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Puff Daddy, Vodka, Ausdauer—Ich habe mir alle 80 Songs der 20 Jahre Bad Boy Box am Stück angetan

„Jetzt kommt Nelly ... Fand ich damals schon Quatsch. Ändert sich auch heute nicht. Klebe mir dennoch ein Pflaster ins Gesicht.“

Meine erste, lebensverändernde Erinnerung an Sean „Puff Daddy“ Combs’ Label Bad Boy ist die, wie er in einem beschaulichen Vorort auf dem Garagendach sitzt, “we ain't goin' nowhere / we can't be stopped now / cause this’ Bad Boy for Life” trällert und dabei seine Schweissbänder im Stylelicht der goldenen 2000er durch das Fernsehgerät funkeln. OK, “I’ll Be Missing You”, Puffys Trauergesang auf den Tod seines verstorbenen Freundes B.I.G. drei Jahre zuvor, war natürlich auch omnipräsent und gilt mit mehr als 1,5 Millionen abgesetzten Einheiten als einer der kommerziell erfolgreichsten Rapsongs in Deutschland. Aber da war ich 11 Jahre alt. Da wusste ich noch nicht mal, wie man ans Mic steppt, wack MCs killt, geschweige denn, wo man freshe New Era-Caps kauft. War aber natürlich trotzdem ein Hitchen.

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Um meiner prägenden Musiksozialisation aber nun die gebührende Ehre zu erweisen und zu schauen, wie viel Einfluss mein guter Freund Sean und sein Imperium Bad Boy darauf hatten, und um 20 Jahre Labeldasein zu zelebrieren, gebe ich mir nun den gesammelten Backkatalog aus dem Hause Bad Boy. Der ist nämlich gerade erschienen und sieht so aus:

200 Minuten vereint auf fünf Tonträgern. Ich entstaube also den CD-Player und schenke mir ein Glas Ciroc-Vodka ein. Es kann losgehen.

Den Anfang macht ein Faith Evans-Interlude. Während ich also der Stimme der Sängerin und Witwe von B.I.G. lausche, sinniere ich ob der Frage, warum die Kollektion “Bad Boy 20th Anniversary” heißt, obwohl Sean das Label bereits 1993 gründete. Aber ich war in Mathematik noch nie so wirklich gut und außerdem hat Sean da auch gar nicht wirklich was dran getan an dieser Zusammenstellung. Die hat nämlich das Label übernommen. Lizenzrechte und so. Versteht man. Diddy hat eh keine Zeit dafür. Der muss … Dinge machen. Dies das. Faith ist auf jeden Fall jetzt fertig, es geht mit einem Banger weiter.

Puff Daddy & The Family feat. Notorious B.I.G. & Busta Rhymes’ „Victory“ beinhaltet die letzten aufgenommen Textzeilen von B.I.G. vor seinem Tod 1997 und rollt gewohnt bedrohlich. Hat auch 18 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung nichts von dem verloren, für das Bad Boy seit Anbeginn stehen wollte: Money, Bitches, Power. Ich lasse ein wenig Ciroc für B.I.G. und die gute, alte Zeit auf das Parkett tropfen und bekomme Lust, mal wieder Goodfellas zu glotzen…

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Wir springen direkt vier Jahre zurück, kommt doch als nächster Song Big Poppas „Warning“ aus seinem legendären Ready To Die-Album durch die Boxen. Was willste da großartig sagen? Da hört man zu und genießt. Warum dann direkt Ladylover und Kirchenprediger Mase mit seiner jiggy Hymne „Feel So Good“ folgt, ist nicht ganz ersichtlich und lässt mutmaßen, dass man einfach 80 Songs zusammengewürfelt hat, statt sie wirklich zu strukturieren. Aber wenigstens gibt es ein fancy Livevideo von dem Track bei dem klar wird, welche Wichtigkeit hell leuchtende Lederjacken mit Stickereien noch für das New Yorker Label haben würden. Auch nicht schlecht:

Und auf einmal bist du in der Zeit, in der man freshe AF1s, Oversize-Shirts mit Stirnschweissbändern und Baggy-Pants im Club sportete und dachte, man sei fly und bekäme dadurch so ein Girl wie Nicole Scherzinger.

Hat man natürlich nicht. Macht den Song im Rückblick dann leider auch nicht besser. Leider musste ich dann auch kurz in die Küche einen Lappen holen, verschüttete ich doch beim Ass shaking zum darauf folgenden „Me & U“ von Cassie mein Gläschen Vodka. Hab aber über den Flur gehört, wie sich French Montana, 112, Craig Mack und B.I.G. abwechselten. Das Kopfschütteln ob der Auswahl und Mischung geht weiter. Irgendwie will sich kein wirklicher Hörgenuss einstellen. Vielleicht hilft noch ein Schlückchen Ciroc. Ich wechsle die CD.

Song 4, CD 2, direkt ein Hit! „I Need A Girl, Pt. 2” featuring voll Viele aus dem Jahr 2002 zeigt Diddy in Höchstform: Text war egal, Flow war wie immer, Style war teuer, Video sowieso, eigentlich auch alles irgendwie nicht so wirklich spannend, aber es hatte diesen Vibe, diese Atmosphäre, dieses unnahbare und eklig-protzige und dennoch wollte man halt genau das. Dachte sich auch Kay One, der zehn Jahre später einen dritten Teil anfertigte. Das aber nur als Randnotiz. Part 1 hingegen war auch spitze. Da lässt sich dann auch wunderbar drüber streiten. Mir persönlich gefiel Part 1 tatsächlich noch etwas besser. Aber das hatte auch was mit den Mädchen zu tun, die man mit seinen abgekupferten Usher Dancemoves beeindrucken wollte.

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Zwischenfrage: Kennt noch wer Carl Thomas? Geht das nur mir so? Und hat Drake schon gesehen, dass der gute Carl damals schon rollkragige Wollpullover getragen hat? Bad Boy hatte auf jeden Fall auch sehr—nun ja—interessante Signings über die Jahre hinweg. Oh! The Lox kommen rein. Und Black Rob. Ich dribbel aggressiv mit dem Basketball durch die Wohnung, während die Chicago Bulls Shorts unterm Arsch hängt. Die Nachbarn beschweren sich. Ich nehme noch einen Schluck Ciroc und mache einen imaginären Slam-Dunk.

Mittlerweile habe ich 46 Songs aus dem Bad Boy-Universum gehört und somit bereits die Halbzeit erreicht. Jetzt: Nelly. „Shake Ya Tailfeather“. Fand ich damals schon Quatsch. Ändert sich auch heute nicht. Klebe mir dennoch ein Pflaster ins Gesicht. War Nelly nicht zuletzt in Deutschland auf Tour? Hatte das ein Ausverkauf von Pflastern zur Folge? Hat Nelly da überhaupt schon Pflaster gerockt oder war das gar schon wieder out? Wieso stelle ich mir solche Fragen eigentlich? Erstmal das Video suchen. „Bad Boy 4 Life” und so.

CD 4 zeigt nun das gesamte Dilemma dieser Compilation auf: G. Dep (?), Yung Joc, 8Ball, MJG, Gorilla Zoe (?), 112, Mase, Elephant Man, Loon, New Edition und Machine Gun Kelly, der als irgendwie aktuellster Zugang zum Labelroster sein „Wild Boy” mit Waka Flocka Flame beisteuern darf. Was ist das bitte für eine Mischung? Das ist so, als würde ich jetzt mit meinem Ciroc Vodka in den billigsten Club der Stadt laufen und mir Apfelsaft von einer zahnlosen Barkeeperin ins Glas spucken lassen, während sich der DJ nicht entscheiden kann, ob er zum Helene Fischer’esquen Tanzbeinschwingen einladen will oder lieber mit Metallica den Putz von den Wänden bröckeln lassen möchte. Will sagen: Ciroc ist super (#SponsoredPost) und die Zusammenstellung schreit nach „Gib mir die Songs, ich mach das selber!”. Wofür kann man heute eigentlich digitale Playlisten erstellen? Bestimmt wurden die erfunden, als President of Bad Boy Harve Pierre, der das hier verzapft hat, seiner ersten Freundin ein Mixtape gemacht hat und sie nicht wusste, ob er sie nun koital beglücken oder ihre Eltern in einem Kofferraum eingesperrt einen reißenden Gebirgsbach herabstürzen möchte. Ich lege CD 5 und somit die letzte dieses Sammelsuriums ein.

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Nice! Red Café, Ryan Leslie und Rick Ross mit „Fly Together”. Song ist nur solala, aber das damalige Promovideo, in dem gezeigt wird, welch virtuoser Künstler dieser Ryan Leslie zu sein scheint, war schon ziemlich eindrucksvoll. Glotz ich noch mal rein … Stimmt … Immer noch super … Überlege, mir einen Flügel zu kaufen.

Danity Kane… Da Band… Diddy und Kollegen haben sich zwischen all den wirklich veritablen Künstlern und Hits immer gern auch mal einen Aussetzer geleistet. Also rein stilistisch. Kommerziell erfolgreich war davon dennoch viel bis sogar noch etwas mehr. Aber am Ende musste man sich, gerade bei den Gruppenkonstellationen, eingestehen, dass dabei nicht viel mehr als kurzlebige Hypes ausgenutzt wurden. Diddy mag eben die grünen Scheinchen und, da muss man seinen Hut vor ziehen, hat auch eben wie kaum ein anderer Ahnung davon, wie man sie bündelt, mit Gummibändern bindet und in Schuhkartons teurer Sonderanfertigungen italienischer Modemarken stapelt. Erfolg gibt einem bekanntlich Recht. Nur Style kann man leider nicht kaufen.

Es braucht ganze 78 Tracks bis einer der größten Songs des Labels überhaupt erklingt. „I’ll Be Missing You”. Eine Hommage an B.I.G., Freundschaft, Familie und Rap. Und einer der wenigen Rapschnulzen, die man nicht haten kann. Gut, Police’ “Every Breath You Take” so schamlos auszunutzen, trägt natürlich zum Hitpotential bei, aber egal. Hit ist Hit.

Es folgt noch Puffys „Best Friend” mit Mario Winans, welcher leider nicht unter die Kategorie „Unhatebar” fällt, somit suche ich auch gar nicht erst das Video raus und nehme noch einen letzten Schluck Wasser … ähh … Ciroc zu mir … 200 Minuten Bad Boy, 200 Minuten einmal quer durch die Labelgeschichte. Man wird das Gefühl nicht los das Songs fehlen - was aus Linzenz- und Mengengründen sicherlich auch stimmen mag - und das die Zusammenstellung ziemlich lieblos zwischen Frühstückstoast und Morgenschiss zusammengezimmert wurde. Aber die Aufmachung der Box ist ganz nett und nun ja, es ist ja auch irgendwie ein Stück Geschichte, die einen mal mehr mal weniger aktiv begleitet hat (Schade dass man nicht die Rechte am Nas Feature „Hate Me Now” hält…). Und so wahllos und vielfältig die Tracklist auch ist, so war und ist doch auch irgendwie das Label selbst auch. „We wanted to thank our fans, celebrate the music, the people, and the Bad Boy lifestyle that have defined the past two decades. We've always made music that makes the people dance; this collection does all that and more, and it is a celebration of all things Bad Boy.” Na dann: Happy Birthday!

Amadeus ist bei Twitter: @ama302