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Hört endlich auf, über Schlampen zu singen

Es wird langsam Zeit zu überdenken, was dieses Wort in Frauen auslöst.
Screenshot via YouTube aus dem Video Nicki Minaj - Stupid Hoe

Musik ist der Inbegriff von Freiheit - zumindest, wenn du nicht gerade in Nordkorea lebst. Bist du Musiker, kannst du rein theoretisch über alles singen, was dein Herz begehrt und der Text muss nicht einmal Sinn ergeben, geschweige denn sich reimen. Man muss aber auch bedenken, dass es nur wegen dieser Freiheit Bands wie Frei.Wild, oder eine singende Animationsfigur namens Crazy Frog gibt. Das Ganze kann also auch negativ ausgenützt werden und dass Freiheit nicht nur Spaß macht, sondern auch Verantwortung bedeutet, merken wir, sobald wir von daheim ausgezogen sind und das erste mal in unserem Leben vor dem WG-Putzplan stehen.

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Als Musiker muss einem bewusst sein, dass man je nach Ruhm und Reichweite einen entscheidenden Einfluss auf die Gesellschaft haben kann – im schlimmsten Fall einen negativen. Während es das Phänomen von besorgten Eltern, die nicht wissen, was sie tun sollen, wenn ihre Kinder gewaltvolle Musiktexte hören, schon lange existiert, gibt es ein anderes Problem, über das selten gesprochen wird: Das Wort “Schlampe” in all seinen Variationen, das häufig in Songtexten vorkommt. Das Wort, das auch dazu führt, dass sich Frauen sexuell nicht ausleben und nach einem One-Night-Stand oft ein schlechtes Gewissen bekommen. Was dazu führt, dass Frauen ihre Vaginen nicht für das benutzen, wofür sie erschaffen worden sind.

Das Wort an sich

Googelt man das Wort "Schlampe", bekommt man als Definition "eine Frau, die sehr viele sexuelle Beziehungen hat" mit der Beifügung "abwertend" in Klammer. Das sagt schon alles – sobald du als Frau mit einer gewissen Anzahl an Typen geschlafen hast, fällst du in eine Kategorie, die mit dem Wort "abwertend" beschrieben wird. Dabei ist das doch das Normalste der Welt, oder? Seinen Instinkten zu folgen und Sex zu haben, wenn man Sex haben will. Dass wir unsere Triebe ausleben sollen, hat uns schon Freud gesagt, aber warum soll das nicht auch für Frauen gelten?

Es wird langsam Zeit zu überdenken, was dieses Wort in uns Frauen auslöst. Im Grunde ist dieses Wort nämlich die Verbalisierung der Tatsache, wie die Gesellschaft mit dem Sexualverhalten von Frauen umgeht. Auch wenn nicht alle von uns als Schlampe bezeichnet worden sind, begegnen wir dem Wort im Alltag zu oft – im Fernsehen, aus dem Mund von unseren eigenen Freunden und eben auch gesungen oder gerappt über die Lautsprecher unserer Radios.

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Was ist normal?

Nicht ohne Grund gibt es unzählige Foren, in denen die Frage diskutiert wird, wie viele Sexualpartner für eine Frau "normal" sind. Während manche Nutzer sogar konkrete Zahlen angeben, ab wann für sie eine Frau eine Schlampe ist, gibt es auch Kommentare wie diese: "(…) genau das macht eine Schlampe aus, nämlich dass sie Affären hat, statt Partnerschaften, Sexualkontakte statt Partner, Sex als Freizeitgestaltung statt als Liebesspiel. Welche Frau mit Anstand und Würde hat Affären statt Beziehungen? Keine!"

Neben den Foren gibt es auch Studien und Umfragen, die die vermeintlich "perfekte" Zahl an Sexualpartnern ermitteln wollen. Es ist zwar nicht das Ziel dieser Studien, vermeintliche Schlampen zu identifizieren, aber das Problem ist, dass dadurch einen Maßstab gesetzt wird, mit dem man sich vergleichen kann. Auf einen Blick ist erkennbar, ob man mit "zu vielen" oder auch anders rum – mit "zu wenigen" Leuten Sex gehabt hat.

Frauen gegen Frauen

Es ist eine Sache, wenn 2pac über Schlampen singt – denn er ist berühmt gewesen, bevor ich geboren worden wurde und mittlerweile sollten wir diesbezüglich ein paar Schritte vorangekommen sein (trotzdem keine Rechtfertigung). Aber es muss auch gesagt werden, dass Frauen andere Frauen als Schlampe bezeichnen. 2018 erschien beispielsweise der Song "MotorSport" von Migos, Nicki Minaj und Cardi B. Zitat von Cardi B im Song: "These hoes ain't what they say they are and their pussy stank, they catfishin'."

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Wenn Frauen andere Frauen als Schlampen bezeichnen, dann geht es meist um die Umstände, unter denen man Sex hat und eher weniger um die Anzahl der Sexualpartner – "Man sollte nur mit jemanden Sex haben, wenn Gefühle im Spiel sind", liest man oft in Foren. Aber diese "Regeln" muss jede Frau selbst für sich bestimmen. Ob man nach dem ersten oder nach dem zehnten Date Sex hat und ob man dabei verliebt bist oder nicht – das alles ist scheißegal solange man sich dabei wohl fühlt.

So etwas macht ein Mädchen nicht!

Foto zur Verfügung gestellt von Petra Steiner

Die Sexualberaterin Petra Steiner meint gegenüber Noisey, dass das Problem schon ganz früh beginne: Mit der Erziehung und den damit verbundenen Rollenbildern, die einem schon als Kind vor Augen geführt werden. Schon früh hören wir Sätze wie "So etwas macht ein Mädchen nicht", "Eine Frau spart sich auf". Wenn Sänger dann Wörter wie "Schlampe" verwenden, oder Frauen in Musikvideos, die sexy angezogen sind, abwertend behandelt werden, dann schlage das natürlich weiter auf unser anerzogenes Wertesystem und bestärke unsere angelernten Moralvorstellungen, sagt sie.

Als Sexualberaterin hatte sie schon öfter Fälle, in denen sich Frauen für ihr Sexualverhalten schämten: "Ich kenne Frauen, Singles wie auch in Beziehung lebend, die unterschiedlich viele Sexualpartner hatten und immer noch haben, aber niemals jemandem davon erzählen würden – sie fürchten schon alleine den Blick, der ihnen zugeworfen werden könnte. Aber der größte Kampf, den Frauen dabei aushalten müssen, ist der innere Kampf mit sich selbst. Sie stecken in einer Zwickmühle, denn sie leben einen Teil ihrer Sexualität aus, der ihnen einerseits Spaß, Genuss, Befriedigung bringt, aber andererseits kämpfen sie innerlich mit den eigenen Werte- und Moralvorstellungen, denn 'ein braves Mädchen' tut das ja nicht."

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Frau Steiner findet, dass wir in der sexuellen Gleichstellung noch einiges aufzuholen haben. Nach wie vor erlebe sie in ihrer Praxis Frauen, die eine Hürde haben, sich selbst zu berühren, Frauen, die Sexualität zwar als Bindungsfaktor in der Partnerschaft ansehen, selbst aber wenig bis nichts davon haben und es trotzdem tun, um dem Gegenüber Spaß zu gönnen – sich also immer in die zweite Reihe stellen.

"Aber auch Männer haben mit Wertvorstellungen zu kämpfen. Männer müssen in unserer Leistungsgesellschaft nach wie vor Performance bringen. Sie müssen stark, mutig, sexuell aktiv, attraktiv und cool sein, was in der Hose haben, etwas bieten können. Und oben drauf steht der sexuelle Mythos, dass Männer immer können und wollen – der Penis muss auf Abruf bereit stehen." Wenn sie feinfühliger, rücksichtsvoller, vorsichtiger sind und sich langsam auf die Sexualität einlassen wollen, würden sie genauso schnell in die Bewertungsschublade gesteckt werden oder selbst in die negative Wertung (genauso wie Frauen) gehen, weil sie nicht dem kolportierten Rollenbild entsprechen, sagt die Sexualberaterin.

Wenn man bedenkt, wie oft wir Musik hören, wie oft am Tag bestimmte Songtexte unsere Ohren erreichen, dann kann niemand mehr sagen, dass Musiker keinen Einfluss auf die Gesellschaft haben. Denn wenn wir mit unseren Kopfhörern in der U-Bahn sitzen, dann hören wir nur die Musik und wir bekommen nicht mit wie hintenrum unser Gehirn bearbeitet wird. Aber auch wir selbst können entscheiden, ob wir uns den Normen der Gesellschaft anpassen oder ob wir unsere Wertvorstellungen mitsamt ihren Wurzeln aus dem Boden reißen und so lange gegen die Wand klatschen, bis nichts Brauchbares mehr davon übrig ist. Wir selbst können entscheiden, ob wir unsere Sexualpartner in einem kleinen, pinken, geheimen Notizbüchlein dokumentieren oder Kerben in unsere Betten ritzen.

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