"Ich bin schon lange ur grantig" – Schmieds Puls' Mira Lu Kovacs redet über Wut, Yung Hurn und Feminismus
Ina Aydogan

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"Ich bin schon lange ur grantig" – Schmieds Puls' Mira Lu Kovacs redet über Wut, Yung Hurn und Feminismus

Vor dem erscheinen von 'Manic Acid Love' hat Mira Lu Kovacs im Interview mit Noisey richtig Dampf abgelassen und erklärt, warum sich junge Fans oft selbst erniedrigen und man am Ende immer wie seine Eltern wird.

Den einzigen Gig von Schmieds Puls, den ich jemals gesehen habe, war ein Konzert mit einer der wohl schlimmsten Crowds, vor der sie jemals aufgetreten sind. Vor ein paar hundert Bilderbuch-Fans spielten sie 2016 als Support in einer kleinen Venue in Tirol und niemand hörte zu. Die Leute redeten und machten einfach nicht mit. Trotzdem sind Schmieds Puls eine der besten österreichischen Bands – innovativ, experimentell, genial. Zwei Jahre später treffen wir uns Mitte August in ihrem Proberaum in Hernals. Im Kontrast zur brütenden Hitze draußen ist es angenehm kühl – genauer gesagt 24 Grad, wie mir Mira Lu Kovacs, Songwriterin und Kopf der Band, mitteilt. Der Raum hat, vielleicht wegen der grauen Platten, die vor nackten Ziegelwänden hängen, etwas Kapellenhaftes. Die Instrumente, die Deko und Mira selbst strahlen für mich aus, dass hier, im Gegensatz zu vielen anderen österreichischen Bands, die Musik ernster genommen wird, als die Personen, die in diesem Fall hinter Kontrabass, Schlagzeug und Gitarre stehen.

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Für mich persönlich ist es ein Highlight, mich mit der Mastermind einer meiner österreichischen Lieblingsbands zu unterhalten, noch dazu, weil im September das dritte Album mit dem Titel Manic Acid Love erscheinen wird. Dass man nicht genau sagen kann, wie es klingt, spricht stark dafür. Fest steht für mich, dass Schmieds Puls einen ähnlichen Weg wie Feist (eine Inspirationsquelle Mira Lu Kovacs) auf ihrem aktuellen Album Pleasure eingeschlagen haben: Es ist ein Spiel aus leisen Songs, die unerwartet aus sich selbst ausbrechen und noch lange nachglühen wie die Lava auf dem Cover der Platte. Die Texte sind für mich rätselhaft, intim, verstörend, schön – ein manischer Trip durch die Gedankenwelt einer Songwriterin. "Ich bin einfach grad ur grantig", sagt Mira im Interview. Grund zum Grant gibt es im österreichischen (Musik)-Miniversum genug: So reden wir über unnötige musikalische Hypes, Yung Hurn und sein "Sexismusproblem" und warum es manchen in der Musikbranche schwer fällt, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen.

Noisey: Ich habe euch vor knapp zwei Jahren in Wattens in Tirol vor Bilderbuch gesehen.
Mira Lu Kovacs: Kein guter Einstieg …

Viele Zuschauer haben während des Konzertes laut geredet, was euch und aufmerksamen Zusehern sehr unangenehm war. Wie schwer ist es, ohne brachial laute Beats und schrillem Sound Gehör zu finden?
Ich glaube, dass wir als Band für viele eine erfrischende Abwechslung sind und viel Spannung erzeugen können, obwohl wir nicht ständig draufhauen. So funktioniere ich ganzheitlich. Ich sehe nicht ein, warum ich schreien muss, um verstanden zu werden. Ich will lieber jemanden erschrecken und irgendwas Arges ins Ohr flüstern. Es stimmt natürlich: Wer laut schreit, den kann man auch nicht so gut ausblenden. Das in Wattens war wirklich eine große Ausnahme. Da hat Bilderbuch gespielt und es war sehr früh ausverkauft. Alle Menschen, die wegen uns kommen wollten, haben dann keine Karten mehr bekommen. Aber grundsätzlich ist uns das einmal, vielleicht ein zweites Mal, aber nicht so schlimm, passiert. Sonst haben wir ein tolles Publikum, das von uns genau das erwartet.

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In unserer Gesellschaft ist es meistens so, dass man denen zuhört, die am lautesten die verrücktesten Dinge schreien. Wem sollte man öfter zuhören?
Den wirklichen Weirdos. Es wird halt einfach so viel kopiert und ganz schnell ist es dann Mainstream. Gerade diese Elektropop-/Trap-Schiene. Das geht bei einem Ohr rein und beim anderen Ohr raus. Die haben alle ihre Berechtigung, sie sollen alle Musik machen, unbedingt, aber dass das dann so gehypt wird und dass man davon redet, dass das jetzt so eine tolle neue Idee oder ein Hit ist deswegen, weil sie irgendetwas noch einmal erzählen, das finde ich ein bisschen fad. Das braucht man nicht noch einmal.

Du sagst in einigen Interviews, dass du gerne alleine und alleine kreativ bist. Entstehen die Songs für Schmied Puls in der Gruppe oder basieren sie auf der Idee von einzelnen Leuten?
Bei Schmieds Puls schreibe ich alles, wobei ich mich auf diesem Album etwas mehr geöffnet habe. Das ist erst ganz langsam gegangen und ich habe mich über die Jahre ein bisschen geöffnet. Ich bin ein bisschen früher im Songwriting-Prozess in die Probe gekommen und habe gesagt: Wir arrangieren den Rest gemeinsam. Bei 5KHD ist es anders. Da sind fünf Individuen, die alles zusammenhauen und schauen, was rauskommt.

Kommen wir zum Album selbst: Mich hat die Entwicklung an die des aktuellen Feist-Albums erinnert. Bei euch und bei ihr wird es manchmal unerwartet lauter. Wie hat sich euer Sound entwickelt?
Grundsätzlich möchte ich nicht stehen bleiben und versuche, mich auch ständig herauszufordern und neue Sachen zu machen, mich neu zu erfinden und mich selber zu überraschen. Ich möchte nichts und niemanden imitieren. Dass wir da ein bisschen rauer und lauter geworden sind, war auch ein bisschen meine momentane Haltung. Ich bin einfach gerade urgrantig, schon lange. Da geht es nicht um relationships oder Liebe und alles in die Richtung, sondern es geht wirklich um zwischenmenschliche Fragen wie "Wie redest du mit mir? Wie rede ich mit dir? Können wir uns bitte auf einer Augenhöhe treffen?". Es betrifft nicht nur die Branche, in der ich als Frau bin und immer wieder sagen muss: "Komm, ich weiß, was ich tu, red ganz normal mit mir", sondern es ist auch im Privaten so, dass man seine gesunden Grenzen kennen muss und sagt: "Nein, so redest du mit mir nicht." Da muss man oft eine offensivere, eine direktere Sprache einschlagen.

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Auf dem Cover des Albums sieht man Lava. Was bringt dich zum ausbrechen? Was macht dich richtig grantig?
Es ist die auf der Hand liegende Assoziation, wenn man vor Wut schäumt oder ausbricht. Ich wollte nicht mehr implodieren. Ich wollte explodieren. Was mich wirklich wütend macht, ist, wenn man mir nicht auf Augenhöhe begegnet. Das passiert mir leider oft mit Dudes in der Branche. Manche Journalisten dichten mir etwas Mädchenhaftes an, weil ich eine hohe Stimme habe, dichten mir dadurch etwas Zartes und Filigranes an. Das ist nicht unwahr, aber das ist nicht nur ich. Dass man immer nur eine Wahrheit haben kann, dass man als Person immer nur eine Sache sein kann, geht mir unglaublich auf die Nerven. Diese Faulheit, sich etwas genauer anzuschauen und sich der Komplexität einer Sache zu stellen macht mich extrem wütend. Unverstandenheit ist für mich eines der schlimmsten Dinge.

Wir haben vor einiger Zeit Interviews mit DIVES und Aivery gemacht. Diese Bands haben auch von ihren Eindrücken von Sexismus in der österreichischen Musikszene gesprochen. Das soll sich zum Beispiel in Musiktexten äußern. Würdest du sagen, dass es in der österreichischen Musikszene ein Seximusproblem gibt?
Das kommt auch ein bisschen auf die Branche an. Bei gehypten Sachen definitiv. Dass ich Yung Hurn unendlich Scheiße finde, ist kein Geheimnis. Der hat ein ganz großes Sexismusproblem, aber es wird ihm scheißegal sein, dass ich das sage und es funktioniert ja auch wunderbar. Es sind ja nicht nur die Acts das Problem, sondern es sind die Leute, die das geil finden. Der hat 15-jährige Mädels als Fans und die finden das geil: Bitte erniedrige mich, bitte behandle mich so scheiße.
Es ist ein grundsätzliches Problem in der Gesellschaft. Gerade den jungen Frauen, aber auch den jungen Männer – denen taugt das anscheinend gerade. Vielleicht, weil es arg ist, weil es einen irgendwie schockiert. Ich will nicht, dass ein Mann oder eine Frau so mit mir spricht oder so mit mir umgeht. Das ist einfach nur kacke. Das finde ich ekelhaft. Es gibt auch so ein komisches Movement von Frauen, die meinen: "Ich bin keine Spielverderberin, die ständig jemanden ausbessert und sagt, das kannst nicht sagen, das kannst nicht bringen, so kannst du mit mir nicht reden. I’m one of the boys. Ich bin cool, sag’s ruhig, mach ruhig irgendwelchen sexistischen Witze. Ich lach eh mit."
Ich habe fast jeden Tag eine Situation, wo ich einfach die Spielverderberin bin oder sage: Das mache ich nicht. Es ist wichtig, richtig unangenehm zu werden. Das Wort "Feminismus" darf nicht verkommen, es ist kein schlechtes Wort.

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Passend dazu auf VICE-Video:


Im Video zum Song "Superior (Fuck You)" wirst du von männlichen Cheerleadern getragen, die T-Shirts mit dem Aufdruck "Fearleaders" tragen. Einige Männer fühlen sich heute vom Feminismus bedroht. Wovor haben diese Männer Angst?
Dass man vielleicht was abgeben muss. Das ist ein ähnliches Modell wie im Rassismus, glaube ich. Dabei möchte ich nicht mit dem Finger zeigen. Ich komme ja auch aus der weißen Mittelschicht. Aber sie wissen ja, dass sie gewisse Privilegien haben. Ich kann mir vorstellen, dass das eine sehr unbewusste Reaktion ist, weil man das insgeheim spürt. Man möchte das auch schwer zu geben. Es ist viel Arbeit, an einem selbst zu reflektieren. Ich muss auch nicht so tun, als hätte es die letzten 300 Jahre nicht gegeben und als wäre ich nicht immer noch ein Teil der vorherrschenden weißen Macht, sondern ich kann versuchen, etwas zu ändern. Jede privilegierte Schicht muss sich anschauen, was sie ohne Grund hat und eine andere ohne Grund nicht hat. Man muss einfach anfangen, sich zu fragen, warum das Leben so ist wie es ist.

Einige Songs auf eurem neuen Album sind sehr düster und handeln unter anderem von gescheiterten Beziehungen, Ängsten und Gewalt. Wovor sollte man Angst haben und wovor nicht?
Ich würde es eher einen gesunden Respektabstand nennen, weil Angst gefährlich ist. Joda hat schon gesagt: "Am Ende bist du bei unsäglichem Leid". Ich habe vor vielen Dingen Angst. Ich habe vor Fehlern Angst. Ich hasse es, zu Scheitern. Ich bin eine furchtbare Perfektionistin.

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In deinen Songs geht es auch manchmal um Distanz. "Run" handelt zum Beispiel von jemandem, der vor einer Beziehung weglaufen will. Läuft ihr jemals von Dingen davon? Wenn ja, von welchen?
Bei "Run" geht es nicht um Beziehungen. Es ist eher ein Monolog. Es ist eigentlich ein total schizophrenes Lied. Ich spreche oft mit mir selber in den Liedern. "All I wanna do is run away from you", which is me. Ich renne seit einiger Zeit gar nicht weg von den Dingen und Problemen. Ich komme immer ziemlich weit, wenn ich offensiv auf etwas zugehe. Ich bin auch ein bisschen direkter geworden, was mein Umfeld nicht immer positiv findet. Manchmal sage ich zu schnell, was ich mir denke und mache mir vielleicht auch ungerechtfertigterweise zu schnell ein Bild von Leuten und Situationen.

Im Song "Oh (You Lose Me)" gibt es die Zeile: "Oh Papa / I turned my back on you
Now I’m afraid I’m turning into you." Künstler wie Mac Demarco haben auch schon Songs darüber geschrieben, wie man sich früher oder später in seine eigenen Eltern verwandelt. Glaubt ihr, dass das eines Tages mit jedem passiert?
Ich glaube, man ein bisschen Angst davor, sich in Nuancen seiner Eltern zu verwandeln, auch wenn da viel tiefe Liebe ist. Ich glaube, niemand will unbedingt so werden, wie seine Eltern. Das heißt nicht, dass man sie nicht liebt oder respektiert, das heißt nur, dass man sich denkt: Ich habe von dir gelernt und ich will an dieser Ecke im Leben in die andere Richtung gehen, weil da hast du etwas gemacht, das du selber bereust.

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Ist das zentrale Thema von Manic Acid Love letztlich Liebe?
Das zentrale Thema ist eigentlich dieser Zustand der Manie, der sich dann aber auch gegen einen Wenden kann. Man muss den Frieden finden, denn wenn man monatelang manic ist, dann muss man irgendwann runterkommen. Manic Acid Love sind quasi die drei Stationen der Wut und der Schaffenswut auch. Wenn du Glück hast, kommst du bei der friedlichen Liebe raus. Zwischenmenschliche Beziehungen sind sicher ein Thema, aber nicht so sehr Liebesbeziehungen, außer in einer Nummer ("Don’t Love Me Like That").

Inspiriert dich eher die Stadt oder das Land?
Ich liebe Wien und werde, glaub ich, für immer hier sein, aber man kann Wien nicht lieben, ohne es regelmäßig zu verlassen. Und jetzt gerade nervt mich diese Stadt schon sehr, weil es heiß und laut ist. Man kann dem schon gut entkommen, aber das Leben und die Menschen sind so laut. Ständig schreit jemand, will irgendwas. Deswegen ist das Land zu bevorzugen.

Von Inspirationsfragen verlaufen wir uns in unserer gemeinsamen Bewunderung von Audioslave, Nick Drake, The Dead Weather, The Raconteurs und überhaupt allem, was Jack White gemacht hat. Am Ende erwähne ich, dass ich nach einem eher traurigen, ernsten Interview noch eine lustige Frage stellen wollte, aber jetzt gerade keine passt. Mira bietet mir an, einen Psychoanalytikerwitz zu erzählen:

"Treffen sich zwei Psychoanalytiker. Sagt der eine: "Ich habe letztens den ärgsten Freud’schen Versprecher gehabt. Ich stehe in der Vorlesung und will meinen Studenten und Studentinnen sagen: 'Darf ich Sie bitten, die nächste Seite aufzuschlagen?’, sage aber stattdessen ‘Darf ich sie titten?'" Sagt der andere Psychoanalytiker: "Das ist doch gar nichts. Ich war letztens mit meiner Mutter essen und ich will ihr sagen: 'Mutter, reichst du mir bitte die Butter?' und was sage ich stattdessen? 'You fucking bitch, you ruined my life!'"

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Klingt für mich nach einem Woody-Allen-Witz.
Stimmt. Auch wenn ich den Typen nicht mag. Child molester. Auch wieder ein negativer Abschluss.

Ich glaube, wir schaffen einfach keinen positiven Abschluss.
Naja, tragikomisch vielleicht.

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