Shake your bumpa – Der ultimative Guide zum Dancehall-Tanzen

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Shake your bumpa – Der ultimative Guide zum Dancehall-Tanzen

Bonez MC und Raf Camora bringen Dancehall wieder nach Deutschland und Tänzerin Swaggi Maggi zeigt euch, wie ihr euch auf dem Dancefloor nicht komplett zum Brot macht.

Fotos im Header: Screenshot von Youtube aus dem Video "Palmen aus Gold" von Crhyme TV | Lisa Ziegler

Dancehall wird gleichgesetzt mit Daggering, Twerking, tanztechnisch endlich mal ausrasten. Aber wie bewegt man sich am besten zu den Riddims, gibt die Energie der wummernden Bässe an den Körper weiter und steppt den schmalen Grat zwischen selbstbewusst-sexy und Sexobjekt entlang? Ich habe die Berliner Tänzerin Swaggi Maggi getroffen, die mir nicht nur zeigt, wie man diesen Balanceakt bewältigt, sondern auch einige Irrtümer über Dancehall aufklärt.

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Aber beamen wir uns erstmal in Gedanken auf die Insel, auf welcher Dancehall seinen Ursprung hat. Jamaika ist ein Land der Gegensätze. Auf der einen Seite sind die meisten Einwohner sehr christlich-konservativ, andererseits lockt die Dancehall, in der eine verschwitzte, halbnackte Menge Weed, Waffen und Geld zelebriert.

Der Gegensatz bezieht sich aber nicht nur darauf, dass Reiche mit ihren christlichen Werten auf die oft eher ungebildete, sich bei Dances aneinanderreibende und gegenseitig niederschießende Arbeiterklasse herabschauen. Immerhin haben auch einige Dancehall-Artists, wie zum Beispiel Mr. Vegas oder Lady Saw ihre musikalischen Wurzeln im Gospel und vertreten einen christlichen Glauben, genau wie viele ihrer Fans aus den Ghettos.

Und selbst in der Musik des Volkes gibt es einen krassen Gegensatz: Roots Reggae ist zwar mit Dancehall verwandt, die Inhalte lassen sich an vielen Stellen aber nur schwer miteinander vereinbaren. Während Reggae religiöse Werte des Rastafari-Glaubens vermittelt, preist Dancehall Materialismus, leicht bekleidete Frauen und Gangstertum – ähnlich wie im Gangster-Rap. Die sexualisierten Texte und Moves stehen also im Gegensatz zum Glauben.

Die Offenherzigkeit, aber auch die Probleme der ärmeren Bevölkerungsschicht in Jamaika drücken sich durch Dancehall aus, der aus den Ghettos kommt und überall auf der Welt durch eine meist eher kleine, aber vorhandene Szene gefeiert wird: Nicht nur in Europa, Japan, Mittel- und Südamerika, sondern auch in vielen afrikanischen Ländern wie zum Beispiel Kenia oder Gambia, aber auch auf den Philippinen und sogar in Russland gibt es einen harten Kern von Menschen, die vollkommen von dieser Musik eingenommen sind und vor allem auch dazu tanzen. Außerdem beeinflusst Dancehall die erfolgreichsten Singles anderer Genres immer mehr.

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Drake, Rihanna und inzwischen sogar Justin Bieber liefern laufend neue Hits, die stark von Dancehall beeinflusst sind und Sean Pauls Karriere scheint wieder richtig Fahrt aufzunehmen, seit er seine Dancehall Tracks immer häufiger mit EDM Beats spickt. Die Welle schwappt auch nach Deutschland: Bonez MC und Raf Camora rüsteten ihren Deutschrap mit Dancehall-lastigen Beats auf und ihr Album schlug ein wie eine Bombe. Aber ist Dancehall der neue Trend und bei uns zum ersten Mal seit Seeed wieder Salon- oder in diesem Fall eher Clubfähig?

Gemixt mit anderen Genres gibt es die Musikrichtung nicht nur auf Dancehall-Partys – auch wenn die Dancehall Einflüsse oft kaum jemand registriert. Wenn zwischendurch ein authentischer Dancehall-Song gespielt wird, scheint die Menge aber geteilt: Ich freue mich dann wie ein Kind und hüpfe im Schickimicki-HipHop-Club hin und her, neben mir bilden sich Pärchen fürs Grinding (aneinanderreiben) und einige Ladys stürmen trotz hoher Hacken den Mittelpunkt der Tanzfläche. Freunde, die mich dort hingeschleppt haben und auch andere erstarren dagegen zur Eisskulptur oder verkrümeln sich an die Bar, weil sie Angst haben, sich zwischen den wackelnden Hintern und kreisenden Hüften nur zu blamieren.

Wer sich dann ein bisschen verzweifelt vor den Rechner setzt und auf die Suche nach Videos geht, die zeigen, wie man richtig zu Dancehall tanzt, wird womöglich noch mehr abgeschreckt. Denn die Dancehall Queen Contests und kleineren Battles in jamaikanischen Clubs oder bei den typischen Street Dances (Straßenpartys) zeigen den harten Scheiß. Die Tänzerinnen vollführen akrobatische Übungen wie „Jump and Split" (das heißt, sie springen in den Spagat und schaffen es dann noch am Boden ordentlich mit dem Popo zu wackeln). Ohne zu zögern, legen sie ihre perfekt gemachten Haare auf den mit übergeschwappten Wodka-Mischen, Glasscherben und Bierkorken gesprenkelten Boden, um zum Headtop, also Kopfstand, anzusetzen. Nach weiterem Popo- und Beingewackel in der Luft lassen sie sich, die Hände am Körper und steif wie ein Brett, auf den Boden knallen und springen sofort wieder auf, um ihren Hüftschwung aka Wining zum Besten zu geben.

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Aber die gute Nachricht ist, es geht auch simpler. Beim Feiern ist es leicht, schon mit einfachen Moves zu beeindrucken und eigentlich genügen für eine gute Club-Performance schon ein, zwei Grundschritte. Wenn der Vibe stimmt, können die dann zu verschiedenen Moves ausgebaut  werden. Und die zeigt mir die professionelle Dancehall Tänzerin Swaggi Maggi. Sie war in diversen Musikvideos von deutschen und internationalen Künstlern zu sehen und hat 2010 den deutschen Dancehall Queen Contest gewonnen. Sie ist bei der Crew Primetime Danzas, gibt Workshops, bietet Tanzreisen nach Jamaika an, organisiert das TopUp Dancehall Camp und Touren von jamaikanischen Tänzern durch Europa. Obwohl das Tanzen für die 28-Jährige inzwischen ein Vollzeitjob ist, studiert sie Sozial- und Kulturanthropologie und steht kurz davor, ihre Masterarbeit abzugeben, die sich damit befasst wie Dancehall von den Straßen ins Tanzstudio kam. Sie hat also alle Hände voll zu tun, Dancehall boomt, besonders im Bezug auf Tanz.

Als Maggi im Tanzstudio eintrifft, stelle ich irritiert fest, wie klein und zierlich sie wirkt. Die unnormale Power, die sie beim Tanzen ausstrahlt, hat sie wohl irgendwie vergrößert. Im Gespräch komme ich zu einer entscheidenden Erkenntnis: Das Bild, das ich vom Dancehall Tanzen habe, ist völlig verzerrt. Klischeehaft blieb bei mir nur der Dancehall-Queen-Style im Kopf, aus dem die oben beschriebenen Moves, wie Jump and Split und Headtop kommen. Auch Maggi hatte dieses Bild, als sie begann, Dancehall zu tanzen. Sie hat sich mit dem Dancehall-Queen-Style nie wirklich wohl gefühlt und trotzdem die ersten Jahre mit ihrer damaligen Crew und beim Contest hauptsächlich auf diese Art getanzt.

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2011 hat sie dann auf Jamaika festgestellt, dass der DHQ-Style nur einen sehr kleinen Teil von Dancehall Tanz ausmacht, höchstens fünf bis zehn Prozent. Mir bleibt kaum Zeit diese Prozentzahl einzuordnen, denn Maggi haut gleich den nächsten Fakt raus, der mich überrascht: Deutlich mehr Männer als Frauen tanzen dort Dancehall. "Die männlichen Moves haben nichts mit sexy, aufreizend oder Akrobatik zu tun, sondern das sind Moves, die Männer und Frauen tanzen können. Ab diesem Zeitpunkt hab ich dann angefangen, hauptsächlich das zu tanzen". Da der DHQ-Style und andere Female Styles nur Frauen vorbehalten sind, können diese bei einer männlichen Mehrheit in der Dancer Szene unmöglich dominieren. Trotzdem kommen nur die zirkusreifen und aufreizenden Videos bei uns in Europa an. Akrobatische männliche Moves wie Handstand, Salto oder einen Sprung aus großer Höhe gibt es nur beim Daggering, also zusammen mit Frauen. Natürlich hatte ich geahnt, dass Daggering und der DHQ-Contest nicht alles sind und dass auf Jamaika einige Männer Dancehall tanzen, auch ohne eine Frau vor ihrem Schritt. Aber dass es sehr viel mehr sind, WTF? Mein Weltbild, ok vielleicht eher mein "jamaikanische-Dancer-Bild" brach in diesem Moment komplett zusammen.

Denn in Europa sieht es anders aus. Die Workshops quellen vor lauter Mädels über, vermutlich vor allem wegen der vielen Videos von Female Styles, die weltweit präsent sind. Maggi freut sich über jeden Mann, der so mutig ist, sich zu den Damen dazu zu gesellen und mit zu shaken. Shaken ist das Stichwort, denn das Twerken wollen sie lieber gern den Frauen überlassen, im Idealfall ihrer Freundin. "Die zwei Bilder, die die meisten Leute im Kopf haben, wenn sie an Dancehall denken, sind Daggering und mittlerweile Twerk. Und das, obwohl Twerking gar nicht aus Jamaika kommt, sondern aus den USA", stellt Maggi klar. Später spuckt die Google-Suche noch aus, dass der Begriff und die Tanzart, wie wir sie heute kennen, in der New Orleans' Bounce Szene Anfang der Neunziger geprägt wurden.

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"Niemand auf Jamaika sagt 'wir twerken'", sagt Maggi. Arsch-Gewackel gibt es trotzdem, meine Einschätzung der jamaikanischen Dancer-Szene hatte also schon ihren Grund. Laut Maggi verschaffen sich Frauen bei den Street Dances dadurch, dass sie extrem sexy tanzen und akrobatische Moves vollführen Aufmerksamkeit, die sonst ausbleiben würde. Das "Video Light", also die Kamera auf den Dances, ist nur dann auf sie gerichtet, wenn sie ihren Hintern in alle Richtungen bewegen und unglaubliche Kunststücke drauf haben. Ansonsten werden Frauen durch die geballte männliche Energie eher aus dem Mittelpunkt des Geschehens verdrängt. "Dancehall und Jamaika ist eindeutig eine männerdominierte Gesellschaft. Deshalb brauchten die Frauen eine Möglichkeit, um irgendwie ins Rampenlicht zu kommen und haben dieses Extrem gewählt. Aber es gibt, wie so oft, zwei Seiten".

Viele Tänzerinnen argumentieren, dass ihre Reize ihnen Macht verleihen und sie damit spielen – sie die Männer also in dem Moment in der Hand haben. Sie sind dann nicht die ohnmächtigen Opfer, die willenlos gedaggert werden, sondern sie zeigen ihren Körper so wie sie wollen, es ist ihr Spotlight. Dadurch emanzipieren sie sich.

Starten wir also unseren digitalen Workshop. Der erste Female Move, den uns Maggi zeigt, ist das Wining.

Die meisten Moves haben auch spezifische Namen. Ich hake nach, ob sie selbst Moves erfindet und sie dann auch benennt. "Ich hab mich dazu entschieden, das den Jamaikanern zu überlassen, denn für sie und auch nach meinem Verständnis muss ein Dancehall-Move aus dem jamaikanischen Kontext der Dancehall-Kultur kommen, damit er authentisch ist".

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Stylish Wine

Stylish Wine ist ein Move, den die Tänzerin Latonya Style kreiert hat. Es geht Latonya bei den Moves vor allem um weibliches Selbstbewusstsein und Emanzipation. Diese stellt sie "stylisch" dar und hebt sie dadurch von anderen Female Styles wie DHQ und Skinout ab, es geht also nicht darum möglichst extrem zu sein und die letzten Hemmschwellen und Tabus zu brechen.

Schwing deine Hüften im Kreis. Wichtig ist dabei, dass die Bewegung isoliert bleibt. Dieses Wining ist die Basis sehr vieler Moves. Nimm die linke Hand über den Kopf, sodass der Ellenbogen nach oben zeigt, strecke den Arm dann zur rechten Seite aus und führe ihn ausgestreckt zur linken Seite. Dann das gleiche mit dem rechten Arm.

Maggi empfiehlt zum Move zum Beispiel:

Rock Di World

Der Party-Dancemove schlechthin ist von Shakespeare kreiert und hat seinen Ursprung im gleichnamigen Song. Für Maggi bedeutet der Move vor allem deshalb Party und Socializing, weil er so leicht ist und wenn er im Club oder beim Street Dance läuft, einfach alle mitmachen. Der Move wird dann so lange immer wieder von allen zusammen wiederholt, wie der Song auf der Party läuft.

Winkle erst den rechten Arm an, Ellenbogen zeigt nach unten. Neige deinen Oberkörper nach rechts und mach gleichzeitig mit dem rechten Bein einen Schritt auf der Stelle. Nimm den Arm runter und den anderen hoch und folge wieder wie beim ersten Schritt mit dem Körper. Dann wieder auf die andere Seite. Bei der vierten Wiederholung kann dann variiert werden, zum Beispiel Hände nach oben.

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Pop One

Dieser Gunmove wurde von Elite Team entwickelt, eine Crew mit ausschließlich männlichen Mitgliedern. Es gibt sehr viele Gunmoves. Sich fürs Tanzen zu entscheiden und Waffen nur noch in Tanzschritten darzustellen, soll Gewalt nicht verherrlichen, sondern ist vielmehr als Entscheidung gegen das Gangstertum zu verstehen. Maggi spricht von Müttern, die sich freuen, dass ihre Söhne Tänzer werden wollen. Denn obwohl man damit kaum Geld verdienen kann, hält es die Jungs davon ab, den falschen Weg einzuschlagen. Trotzdem, Dancehall kommt aus den Ghettos und sowohl die Lyrics, als auch die Moves geben diese Realität auch wieder.

Stell dich auf die Fußinnenseiten, damit du das Gleichgewicht halten kannst. Neige dich wie beim Limbo ganz tief nach hinten, die Knie zeigen nach vorne. Mit deinen Händen machst du den "Gunfinger", winkelst also den kleinen und den Ringfinger an. Verlagere dein Gewicht abwechselnd auf die rechte und linke Seite und nimm jeweils den Arm der anderen Seite nach vorn, der zweite Arm geht gleichzeitig angewinkelt hinter den Kopf zurück. Die Arme bewegen sich jeweils langsam nach vorne, in dem Moment, in dem du den Arm zurücknimmst, ist die Bewegung aber "abgehackt", als würdest du abdrücken.

Maggis Empfehlung zum Move:

Money Bunx

Money Bunx ist von der Crew Black Eagles, die ebenfalls nur aus Männern besteht. Dass Geld im Dancehall eine so große Rolle spielt, hängt eng mit der Ghetto-Realität und der damit verbundenen Armut zusammen. Wer kein Geld hat, um das Nötigste zu kaufen, dem ist es umso wichtiger. Auf den jamaikanischen Dances sind alle top gestylt, sie tragen neue Kleidung und Sneakers, teure Accessoires, künstliche Haare und Fingernägel. Das bedeutet hustlen, es irgendwie doch schaffen und sich nach Außen hin die Armut unter keinen Umständen anmerken lassen.

Schmeiß den zum Move gehörenden Song Money Bunx an. Streck beide Arme nach vorn und mache die Geste für Geld, also den Daumen an Zeige- und Mittelfinger reiben, die Handflächen zeigen dabei nach oben. Bunx steht für Bouncen. Zieh die Knie abwechselnd nach oben und "bounce" dabei auf dem Standbein nach oben, der Oberkörper geht dabei in die Richtung des Beins, das nach oben geht. Nimm immer beim vierten Schritt die Hände an die Hüften und beim nächsten Schritt dann wieder nach vorne zur Geldbewegung.

Die Moves bestätigen, was Maggi mir im Vorfeld aufgezeigt hat, es gibt beim Dancehall nicht die eine Art zu tanzen. Zu den verschiedenen Themen, die im Dancehall eine Rolle spielen, gibt es jeweils andere Moves und Styles. Booty shaken ist längst nicht alles. Wenn ihr das nächste Mal zu Rihanna, Drake oder auch Vybz Kartel im Club tanzen wollt, ist es jedem selbst überlassen, die Hüften zu schwingen oder aber eher die Party Moves zu bringen.

Ach ja, Swaggi Maggi kann ohne Probleme eine Dancehall Choreo zu Mainstream Songs mit Dancehall Einfluss machen und es passt super zusammen. Rihannas "Work" ist ja zum Beispiel auf einem Beat entstanden, der dem Dancehall Riddim "Sail Away" von Richie Stephens stark ähnelt. Von Bonez MC und Raf Camora hat sie allerdings noch nie gehört …

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