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Fotos von den kaputten Helden des Openair Frauenfeld

Die wahren Dramen spielen nicht im Rampenlicht.
Alle Fotos von Dominik Meier

Das Openair Frauenfeld ist zum grössten HipHop-Festival Europas mutiert und fährt jedes Jahr mit einer unglaublichen Dichte an internationalen Top-Acts auf. Auch an der diesjährigen Ausgabe präsentierten die Macher des Festivals ein Line-Up, das das Herz eines jeden Rap-Fans höher schlagen liess. Von kommerziellen Sure-Shots wie Macklemore, Wiz Khalifa oder Major Lazer, über Rap-Ikonen wie Mobb Deep, 50 Cent oder Kool Savas bis zu den grossen Zukunftshoffnungen wie Anderson Paak oder Mick Jenkins—das Festival gab alles, um auch dieses Jahr möglichst viele junge Menschen auf die Pferderennbahn in Frauenfeld zu locken. 170.000 verkaufte Einzeleintritte über drei Tage stellen einen neuen Besucherrekord dar. Das Openair Frauenfeld wird mit einer gezielten Expansion in den deutschen Markt weiterhin wachsen, seine Vormachtsstellung als Nummer eins auf dem europäischen Festland ausbauen und kommerziell noch erfolgreicher werden.

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Daran werden auch unterirdische Auftritte wie das Konzert von 50 Cent nichts ändern. Geflankt von seinen beiden Weggefährten Tony Yayo und Llyod Banks stürmte er vielversprechend die Bühne, um 30 Minuten lang nicht viel zu sagen. Beziehungsweise war er nicht zu hören, weil er in ein gemutetes Mikrophon rappte. So verkam das Set des Superstars, der auf ein Arsenal von Megahits zugreifen kann, zu einem Tony Yayo-Hosting-Set. Dieser brüllte jeweils die letzten zwei Worte einer jeden 50 Cent-Line in Fatman Scoop-Manier inbrünstig und pflichtbewusst ins Mikrophon. Glücklicherweise hat sich in den letzten fünfzehn Jahren die Angewohnheit etabliert, dass in den Instrumentalversionen der Songs an sehr vielen Stellen die Vocals eingebaut sind. So konnte sich 50 Cent darin üben, eine Pantomimeversion seiner Hits vorzutragen, um seine Show nicht gerade Playback nennen zu müssen.

Nach knapp 30 Minuten wurde mir klar, warum Fittys Mikrophon gemutet war: Er war so heiser, dass es keinen grossen Unterschied machte, ob das Mikrophon eingeschaltet war oder nicht. 50 Cents Stimme war nämlich trotz eingeschaltetem Mic kaum zu hören oder immer mal wieder stark "Outta Control". Es war darum wohl eher eine taktische Entscheidung des Rappers als eine technische Komplikation, in ein Mic zu rappen, das gemutet war. Trotz allem konnte 50 mit seinem permanenten Zahnpastalächeln, das Publikum für sich gewinnen und gab damit einem wichtigen Bestandteil des Festivals ein Gesicht: der Fassade.

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Spannend war das Openair Frauenfeld jedoch vor allem dahinter: In den unzähligen Partyzelten und an den Side-Events bekam lokales Eigengewächs in Gestalt von DJs, Freestyle-Rappern, BBoy-Battles und Beatbox-Events eine Plattform. Auf den Zeltplätzen wurde drei Tage durchgefeiert, um es schlussendlich den Vorbildern auf den grossen Bühnen gleich zu tun und seine Stimme zu verlieren.

Subkulturen bleiben vor allem dadurch am Leben, dass junge Menschen auf Konventionen scheissen, sich betrinken, Drogen nehmen und dabei oder danach Kultur outputen, die sich nicht darum bemüht, verstanden zu werden oder zu gefallen. Aus dieser Betrachtungsweise heraus kann also auch

50 Cent

getrost als subkultureller Mehrwert verstanden werden, weil ihn niemand hörte und ihn das offensichtlich nicht gross kümmerte. Für mögliche Konsumenten der produzierten Subkultur ist meiner Meinung nach wichtig, dass sie sich Alternativen zu denen Hauptbühnen suchen. Bewegung entsteht im Verborgenen, in den Seitengassen und Hinterhöfen. Im Bezug auf ein Festival sind das die Side-Events und die

Zeltplätze

. Dort treten die Charaktere an die Oberfläche, die den wahren Helden des Festivals ihre Stimme geben, oder wie es Freundeskreis 1995 mit dem Song "Wenn der Vorhäng fällt" auf den Punkt brachte: "Geblendet vom Szenario erkennt man nicht, die wahren Dramen spielen nicht im Rampenlicht."