Silhouette einer Person vor lila Hintergrund, die Autorin hat Gewalt durch ihren Partner erlebt
Bild :Jr Korpa via Unsplash
Menschen

Warum es so schwer ist, sich von einem gewalttätigen Partner zu trennen

Außenstehende fragen oft, warum man solche Beziehungen nicht einfach beendet. Als jemand, die das selbst durchgemacht hat, kenne ich die Gründe dafür genau.
Nadia Kara
Antwerp, BE

Ein Ex, den ich sehr geliebt habe, hat mich körperlich und psychisch missbraucht. Das ist eine Tatsache. Und trotzdem fällt es mir schwer, das zu akzeptieren. Seit dem Ende der Beziehung sind Jahre vergangen und ich habe immer noch das Gefühl, dass ich irgendwie übertreibe. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle, aber drei stechen besonders heraus: die Scham darüber, dass ich das mit mir habe machen lassen, die Unvereinbarkeit von meinem Bild eines Opfers und meinem Selbstbild und eine generelle Angst vor Konflikten.

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Ich habe Tausend Gründe dafür, warum ich dieses traurige Kapitel meines Lebens lieber geheim halten würde. Und genau das habe ich jahrelang auch getan. Aber irgendwann habe ich mich entschieden, mein Schweigen zu brechen und offen zu sagen, was damals passiert ist. Trotzdem litt ich weiter – es war nur der erste Schritt in meinem Heilungsprozess. Ich finde, es sollte normal sein, offen über Missbrauch zu sprechen. Viele Menschen machen so eine Erfahrung durch und überstehen sie. Deswegen beschloss ich, mit anderen zu sprechen, die ähnliches durchgemacht haben.


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"'Unsere Beziehung ist einfach sehr leidenschaftlich.' Das habe ich immer gesagt, wenn mich jemand darauf angesprochen hat, dass der Typ, mit dem ich zusammen war, ein Aggressionsproblem hat", sagt Alina. Die 27-Jährige möchte hier nur ihren Vornamen nennen. Als sie sich Hals über Kopf in ihren jetzigen Ex verknallte, war sie 17. "Ja klar, seine Reaktionen waren manchmal extrem. Aber das war nur so, weil er mich so sehr liebte", sagt sie. "Zumindest habe ich mir das immer eingeredet."

Alina und ihr Ex waren acht Jahre lang in einer Fernbeziehung. In dieser Zeit versuchte er, alles in ihrem Leben zu kontrollieren, von ihrer Kleidung bis hin zu ihrer Bildung. "Er kritisierte ständig meine Freundinnen und meine Schwestern. Weil er meine erste große Liebe war, dachte ich, das sei normal", sagt sie

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Romy, die in Wahrheit anders heißt, war selbst sieben Jahre in einer von psychischem und körperlichem Missbrauch geprägten Beziehung. "An guten Tagen gab er mir sehr viel Liebe. Wenn ich bei ihm war, fühlte ich mich wie etwas Besonderes", sagt die heute 28-Jährige. "Ich liebte ihn über alles. Außerdem wusste ich, dass er eine traumatische Kindheit gehabt hatte. Deswegen vergab ich ihm seine extremen Seiten." 

Romy dachte, ihr Beitrag zur Beziehung sei, ihrem Partner zu helfen, seine traumatische Vergangenheit zu verarbeiten. "Ich erinnere mich noch, wie er einmal zu mir sagte: 'Es sind die Menschen, die man liebt, die einen am schlimmsten verletzen.' Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf."

Es ist schwer, sich als Menschen zu sehen, der Manipulationen und Misshandlungen erduldet hat – vor allem von jemandem, den man liebt und der einen angeblich auch liebt. "Wie konntest du nur so blind sein?", fragt mich der kleine Teufel auf meiner Schulter immer wieder, mich, die vorlaute Feministin, die für ihre Freundinnen immer den richtigen Ratschlag parat hatte.

"Ich habe seine Aggressivität immer damit gerechtfertigt, mir einzureden, dass er keine Kontrolle darüber hat." – Romy

Aber wie Romy sagt: "Beziehungsgewalt taucht nicht plötzlich an einem Tag auf. Sie fängt klein an und wächst langsam. Ehe du dich's versiehst, steckst du in einer unfassbar ungesunden Beziehung. Außenstehende können das sehen, aber für dich und deinen Partner ist es eine Form von Intimität, die vollständig normalisiert wird."

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Es ist auch ein Stück weit aufregend, in einer Beziehung zu sein, die sonst niemand versteht. Die irrationale Bindung macht es bisweilen besonders romantisch. Verstärkt wird dieses Gefühl dadurch, wie turbulente Beziehungen seit jeher in Romanen und Filmen dargestellt werden.

Irgendwann wirst du die Gaslighting-Logik übernehmen, die dein Partner gegen dich verwendet. "Ich habe seine Aggressivität immer damit gerechtfertigt, mir einzureden, dass er keine Kontrolle darüber hat", sagt Romy. "Dass sie eigentlich gar nicht gegen mich persönlich gerichtet war."

Ich brauchte mehrere Jahre, um zu merken, dass etwas nicht stimmt. Mit der Zeit hatten sich seine manipulativen Bemerkungen langsam zu Händen geformt, die mir meinen Hals zudrückten. Wenn ich das hier schwarz auf weiß sehe, komme ich mir beinahe ein bisschen dumm vor. Aber nach jedem seiner Ausraster sagte ich mir, dass es der letzte war – und dass es meine Aufgabe sei, dafür zu sorgen, dass er nie wieder in so einen Zustand kommt.

Einmal, als wieder ein Streit eskaliert war, bin ich am nächsten Tag zur Polizei gegangen. Ich hatte allerdings keine blauen Flecken oder Wunden, mit denen ich hätte beweisen können, dass er mich misshandelt hatte. Also bin ich zu ihm zurück und hoffte einfach, dass er sich wieder beruhigt hatte. Natürlich dachte ich häufig daran, mit den Menschen in meinem Umfeld über unsere Beziehung zu sprechen. Aber wenn ich mich geöffnet hätte, hätte ich ihn verlassen müssen – und das war undenkbar.

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Alina fand sich in einer ähnlichen Situation. "Ich konnte mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen", sagt sie. "Sobald die Leute anfingen, Bemerkungen über sein Verhalten zu machen, achtete ich sehr darauf, was ich ihnen erzählte, damit sie nicht zu misstrauisch werden." Und je länger man schweigt, desto tiefer sinkt man. Wie sagt man seinen Freundinnen, dass man sich in etwas Schrecklichem verfangen hat, aus dem man sich nicht zu fliehen traut? 

Es ist hart, diesen ersten Schritt zu machen und sich anderen zu öffnen. Das zwingt dich nämlich, deine Situation als das anzuerkennen, was sie ist. Und genau das hast du die ganze Zeit versucht zu vermeiden. Aber mit anderen zu sprechen, ist der einzige Weg, um diesen toxischen Kreislauf zu durchbrechen, der dysfunktionale Beziehungen aufrechterhält. Das hat auch Romy gemerkt. Sie trennte sich von ihrem Ex – aus Gründen, die nichts mit dem Missbrauch zu tun hatten – und zog zu ihrem Bruder.

"Er war immer sehr gut darin zu erklären, dass er im Recht und alles meine Schuld sei." – Romy

"Mein Bruder bemerkte, dass ich mich für jede Kleinigkeit entschuldigte und ständig angespannt war", sagt sie. "Er verstand nicht warum, aber es kam ihm komisch vor. Also fing er an, mir ein paar Fragen zu stellen. Dadurch wurde mir bewusst, dass etwas nicht stimmte. In meinem Kopf hatte es Klick gemacht."

In den folgenden Wochen begann Romy, ihre Erinnerungen zu reflektieren und ihre Beziehung in neuem Licht zu betrachten. "Wenn ich jetzt daran zurückdenke, sehe ich, dass es viele Augenblicke gab, in denen ich wusste, dass das Verhalten meines Partners nicht normal ist. Aber ich blockierte diese Gedanken systematisch, indem ich mir einredete, dass ich einfach nicht genug Verständnis zeige", sagt sie. "Er war immer sehr gut darin zu erklären, dass er im Recht und alles meine Schuld sei." 

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Drohen, schmeicheln und ein schlechtes Gewissen einreden: Täter und Täterinnen wissen, wie sie ihre Opfer davon abhalten, ihren Ruf zu ruinieren – scheinbar das Einzige, was ihnen wirklich etwas bedeutet. Romys Partner bat sie ausdrücklich darum, nicht mit Freunden über seine Wutausbrüche zu reden, weil er sich für sein Verhalten schäme.

Auch Alina verheimlichte ihrer besten Freundin lange die Gewaltausbrüche ihres Partners. Über Jahre. Sie wusste, dass die beiden sich nicht verstehen. "Aber in unseren letzten Monaten hatte er so viele Grenzen überschritten, dass ich sie endlich unter Tränen anrief und ihr alles erzählte", sagt Alina. "Kein einziges Mal meinte sie zu mir: 'Habe ich dir doch gesagt.' Sie gab mir nie die Schuld, dass ich es ihr verheimlicht hatte. Ihre erste Reaktion war, dass das psychischer Missbrauch sei und ich keine Schuld trage."

Alinas Freundin ist allerdings die Ausnahme: Nicht alle verfügen über diese Weitsicht und das nötige Feingefühl, wenn sich eine Freundin oder ein Freund ihnen anvertraut. Tatsächlich machen viele Menschen den Fehler, Schuldzuweisungen zu machen oder sich vor allem selbst schuldig zu fühlen, dass sie nie die Ernsthaftigkeit der Situation erkannt haben. Aber als Ally, also jemand, der einem zur Seite stehen will, ist es wichtig, das erste Gespräch nicht so zu wenden, dass sich plötzlich alles um einen selbst und das eigene Versagen dreht – und auch nicht um die ganzen blutigen Details.

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Ich selbst habe erst lange nach der Trennung angefangen, mit anderen über meine Beziehung zu sprechen. Zu der Zeit sahen mein Ex und ich uns noch regelmäßig, hatten viele gemeinsame Freunde und teilten uns das Sorgerecht für einen Hund. Es kam mir falsch vor, ihn einfach komplett aus meinem Leben zu streichen. Gleichzeitig spürte ich eine tiefe Wut in mir, dass die Person, die mir so sehr wehgetan hatte, unbeschadet davonkam. Auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, dass mich diese Beziehung und ihre Folgen mein Leben lang begleiten wird.

Selbst nachdem ich begonnen hatte, mit anderen darüber zu sprechen, war ich noch sehr vorsichtig. Ich wollte nicht, dass andere Mitleid mit mir haben oder mich verurteilen und mir sagen, dass sie ihn an meiner Stelle sofort verlassen hätten. Ich wollte kein Opfer sein.

Freunde und Familie sind nicht immer gut darauf vorbereitet, was sie mit solchen Informationen anfangen sollen. Einige meinten, sie würden keine Partei ergreifen wollen. Für mich war das das Schlimmste. Wenn Menschen, die einem lieb und teuer sind, vor Missbrauch ein Auge zudrücken oder einem "tja, so ist das Leben" sagen, unterstützen sie stillschweigend die Gewalt. Häufig liegt das daran, dass es ihnen unangenehm ist, ihren Freund als Täter zu sehen – und ihn dafür zur Verantwortung zu ziehen.

Mein Ex und ich sind jetzt seit fünf Jahren getrennt. Und obwohl ich ihn definitiv aus meinem Leben gestrichen habe, ist es nicht leicht, einfach ein neues Kapitel aufzuschlagen. Traumatische Erfahrungen hinterlassen bleibende Spuren. Einem bleibt nichts anderes, als sich selbst wieder aufzubauen und nicht auf eine Entschuldigung oder Anerkennung von der Person zu warten, die einen so misshandelt hat.

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Seit der Beziehung bin ich sehr misstrauisch, ängstlich und pessimistisch, was die Liebe angeht. Wenn ich heute jemanden kennenlerne, den ich mag, bin ich sofort auf der Hut. Ich habe Angst, in eine Falle zu tappen, und ich weigere mich, wieder ausgenutzt zu werden. Ich kann nicht mal mehr mir selbst vertrauen.

Ehrlich gesagt weiß nicht, wie eine gesunde Beziehung aussieht. Die ganzen Konzepte von Ausgeglichenheit und Stabilität ergeben für mich keinen Sinn. Es ist fast so, als könnte Liebe für mich nur wahr sein, wenn sie toxisch ist. Die Gewalt durch meinen Partner hat dazu geführt, dass ich alles an mir infrage stelle.

"Ich fühlte mich ständig bedrängt, alles hat mich getriggert." – Alina

Romys Dating-Erfahrungen ähneln meinen. "Anfangs war ich total misstrauisch. Ich vergewisserte mich bei Dates ständig, wo die Tür ist, für den Fall, dass ich wegrennen muss", sagt sie. "Ich hatte ständig das Gefühl, dass die Person vor mir sich von einer Sekunde auf die andere komplett ändern konnte." Zum Glück habe sich dieses Gefühl mit der Zeit gelegt, aber sie reagiere immer noch sehr sensibel auf bestimmte Signale wie sexistische oder hasserfüllte Kommentare. Und Romy hat noch immer Angst, wieder an einen gewalttätigen Partner zu geraten.

Auch Alina hat heute Probleme, eine Beziehung zu führen. "In den drei Jahren seit unserer Trennung habe ich nur eine Person gedatet, aber es funktionierte nicht", sagt sie. "Ich fühlte mich ständig bedrängt, alles hat mich getriggert." Ihr Ex hatte Alina so häufig und so intensiv kritisiert, dass sie bis heute das Gefühl nicht los wird, sich ständig beweisen zu müssen. "Es lähmt einen", sagt sie. "Ich habe Dating irgendwann einfach komplett vermieden. Es bringt mir einfach nichts."

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Vor ein paar Monaten fand ich, dass ich es verdient hatte, mit der Sache abzuschließen. Ich werde nie vergessen, was passiert ist, aber für mein eigenes Wohlbefinden muss ich diese Erlebnisse in einer Box verstauen. Und das bedeutet, mir selbst zu erlauben, auch meine Seite der Geschichte zu erzählen: all das, was ich erlebt habe, was mein Ex totgeschwiegen hat und was ich selbst für mich behalten habe, um ihn zu schützen.

Mein Therapeut war die erste Person, die mir den Raum gab, genau das zu tun. Er war der erste, der meine Erinnerungen nicht hinterfragte, der meine Gefühle ernstnahm und mir half, den Einfluss der traumatischen Erlebnisse auf mein jetziges Leben zu verstehen. Neben dieser professionellen Hilfe war es auch extrem hilfreich, mit anderen Menschen zu sprechen, die solche Erfahrungen durchgemacht haben.

Wenn du das hier liest und selbst körperliche und psychische Gewalt durch deinen Partner oder deine Partnerin erfahren hast: Du bist nicht allein. Es ist nicht deine Schuld, und du kannst die Beziehung nicht verbessern, wenn du dich nur mehr anstrengst. Sprich mit jemandem darüber, dem du vertraust. Teile mit dieser Person deine Ängste und Befürchtungen. Such dir professionelle Hilfe, vor allem wenn deine Situation finanziell, rechtlich oder familiär prekär ist. Du verdienst ein angstfreies Leben ohne Verletzungen. Du verdienst es, du selbst zu sein.

Frauen, die häusliche oder sexualisierte Gewalt erlebt haben oder gegen ihren Willen zu Handlungen gezwungen wurden, wird in Deutschland unter der Nummer 08000 11 60 16 Hilfe angeboten. In Österreich kannst du dich an die Frauenhelpline gegen Gewalt wenden: 0800 222 555. In der Schweiz bekommen betroffene Frauen bei der Beratungsstelle für Frauen und unter deren Nummer 044 278 99 99 Hilfe.

Bist du sexuell belästigt worden oder hast sexualisierte Gewalt erlebt? In Deutschland bekommst du Hilfe unter der Telefonnummer 0800 22 55 530. Mehr Infos findest du auf dem Hilfeportal der Bundesregierung. Wer in der Schweiz sexualisierte Gewalt erlebt hat, findet bei der Frauenberatung Links zu Beratungsstellen, betroffene Männer erhalten Hilfe im Männerhaus. In Österreich wird ein 24-Stunden-Hilfenotruf unter 01 71 719 angeboten. In jedem Fall gilt: Wende dich auch an die Polizei in deiner Nähe und zeige den Täter oder die Täterin an.

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