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Interviews

"Wie erkläre ich meinem Kind, dass ich das hier machen muss" – Die Emo-Punker Matula im Interview

Die Emo-Punks von damals sind jetzt Eltern. Also gibt es auf 'Schwere' keine Liebeslieder mehr, sondern eine Abrechnung mit der tristen Realität des Alltags.
Foto: Daniel Möhring

Deutscher Emopunk scheint fast ausgestorben zu sein. Kein Wunder, die Typen von damals sind schließlich nicht mehr um die 20. Die Zeit der Beziehungsdramen ist vorbei, der Selbstfindungsprozess auch, über was willst du also Lieder schreiben? Vor diesem Problem standen auch Matula. Die haben jetzt ihr viertes Album Schwere fertig und in den 15 Jahren seit ihrer Gründung ist viel passiert: Jobs, feste Beziehungen, Kinder – erwachsen werden halt. Passiert den besten von uns. Doch irgendwie haben Matula es geschafft, das Grau des Alltags zu einer verdammt spannenden Platte zu spinnen.

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Sänger Thorben Lange war schon immer sehr gut darin, Bilder zu erschaffen, die einen in die Songs ziehen, doch auf Schwere gelingt das der Band noch besser als je zuvor. Mit Zeilen wie dem von Autor Sebastian 23 übernommenen"Hinfallen ist wie anlehnen – nur später" bekommt man genau das schwere Gefühl, das dem Album seinen Titel gibt.

Aber eigentlich ganz logisch, dass Schwere so gut funktioniert. Denn Emo-Punk hat seine Stärke schon immer aus den Alltagsdramen der Realität gezogen. Die ändern sich zwar mit dem Älterwerden, aber die Wirkung bleibt die gleiche. Viel spannender ist, wie Matula fast subversiv Genrekonventionen über den Haufen schmeißen. Früher lebte das Genre von der Fixierung auf die eigenen Gefühle, die im Mittelpunkt standen und ohne Rücksicht auf andere alles in den Schatten stellten. Genau dieses Verhalten wird von Matula jetzt etwa in dem Song "Verletztes Tier" attackiert:

"Was denkst du nur?
Hast du das nötig?
Ein paar Beschwerden
und manchmal fluchen
Du badest in Mitleid,
während draußen alles brennt
Legst Kohlen nach,
weil dir jetzt kalt ist"

Matula sind eben nicht mehr die Emo-Punks von damals, sondern kämpfen jetzt mit ganz anderen Problemen als in ihrer sorgloseren Jugend. Grund genug für uns, mit Sänger Thorben über das Album zu sprechen

Noisey: Warum hat es vier Jahre gedauert, um das neue Album zu machen?
Thorben: Naja, wir haben ja auch alle noch richtige Jobs und zwei von uns Kinder. Außerdem brauchen wir relativ lange, um das Album auszufeilen, weil wir ja etwas Neues machen wollen. Das heißt, man hat zehn Songs zusammen, schmeißt die Hälfte wieder weg, arbeitet weiter, produziert erstmal alles in Garage Band vor und so weiter. Wir hätten Schwere aber auch in drei Jahren geschafft, wenn mir kein Trommelfellriss in die Quere gekommen wäre.

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VICE-Video: "Young Reoffenders"


Es kostet aber auf jeden Fall mehr Energie als früher. Und man muss verkaufen, warum man das macht. Der Familie erklären, dass Zeit dafür aufgewendet werden muss. Wenn Bock und Energie geringer wären, hätte es diese Platte auf jeden Fall nicht gegeben.

Die Band gibt es jetzt seit 15 Jahren. Wie hält man es so lange durch, wenn man nebenbei noch arbeiten und sich um die Familie kümmern muss?
Man braucht auf jeden Fall eine ziemlich hohe Frusttoleranz. In den ersten Jahren war echt alles schlimm. Aber dann kommt irgendwann der Punkt, an dem einen andere Bands fragen, ob sie bei einem im Vorprogramm spielen dürfen. Ich finde es aber auch wichtig, sich erstmal zu entwickeln. Spielt erstmal zwei Jahre oder so zusammen und fragt erst dann an, ob ihr im Vorprogramm von anderen Bands auftreten könnt. Das Ganze funktioniert halt nicht von jetzt auf gleich.

Was ist für dich der große Unterschied zum Vorgänger-Album Auf allen Festen?
Damals hatten wir noch so ein Pflichtgefühl, alles mitnehmen zu müssen, waren quasi zwischen den Welten unterwegs, irgendwo zwischen Neubausiedlung und VICE. Und so waren dann auch die Fragen des Albums. Hatte man zu wenig Mut? Muss man einfach mit seinen Ängsten leben? Und dann war das ja auch die Zeit, in der die sozialen Kontakte verloren gehen. Man lebt sich auseinander, hat einfach andere Vorstellungen vom Leben. Das war der Schmerz von Auf allen Festen. Mit Schwere sind wir jetzt wohl endgültig erwachsen geworden.

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Als Emo-Punkband kommt natürlich noch ein anderes Problem auf euch zu: Ihr habt gute Jobs, Kinder und keinen Liebeskummer. Also ein ziemlich erfülltes Leben. Wo kommt also die Schwere her, die sich durchs Album zieht?
Manchmal ist man eben doch mit der Lebensrealität konfrontiert. Ich versuche mich seit über 15 Jahren dagegen zu stemmen und trotzdem kommt man auf diese festen Bahnen, gegen die man doch eigentlich war. Man ist in einem Spannungsfeld mit der Familie. Alles, was man mit der Band macht, fehlt der Familie. Entweder kommt das Kind zu kurz oder die Beziehung. Alles, was ich außerhalb mache, heißt, dass meine Frau dann aufs Kind aufpassen muss. Und schon steckt man in Mustern, die man als aufgeklärter Mann ja eigentlich hinter sich gelassen haben wollte.

Aber Zeit ist halt schwierig. Das klingt vielleicht albern, aber ich habe mir gestern erst einen Spotify-Account geklickt. Keine Ahnung, wann ich überhaupt das letzte Mal ein Album gehört habe. Und wir sind bald sechs Tage auf Tour, proben zwei Tage die Woche und dann mache ich auch noch Sport. Das ginge überhaupt nicht, wenn meine Frau das auch tun würde. Und die Urlaubstage, die für die Band draufgehen, fehlen dann in den Ferien. Wie erkläre ich meinem Kind, dass ich das hier machen muss, statt mich zu ihm in die Sandkiste zu setzen?

"Gründet eine Band, damit ihr nicht in einem dieser Junggesellenabschiede auf der Reeperbahn endet."

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Aber warum musst du das hier überhaupt machen?
Das frage ich mich auch. Es ist ein Ausgleich, eine Flucht. Ich bin ein sehr aktiver Mensch. Auf der einen Seite liebe ich die Sicherheit in meinem Job. Aber manchmal muss man da auch raus. All diese Baustellen ermöglichen auch eine gewisse Frische. Und als Band hat man ja auch noch das Privileg, dass man seine Gedanken weitergeben kann und Leute das wirklich hören wollen. Außerdem behält man so wenigstens noch einen Fuß in der Punk/Hardcore-Szene, aus der wir ja kommen.

Gleichzeitig brauche ich auch meinen richtigen Job als Sonderschullehrer, um unmittelbar das Gefühl zu haben, etwas zu bewegen. Außerdem verhindert das, dass man musikalisch in seinem eigenen Saft kocht und um sich selber kreist.

Aber ohne den Ausgleich? Wenn ich mir alte Schulkameraden angucke: will man so sein? Da geht es dann doch nur um das beste Auto, das größte Haus … Selbst bei Leuten, von denen man es gar nicht gedacht hatte. Darum also der Tipp: Gründet eine Band, damit ihr nicht in einem dieser Junggesellenabschiede auf der Reeperbahn endet.

Schwere von Matula ist bei Zeitstrafe erschienen und kann hier bestellt werden.

Außerdem gehen Matula zusammen mit Captain Planet und Deutsche Laichen auf "Kein Grund zum Feiern"-Tour:

08.10.2018 Berlin, Lido + tba
09.10.2018 München, Hansa 39 + Sandlotkids
10.10.2018 AT-Wien, Arena + tba
11.10.2018 Wiesbaden, Schlachthof + Rauchen
12.10.2018 Köln, Gebäude 9 + Rauchen
13.10.2018 Hamburg, Uebel & Gefährlich + tba

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