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Ich wäähle für HipHop

"Meint ihr das ernst?" – Deutschlands erste HipHop-Partei im Interview

"Wir – die wir alle HipHop in den 80ern kennengelernt haben – wurden von einer unglaublich politischen Bewegung sozialisiert." Ein Gespräch mit dem Generalsekretär von Die Urbane.
Fotos: Scandalas Pix

Bald ist wieder Bundestagswahl. Da dürft ihr dann alle (außer viele Migranten und circa 80.000 behinderte Menschen) wieder zur Urne stapfen, wenn ihr nicht gerade auf einer Afterhour rumhängt, und euch zwischen Teufel und Beelzebub entscheiden. GroKo, Jamaika oder doch Rot-Rot-Grün? Und macht das eigentlich wirklich noch einen Unterschied?

Oder ihr gebt eure Stimme einer der Kleinparteien, in der Hoffnung, dass die Rente verzehnfacht wird (gibt es die grauen Panther eigentlich noch?), Serdar Somuncu Bundeskanzler und unausstehlicher Comedy-Rap wieder salonfähig wird (Hallo, DIE PARTEI!) oder deutsche Frauen nur noch blonde Krieger gebären (Halt's Maul, NPD!).

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Seit kurzem gibt es nun auch "DIE URBANE", eine HipHop-Partei, die sich am 1. Mai 2017 gründete und hauptsächlich aus mehr oder weniger bekannten Rappern, Breakern und Realkeepern besteht. Die Partei hat sich vor allem typisch linke und soziale Themen auf die Fahne geschrieben und behauptet von sich, ihre "Werte und Erfahrungen nun als politischen Arm der Subkultur auch in die politischen Strukturen des Landes zu bringen."

Nicht nur der Web-Auftritt der Partei kommt erstaunlich professionell daher, auch der Generalsekretär Fabian "SirQlate" Blume, tat uns nicht den Gefallen mit einer Bong in der Hand auf einem Skateboard zu freestylen (was nicht heißt, dass er das nicht könnte). Also haben wir uns hingesetzt um ein wenig nachzuhaken, zu stänkern und Adorno gegen Marx antreten zu lassen.


Thump-Video: "Auf einem Höhlenrave 300 Meter unter der Erde"


Noisey: Fangen wir mal nüchtern und sachbezogen an. Meint ihr das ernst?
Fabian Blume: Aufgrund des zwölfjährigen GlenDronach im Glas vor mir, gebe ich sachbezogen aber ggf. etwas weniger nüchtern ein "Ja" als Antwort. Ich weiß, ein Olde English 40 Ounce ohne Glas wäre sicher hier die bessere Pointe gewesen … Aber alle Klischees gehen nicht.

Apropos Klischees: Eine HipHop-Partei? Wirklich? Und vor allem: Warum?
Warum nicht? Im Ernst, wir – die wir alle HipHop in den 80ern kennengelernt haben – wurden von einer unglaublich politischen Bewegung sozialisiert. All die Public Enemys & Co. Wir arbeiten mit HipHop seit Jahren in den Kommunen, machen Breaking-, DJ- oder Rap-Workshops mit Kids, die sonst kaum Perspektiven haben. Das ist eigentlich viel mehr Politik, als Politiker*innen vorgeben zu tun. Daher ist eine Partei fast eine logische Konsequenz – beinahe komisch, dass wir die ersten sind.

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Ist HipHop nicht eine Bewegung, die fast immer von unten kommt? Ergibt es da nicht wenig Sinn, HipHop von oben diktieren zu wollen? Das erscheint mir doch sehr paradox.
Genau darum geht es ja, wir möchten durch die Werte, die uns die HipHop-Kultur vermittelt hat, dem Self-Empowerment, der Teilhabe, Perspektiven zu representen, die völlig unterrepräsentiert sind, eine gesellschaftlich relevante Plattform innerhalb der Strukturen geben. Eben Politik nicht FÜR Menschen, sondern DURCH. Da wird nix diktiert, HipHop ist im Herzen sehr anarchistisch – wir werden nie Politiker*innen, aber genau aus dem Grund müssen wir Politik machen.

Fabian Blume (Generalsekretär), Dr. Frithjof Zerger (LV Vorsitzender Berlin), Raphael Hillebrand (Bundesvorsitzender), Niki Drakos (Bundesvorsitzende)

An der Basis lässts sich immer leicht meckern. Und plötzlich ist man an der Macht und legitimiert einen Angriffskrieg, obwohl man sich als Friedenspartei gegründet hat. Wer verspricht mir, dass ihr – falls ihr gewählt werden solltet – nicht auch so rückratlose Gestalten werdet wie alle anderen Parteien?
Versprich nichts, was du vielleicht nicht halten kannst. Aber sagen wir es so: Klar, die meisten haben mit Idealismus angefangen in die Politik zu gehen, dann kamen Macht und Geld. Und PENG, korrumpiert. Kann allen passieren, ist irgendwo menschlich, Menschen sind schwach. Ich behaupte aber mal ganz dreist, dass sich bei uns die Grundmaxime der HipHop-Kultur, "Keep it real", durchsetzt. Guck mal, wir sind ja alle schon so einiges gewohnt, von mehr oder weniger erfolgreichen Rap-Karrieren über DJ- und Breaker-Fame. So what?! Korrupt … Was ist das? Der Rapper von Tha Dogg Pound? Idealismus haben wir reichlich. Der bleibt eine Weile.

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Erstaunlich vielen meiner Freunde wurde "Die Urbane" beim Wahl-O-Mat empfohlen, ohne dass dort gefragt wurde, ob man Breakdance als Pflichtfach einführen möchte oder ähnliches. Wie erklärt ihr euch das?
Weil der Wahl-O-Mat erkennt, ob Du ein cooler Mensch bist, wenn Du ein cooler Mensch bist, wird Dir eine coole Partei empfohlen. Na ja, ich gebe es zu, wir sind dann eben doch einfach wirklich ernsthaft vernünftig – Breaken wird trotzdem Schulunterrichtsfach. Aber das sehen die Leute ja erst später, wenn sie nach der Wahl ins Programm gucken.

Am vermeintlichen "Cool sein" scheitert die FDP ja schon seit Jahren. Glaubt ihr, dass das Schlagwort "HipHop" ausreicht um genügend Stimmen zu bekommen? Denn das Programm von Parteien dürfte tatsächlich die wenigsten Menschen lesen.
Die FDP dreht sich auch immer in irgendwelche Richtungen. "Cool sein" meinte ich gar nicht im Sinne von jung geblieben oder frisch, sondern eher wie locker und down to earth sein. Ob HipHop dabei hilft, weiß ich nicht. Spielt eigentlich auch gar keine Rolle – es ist unser Alleinstellungsmerkmal und wir kommen daher. Unser Parteiprogramm ist gar nicht so unfassbar lang, vielleicht trauen sich ein paar Leute, es doch zu lesen. Und wenn es nur ist, weil sie haten wollen.

Warum sollte man eigentlich wählen gehen? Alleine die Tatsache, dass sämtliche Parteien fast schon hysterisch "Hauptsache, ihr geht wählen, egal wen" kreischen, sagt mir, dass ich es lieber bleiben lassen sollte.
Weil wir uns selbst bewiesen haben, dass das System funktioniert. Wir haben mit wenigen Menschen voller Ideale innerhalb kürzester Zeit eine Partei gegründet und sind zur Bundestagswahl zugelassen. Das heißt, es ist absolut möglich, dass wir mitspielen können, es liegt an den Menschen, ob sie uns wählen. Wer kein Bock auf den ganzen herkömmlichen Bullshit hat, aber auch keine Protestwahl machen will. Wir bieten da eine Antwort. Meckern ist einfach, machen ist schwerer. Wir werfen uns da rein, nehmt uns beim Wort und guckt, ob wir den Laden umkrempeln können.

Natürlich funktioniert das System – wenn man nach seinen Regeln spielt. Zu glauben man kann das System von innen verändern hat sich doch meist als Utopie herausgestellt. Oder gibt etwa doch ein richtiges Leben im falschen?
Klar, ich mein, don't hate the player, hate the game. Ist schon richtig, aber wir kommen damit immer wieder beim Idealismus an – utopisch, vielleicht sogar naiv. Was ist denn die Alternative zum eigenen Bedürfnis, etwas zu machen, anstatt zu meckern? Probieren wir es doch einfach erst einmal im System und gucken dann. Weil Du mit Adorno kommst, antworte ich mal mit Marx und sage, die Philosophen interpretieren die Welt verschieden, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.

OK, wir machen jetzt abschließend ein bisschen auf ARD und Ronja von Rönne: Ihr habt zehn Sekunden Zeit, um eure wichtigsten und komplexesten Anliegen darzulegen. Bitte sämtliche Themenfelder abdecken.
Labern ist auch Bullshit. Wenn Du bisher wenigstens neugierig geworden bist, geh auf www.die-urbane.de und lies Dir alles durch. Hab ich noch Sekunden? Ich grüße …

… Danke, stop, die Zeit ist um. Eine Frage noch: Warum ist Marcus Staiger nicht euer Kanzlerkandidat?
Da muss ich mir die Schuld geben, ich wollte mich mit Marcus längst getroffen haben. Leider stand Zeitmangel und zu viel Arbeit dazwischen. Kein Witz.

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