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Caspers 'Lang lebe der Tod' und die Sache mit der Angst

Der rote Faden von 'Lang lebe der Tod' ist die Angst und wie sie sich in alle Aspekte des Alltags frisst. Casper behandelt dieses Thema besser als alle vor ihm.
imago | Lukas Seufert

Ich weiß nicht, ob Casper an einer Angststörung leidet. In seinem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte er zumindest, dass er noch nie in einer Therapie war. Aber die Angst, beziehungsweise die verwandten Depressionen tauchen bisher auf jedem seiner Alben auf. Und eigentlich ist es auch egal, ob er selber betroffen ist oder einfach nur extrem gut Geschichten erzählen kann. Ich allerdings habe eine diagnostizierte Angststörung und ich bin noch über niemanden gestolpert, der das Thema so sehr auf den Punkt bringt wie Casper auf Lang lebe der Tod. Das liegt aber überhaupt nicht an den einzelnen Songs, auch wenn die für sich genommen sehr gut sind. Denn Songs über Angst und Depressionen können viele schreiben, manche sogar auf dem gleichen Niveau. Was Lang lebe der Tod auszeichnet ist, dass sich nicht alle Songs um die Angst drehen, aber sie trotzdem in allen Liedern auftaucht.

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Wie im echten Leben frisst sich die Angst auch auf diesem Album in alle Bereiche. Sie wird zum ständigen Begleiter, der hinter einem steht und sich regelmäßig räuspert, damit man auf keinen Fall vergisst, dass er noch da ist. Natürlich sind viele Situationen, die Casper beschreibt nicht eins zu eins auf den Hörer übertragbar, schließlich sind die meisten von uns keine gefeierten Popstars, die auf Schritt und Tritt von Fans verfolgt werden. Aber nur weil Caspers Ausnahmesituation-Regler auf 11 gedreht ist, ist die grundsätzliche Angst keine andere.


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Dass beim Opener "Lang lebe der Tod" Angst und Tod noch im Vordergrund stehen, ist offensichtlich, doch das erste Mal schleicht sich die Angst bereits in "Alles ist erleuchtet" auch in ein themenfremdes Gebiet. Obwohl hier eigentlich Hedonismus und aktuelle gesellschaftliche Probleme kritisiert werden werden, taucht sie auch hier auf. "Doch wo Licht am hellsten leuchtet, werden Schatten immer länger." Da Licht und Schatten genau andersrum funktionieren, ist es naheliegend, dass es hier um die Angst infolge des Drucks geht, den das Rampenlicht auf ihn ausübt. Dieses Gefühl man könnte verfolgt werden, wenn man einen Fehler macht. Konsequenzen, die sich aus öffentlichem Handeln ergeben, was sich bis zu einer Art Verfolgungswahn steigern kann.

Gerade wenn man noch andere Textzeilen wie "Die schreien mich an, wenn ich draußen bin / Fühl mich gejagt wie von Tausenden" aus "Lass sie gehen" noch mit dazu nimmt, wird natürlich auch klar, warum er sich verfolgt fühlen könnte. Doch die beschriebenen Gefühle sind die, die vielen Menschen mit Angststörung bekannt sein dürften. Die beste Zusammenfassung hat hier die englische Hardcore-Punk-Band Gallows in ihrem Song "

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Victim Culture

" geliefert. Die war nämlich so gut, dass Casper sie für den Prolog zu "Sirenen" einfach übersetzt hat:

"Hast du gedacht, du bist hier sicher? Bist du wie betäubt?
Macht die Medizin dich müde? Fühlst du dich verfolgt?
Hast du schwache Nerven? Rauben Sorgen dir den Schlaf?
Sehnst du dich nach Wärme? Halten Albträume dich wach?
Hast du Angst um dein Leben? Kommt Panik in dir hoch?
Fühlst du dich belogen? Fürchtest du den Tod?"

Natürlich passt dieser Text auch perfekt als Intro für "Sirenen", in dem es um die aktuelle politische Lage, Kämpfe mit der Polizei und staatliche Unterdrückung geht. Doch gerade, dass der Prolog als eigenständiger Track auf Lang lebe der Tod vorhanden ist, zeigt die Doppeldeutigkeit des Ganzen noch einmal sehr gut auf. Wieder einmal schleicht sich hier also die Angst in einen Song mit einem anderen Thema und nistet sich im Hinterkopf ein, wo sie auch bleiben wird. Denn wie Gallows in "Victim Culture" schon sagten: "There's no way out, there's no escape / From the vicious circle we embrace"

Die andere Seite der Angst sind die Depressionen, denen Casper mit "Deborah" einen ganzen Song auf Lang lebe der Tod widmet. Doch statt unglaublich pathetisch mit dem Thema umzugehen, beschreibt er einfach die Realität vieler Menschen, die unter Depressionen leiden. Denn entgegen des großes Klischees, sind diese eben nicht den ganzen Tag traurig, sondern fühlen einen Mix aus nichts und Angst, der anderen vermutlich schwer zu vermitteln ist. Genau diese Lethargie führt dann zu Situationen, wie sie in "Deborah" nur zu gut beschrieben werden:

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"Telefon platzt, aber nehme nicht ab
Briefe kommen, weiß zu blau, zu gelb
Erst Strom, dann Heizung ausgestellt
Kein Fieps, kein Ton, bleib regungslos
wenn der Hausverwalter mal schellt"

Es ist also kein Wunder, wenn man sich irgendwann einfach nur noch von allem abkapseln will. Die Öffentlichkeit, Rechnungen, E-Mails – alles überfordert einen in einem unvorstellbaren Maße. Und an manchen Punkten werden einem selbst die eigenen Freunde zu viel. Egal wie sehr man sie mag, wie gerne man sich mit ihnen Treffen würde, der Kraftakt, der dazu nötig wäre, ist einfach nicht zu leisten. Und auch an diesem Punkt scheint Casper in "Wo die wilden Maden graben" angelangt zu sein:

"Werfe mein Telefon in die Spree
Will euch nie mehr kennen und sehen
Keine Treffen, SMS oder Mail!
Lass mich allein, ich will mein Leben zurück"

Wirklich in jedem Song lassen sich Zeilen finden, die auf Depressionen und Angst zurückzuführen sind. Selbst auf "Morgellon", wo es im ersten Moment nicht so offensichtlich scheint. Doch auch die Verschwörungstheoretiker, die hier attackiert werden, haben am Ende nur Angst. Und ich bin nicht allein mit dem Gefühl, dass das Album das Thema auf den Punkt bringt. Von mehreren Menschen aus meinem Umfeld habe ich Sätze wie "Das könnte der Grund sein, warum mich das Album so einfängt" gehört. Es ist, als würde die Angst das Album so im Griff haben, wie sie auch alle Betroffenen nicht mehr loslässt. Und genau das macht Lang lebe der Tod zu so einem starken Album.

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Weshalb Lang lebe der Tod auch ohne den ganzen Angst-Kontext ein sehr gutes Album ist, habe ich an dieser Stelle bereits erzählt:

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