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Vlogger-Rezensionen über österreichische Musik sind das Traurigste im ganzen Internet

Wer zum Teufel ist Perserka und warum kommt nie RAF Camora vor?
Screenshot via YouTube

Breaking News: YouTube-Vlogs schießen wie Schwammerl aus dem Boden und überschwemmen YouTube mit ihrer narzisstischen Herrlichkeit. Auch wenn es schwer ist, nicht den Sokrates raushängen zu lassen, wenn Unterstufen-Kinder später mal Vlogger werden wollen, versuchen wir das Ganze mal objektiv zu betrachten. Es gibt mehrere erfolgreiche Vlog-Formate. Die meisten haben das Antlitz des Vloggers im visuellen Zentrum und tauchen auch immer wieder in der Sidebar auf, weil alle erfolgreiche Formate nachmachen.

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Da das auch Volksschülern zu langweilig werden kann, scheuen Vlogger auf der ganzen Welt nicht davor, einfach neue Formate zu erfinden oder die bestehenden zu adaptieren. So auch das zu Tode ausgeschlachtete Format "first reaction". Falls ihr die letzten Jahre unter einem Stein verbracht habt: Das sind visuelle Rezensionen, bestenfalls mit Hintergrund-Infos. Mittlerweile kann man die erste Reaktion zu Essen, Wörtern, Videos, Getränken, Kleidung, Spielzeug und eben auch Musik auf YouTube finden. Das ist doch spannend – besonders in diesen österreichischen Aufbruchszeiten. Wir haben immerhin gerade zirka zehn Künstler, die auch in und zum großen Teil wegen Deutschland berühmt sind.

Es kann also nur ein wahnsinnig stolzes Gefühl sein, auf YouTube nach "first reactions to austrian music" zu suchen. YouTube findet fünf Videos, was vielleicht nicht so übermäßig viel ist, aber wir sind ja auch ein kleines Land. Noch kein Grund, das Handtuch zu werfen.

Eurovision Songcontest und Conchita Wurst

Von fünf Videos waren zwei dem ESC gewidmet. Die Vloggerin Reaction Holic ist laut ihrem YouTube-Profil K-Pop-Fan und hat sich das ESC-Lied von Konkita (sic) Wurst angesehen. Ihre Reaktion ist tatsächlich sehr unterhaltsam, da sie sich nicht ganz sicher ist, ob sie das maskuline oder feminine Personalpronomen benutzen soll, um unseren Phoenix zu beschreiben. Das Grande Finale der Reaktion mündet im Satz: "I saw this guy, girl, … ummm person on pictures."

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Außerdem hat sich eine Vloggerin mit dem Usernamen Eurovoxx Nathan Trent angesehen. Eurovoxx ist eine Vlogger-Vereinigung, die sich generell auf den Songcontest spezialisiert hat. Und Nathan Trent ist der Typ, der letztes Jahr für Österreich angetreten ist. Wenn man sich dieses Video ansieht, kommt in der Sidebar wieder ein Vorschlag für eine internationale Nathan-Trent-Reaktion. Was soll man sagen: He is cute. Auch wenn er in seiner Heimat keine so große Rolle spielt. Und es gibt eine verdammt große Fanbase des ESC da draußen im Cyberspace.

Wer zum Teufel ist Perserka?

Auf dieses Lied wurde zwei Mal reagiert. Beide Male war es das einzige Lied, das stellvertretend für österreichischen Rap angesehen wurde. RAF, Yung Hurn, Svaba Ortak oder Crack Ignaz blieben außen vor. Das Lied klingt wie die harte Version von Grup Tekkan und ist laut einer qualitativen Befragung in meinem sozialen Umkreis peinlich. Von zehn befragten Rap-Fans kannte auch niemand Perserka. Umso seltsamer, dass zwei Vlogger aus dem angloamerikanischen Raum genau dieses Lied fanden. Auch seltsam sind 300.000 Views, 4000 Likes und 10.000 Fans auf Facebook. Wir haben bei Perserka nachgefragt, wie internationale Vlogger auf ihren Namen gekommen sind, und haben leider keine Antwort bekommen. Es wird wohl eines dieser Internet-Mysterien bleiben. Ein Vlogger war unglaublich stark begeistert, der zweite aus der USA hatte immerhin den Mut "It's not my favorite" zu sagen. Seine Ehrlichkeit haben nur 217 Menschen gesehen.

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YouTube und Verschwörungstheorien:


Große Vlogger beobachten österreichische Musik nicht

Es mag überraschend klingen: Wichtige Vlogger haben kein Interesse an österreichischer Musik. Und ihre Seher haben wohl auch kein Interesse an österreichischer Musik. Von den fünf Videos wurde nur das von Reaction Holic 10.000 Mal angesehen, die anderen dümpeln bei zirka 5000 Views herum. Grenze nach unten offen. Absolut niemand, der einen Namen im YouTube-Game hat, hat sich unsere Musik angehört. Fuck.

Wo sind Soap&Skin, Bilderbuch oder Gabalier?

Das letzte Video rezensiert Yung Hurn und ist von der Userin phasiiya, die alle losen Regeln des Formates "first reactions to" gebrochen hat. Erstens leitet sie das Video mit dem Hinweis ein, dass sie das Lied bereits kennt und cool findet. Zweitens kann sie das Land nicht zuordnen, sie glaubt aber eher, dass er aus Österreich ist. Das erklärt die verschiedenen Flaggen-Emojis im Thumbnail. Und drittens reagiert sie außer mit einer eher mageren Twerk-Einlage nicht wirklich auf das Lied. 417 Views sind 417 Views zu viel.

Sonst sucht man unseren Stolz vergebens. Kein BiBu, kein Wanda, ja nicht mal Mozart. Wir müssen einsehen, dass unsere besten Künstler unter das Format "first reaction to german music" oder "first reaction to german rap" fallen. Wenn man sich nämlich diese Videos ansieht, kommen RAF Camora und Yung Hurn erstaunlich oft vor. Was ja irgendwie eh passt, da Deutschland mehr für den Erfolg verantwortlich ist als Österreich. Danke für nichts, marode Musikindustrie.

Vlogger sind keine verlässlichen Rezensenten

Ihr werdet es nicht glauben: Die meisten Vlogger haben in ihren Reaktionen keinen Mehrwert geliefert. Es wurde weder die Musik aus irgendeinem Blickwinkel analysiert, noch wurden das Geschlecht oder das Land richtig bestimmt. Jedes Video hat nur ein Lied betrachtet – bei "first reactions to german rap" waren es oft drei oder fünf Lieder. Auch ist mir kein wirklich kritisches Video untergekommen: Alle waren freundlich, fanden alles cute, Perserka LIT und die Yung-Hurn-Rezension war überhaupt die Kirsche auf dem Schlagobers-Haufen. Aber es ist auch ein bisschen egal, wie genau wir auf YouTube wirken. Das regelmäßige Abhängen im Internet verkürzt die Aufmerksamkeitsspanne. Und wer kann sich schon inhaltlich an seine letzte YouTube-Session erinnern? Eh niemand.

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