"Die Leute sind zu abgelenkt, um wütend zu sein" – Gray Noir im Interview
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"Die Leute sind zu abgelenkt, um wütend zu sein" – Gray Noir im Interview

Jennifer Rostock haben sich gerade verabschiedet, da kommt deren Bassist zusammen mit dem Sänger von War From A Harlots Mouth mit einer arschtretenden Hardcore-Band um die Ecke.

Mitte Mai hatten sich Jennifer Rostock in ihre Pause auf unbestimmte Zeit verabschiedet. Da man sich aber auch weiterhin musikalisch austoben wolle, waren wir gespannt, was da kommen wird. Und zack, eine Woche später wussten wir, was zumindest JR-Bassist Christoph Deckert jetzt treibt. Der hat sich nämlich mit Nico Webers, dem Sänger der aufgelösten Math-Metalcorer War From A Harlots Mouth und drei anderen Musikern zu Gray Noir zusammengetan und macht jetzt: Hardcore.

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Der erste Song "Black Death" wurde gleich mitsamt blutigem Musikvideo veröffentlicht. Zum wütend stampfenden Songwriting und den dreckig-rauen Vocals zeigt sich Nico darin als zügelloser Mörder und wehrloser Gefolterter zugleich. Der Rest der Band tritt nur als Cameo auf, gerade so, als wolle man sich eher im Hintergrund halten und den Zuschauer mit dem pissigen Song und den vertrackten Gewalt-Szenen erstmal alleine lassen.

Wir sind aber nicht gerne alleine und viel zu neugierig, um jetzt darauf zu warten, dass wir mehr Infos zur Band bekommen. Also haben wir uns einfach direkt mit Christoph, Nico und Gitarrist und Songwriter Alex Adelhardt getroffen, um mal darüber zu sprechen, was es mit Gray Noir auf sich hat. Und welche Rolle sie in der Hardcore-Szene einnehmen wollen.

Noisey: Die Idee für die Band gibt es laut Band-Bio schon seit fünf Jahren. Wie sah das Projekt denn anfangs aus?
Christoph: Nico und ich sind ähnlich musikalisch sozialisiert und hatten die Idee, zusammen eine Band zu machen. Neben Jennifer Rostock wollten wir was eigenes haben, was ein bisschen härter sein sollte. Wir haben uns ein paar Kumpels geschnappt, sind in den Proberaum gegangen und haben bisschen was gemacht. Dann bekommt auf einmal einer ein Kind, der andere muss sein neues Studio bauen und aufs Land ziehen und so. Deswegen hatte die Band schon mehr Besetzungswechsel durch als es überhaupt Songs gab.

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Wie kamt ihr denn dann alle auf einen musikalischen Nenner? Gab es eine Schnittmenge an Bands, die jeder geil fand?
Christoph: Eine große Schnittmenge an Bands gab es immer. Uns war aber wichtig, dass wir nicht nach Blaupause klingen wollen, sondern gucken, was passiert.
Alex: Ich hab so 20 Songs geschrieben. Da waren unterschiedliche Styles und Ideen dabei. Wir wollten aber kein Album, sondern eine EP machen. Album ist immer ein Statement, deswegen lieber die fünf besten Songs, um erstmal anzuklopfen.

"Jennifer Rostock haben sich in den letzten Jahren politischer positioniert als 90 Prozent aller deutschen Hardcore-Bands"

Wie nervös wart ihr dann jetzt auf das Feedback, als der erste Song endlich rauskaum?
Alex: Ich am meisten.
Nico: Du? Warum? ( lacht)
Alex: Ich als Songwriter … Wie man da halt so ist als Künstler …
Christoph: Man wartet auf den einen Kommentar, der einem die komplette Stimmung versaut.
Alex: Ich les mir nie Kommentare durch, erfahre das aber meistens, weil einer in der Gruppe einen Screenshot reinschickt.
Nico: Ich war auch ziemlich aufgeregt, das Video war mein Baby. Ich wollte nicht so standardmäßig um die Ecke kommen. Man ist ja schon eine Zeit dabei, hat viel gemacht, Performance-Videos und alles. Ich bin das satt, habe keinen Bock, immer das Gleiche zu machen.
Christoph: Eben nicht die nächste Band sein, die in einer Lagerhalle steht und so tut, als würde sie einen Song spielen, sondern dass das auch ein künstlerisches Konzept bekommt.
Nico: Dass man ein Konstrukt herstellt, was nicht sofort klar und greifbar ist. Ich habe eher damit gerechnet, dass es zerrissen wird: dass Leute haten, weil da halbnackte Frauen drin sind oder so "jetzt hier auf Storytelling machen" und bla. Nervös war ich aber nicht, sondern heiß, es rauszuhauen.


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Es wurde dann echt oft beim Sound der Vergleich zu Gallows gezogen.
Christoph: Wenn wir gefragt wurden, wonach wir klingen, wusste ich das nicht so genau. Irgendwie Hardcore, bisschen straighter als das, was Nico früher gemacht hat. Dann kam auf einmal: "Voll wie die Grey Britain-Gallows." OK, cool.
Alex: Eigentlich ganz geil. Wäre aber nie das, was wir selber von uns gesagt hätten, dass es so klingen muss oder soll.
Nico: Ich muss gestehen, dass ich Gallows nie gehört habe. Ich habe die nur zwei mal gesehen und Frank Carter ist Wahnsinn, ein krasser Frontmann. Also ja, geht schlechter.

Hattet ihr Sorge, dass man wegen Christophs Verbindung zu Jennifer Rostock bei Hardcore-Szene-Typen auf Ablehnung stößt?
Christoph: Mach ich mir keine Sorgen. Ich bin ja trotzdem seit Jahren "Teil der Szene", gehe auf Shows und mach sonst was.
Nico: Das hatte man damals, als wir den Song "Es war nicht alles schlecht" gemacht haben. Da haben uns [ WFAHM, Anm. d. R.] die Leute gedisst, weil wir mit Mainstream-Bands liebäugeln und uns verändern würden. Da hatten wir auch klargemacht, dass wir ja noch dissonanter und fieser als vorher geworden sind. Bei dem Projekt jetzt müssen wir nichts beweisen, der Drops ist gelutscht.
Christoph: Gerade wir als Jennifer Rostock haben uns in den letzten Jahren politischer positioniert als 90 Prozent aller deutschen Hardcore-Bands. Dann sollen die mal kommen und was sagen, können sich gerne mal mit mir unterhalten … Mit mir und meiner Faust. ( lacht)

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"Die amerikanischen Bands sagen, dass Amerika scheiße ist, weil sie wissen, dass das in Europa funktioniert. In Amerika würden sie die Schnauze halten."

In eurer Bio schreibt ihr davon, dass eure Band die Wut bündelt, die ihr vom Post-Millennial-Leben … Ich habe das nicht ganz verstanden.
( alle lachen)
Christoph: Ich war leider Verfasser dieses Pressetextes, das klang auf Englisch irgendwie besser.
Alex: Das darf man nicht übersetzen.
Christoph: Ich meine damit aber einfach, dass alles immer oberflächlicher wird, sich keiner die Zeit nimmt, mehr als die Überschrift zu lesen. Die Leute sind zu abgelenkt, um wütend zu sein. Darüber sind wir wütend.
Alex: Das ist auch das Konzept der Platte und worum es in den Songs geht.

Ihr seid wütend und wollt anstecken?
Nico: Ich habe das vielen Bands nicht mehr abgenommen. Das war eine Maschinerie, die bedient wird. Dann macht man das halt, schreibt dies und das und jenes Riff funktioniert für jenes Publikum und so weiter. Die Ansagen waren immer so mechanisch, jede Band sagt das Gleiche. Die amerikanischen Bands sagen, dass Amerika scheiße ist, weil sie wissen, dass das in Europa funktioniert. In Amerika würden sie die Schnauze halten. Alles war so beliebig. Mir fehlt der ehrliche Kontext, warum man Hardcore überhaupt macht.
Christoph: Klar, die schreien, ohne wütend zu sein. Wenn du dir teilweise die Texte anhörst, fragt man sich, warum dieser Satz geschrien wird. Da ist nichts Wütendes.
Nico: Es gibt ja viele authentische Bands, aber eben auch viele, die es nicht sind. Wir wollen klarmachen, dass wir nicht nur aus Ego-Gründen schreien und laute, verzerrte Gitarren brauchen, sondern immer noch ein ein Ausrufezeichen hinter ein Statement setzen.

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Also auch innerhalb der Punkrock-Hardcore-Szene den Millennials in die Eier treten? Christoph: ( lacht) Da hab ich ja was angerichtet, sorry!

Durch die Popularität von HipHop ist natürlich auch das Fashion-Ding und die Konsumsucht mehr in die Szene geschwappt und es gibt gefühlt weniger Positionen.
Nico: Es ist krass, das zu beobachten. Gerade, wenn du Deutschrap siehst. Die Inhalte haben nichts mehr mit Straßenrap zu tun. Es geht nur noch darum, Kohle zu machen, diese Kohle aus dem Cabrio zu schmeißen und Gucci zu tragen. Das hat Überhand genommen. Bei Cloud Rap heißt es "Turnup!" und dann sind da bei Rin Moshpits und Kids sagen, dass sei wie auf einer Hardcore-Show. Da denke ich: Nee, das ist es halt nicht! Klar, die moshen und ist ja auch cool, ich mag das auch. Aber das kannst du nicht mit dem Hardcore-Ding vergleichen. Das Essentielle ist komplett anders. Im Hardcore hast du einen Widerstand und den hast du im Rap nicht so. Das sollte man schon stark differenzieren.

Mehr Infos zu Gray Noir gibt es auf Facebook.

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