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Wir haben mit dem Typen geredet, der die Songs aus dem ‚You & Me' komponiert hat

Die Stimme hinter „Peregrine the Penguin“ war in den 80ern tatsächlich ein Mitglied der EAV. Wir haben mit dem Mann hinter dem Pädagogik-Pop geredet.

Grafik: VICE Media

Einst besaßen wir Ringmappen in Nanu-Nana-Kaffeetassen-Optik, linierte Hefte mit vorgezeichnetem Rand und viel zu viele Bücher, deren durchsichtige Einbände wir akribisch mit Geodreiecken durchstachen, um die Luftbläschen-Hügel zu glätten. Sie begleiteten uns über Jahre hinweg durch die Höhen und Tiefen unserer Schulzeit und nahmen dabei verschiedenste Rollen ein—zwischen Bester Freund und Nemesis war es aber meist nur ein schmaler Grat.

Nur wenige Unterrichtsmaterialien sollten es auf lange Sicht schaffen, einen bleibenden Eindruck, der über die schulische Laufbahn hinausgeht, zu hinterlassen. Eine Bücherreihe jedoch hat das vermeintlich Unmögliche geschafft und ist fast 20 Jahre später immer noch eine der schönsten Erinnerungen unserer Kindheit: The New You & Me, das beste Englisch-Buch in the history of ever.

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Erst kürzlich nahmen wir uns die Bücher auf VICE zur Brust und suhlten uns dabei in unseren eigenen Nostalgie-Ausdünstungen, während schnell klar wurde, was der primäre Auslöser für unsere You & Me-Liebe war: Wie so oft im Leben, liebe Kinder, ist es die Musik, die unsere Herzen höher schlagen lässt. Zeit, sich genauer mit den Songs aus dem Englisch-Unterricht der Unterstufe zu befassen. Und mit wem ginge das besser, als mit dem Typen, der sie komponiert hat? (Mit niemandem.)

Mario Bottazzi ist der Mann, der uns Songs wie „What’s Your Telephone Number“ geschenkt hat. Seine Stimme war es, die uns Geschichten von „Peregrine the Penguin“ erzählt und Englisch für immer und ewig als Word Game deklariert hat. Bis er diese nationalen Kulturgüter vertonte, war es aber nicht immer ein leichter Weg, manchmal sogar ein allgemein verunsicherter.

Im Alter von 13 Jahren zog Bottazzi mit seinen Eltern von England nach Österreich und wurde hier direkt ins vierte Gymnasium gesteckt. Weil er Englisch und damit auch die meisten Pop-Lyrics einwandfrei beherrschte, stieß er nach einer fachgerechten Schikurs-Performance zur Schülerband eines Freundes. Ohne jegliche Kenntnis von Noten, ohne Plan davon, was er da überhaupt macht. Er war ohnehin „immer mehr ein Wortmusiker“—Musik sollte laut Bottazzi immer direkt eine verständliche, sprachliche Geschichte erzählen.

Nach der Matura und zwei Jahren, die er „mit Klavierspielen verbrachte“, in der Hoffnung, vielleicht doch noch eines Tages Pianist zu werden, begann Mario erst mal ein Dolmetsch-Studium, bevor ihn ein Zeitungsinserat auf die Bühne brachte (Aufgeschrieben liest sich die ganze Geschichte sehr wie Coyote Ugly). Erst am Theater an der Wien als Musical-Darsteller, später am Theater der Jugend. Dort traf er auf Thomas Spitzer von der EAV, der sich irgendwann dazu entschloss, ihn für die Band zu rekrutieren.

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Das heißt für uns: Die Stimme hinter „Peregrine the Penguin“ war in den 80ern tatsächlich ein Mitglied der EAV. Für all jene, die in den You & Me-Songs immer schon einen Hauch „Märchenprinz“ zu erahnen glaubten—da habt ihr eure Erklärung. Zehn Jahre später verließ Bottazzi die EAV wieder. Die Kurzfassung: „Kreativität, Ruhm und Popularität sind nicht demokratisch.“ Fair enough. Ein paar Jahre nach dem Ausstieg, 1994, begann schließlich die Arbeit an dem legendären Englisch-Buch, das als The New You & Me Kultstatus in Österreich erlangen sollte.

Das „alte“ You & Me—also diese beinahe quadratische Ausgabe, an die sich manche vielleicht erinnern mögen (ich nicht)—gab es damals schon, für eine Neuauflage wurde Mario Bottazzi vom Langenscheidt Verlag als Musiker ins Team geholt. Lerninhalte durch Songtexte zu vermitteln, war ursprünglich gar nicht vorgesehen—die Tatsache, dass der Großteil von uns englische Grammatik in Rap-Form erlernen durfte, haben wir ihm zu verdanken.

Das Budget für die Produktion war minimal. Trotzdem—oder vielleicht deswegen—waren die Musiklayouts fürs erste Buch innerhalb eines Wochenendes fertig aufgenommen. Nicht zuletzt aber auch, weil die Songtexte, hauptsächlich vom Autor Herbert Puchta, nicht nur grammatikalisch, sondern auch musikalisch in Ordnung waren. 90 Prozent der Schnellschuss-Kompositionen von Bottazzi landeten letztendlich auf der CD zum Buch. „Was ich schnell gelernt habe: Die wollen keinen Jazz“—Ach!

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Heute sind die Songs so unglaublich kultig für uns, dass wir sie am liebsten als Gimmick auf die Party-Playlist hauen würden. Dabei ist es relativ schwer, diese Liebe mit etwas anderem als Nostalgie zu deuten. Bei genauerer Überlegung haben wir „What’s your teleophone number“ schon in der Schule eigentlich nicht viel weniger gefeiert, als wir das jetzt, 10-20 Jahre später tun.

Mario Bottazzi selbst glaubt eine einfache Erklärung dafür zu haben: „Ich bin sicher, das was euch damals so gefallen hat, war, dass das keine scheiß Kindermusik war.“ Und damit hat er wohl nicht ganz unrecht—die Arrangements klangen eher nach Popsongs als nach Kinderliedern, auch die Stimmen kamen durchwegs von erwachsenen Sängern. Es war schon irgendwie cool, es war jedenfalls nicht Kasperltheater, es war, wenn auch im weitesten Sinn, etwas Erwachsenes—zumindest für 10-Jährige.

Was besonders wichtig sei: „Um eine Sprache gut zu können, muss man Dinge auswendig können. Du kannst nicht gut sein, wenn du über jedes Wort, das du sagst, nachdenken musst. Das muss in Fleisch und Blut übergehen—im Deutschen sagt man dazu auswendig. Der Engländer sagt by heart. Das ist der Unterschied. Die Songs aus dem You & Me haben genau da angelegt—um dieses by heart-learning zu fördern. Und das ist das Ziel dahinter: Spaß mit Sinn. Beides alleine ist uninteressant.“

Um ein Verständnis für diese Art Pädagogik-Pop zu bekommen, habe ich während unseres Treffens sogar versucht, mir vom Großmeister höchstpersönlich das Prinzip von Songs wie „Come let’s sing the alphabet“ erklären zu lassen, und es schien mir so genial und banal zugleich, dass ich mich kurzzeitig darüber ärgerte, jemals eine große Kunst dahinter vermutet zu haben. Es ist ein Konzept, das sich innerhalb zehn Sekunden auf ein Blatt Papier kritzeln lässt: Eine Strophe aus zwei reimenden Zweizeilern und ein Refrain in Form eines immer wiederkehrenden Kehrreims, wie diese Zeichnung mehr oder weniger belegt:

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Foto: Franz Lichtenegger | Zeichnung: Mario Bottazzi

So weit, so einfach. Diese Gelegenheit mussten wir nutzen, um uns waschechte VICE- und Noisey-Zweizeiler auf den Leib schreiben zu lassen, die in der Form straight aus den You & Me-Büchern kommen könnten. Als wäre dem nicht schon genug, hat er sie auch noch mit seiner Kult-Stimme eingesprochen. Die Resultate sind spektakulär. Aber hört selbst:

Und:

Unfassbar. Um ihm seinen Einfluss auf eine ganze Generation ein bisschen mehr bewusst zu machen, wühlen wir uns gemeinsam durch den Kommentar-Tsunami unter dem You & Me-Artikel auf VICE, der sich fast ausnahmslos auf seine Songs bezieht.

„Dass zum Beispiel ,What’s your telephone number’, dieser pedestrian Reggae, so gut ankommt, ist für mich schon ein bisschen ein Rätsel.“ Für uns umso weniger. Was für ein Song. Ein weiterer Klassiker: „Back from our holidays“—das ist der mit Little Arabella und ihrem Umbrella. „Das ist auch eine schöne Nummer.”, so Bottazzi. „Vor allem, weil der Text vom Puchta so böse ist. Da schupft der Wind ein Kind ins Meer und das kommt nie mehr wieder. Das ist schön böse.“ Stimmt. Und das Kind in der zweiten Strophe gräbt sich wortwörtlich sein eigenes Grab, und die Burschen in der dritten Strophe werden von einem Hai gefressen. Böse ist gut.

Bottazzi schreibt seine „Nu Rock Dance Surprise Theater“-Songs (so treffend bezeichnet er sein Genre) übrigens bevorzugt in Wiener Kaffeehäusern—da kommt es auch schon mal vor, dass er von der Bedienung auf seine Arbeit angesprochen wird. Sobald er dann das You & Me erwähnt, wissen die meisten sofort, wovon er redet. „Einmal hat eine gesagt: ,Mah, bei diesem Swap Swap Swap, da habe ich damals geweint.’ Weil es ihr so gefallen hat!“ Sachen gibt’s.

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Wenn man Kinder mit pädagogisch wertvollen Dance-Nummern zu Freudentränen rührt, dann hat man wohl vieles richtig gemacht im Leben. Obwohl sich mir persönlich nicht so ganz erschließt, wie man den „Swapping Song“—seine Relevanz in allen Ehren—so dermaßen ergreifend finden kann, dass man total die Kontrolle über sich selbst verliert und in Tränen ausbricht. Ich hatte so einen Moment mal mit „Africa“ von Toto. Diese Kellnerin muss einen besonders emotionalen Zugang zu Musik haben.

Das Beste daran, Mario Bottazzi zu treffen, ist eigentlich, seine Stimme zu hören. Ein bisschen so, als würde man mit dem Universum-Sprecher Otto Clemens oder dieser witzigen TV Total-Stimme sprechen. Es ist ein vertrauter Klang. Besonders, wenn er zwischendurch englische Begriffe einwirft oder gar direkt aus dem You & Me zitiert, beschleicht einen ein nostalgisch-großväterliches Gefühl, fast so, als würde man die Stimme eines ehemaligen Lehrers hören. Und irgendwie ist er ja genau das: Ein ehemaliger Lehrer, den wir alle hatten, nur nie gesehen haben.

Das vielleicht Paradoxe daran ist, dass er eigentlich gar nicht mit Kindern kann. „Ich habe kein Problem mit Kindern, das geht schon. Aber mit einem 14-Jährigen kannst du halt nicht reden über irgendwelche Hintergründe.“ So passt es wohl ganz gut, dass er seinem indirekten Lehrauftrag auch weiterhin vom Tonstudio aus nachgehen wird: Momentan sind neue Englisch-Bücher des ÖBV in der Mache, die ab dem Schuljahr 2017/18 in der Unterstufe verwendet werden sollen. Die Songs und auch der Großteil der Texte kommen diesmal komplett aus Bottazzis Feder.

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Die Reihe soll den Titel Prime Time 1234 tragen und wird—wenn die Englisch-Götter so wollen—das für eure Kinder werden, was das You & Me für uns gewesen ist. Und wenn alles nach Plan verläuft, dann wird unsere Nachkommenschaft in 10 bis 20 Jahren in Erinnerungen von den Songs über die schlafende Katze schwelgen und 1A-Reime wie „Rock until our parents knock“ auf ewig auswendig können. (Wirklich, wir durften reinhören.)

Zum Abschluss gibt es an dieser Stelle noch eine Grußbotschaft—von Mario Bottazzi, der Stimme des You & Me, an uns Kinder gerichtet. Macht damit, was ihr wollt.

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