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Wenn Boulevard-Medien über weibliche Schlager-Stars schreiben, wird es widerlich

"Schlager-Schönheit lässt Knack-Po blitzen" – Die sexistischen Meldungen lesen sich teilweise wie billige Erotikromane.
Foto: imago | STAR-MEDIA

Zugegeben: Schlager steht nicht unbedingt für intellektuellen Tiefgang, gesellschaftskritische Texte oder ein aufgeklärtes Weltbild. Und wenn man sich das letzte Bild-Interview mit Szenegröße Vanessa Mai so durchliest, scheint sie sich ihrem anspruchslosen Publikum durchaus bewusst zu sein. Wir zitieren: "Der Albumtitel Schlager ist mein Tribut an den Schlager. Ja, ich stehe dazu, dass der Schlager meine Leidenschaft ist." Das Gute ist, dass wir den ganzen Schlagerzirkus eigentlich großflächig ignorieren können. Wo wir jedoch nicht wegschauen können, ist die Art und Weise, wie die Boulevard-Redaktionen über weibliche Schlagerstars berichten.

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In den Headlines und Artikeln werden sie so häufig auf Körperlichkeiten reduziert und sexualisiert, dass wir rufen wollen: Wenn ihr was über Schlager schreiben wollt, dann schreibt verdammt nochmal auch über Schlager! Über die zünftigen oder poppigen Songs, die urigen Melodien, den Kitsch- oder Schunkel-Faktor, die sportlichen Bühnenshows oder was auch immer. Ob Beatrice Egli jetzt zu- oder abgenommen hat, Michelles Tochter schon mit 17 nett anzusehen ist oder Helene Fischer einen tiefen Ausschnitt trägt, sollte doch eigentlich keine Sau jucken.

Frei nach dem Motto "Je primitiver, desto höher die Klickzahlen" locken sie spitze Schlagerfans auf ihre Websites, damit die sich kollektiv an den prallen Dekolletés, knappen Outfits und runden Hintern diverser Sängerinnen erfreuen können. Ach, die machen Musik? Wen interessiert's.

Es ist an der Zeit, sich den Sexismus des Schlager-Boulevards systematisch anzugucken und nicht nur bei jeder einzelnen Headline den Kopf zu schütteln. Wir haben uns durch den bunten Strauß unangebrachter Meldungen gekämpft und die unverschämtesten Schmankerl für euch zusammengetragen:

"Helene Fischer: Was für ein Dekolleté! Dieser Ausschnitt sorgt für Herzbeben"

Bunte.de findet, dass beim Artwork von Herzbeben – The Mixes der Name Programm ist. "Wetten, dass auch euer Herz beim Anblick dieses Mega-Dekolletés höher schlagen wird? Überzeugt euch selbst – oben im Video!" Besagter Clip zeigt das Cover der Remix-EP von 2017 und zoomt schööön laaangsam und völlig ungeniert in den Ausschnitt der erfolgreichen Sängerin. Die wolle das doch auch, schließlich sei "der Blick verrucht, das Kleid knalleng" und das Dekolleté überlasse "nicht viel der Fantasie".


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VICE-Video: "Die Black Women’s Defense League kämpft mit Waffen gegen Rassismus und Frauenfeindlichkeit"


"Vanessa Mai: imPOsant! Schlager-Schönheit lässt Knack-Po blitzen"

Während die Busen-Fans Feuer und Flamme für Helene Fischer sind, kümmert sich die Hintern-Fraktion voller Inbrunst um die Berichterstattung der ehemaligen DSDS-Jurorin Vanessa Mai. Dabei werden mit besonderer Vorliebe die Worte "Knack-Po" oder "Popo-Parade" verwendet. So lockt neben StarNews.de zum Beispiel auch die vielleicht ralligste Redaktion Deutschlands, die Herrschaften von news.de, mit solchen Schlagzeilen:

"Vanessa Mai: Sexy Po-Po-Show! Schlager-Schönheit begeistert mit knappem Outfit"

Im Artikel zu dieser sabbernden Headline wird dann vom "flatternden Bühnen-Outfit" der Sängerin geschwärmt: "Der Fummel gewährt einen freizügigen Ausblick auf die Kehrseite von Vanessa Mai." Dann warnen sie auch noch vor "akutem Knack-Po-Alarm" auf ihren Konzerten.

"Michelle – Cover mit Wow-Effekt: So nackt haben wir sie noch nie gesehen!"

Da bringt man als Musikerin eine neue Platte raus und bangt, wie sie bei den Fans wohl ankommen wird. Kann man mit den neuen Songs an alte Erfolge anknüpfen? Ist man sich treu geblieben? Fühlen sie die Texte? Für deutsche Schlagersängerinnen scheint all das jedoch vollkommen irrelevant zu sein. Schließlich zählt für bunte.de-Redakteure ja doch nur, wie viel Haut sie auf den Albumcovern zeigen. Titten. Ärsche. Geil. Der Berliner Kurier steigt kopfnickend mit ein:

"Wow-Foto: Michelle meldet sich (fast) nackt zurück"

Wer auch immer für diesen Artikel zuständig war, scheint unangefochtener Weltmeister (wir können uns nicht richtig vorstellen, dass dahinter eine Weltmeisterin stecken könnte) der Disziplin "Wer schafft es, am häufigsten das Adjektiv nackt auf eine Seite zu packen" zu sein. Anders können wir uns solche Zeilen nicht erklären: "Lediglich ein schwarzer Ärmel bedeckt einen Arm und die Hälfte einer Brust der ansonsten nackigen Mittvierzigerin. Der andere, nackte Arm verdeckt die andere (ebenfalls nackte) Brust." Bei der Preisverleihung sind ihm Standing Ovations sicher.

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Als Helene Fischer Mitte Mai Flieger – The Mixes ankündigt, eine EP mit acht verschiedenen Versionen ihrer Single "Flieger", lief die Berichterstattung nicht nur sehr einseitig, sondern vor allem armselig ab:

"Ganz schön mutig: Helene ohne Höschen? Neues Plattencover heizt Fischer-Fans ein"

Unten ohne, oben mit? Schon beim Gedanken daran scheint es dem zuständigen Express -Redakteur eng in der Hose geworden sein. Er schaffte es gerade noch, folgende Zeilen zu tippen: "Der Blazer endet über dem Intimbereich der Schlager-Queen. Lediglich Helenes Hände bedecken ihre Bikinizone. Ganz schön mutig von der 33-Jährigen." Eine traurige Slideshow von Helenes heißesten Outfits hat er noch angehängt. Für die Fans.

Das Flieger-Cover veranlasste auch stern.de dazu, einen Artikel darüber zu verfassen, ob die Gute nun was drunter trägt, oder nicht. Auf news.de fand man das Cover von Helene natürlich ebenfalls bemerkenswert:

"Helene Fischer unten ohne: Wo ist der Slip geblieben? Schlagerstar zeigt sich sexy wie nie"

Die Redaktion lässt sich aber nicht komplett vom nicht vorhandenen Schlüpfer ablenken und weist die Leser noch auf die wirklich relevanten Fakten hin: "Neben dem fehlenden Höschen springt einem noch etwas ganz anderes ins Auge: nämlich Helenes üppige Oberweite."

"Fotostrecke: Die prallsten Dekolletés im Schlager"

Weil sich die Nachrichtenplattform news.de stets um ihre offenbar notgeilen User kümmert, hat man es ihnen noch ein bisschen leichter gemacht und eine ganze Fotostrecke mit ihren liebsten Tittenfotos deutscher Schlagersängerinnen zusammengeschustert. Die Busenparade umfasst 30 Schnappschüsse, allesamt ergänzt durch völlig unnötige Bildunterschriften à la "Helene Fischer zeigt sich bei ihren Auftritten immer wieder in knappen Outfits."

Die ersten acht Seiten der Slideshow sind mit Shots der "Atemlos"-Sängerin geschmückt, die "tief blicken lassen". Anschließend zieht man die MILF- und Age-Shaming-Karte und zeigt die 52-jährige Andrea Berg, die "zwar schon ein paar Jahre älter" ist, aber auch "gerne Dekolleté" zeigt, auch wenn "das nicht allen gefällt". Es folgen Aufnahmen von Michelle ("Beim ESC 2005 sang sie für Deutschland mit beeindruckendem Ausschnitt."), Beatrix Egli, Vanessa Mai, Ella Endlich und Stefanie Hertel, die auch schon in "jüngeren Jahren sexy" war.

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"Helene Fischer halbnackt in der Badewanne: Die ersten Bilder ihrer neuen TV-Show"

Deutschlands größtes Schlagersternchen liefert auf allen Kanälen ab. Ende letzten Jahres glänzte sie auch wieder mit einer festlichen TV-Show. Praktischerweise hat Promiflash für die potentiellen Zuschauer vorab zusammengefasst, welche Szenen der Weihnachtssendung den größten Happy-End-Effekt haben: "Ob als Goldmariechen in der Hot-Edition oder als wilde Lederbraut: Helene sorgt für eine sexy Bescherung. Und im Tanz der Vampire Akt gibt es sie so, wie Gott sie schuf." Wurde da eigentlich auch gesungen? Scheißegal!

"Helene Fischer – Nackt im Schaumbad: Dieser Anblick lässt die Fans durchdrehen"

Eigentlich sollte man als Leser anhand der Überschrift das Thema eines Textes erschließen können. Ist bunte.de aber offensichtlich rille. Denn ja: Auch hier ging es um Helenes Fernseh-Konzert.

"Beatrice Egli: Nackt | Hier zeigt sie wirklich alles!"

Same same, but different: Hier berichtete man von Beatrice Eglis neuem Musikvideo zu "Federleicht". Hätte man bei der Headline von TV Movie jetzt nicht unbedingt ableiten können, aber NACKT klickt sich nunmal besser. Die Zeilen, die dann tatsächlich das Video beschreiben, hätten so auch in einem schlechten Erotikroman vorkommen können: "Sexy räkelt sie sich auf einem Outdoor-Bett, nur mit einer dünnen Decke bedeckt." Die meiste Zeit ist die ehemalige DSDS-Teilnehmerin übrigens vollständig bekleidet und tanzt durch die Wüste. Aber egal.

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"Früher brav, heute sexy: So sah Helene Fischer beim Karrierestart aus"

Und weil Musik anscheinend nebensächlich ist, analysiert focus.de in diesem Video lieber, wann genau Helene Fischer zur Sexbombe wurde. Zu Beginn ihrer Karriere "gab sie sich nämlich äußerst bieder". Zum Glück für alle in diesem Artikel genannten Medien gleitete die Sängerin aber ab circa 2007 auf der Hotness-Skala kontinuierlich nach oben.

"Michelle: Oh là là: So sexy posiert Tochter Marie!"

Bei bunte.de schreckt man auch nicht davor zurück, eine 17-Jährige zu sexualisieren. Die Tochter des ehemaligen Schlager-Traumpaars Michelle und Matthias Reim (der mit "Verdammt, ich lieb dich, ich lieb dich nicht") möchte in die musikalischen Fußstapfen ihrer Eltern treten. Wenn es nach den Boulevardblättern geht, hat sie gute Chancen. Nicht wegen ihres Talents, nein, sondern weil sie mindestens genauso attraktiv sei wie ihre Mutter. Sie habe "keine Scheu", sich "sexy" zu zeigen, schließlich präsentiert sie sich mit "blonder Wallemähne und Schmollmund". Nochmal zur Erinnerung: Es handelt sich hier um eine Minderjährige.

Die Argumentationskette zum gegrunzten "Aber warum ziehen die sich denn auch so an?" kann man sich heutzutage hoffentlich sparen. Sich freizügig zu kleiden war noch nie eine Einladung dazu, sexualisiert und objektifiziert zu werden. Das hat nur Boulevard-Redakteuren anscheinend noch niemand erklärt. Ach, wait, Seiten wie BILDblog, Stop-Bild-Sexismus und andere machen das ja jeden Tag.

So langsam sind wir jedenfalls nur noch ein "lässt tief blicken" oder "sexy wie nie" davon entfernt, die Tastatur gegen unsere Köpfe zu hämmern und unseren Arbeitsplatz auseinanderzunehmen, wie der Typ aus dem Video von damals ("Mann rastet aus und zerstört Computer").

Schlagzeilen, in denen männliche Schlager-Kollegen auf ihr Äußeres reduziert worden sind, gab es in letzter Zeit übrigens keine.

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