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Ein Abendessen im russischen Pelzviertel von Peking

Yabaolu, das auch als ‚Russiatown‘ bekannte Viertel Pekings, ist berühmt-berüchtigt für seine Pelzläden. Aber die tote Tierhaut interessierte mich nicht sonderlich, ich wollte dort die russisch-chinesische Hybrid-Küche probieren.

In Yabaolu—eine Gegend von Peking, die auch als ‚Russiatown' bekannt ist—findest du jeden Tag eine Gruppe wilder und ziemlich durchgepeitscht aussehender Leute aus dem Westen Russlands, die bei einem dreistöckigen Einkaufszentrum rumhängen, wo runtergesetzte Pelze (von weiß Gott welchen Tieren) verkauft werden. Sie rauchen eine Zigarette nach der anderen und tragen einen Haufen Brusthaar zeigende Shirts und eine ganze Sammlung an Goldketten, also habe ich mir immer gedacht, dass sie zu den vielen grenzüberschreitenden Händlern und Schmugglern gehören, die regelmäßig mit billigen Konsumgütern im Gepäck zwischen Sibirien und Peking hin- und herreisen. In Wahrheit waren sie wahrscheinlich Urlaub machende Buchhalter aus Novosibirsk. Sie zu sehen war jetzt auch nichts Ungewöhnliches; jeden Tag landen Flugzeuge voller Leute aus Russland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion in Peking. Dabei haben sie nur ein Ziel: Yabaolu, das Mekka für günstige Pelze und russisches Essen.

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Tierpelz lässt mir normalerweise das Wasser im Munde zusammen laufen—frag nicht, wieso—, aber die Russen sind bei ihrem Essen nicht sehr experimentierfreudig und bleiben generell bei den Geschmäckern ihrer Heimat: Salate mit viel Mayonnaise (und mit viel meine ich tonnenweise) und geräuchertes Fleisch. Neben vielen Borschtsch- und Kaviarläden findest du in diesem Bezirk auch eine Menge luxuriöse Asia-Restaurants, die dir die chinesische Variante von russischem Essen servieren.

Nach der Russischen Revolution wurde Peking zur neuen Heimat vieler russischer Flüchtlinge, die von den Chinesen ‚Kosaken' getauft wurden. Daraus resultierend wurde der Chaoyang-Bezirk bekannt als der ‚Russische Markt', ein Gebiet berüchtigt für Kleinkriminalität und Prostitution. Die Assoziation mit leichten Mädchen und Raubüberfällen hielt sich bis in die späten 90er, als Peking wieder einen Strom von russischen Touristen, Geschäftsmännern, kleinen Händlern und Schmugglern verzeichnete. Im Jahr 2000 zog der ‚Russische Markt' als eine freundliche Geste und zur Ehrung von Chinas Vorliebe für russisches Öl und Gas zurück in den Yabaolu-Bezirk—nahe der sehr großen russischen Botschaft. In Yabaolu ist Russisch die vorherrschende Sprache und die meisten der dortigen chinesischen Ladenbesitzer und Taxifahrer sprechen diese richtig gut. Es gibt drei Einkaufszentren, die sich dem Verkauf von Pelzen und reduzierter Mode an reiche, Urlaub machende Russen verschrieben haben und du findest sogar eine russisch angehauchte Karaokebar namens Sim Sim.

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Durch die silbernen, in Brokat gefassten Stühle fühlte ich mich eher wie in einem romantischen Anwesen auf Long Island, als 80 Kilometer entfernt von der Wüste Gobi.

Karaoke konnte warten, mein Appetit jedoch nicht. Ich entschied mich für ein Restaurant namens Astana, das als „Pekings erstes kasachisches Restaurant" beworben wurde. Ich wurde von einem jungen Punk begrüßt, der mir zusätzlich noch ihren billigen Wodka andrehen wollte. Trotz Pekings großer Russengemeinde sind die Gäste in diesem Gebiet normalerweise mit Bauchtasche bewaffnete Moskauer, die gerade aus einem Pelz-Einkaufszentrum kommen. Außer dem Servicepersonal waren in dem Restaurant keine Chinesen anwesend. Durch die silbernen, in Brokat gefassten Stühle fühlte ich mich eher wie in einem romantischen Anwesen auf Long Island, als 80 Kilometer entfernt von der Wüste Gobi. An der hinteren Wand des Restaurants sah ich hinter der Karaokebühne einen großen TV, auf dem pausenlos russisches Fernsehen lief. Teller voller Hering und saurer Gurken wurden an meinen Tisch gebracht, dazu gab es die kasachische Version von Plov—eine in Lammfett gebadete Kasserolle aus Reis, Fleisch und Karotten und gleichzeitig Usbekistans Nationalgericht—und scharfes Sichuan-Hühnchen. Das alles erschien wie eine Mischung aus Seidenstraßen-Protz, chinesischer Diner-Etikette und sowjetischer Kochkunst der Stalin-Ära.

Wenn du auf Hammelfleisch stehst, dann bist du in Yabaolu im Paradies.

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Ein paar Wochen nach meinem ersten Besuch dort musste ich einfach zurück. Ich blieb vor einem mit Fotos zugepflastertem Gebäude stehen, damit ich ein bestimmtes Bild anstarren konnte. Es zeigte Lachsrogen-Kaviar, übersetzt als „Guppy-Samen". Ich konnte nicht aufhören, zu lachen, bis ein junger, wütender Typ rauskam und wissen wollte, was denn so lustig sei. Anscheinend kam das Restaurant namens Kavkaz aus Aserbaidschan—ein Land, das damals unter sowjetischer Herrschaft stand, im Kaukasus liegt und in dem viele Türken und Muslime leben.

Auf mich machen kleine, stämmige Männer, die überall einen Koffer mit sich schleppen und dabei Zigaretten rauchen, immer so einen Schmuggler-Eindruck. Dieses Restaurant schien ihr Hauptquartier zu sein. Ich bestellte den Borschtsch und das georgische Käsebrot, indem ich mich im Restaurant umsah und auf das, was an den anderen Tischen gegessen wurde, zeigte. Zwischen dem deprimierenden Plastik-Grünzeug, mit dem die Gitter an den Wänden des Restaurants verziert waren, schauten vereinzelt Gesichter hervor. Raumgestaltung war auf jeden Fall nicht die Stärke der Besitzer. Ich bemerkte eine seltsame Sprachenmischung: Russisch, Hebräisch und Farsi.

Ich wollte unbedingt rausfinden, was Schmuggler hier so zu Abend essen. Leider blieben meine Fragen unbeantwortet. Allerdings haben wir dafür ein paar ganz gute, traditionelle aserbaidschanische Gerichte gegessen, unter Anderem Dovga, eine Kräuter-Reissuppe und Kofta Bozbash, Lammfleischbällchen in Kichererbsenbrühe. Das Ganze sah nicht so lecker aus, wie es eigentlich war. Die Vorherrschaft von asiatischem Essen sowohl in Yabaoulu als auch in Moskau ist ohne Zweifel ein Schutz vor Mayonnaisesalat, Hering und gekochten Kartoffeln.

Ich habe trotzdem nicht vor, in nächster Zeit noch mal wieder zu kommen.

Oberstes Foto: Wikicommons | CC BY 3.0