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Wie wir alle feiern, wenn wir zu den Eltern nach Hause fahren

Heimat bist du schöner Räusche.

Wer nicht von Pech verfolgt ist und an Feiertagen arbeiten muss oder niemanden für die Katze findet, der setzt sich für das lange Wochenende in den Westbus oder eine Mitfahrgelegenheit und fährt gen Heimat. Einige von euch werden gerade Koffer packen, einige werden schon in den elterlichen Gemäuern sein und andere stehen irgendwo im Niemandsland im Stau. Wenn man dann nach drei Stopps bei den üblichen Raststationen nach qualvollen Stunden Reisezeit zu Hause ankommt, will man vor allem drei Dinge: seine Koffer in die Ecke schmeißen, den Eltern ein Bussi geben und sich mit alten Freunden betrinken. Für gewöhnlich ähnelt das Fortgehverhalten in der Heimat dem der Wahlheimat kaum. Zuhause gelten andere Regeln, vor allem andere Menschen. Und wir tun Dinge, die wir in unserem neuen Zuhause niemals machen würden. Die Noisey-Redaktion hat ihre Köpfe zusammengesteckt und festgestellt, dass es einige Wir-feiern-zuhause-Merkmale gibt, die wir alle kennen:

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Wir gehen in die Bars unserer Jugend

Ja, wenn man wieder zu Hause, in seinem alten Kinderzimmer sitzt und sich wundert und freut wie wenig sich in einer Zeitspanne ändern kann, hört man wieder den Ruf der Jugend. Ob aus Langeweile, aus mangelnden Alternativen oder aus sozialromantischer Nostalgie – irgendwann sitzt man wieder vor Kurt und süffelt dasselbe Bier wie damals. Wenn das passiert, gibt es genau drei mögliche Ausgänge: Entweder die Bar wurde einmal umgebaut aber sonst ist alles beim alten oder man merkt, dass das Publikum um einiges jünger geworden ist und man jetzt in die Dorfkneipe zu den Alten saufen gehen sollte. Der dritte Ausgang ist der, dass die Jugendkneipe zugesperrt hat, nachdem man weggezogen ist. Zeit zur Reflexion des Alkoholkonsums? Irgendwann bestimmt.

Wir gehen auf Partys, auf die wir in unserem "normalen" Leben nie gehen würden

Foto: Isabella Khom

In den größeren Städten Österreichs – also in Wien – ist es relativ unproblematisch, eine Party zu finden, für die man sich nicht schämen muss. An allen sieben Tagen der Woche kann man sich irgendwo zu halbwegs guter Musik und Interessens-Kollegen vollaufen lassen, ohne dass sich das Gefühl einschleicht, man sei auf einer Party der 11er gelandet. Ab dem Moment, in dem du anfängst, deine Ausgeh-Klamotten für deine Heimatstadt aus dem Kasten zu zupfen (oder wahlweise einen Kleiderhaufen tiefzugraben), musst du dir genau überlegen, welches deiner Standardoutfits du wofür brauchst. Das brave, weit geschnittene für die alljährliche Völlerei mit der Familie, den warmen Pulli für den beschissenen Spaziergang, auf den sowieso keiner Lust hat – und das Outfit für den Abend, von dem du jetzt schon weißt wo er anfangen/enden wird: Auf der furchtbaren Party, auf die man nur geht, weil es keine andere gibt.

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OK, es gibt sie vielleicht, die anderen Partys. Aber meistens hat man sich vor Jahren für Freunde entschieden, von denen die Mehrheit diese Partys eben nicht besuchen und dich und die anderen armen Mitgehangenen jedes Jahr auf den gleichen furchtbaren Ort zerren. Warum man da mit macht? Ein Mysterium. Und einfach weil man naiv ist, und die Fahne der Hoffnung mit der Vehemenz eines Olympischen Fackelläufers mit sich trägt. Diese Partys sehen ungefähr so aus (es folgt ein Erfahrungsbericht, der keinesfalls der beschissenen Party ähneln muss, die in deinem Kuhdorf vonstatten geht): Ein Gasthaus – hier fängt der Käse ja schon zu stinken an, um Himmels Willen –, das die restlichen 364 Tage im Jahr von der Jugend (und uns) ignoriert wird, macht einen auf "Clubbing".

Wenn du dort normalerweise vorbeigehst, weht dir die Ahnung einer Frittatensuppe entgegen, aus irgendeinem Stüberl schreit jemand "Oba bittschen des Fleisch netta soa zach wias letzte Mohl!" und die freundliche Wirtin mit den roten Wangen winkt freundlich aus dem Fenster. Nicht aber, wenn Ostern vor der Türe steht. Das rot-weiß-karierte Erbstück-Tischtuch und das Maggi weichen einer Pinterest-"25 Easy, Inexpensive and Totally Unexpected Ways To Use A Balloon"-Dekorationsidee. Der Lehrling hat einen Osterfeuerhaufen gebastelt, in dem man dann Judas oder eine Barbie, die Judas darstellen soll, verbrennt, der einzige DJ des Ortes legt mit USB-Stick auf, der ausschließlich mit Sachen befüllt ist, die er das letzte Jahr von Lounge FM shazamt hat und die ersten Gäste sind schon um 17:00 hier gewesen.

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Man selbst hat ca. um 19:00 aufgegeben seine Freunde davon zu überzeugen, dass es jedes Jahr der gleiche Scheiß ist und kommt mit leichtem Damenspitz dort an, was ich gerne als "Filmkulisse der snobigen Landjugend" bezeichne. Die Reihenfolge der Geschehnisse sieht bei diesen beschissenen Partys ungefähr so aus: man kommt aus dem Bussi-links-rechts-dein-Parfum-stinkt-Move nicht mehr raus, man holt sich ein Bier, der DJ geht zu Guetta über, man holt sich ein Bier, es wird einem Bier gebracht, man holt sich Schnaps und Bier, man glaubt man hat Spaß, man tanzt zu Skrillex, man holt sich ein Bier, man schmust mit der Jugendliebe, man verliert irgendwas, man holt sich ein Bier, man speibt.

P.s.: Warum "normal" hier in Gänsefüßchen angeführt ist, müssen wir euch hoffentlich nicht erklären.

Foto: Gersin Livia Paya

Wir trinken die billigsten Spritzer

Wenn man in einer Stadt wohnt, gewöhnt man sich an teure Mieten und ein teures Leben. Man nimmt es hin und hinterfragt irgendwann auch gar nicht mehr, was genau an einem Doppler-Spritzer vier Euro kostet. Ist man wieder zu Hause, gibt es Alkohol um wirklich billiges Geld, was eventuell in einer Prasserei und Sauferei resultieren kann. Die Logik ist offensichtlich: Wenn ich mir um vier Euro zwei Spritzer kaufen kann, dann tue ich das auch. In your Face Wahlheimats-Stadt, in your face!

Wir trinken Selbstgebranntes

Alte Jugendfreunde die den Heimatsort nicht verlassen haben, wirken eventuell leicht naiv und kindlich. Dafür wird man auch wie das Juwel von weit, weit weg behandelt. Und es entsteht bei dem Zuhausegebliebenen die große Lust zu zeigen, wie scheiße man es nicht in der Stadt hat. Ein beliebtes Argument dafür ist Selbstgebranntes von Onkel Sepp. Der brennt sein Zeug in der Badewanne und lagert es – stolz – im ausgebauten Keller. Das Zeug sollte "Zwetschkenschnaps" sein, aber schon beim ersten Schluck muss angezweifelt werden, ob das Zeug jemals auch nur eine Zwetschke gesehen hat und ob man davon eh nicht blind wird.

Wir versuchen, den Eltern unseren Kater zu verbergen

Entweder ist es der Tag an dem du in der Bar deiner Jugend wegen dem billigen, weißen Spritzer abgesoffen bist, Selbstgebranntes getrunken hast oder auf der beschissenen Party warst. Wie du zu deinem Rausch gekommen bist, ist aber egal. Tatsache ist: Du bist verkatert. Und Tatsache ist: Du wirst deiner Mama, deinem Papa oder – sowas soll es tatsächlich noch geben –beiden begegnen. Man greift also auf eine Fähigkeit zurück, die man sich als Kind in mühevoller Arbeit über Jahre antrainiert hat: Man schleicht. Wenn man nicht schleichen kann, ist man aufgeschmissen, weil: Wie schafft man es sonst unbemerkt ins – in so einem Moment wichtigsten Ort der Welt – Badezimmer? Das Badezimmer ist deshalb so wichtig, weil es die erste und damit essentiellste Möglichkeit ist, deinem restfetten Körper sowas wie Leben einzuhauchen. Du kannst dir endlich das Make-Up vom Gesicht waschen, deine Kontaktlinsen rausnehmen und Tropfen in deine roten Augen träufeln und versuchen, durch Zähneputzen und Duschgel den Geruch deiner Sünden zu lindern. Mehr als sie zu lindern wird auch nicht drinnen sein – ihr wisst wie hartnäckig dieser Promille-Gestank ist.

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Wenn man die erste Hürde überstanden hat, kann es nur ein nächstes Ziel geben: Den Apotheken-Schrank und die Kaffeemaschine. Aber in der Regel hilft das alles nichts. Wenn die Parentis dir für's morgentliche Begrüßungsbussi zu nahe kommen wollen, musst du dich irgendwie aus ihren lieb gemeinten Annäherungsversuchen manövrieren – es ist einfach nicht schön. Niemals. Das Schlimmste: Man kann Eltern nichts vormachen. NICHTS. Niemals. Irgendwann kommt die Frage, der man den ganzen Tag versucht hat auszuweichen: "Vorname-Mittelname-Nachname, hast du etwa einen K A T E R??!!!!!!!!!" In dieser Stunde, in der es dreizehn schlägt, kann man schlecht sagen: "Ja, Mamilein, ich hab gestern gesoffen wie eine ganze Armee Bauarbeiter, mein Körper ist voller blauer Flecken unbekannter Herkunft und ich habe mit deinem Arbeitskollegen geschmust." Geht einfach nicht. Was tut Mensch also? Richtig. Lügen. Man erzählt irgendwas von einem neuen, aggressiven Mundwasser oder biegt sich die Zahl der konsumierten Getränke drastisch auf eins herunter.

Wir treffen Leute, mit denen wir eigentlich nichts mehr zu tun haben

Nachhause fahren ist immer auch eine Reise in ein früheres Selbst. Man findet in seinem Kasten HipHop-Kapuzenpullis, Indie-Jeans und/oder alte Bongs. Und man findet natürlich auch Freundeskreise, in denen man früher mal war. Wenn man also abends in die Bars seiner Jugend geht (s.o.), trifft man dort in 99% der Fälle auf Menschen, mit denen man in die Schule gegangen ist oder in der Jugend auf irgendwelchen Wiesen herumgehangen hat. Und damit meine ich jetzt nicht die fünf Leute, mit denen man auch mit 30 noch bewusst Kontakt hat. Sondern die zahlreichen früheren lockeren Bekanntschaften, die jetzt alle irgendwelche anderen, eigenen Leben haben, die mit meinem nicht weniger zu tun haben könnten. Man steht also 5-7 Minuten mit diesen Leuten herum und beginnt sich zu fragen, warum man sie denn jemals gemocht hat und was man mit diesen Menschen jemals gemeinsam gehabt haben könnte. Aber das ist unfair. Man hatte ja wirklich viel mit ihnen gemeinsam, es ist nur einige Jahre und persönliche Veränderungen her. Deshalb bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit:

Wir reden über alte Zeiten

Wie man am Handy erkennen kann, ist das wirklich lange her.

Nachdem man in diesen Gesprächen die ersten Höflichkeits-Minuten mit den üblichen "Und, was machst du jetzt so?"-Fragen und lahmen Antworten überwunden hat, kommt man irgendwann zwangsläufig in die "Weißt du noch, als wir…"-Phase. Man erzählt sich die immer selben, alten Geschichten immer und immer wieder. Let's get drunk and reminisce about other times we got drunk. Wenn man zuhause ist, hängt man ja in einer komischen Zwischenwelt aus seinem aktuellen und seinem früheren Leben. In diesem Limbo bleibt einem ja auch nichts anderes übrig, als die alten Geschichten wieder und wieder zu durchleben. Aber das ist OK. Es sind ja nur drei Tage. Und es ist auch irgendwie ein fast biblisches Ritual: Man erneuert dadurch den alten, freundschaftlichen Bund mit den Menschen, die man sonst nie sieht.

Wir sind froh, dort zu sein. Und froh, dort wieder weg zu kommen

Nach Wochen harter Arbeit, lernen für Oasch-Prüfungen oder AMS-Läufen gibt es nichts Schöneres als das fahle, ergraute Gesicht auf die Schultern der Mama legen und den Duft der Kindheit einzuatmen. Man lässt sich ein bisschen verwöhnen, kocht auch mal für die Eltern und lässt sich im elterlichen Whirlpool ein Schaumbad ein, auf dass jedes Kind neidig wäre. An seinem Heimatort trifft man alte Freunde wieder, geht altbekannte Wege und fühlt sich auch ein bisschen so, als wäre man nie weg gewesen. Die zurückgelassene Heimat ist ein Paralleluniversum, in dem man irgendwie für immer Kind bleibt – egal wie alt man ist – und manchmal zum genervten Teenager mutiert. Aber so schön dieses ganze Suhlen in heimtatlicher Nostalgie auch ist, so froh ist man, wenn man sich wieder in sein "erwachsenes" Leben stürzen kann. Eben weil die Eltern einen für immer als Kind sehen werden, ist es halt nervig wenn man mit 27 von der Mama noch Dinge wie "Die Brösel wischst du dann aber eh weg, wenn du fertig bist", "Komm nicht zu spät Heim und schreib mir eine SMS, wenn du nicht zu Hause schläfst" oder "Dein Bett ist eh gemacht, oder?" gesagt bekommt. Es ist ein bisschen ambivalent: Es gibt kaum ein schöneres Gefühl als durch die Tore deiner Kindheit zu schreiten und keinen schöneren Moment, in deine versiffte Bude in deiner Wahlheimt zurückzukommen und zu merken, dass du nichts außer Bier im Kühlschrank hast.

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