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Wir brauchen endlich mehr Frauen im Deutschrap

Während in der US-Szene immer mehr Rapperinnen erfolgreich werden, hinken wir in Deutschland mal wieder hinterher. Das sollte sich endlich ändern.

Abgesehen von wenigen Positivbeispielen ist auch im Jahr 2015 die Deutschrapszene weitestgehend testosterongetränkt. Scheinbar haben Rapfans (zumindest viele von denen, die im Internet Dinge kommentieren) auch kein großes Interesse an einer Veränderung. Denn Veränderung ist erstmal anstrengend und, naja, anders halt. Obwohl es Deutschrap geschafft hat, sich in den letzten Jahren immer wieder neu zu erfinden und zu entwickeln, hat sich die klare Unterzahl von Rapperinnen in der Szene bis heute nicht merkbar verändert. Während in den USA Größen wie Nicki Minaj, Angel Haze oder Azealia Banks langsam aber sicher immer mehr an die Macht kommen und vor allem ernst genommen werden, hinken wir hier noch deutlich hinterher.

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Die wenigen Frauen, die in den letzten Jahren präsent waren, sahen sich teils mit ekelhaften Sexismus und Angriffen auf ihre Menschenwürde konfrontiert. Hier eine Auswahl von Kommentaren unter Videos Deutschrapperinnen:

Wovor haben diese Menschen Angst, die Schwesta Ewa zurück in die Küche oder wahlweise in den Puff schicken wollen und ihr jegliche Daseinsberechtigung in der Rapszene absprechen? Wo doch das Einzige, wovor sie Angst haben sollten, wäre, dass Ewa ihnen die Eier abschneidet. Es ist bezeichnend, dass so viele Leute einer Rapperin nicht zutrauen, ihre Texte selbst zu schreiben. Würden sie das auch annehmen, wenn sie ein Mann wäre? Das Publikum, das sich das Recht herausnimmt, zu entscheiden, wer rappen darf oder wer „Ehre“ hat, ist noch immer erschreckend groß. Die Leute, die bei Facebook kommentieren, existieren schließlich genauso wie die Pegida-Anhänger, selbst wenn diese nicht in unserem direkten Umfeld sind.

Offensichtlich gehen eben diese Rapfans davon aus, dass eine Frau auf Mann machen möchte, sobald sie als Rapperin selbstbewusst auftritt. Sie ist dann eine Frau, die dem großen starken Mann hinterher eifert, aber niemals so gut wie das Original wird. Das mehr aufgeblasene Macho-Attitude nicht geht, sollte hier nicht betont werden müssen. Keine Frau, die rappt, will auf „Mann“ machen, sie will einfach nur rappen, weil sie HipHop liebt und wahrscheinlich Bock drauf hat. Und es ist ihr verdammtes Recht, das zu machen, worauf sie Bock hat. Wir sind nicht mehr in den Sechzigern, in denen Geschlechter auf einige wenige Attribute reduziert werden und die jeweiligen Individuen sich daran halten müssen, um nicht aus der Reihe zu tanzen.

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Besonders traurig ist das, wenn man darüber nachdenkt, worum es beim Rappen geht. HipHop stand immer schon für Toleranz und Offenheit. Realkeepermäßig ausgedrückt bedeutet das: Es geht um die Skills. Nicht darum, wo du herkommst, wie du aussiehst oder was du anhast—also sollte es auch nicht darum gehen, welches Geschlecht du hast. Da unsere geliebte Subkultur aber oberflächlich mit vermeintlich männlichen Attributen wie Aggressivität, Prollgehabe und Extrovertiertheit gekennzeichnet ist, scheinen viele einen Unterschied beim Geschlecht zu machen. Darum wird es scheinbar auch nicht gerne gesehen wird, wenn eine Frau Wut, Prollgehabe oder selbstbewusste Extrovertiertheit nach außen trägt. Auch wenn das ihr gutes Recht ist.

Glücklicherweise gehen inzwischen viele Rapperinnen mit gutem Beispiel voran, wenn auch alle auf ihre eigene Art und Weise. Da sind Rapperinnen wie Sookee, die sich selbstbewusst im „Zeckenrap“-Lager eingenistet hat und offen für Feminismus und Toleranz ausspricht. Dabei engagiert sie sich konsequent gegen Homophobie und Sexismus in der deutschen Rapszene. Aber auch Female-MCs wie die großartige Haiyti, die die Szene mit ihrer kompromisslosen Turn-Up-Mucke bereichert und in ihren Musikvideos als „Speedleiche“ im Hamburger Szeneviertel Party macht, ist mindestens genauso wichtig für ein neues Frauenbild im Rap.

Und auch Ewa kann als feministisch angesehen werden, schließlich zieht sie den kleinen Möchtegern-Pesevenks und Nachwuchs-Chauvinisten die Ohren lang und zeigt einer männerdominierten Szene, wo es langgeht: „Fickt deutschen Rap, weil selbst Schwesta mehr Eier hat.“ Ebenso Naya Isso ist ein gutes Vorbild für viele junge weibliche Rapfans. Sie spielt gekonnt mit männlichen Steoreotypen, macht explizit „MAEDCHENMUKKE“ und zeigt dabei, dass es vollkommen cool und in Ordnung ist, die Liebe zu Rap offen zu zeigen und diese Seite an sich selbst zu feiern. Die Rapperin Pilz fährt dagegen die komplette Battleschiene, nimmt dabei kein Blatt vor dem Mund und ist verdammt dope. Deutscher Frauenrap ist somit vielseitig und das ist super. Nur eines haben sie alle gemeinsam: Ihre zahlenmäßige Unterlegenheit gegenüber den Männern, sowie ihre Wichtigkeit für ein neues Frauen-Verständnis im Deutschrap.

Je mehr weibliche MCs dazukommen, desto mehr helfen sie dabei, die alten Strukturen der Rapszene aufzubrechen. Und desto mehr hat das wiederum einen Effekt auf die gesamte Gesellschaft. Denn natürlich ist im großen Bild das Problem nicht der Rap, sondern die Gesellschaft, in der er großgeworden ist.

Und genau deswegen brauchen wir endlich mehr Frauen im Deutschrap. Der erste Schritt, um das zu erreichen, ist eine tolerantere und offenere Szene, die ohne Vorbehalte an neue Künstlerinnen herangeht. Und sie vor allem ernst nimmt. Es darf kein Konsens sein, dass Frauenrap grundsätzlich erstmal belächelt oder mit besonderen Maßstäben gemessen wird. Solange es weiterhin Diskriminierung in der Gesellschaft und somit auch im Rap gibt, ist die Sache ganz klar: Wir brauchen Feminismus im Deutschrap, und zwar wir alle!

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