Wir brauchen mehr Aufklärung in der Schule und nicht Tschick ab 18

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Wir brauchen mehr Aufklärung in der Schule und nicht Tschick ab 18

Weil sich noch kein 15-Jähriger gedacht hat: "Oh Shit, ich kann erst in drei Jahren eine Nikotinsucht entwickeln."

UPDATE: Schwarz-Blau hat am 11. Dezember beschlossen, dass das Mindestalter von 16 Jahren auf 18 Jahre angehoben wird und das generelle Rauchverbot gekickt wird. Es wird nach wie vor möglich sein, in getrennten Räumlichkeiten zu Rauchen. Das generelle Rauchverbot war im Mai 2018 geplant.

Österreich und das Rauchen führen eine tragische Liebesbeziehung. Neuester Schlagzeilen-Umstand: Rauchen soll hier, wie fast sonst überall in der EU, erst ab 18 erlaubt werden. Das ist schön, aber ob es in Hinblick auf die Suchtprävention etwas bringt, darf angezweifelt werden. Immerhin ist das Thema Sucht und Gesellschaft immer schon sehr komplex gewesen und die Studien meistens widersprüchlich. 2001 hat das österreichische Institut für Kinderrechte eine Studie mit dem Titel "Kinder und Alkohol" verfasst—eine der Forderungen war, ein einheitliches Jugendschutzgesetz für alle Bundesländer zu etablieren.

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Weiters wurde gefordert, früh mit der Bewusstseinsbildung von den Gefahren und Risiken von Alkohol anzufangen, sowie Prävention in der Kinder- und Jugendarbeit weiter auszubauen. "Die Studie belegt, dass Alkoholverbot durch Gesetze bei Kindern und Jugendlichen so gut wie keine Wirkung hat" heißt es in der Zusammenfassung der Studie. Und auch wenn 2001 lange her ist und Alkohol das Thema war, wäre es wahrscheinlich hilfreicher, man würde in der Schule aufklären, anstatt den einfacheren Weg des Verbots zu gehen.

Oder aber auch im Elternhaus: Die Columbia-University hat eine umfassende Studie über rauchende Teenager erstellt und herausgefunden, dass Kinder von Rauchern eher Raucher werden als Kinder von Nichtrauchern. Besonders Töchter, die rauchende Mütter haben, unterliegen einem vier Mal höheren Risiko, selbst von Nikotin abhängig zu werden. Das ist für Österreich eher blöd, da laut der neuesten Studie noch immer ein Viertel aller Österreicher raucht. Trotzdem ist der Anteil der Raucher seit 2012 um sieben Prozent gesunken.

Doch das wären nicht die einzigen Maßnahmen von oben um österreichische Raucher zum Aufhören zu bewegen: Der Gesetzentwurf für Gastronomie-Betriebe, der das Rauchen verbannen soll, wurde 2015 fixiert. Dieser besagt, dass ab Mai 2018 weder im Restaurant, noch in der Disco und vor allem nicht in einer Shisha-Bar geraucht werden darf. Lokalbetreiber, die die Jahre davor sehr viel Geld in den Umbau investiert haben, sind naturgemäß nicht begeistert.

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Seit 2009 müssen Gaststätten, deren Fläche 50m² überschreiten, einen Nichtraucher-Bereich einbauen (außer es ist baulich nicht möglich). Lokale unter 50m² durften sich entscheiden, ob sie rauchfrei sein wollen oder nicht. 2013 fällte der Verwaltungsgerichtshof das Urteil, dass Nichtraucher ohne einen Umweg durch den Raucherbereich in den Nichtraucherbereich kommen müssen. Für einige Wirte und Lokalbesitzer hieß das, erneut Geld in Umbauten zu investieren—denn so richtig rauchfrei wollten die wenigsten werden. Für einige Lokale stand dabei sogar ihre Existenz auf dem Spiel.

Nichtraucher aus meinem Umkreis pflegen zu sagen: "Ein totales Rauchverbot war abzusehen, selber Schuld." Doch so einfach ist es nicht, immerhin führt Österreich in diversen Raucherstatistiken. Zum Beispiel ist Österreich auf Platz 1 des Rankings der aktiven jugendlichen Raucher: In keinem anderen EU-Land tschicken so viele zwölf bis 18-Jährige). Da kommt so ein Gesetz schon ganz gut, international gesehen.

Das ist ein zweifelhafter Ruhm und wohl ein Auslöser für die Einmischung unserer Oberhäupte in unsere selbstzerstörerischen Gewohnheiten. Österreich ist auch am letzten Platz bei der Tobacco Control Scale: Hierzulande wird kaum kontrolliert, ob die Nichtraucher-Gesetze eingehalten werden und generell wird kaum Nichtraucher-Schutz gewährleistet. Das bedeutet: Auch in einem Nichtraucherlokal kann schon Mal getschickt werden, genauso wie ein 14-Jähriger an sein Packerl kommt. Österreich liegt außerdem im weltweiten Vergleich auf Platz 6 der Länder, in denen die meisten Zigaretten am Tag geraucht werden.

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Ich bin zwischen 2009 und 2016 als stolzer—und vor allem unreflektierter—Raucher natürlich nur in Lokale gegangen, in denen ich nach meiner Melange, meinem Spritzer oder meinem Schnitzel tschicken konnte. Lokale, die bereits 2009 oder auch 2013 zum kompletten Nichtraucherlokal wurden, habe ich bewusst ausgelassen. Meine Geburtstagsreservierungen eröffnete ich am Telefon mit der Frage: "Ist ihr Raucherbereich groß genug?" Raucherbereiche, die auch für eine Rauchernase gestunken haben (also zu klein waren), habe ich genauso gemieden. Das ist nicht cool, aber ich bin mir sicher, ich bin nicht eine individuelle rauchende Schneeflocke, sondern die Regel. So gesehen kann man Gastronomen, die ihr Geld lieber in Umbauten investiert haben, wirtschaftlich nachvollziehen.

Foto von der Autorin.

Und nun, fünf Jahre später, wird das Rauchen sowieso aus allen Orten, in denen es Speis und Trank gibt, verbannt. Das ist bitter für alle, die Geld ausgegeben haben, um ihr Lokal umzubauen und doppelt bitter für alle Shisha-Lokale. Die lange Übergangszeit zum kompletten Rauchverbot wird wohl kaum die zehntausenden Euro zurückbringen, die selbstständige Gastronomen investieren mussten. Doch das ist nicht alles, was in letzter Zeit die Lungen der Österreicher bewegt hat: Anfang Mai 2016 kamen die Bilder auf's Tschickpackerl. Nicht so populär wie der Impotenzmann: Für die Bilder wichen die Angaben über die Zusammensetzung der Zigaretten.

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Das ist ein bisschen so, als würde man Bilder von übergewichtigen Menschen auf die Schokolade drucken und die Kalorien-Angaben sowie die Zutatenliste streichen. Das war mein persönlicher Moment, um mit dem Rauchen aufzuhören. Die EU-Richtlinie hat mich unmündig gemacht—nicht, weil sie mir Entscheidungen mittels Bildern einflößen will, sondern weil sie für mich relevante Informationen gegen lächerliche Bilder ausgetauscht hat. Kein Teer- und Nikotingehalt mehr auf Tschickpackerln, stattdessen Männer in Embryonalstellung. Die offizielle Begründung ist: Raucher brauchen das nicht, weil es suggeriert, dass leichtere Tschick weniger schaden. Klar, jede Zigarette ist schädlich, aber ich habe trotzdem gerne eine Ahnung, wie viel Teer ich einatme.

Im Herbst kamen dann die Schlagzeilen: Der Zigarettenverkauf ist seit der Einführung der Schockbilder gestiegen. Das kann mehrere Gründe haben: Hamsterkäufe von Zigarettenpackerln ohne Bilder wäre zum Beispiel einer. Dass die Bilder teilweise abstrus sind (angewidertes Baby, junger Mann mit vollem Haar in der nackten Embryonalstellung, usw.) und eventuell zu einem Sammelspaß werden, wäre ein anderer. Jedenfalls werden wir erst in ein paar Jahren sehen, ob die Bilder helfen. Studien sind sich da noch eher uneinig. Auf jeden Fall wurden nicht nur mehr Zigaretten verkauft, sondern auch öfters das Rauchfrei-Telefon angerufen. Und der Verkauf von Hüllen für Zigarettenschachteln ist gestiegen.

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Eine WHO-Studie fand aber heraus, dass besonders in Ländern, in denen Bildung und Einkommen niedrig sind, bildhafte Warnungen helfen, die Risiken einer Nikotinsucht deutlich zu machen. Inwiefern dieser Umstand für die Österreicher oder die EU wichtig sind, sehen wir wie oben erwähnt, erst in ein paar Jahren. Eine andere Studie der Universität Illinois fand heraus, dass die Bilder eher nicht helfen, da sich Raucher bevormundet und manipuliert fühlen. Es macht sie aggressiv. Und nicht nachdenklich.

Andreas Schiefer, Spartenobmann der Wiener Trafikanten sagte im November zum ORF: "Ich habe gewusst, dass es nicht anders sein wird. Wir hatten schon einmal so eine Verordnung mit den Schrifthinweisen. Da war die Aufregung auch groß und am Ende des Tages haben die Leute trotzdem weiter geraucht. Man hätte schon damals erkennen müssen, dass solche Maßnahmen in Wirklichkeit nicht sehr viel bringen."

Und so wurden auf mehreren Ebenen Maßnahmen ergriffen: Auf der EU-Ebene die Bilder, auf der Bundesebene die Gastronomie-Bestimmungen und auf der Landesebene wird jetzt über einheitliche Jugendschutzgesetze diskutiert. Rauchen soll man ab 18 können. Das ist auch längst überfällig, wie eine Studie aus Deutschland aussagt. Dort hat sich die Anzahl der jugendlichen Raucher nach dem Einführen strengerer Nichtraucherschutzgesetze und höheren Tabaksteuern halbiert. Das Einstiegsalter in Österreich liegt aber nicht bei 16 oder 15 Jahren, sondern bei zwölf. Und inwiefern ein Anheben der Tabaksteuern und ein Ausbau der Kontrollen nicht mehr helfen würde, ist eine Frage, die man sich stellen sollte. Wie unterschiedlich die Jugend von den verschiedenen Bundesländern geschützt wird, kann man hier nachlesen.

Ob uns diese Maßnahmen wirklich so viel helfen, wird sich also zeigen. Ich bin da genauso unsicher, wie diverese Studienergebnisse. Und in meinem Umfeld macht sich auch Skepsis breit: Für viele wirken die Maßnahmen fadenscheinig anstatt tatsächlich problemlösend. Wenn wir die Kontrollen nicht verschärfen und Suchtprävention nicht als einen festen und ausführlichen Teil im Unterrichtssystem haben, werden 15-Jährige genauso weitertschicken wie betrunkene Disco-Besucher. Das Geld und die Zeit für die vielen Maßnahmen hätte man genauso gut ins Schulsystem stecken können. Aber solange Raucher auf Facebook stolz statt beschämt mit ihrer Zigarette posieren, wird sich wenig ändern. Nikotin ist noch immer eine Droge und man kann die Rahmenbedingungen erschweren, aber ohne dass die Gesellschaft mitzieht, wird das nichts. Fredi hat Twitter: @schla_wienerin

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