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Throwback Thursday am Dienstag

Damals, als die Blödelbarden mit ihrer geilen Scheißmusik die Charts dominierten

In den Neunzigern kannte noch jeder das Wort "Blödelbarde" und der Mix im Tagesprogramm der großen Radiosender war so wild, dass von Rammstein bis Die Doofen wirklich alles lief.
Fotos: imago

"Klingt doch eh alles gleich!" ist immer der erste Satz, wenn es um Radio geht. Doch es gab auch eine Zeit, in der das nicht so war. Eine Zeit, in der eine unglaubliche Vielfalt im Radio herrschte. Eine Zeit, in der man noch Partydrogen brauchte, um zu bewältigen, was da aus den Lautsprechern kam. Eine Zeit, in der einfach alles möglich war: DIE NEUNZIGER. Die Mauer war gerade gefallen, die Laune war gut und entsprechend gut gelaunt klang auch das Radioprogramm. Zwischen den Scorpions und Snap!, zwischen Haddaway und Blümchen, fand sich immer wieder genug Platz für einen Witz, für den ganz großen Schenkelklopfer-Gag. Die Regelmäßigkeit mit der deutschsprachige Comedy-Songs die Charts stürmten, ist heute unvorstellbar, obwohl es in Deutschland eigentlich Tradition hat. Spätestens mit Otto Waalkes kam der Begriff "Blödelbarde" als Bezeichnung für singende Comedians auf. Songs wie "Der Nippel" von Mike Krüger, "Guten Morgen liebe Sorgen" von Jürgen von der Lippe und so ziemlich alles von Otto kann auch heute noch jeder mitsingen und dazu auf Eins und Drei klatschen, wie es sich hierzulande gehört.

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Doch in den Neunzigern kam dann noch mal der große Boom und fast jedes Jahr fanden sich gleich mehrere Comedy-Songs in den Charts wieder, die natürlich auch im Radio auf und ab liefen …


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Der Startschuss wurde 1992 von Hape Kerkeling abgefeuert. In seiner Sendung Total Normal schlüpfte der Günther Walraff der Comedy in verschiedene Verkleidungen, um ein unwissendes Publikum vorzuführen. Als Königin Beatrix der Niederlande schaffte er es bis vors Schloss Bellevue, doch die größte Meisterleistung war das Stück "Hurz!!!". Als polnischer Opernsänger verkleidet, trug Kerkeling, vom Klavier begleitet, bierernst den allergrößten Nonsens vor. Doch sein Publikum biss an und ließ sich vor der Kamera auf eine intellektuelle Diskussion über die Aussage des Stückes ein. Nur eine einzige Befragte sagte offen, dass sie mit "Hurz!!!" nichts anfangen konnte, woraufhin eine andere Besucherin einen fehlenden "intellektuellen Zugang" vorwarf. Als Single schaffte es "Hurz!!!" auf Platz vier in die deutschen Charts.

Einfach nur Spaß sollte hingegen "Katzeklo" von Helge Schneider machen. Eigentlich ist es wenig verwunderlich, dass Schneider für seine Comedy auf Musik zurückgriff. Bereits als Kind lernte er Klavier, beherrscht inzwischen aber auch Saxophon, Geige, Schlagzeug und noch viele andere Instrumente. Doch statt sich bitterernst seiner Leidenschaft, dem Jazz, hinzugeben, arbeitet er lieber dessen Elemente in seine Musik ein, die ähnlich wie "Hurz!!!" größtenteils aus Nonsens-Texten besteht. "Katzeklo" war Schneiders erster großer Erfolg und das zugehörige Album Es gibt Reis, Baby erreichte Platz 11 in den Charts.

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Olli Dittrich ist heute vor allem durch seine Rolle als Dittsche bekannt und Wigald Boning dürften die meisten nur als Gast in öffentlich-rechtlichen Quizshows kennen. Doch Anfang der Neunziger waren beide Teil des Ensembles von RTL Samstag Nacht. Für das Comedy-Format, das eine Kopie von Saturday Night Live war, schufen die beiden die Band Die Doofen. Und wo bei Kerkeling noch ein cleverer Witz und bei Schneider überragendes musikalisches Talent die Veröffentlichung ihrer Songs rechtfertigten, erfüllten Die Doofen alles, was ihr Name versprach. Mit flachem Humor und wenig Deodorant stürmte das Duo 1995 die Charts. Sowohl die Single "Mief (Nimm mich jetzt, auch wenn ich stinke!)" als auch das zughörige Album Lieder, die die Welt nicht braucht erreichten nicht nur einen ersten Platz, sondern auch den Goldstatus.

Matze Knop ist unter vielen Namen bekannt, doch dafür nicht unter seinem eigenen. Heute kennt man ihn eher für seine Parodien von Jürgen Klopp, Franz Beckenbauer oder Niki Lauda, aber Ende der Neunziger stürmte er mit einer Kunstfigur die Charts. Als "Richie" traf Knop den Zahn der Zeit. Was heute als "Vong-Sprache" und "Nachdenkliche Sprüche mit Bilder" den meisten nur noch ein müdes Lächeln hervorlockt, hat 1998 noch für ein komplettes Comedy-Programm gereicht. Und ja, damals haben Leute über "Supa Richie" gelacht. Warum das so war, können wir heute auch nicht mehr rekonstruieren.

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Kein Text über chartstürmende "Blödelbarden" wäre ohne Erwähnung von Stefan Raab vollständig. Erst als Viva- und später als Pro 7-Moderator war er für über 50 Prozent der deutschen Comedy-Hits verantwortlich. Wie bei seiner späteren Übernahme des Fernsehens durch Wok-WM, Bundesvision Song Contest und Schlag den Raab, nahm sich Raab die Charts mit einer sehr deutschen Tugend vor: dem bitteren Ernst. Seinen ersten Erfolg landete er 1994 mit einem Lied über den damaligen Bundestrainer Berti Vogts.

Lange bevor er Lena Meyer-Landrut zum Sieg beim Eurovision Song Contest verhalf, schickte Raab Guildo Horn auf die europäische Bühne. Der Schlagersänger belegte 1998 mit dem von Stefan Raab geschriebenen "Guildo hat euch Lieb" den siebten Platz. Wegen des albernen Songs fragte die Bild damals, "Darf dieser Mann für Deutschland singen?" und auch andere Medien waren alles andere als glücklich. Doch wegen des guten Abschneidens von Guildo Horn durfte Raab zwei Jahre später sogar selbst auf die Bühne. Mit dem Song "Wadde hadde dudde da?" schaffte er es sogar die gute Platzierung von 1998 zu überbieten. Unter der Regie von Raab gab es drei weitere Eurovision-Auftritte von deutschen Künstlern. 2004 belegte Max Mutzke mit "Can't Wait Until Tonight" den achten Platz. Lena Meyer-Landrut konnte den europäischen Wettbewerb 2010 mit dem Song "Satellite" gewinnen. Als sie es ein Jahr später allerdings wieder versuchte, reichte es für sie und den Song "Taken by a Stranger" nur noch für den 10. Platz.

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Allerdings gibt es nicht nur Positives über Raabs Charterfolge zu sagen. Genau wie seine Sendung TV Total zeichneten sich auch einige seiner Songs dadurch aus, dass sie nach unten traten. Wo Hape Kerkeling mit "Hurz!!!" noch die intellektuelle Elite vorführte, tat Raabs wohl bekanntester Song "Maschen-Draht-Zaun" das genaue Gegenteil. Der ganze Witz basiert auf einem Fernseh-Mittschnitt einer Frau, die ihre Nachbarin wegen eines wuchernden Knallerbsenstrauchs verklagte und das Video zeigte prominent das Gesicht dieser Frau. Auch der Song "Ö La Palöma" ist ein unrühmliches Beispiel für Witze auf Kosten Schwächerer. Die ganze Punchline ist, dass Sachsen lustig klingen. Brüller.

Dass er auch anders kann, bewies Raab mit seinem vorletzten großen Hit, bevor er sich "richtiger" Musik zuwandte: Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte bei einem öffentlichen Event: "Hol mir mal eine Flasche Bier, sonst streike ich hier und mache nicht weiter." Nur, dass Schröders Aussprache dabei nicht ganz so deutlich war. Aus diesem Sample bastelte Raab den Song "Ho Mir Ma 'Ne Flasche Bier" und schuf damit einen Hit, auf dessen Message wir uns vermutlich alle einigen können.

Bevor Raab den Späßen den Rücken kehrte, um sich Künstlern wie Max Mutzke und Lena zuzuwenden, holte er sich für seinen letzten Hit noch einmal einen ganz großen Gast ins Boot. Zusammen mit Shaggy und einem Sample des Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele warb Raab ganz offensiv: "Gebt das Hanf frei!"

Auf der einen Seite ist es wirklich schlimm, diese Lieder noch einmal aus der Versenkung zu holen. Bis auf "Hurz!!!" ist wirklich keins davon gut gealtert. Denn wie die meisten anderen Witze haben auch die Songs der "Blödelbarden" eine Halbwertzeit, die mittlerweile längst überschritten ist. Doch auf der anderen Seite ist es sehr Schade, dass so ein Erfolg heute vermutlich gar nicht mehr möglich wäre. Als ich klein war, war es nicht unüblich, dass aus dem Radio erst "Rhythm of the Night" von Corona lief, direkt danach "Katzeklo" kam, bevor sich die Stimmung komplett drehte und man plötzlich von Rammsteins "Engel" beschallt wurde. Und wenn man mal darüber nachdenkt, war diese Vielfalt eigentlich viel erstrebenswerter als jede Stunde fünf Mal Katy Perry oder Drake zu hören.

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