschen, die haben nichts mehr zu verlieren. Seit 30 Jahren kriegen die das hier nicht in den Griff. Es wird sogar von Tag zu Tag schlimmer.

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Capo lenkt den Bentley in die nächste Straße. Eine tote Taube liegt dort, Capo fährt vorsichtig um sie herum, an der Ecke leuchtet die Neonreklame eines Stripclubs. Eine Frau, vermutlich die "Empfangsdame", zieht an ihrer Zigarette, das Gesicht braun von der Sonne und grau vom Rauchen, die Haare gelb-blond, der Rauch blau, die Leuchtreklame rot. Frankfurt ist bunt – vor allem heute, es ist zufällig Christopher Street Day. Aber das Bunt des Glitzerkonfettis und der Cocktails in der Innenstadt ist ein anderes als das des Bahnhofsviertels.

Was würdest du denn tun, um das Problem hier zu lösen?
Ich würde 'ne komplette Anstalt errichten, abgeschirmt von der Außenwelt und vor allem von Drogen und dafür sorgen, dass die runterkommen. Ohne Ersatzprogramme. Es gibt ja auch wirklich viele Leute, die sich hier einsetzen. Sozialarbeiter und so, denen kann man keinen Vorwurf machen. Es ist der Staat, der was tun muss. Aber die geben 'nen Fick drauf.

Hängst du denn hier rum?
Ich hab nichts mit Rotlicht zu tun. Es ist eklig einfach. Hier kannst du für 15 Euro 'ne Alte knallen, das ekelt mich an.

Du hast schon in anderen Städten gewohnt, Düsseldorf und Berlin. Was hebt für dich Frankfurt von anderen Städten ab?
Frankfurt ist alles zusammen. Du hast durch die Städte außenrum viele unterschiedliche Menschen, Lebensentwürfe, aber alles verdichtet auf einen Punkt.

Kannst du dir vorstellen, hier noch mal wegzuziehen?
Nein, ich würde nie aus Frankfurt wegziehen. Vielleicht 'nen Zweitwohnsitz woanders, aber meine Füße sind hier ganz tief drinnen. Frankfurter sind eben Frankfurter. Die gehen hier nicht weg.

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Mir wurde gesagt, Frankfurter seien verrückt.
[Lacht]. Da hast du Recht. Ich habe mir schon oft die Frage gestellt, warum Frankfurter so sind, so abgewichst. Und ich glaube, ich habe jetzt meine Antwort: Es liegt an den Banken. Das Kapitalismus-Ding ist hier extrem. Jeder ist auf Geldmachen aus hier und das wird dir immer unter die Nase gerieben. Dir wird immer Hunger gemacht und du siehst den Weg direkt vor dir. Zusätzlich kommt dieses Kanaken-Ding noch dazu. In Offenbach sind 80 Prozent Ausländer. Da fahren wir später noch hin, da können wir ja mal zusammen Deutsche zählen. Die Kanaken hier sind anders als in Berlin.

Wieso? Was ist denn anders?
Hier spielt man sich nicht auf. Wer sich in Frankfurt aufspielt, wird ganz schnell runtergeholt. In Berlin ist das anders, der Kuchen ist da schon aufgeteilt. Da fällt ein Name und alle zittern. Hier gibt's keinen, der das Sagen hat.

Ihr habt hier nicht das Sagen?
[Lacht verschmitzt] Also wenn du's so nimmst, hat hier niemand das Sagen.

Woher kommt das?
Die Banken! Die ganzen Geschäftsleute hier sind das Beispiel für alle, wie man's macht. Die Kanaken von der Straße wollen nicht sein wie ein Murat, der Big Boss war für zwei Jahre und dann erschossen wurde. Sondern wie ein Joachim, der mit einem Bentley anfährt, im Anzug aussteigt und 'ne Sonnenbrille aufsetzt.

Zweite Station: Capos Geschäft

Capos Laden liegt in der sogenannten Auto-Straße Frankfurts. Hier sitzen Porsche, Jaguar, Range Rover, Audi, Mercedes – und nun auch Azzlacks Vermietung für Luxuswagen. Und das ist kein Zufall: Jeden Tag ist an der Ampel der Hauptstraße vier Stunden Stau. Wartezeit, in der Bankiers, Touristen oder auch die normalen Bürger die Lambos, Mercedez' und Bentleys anstarren und tagträumen können. "Werbung en masse" wie Capo erklärt, als wir vor der großen Fensterfront vorfahren. Im Moment steht dort jedoch nichts außer der frisch gelieferten Theke in Metallic-Optik – alle Wagen sind ausgebucht. Dabei eröffnet das Geschäft in der Hanauer Landstraße erst eine Woche nach unserer Tour.

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Gibt es wirklich so viele Leute, die sich solche Autos mieten? So viele Musikvideos können doch gar nicht gedreht werden!
Oh ja. Alle meine Wagen sind gerade vermietet. Am Anfang hatte ich noch hauptsächlich Kanaken, die zu mir kamen und dann so ein Auto gemietet haben, um mal 'ne Woche in den Kosovo zu fahren. Einfach mal in Urlaub fahren und bisschen Welle machen. Aber Langzeit-Vermietungen hatte ich auch. In letzter Zeit habe ich viele Saudis und Leute aus Dubai, die hier auf Kur gehen und nicht nur Autos mieten wollen, sondern gleich auch Chauffeur-Service und Personenschutz.

Warst du schon immer so ein Auto-Junge?
Nee, aber es stand für mich immer fest, dass ich was mit Autos machen will. Autos und Immobilien. Ich bin Autoliebhaber, aber ich schraube nicht rum oder sowas. Ich fahre im Monat um die 15.000 Kilometer. In die Schweiz, nach Belgien, Frankreich, Holland … Ich bin viel unterwegs.

Als du noch nicht Auto fahren durftest, wie hast du dich fortbewegt? Gibt es hier eine U-Bahn?
Es gibt hier eine Straßenbahn. Mit der bin ich aber nicht gefahren. Wir hatten immer jemand, der uns gefahren hat oder wir haben Leute vom Roller runtergezogen. So waren wir früher unterwegs. Dann sind wir ein paar Stunden damit gefahren und haben die dann in den Main geschmissen.

Wurdet ihr jemals erwischt?
Ja, ich bin aber immer davon gekommen. Mein bester Freund ist mit 17 in den Jugendarrest gekommen.

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Ein Schwarzer Mercedez Sportwagen hält hupend mitten auf der Straße. Einer der beiden Männer ist der Geschäftspartner von Capo, sie parken neben unserem Bentley, setzen sich auf eine Euro-Palette, die vor dem Laden steht und beobachten uns neugierig, wie wir durch die Fensterscheibe gaffen. Einen Schlüssel haben nämlich beide nicht dabei.

Bist du stolz auf deinen Laden?
Auf jeden Fall. Das ist das erste seriöse Geschäft, auf das ich stolz bin.

Ist das eine andere Form von Stolz als der, den du für dein Album empfindest?
Musik ist für mich so 'ne Herzenssache. Das hier ist eher 'ne Befriedigungssache. Beides macht mich stolz beziehungsweise glücklich, aber anders.

Dritte Station: Offenbach

Wir fahren über die Brücke, die von Frankfurt nach Offenbach führt. Ich bin überrascht. Alles sieht sehr gutbürgerlich aus, am Ufer sogar recht luxuriös. Das liegt daran, dass hier alles privatisiert wurde, wie mir Capo erklärt. Dort an der Hafencity gibt es Penthäuser, eigene Kindergärten, eigene Einkaufszentren, sogar die Häuser gegenüber auf der anderen Straßenseite wurden saniert, "damit die da drüber nicht auf verjunkte, angesprühte, verseuchte Häuser gucken müssen". Ein Gruppe kleiner Jungs bleibt staunend auf der Straße stehen und bewundert johlend und gestikulierend den Bentley, mit dem wir langsam in die Straße einbiegen, wo der Häuserblock steht, in dem Capo und seine Brüder aufgewachsen sind.

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Ich find es hier gar nicht so schlimm.
Ja, jetzt. Jetzt sind hier auch überall Kameras. Hier die drei Blocks – der in der Mitte war unser Zuhause, siebter Stock.

Hattest du ein eigenes Zimmer? Oder musstest du eins mit Hafti teilen?
Nein, ich hatte immer ein eigenes Zimmer!

Wurdest du verwöhnt? Der kleine wird doch immer verhätschelt!
Ich muss ehrlich sagen, natürlich habe ich eine andere Aufmerksamkeit genossen. Aber eigentlich war bei uns immer jeder gleich. Da hat meine Mutter drauf Acht gegeben. Sie wollte zu jedem gleich streng sein – meine Mutter war immer sehr streng, oder hat es zumindest versucht. Aber wie gut kann man sich als Mutter allein gegen drei Söhne durchsetzen? Ich war ein richtig durchgeknallter kleiner Junge.

Inwiefern?
Wenn ich mich aufgeregt habe, hab ich mich einfach rückwärts fallen lassen. Oder nach vorne. Ich hatte eine extreme Wut in mir.

Und jetzt nicht mehr?
Jetzt ist alles entspannt. Man wird einfach ruhiger mit dem Alter.

Haben dich deine Brüder geärgert?
Ja, auf jeden Fall, die haben mich böse geärgert! Die waren ja auch durchgeknallt.

Wir kommen an den Marktplatz, den "Kotti von Offenbach" wie Capo ihn beschreibt. Der perfekte Platz zum ticken. Zumindest früher, sagt er. Die große Brücke, die hier früher einmal stand, wurde inzwischen an mehreren Stellen abgesägt, um die Polizeieinsätze zu erleichtern. "Früher haben die immer Ziegelsteine von der Brücke auf die Bullen runtergeworfen", erzählt er. Außerdem boten die verschiedenen Abzweigungen der Brücke Fluchtwege.

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Tatsächlich sieht es aus, als ob sich die Situation entspannt hätte. Zumindest soweit ich das im Vorbeifahren vom Bentley aus beurteilen kann. Klar: Deutsche-zählen kann man hier immer noch spielen. Aber zwischen dem bulgarischen Arbeiterstrich und rumhängenden Jugendlichen ist von offener Kriminalität wie am Kotti nichts zu sehen. Zumindest jetzt am helllichten Tage nicht.

"Die Dealer sind auch schlauer geworden", meint Capo. Aber auch sonst hat sich Offenbach verändert. "Früher kannte man hier jedes Gesicht. Man wusste immer, wer woher kam und zu wem er gehörte. Das ist heute anders." Just in diesem Moment streckt Capo seine Hand aus dem Autofenster und grüßt einen Bekannten auf der Straße. Man wechselt ein paar Worte in einer Sprache, die ich und der Fotograf nicht verstehen, bis Capo das Gespräch mit dem Versprechen beendet, sich später noch einmal zu melden.

Hängst du hier denn noch rum?
Nein. Früher, als man klein war, wollte man immer hier rumhängen, weil die Großen hier waren und hat dann immer Backpfeifen bekommen.

Wo hängst du denn dann rum in deiner Freizeit?
Ich habe keine Freizeit!

Du hängst nicht manchmal einfach am Main ab, trinkst ein Bier mit deinen Freunden und hörst Musik?
Nein. Also OK, wenn wir abends in der Sportsbar abhängen, dann trink ich da mal mein Corona, sowas mach ich.

Wohnst du denn überhaupt noch in Offenbach?
Nicht mehr, aber ich bin immer noch sehr oft hier. Ich liebe Offenbach. Ich finde es auch voll schwierig, einen bestimmten Ort in Offenbach auszuwählen, für eure Stadttour. Es ist alles eins. Ich könnte mich nicht für meinen Lieblingsort entscheiden hier. Vielleicht der Main. Ich bin gern am Main.

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Würdest du deine Asche hier verstreuen lassen?
In Offenbach? Ganz sicher nicht! Lieber im Meer. Hier spucken doch dann nur irgendwelche Kinder drauf!

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