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Rudis Brille

Wie es das Sass schafft, auch nach zehn Jahren als Club in Wien zu funktionieren

Wenn in diesen rauen Zeiten für die Clubkultur eine Lokal-Institution zehn Jahre ohne zu straucheln überlebt, dann ist das eine kleine Laudatio wert.

Header und Fotos, wenn nicht anders angegeben: Lichtschalter

Das Sass ist eine der wenigen Wiener Clublocations, auf die sich fast alle einigen können. Kein Wunder, haben ja auch fast alle hier den einen oder anderen Filmriss erlebt: "Wo ist mein Kopfhörer, wo mein Handy, wo meine Jacke, wo meine Hose?" Diese Fragen müssen den beiden Betreibern Sebastian Schatz und und Gregor Imhof schon oft gestellt worden sein. Die Antwort kommt – meist – erst dienstags. Denn Montag ist wegen Sonntag geschlossen.

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Das Sass ist seit Jahren Wiens zuverlässigste Afterhour-Andockstelle, mal mehr, mal weniger mit Deepness-Faktor, doch bietet es nun auch seit einigen Jahren ein beständiges und ausgewogenes Nachtprogramm. Ich hatte die Ehre, ausführlich mit den beiden ansonsten eher pressescheuen Originalen über Sinn und Unsinn des Gastro-Daseins zu parlieren.

Man muss nicht 37 Clubveranstalter und DJs fragen, was sie vom Sass halten, die Antworten sind in diesem Fall einhellig positiv und folglich in einer Auflistung monoton.
Die Gründe dafür mögen ein wenig im "good cop – bad cop"-Auftreten der beiden Leitfiguren liegen. Sebastian gilt ein wenig als der grantelnde "Du schon wieder"-Charmeur mit Augenzwinkern, während Gregor eher das Knuddelbär-Image pflegt, Jägermeister verschenkt und so die Gäste bei Laune hält.

Der Reihe nach: Vor zehn Jahren wurde das Sass am sehr zentralen Karlsplatz von Alfred Zacharias gegründet. Unter seiner Obhut blieb es allerdings nicht allzu lange. Beim Interview mit Schatz und Imhof wird gerätselt, ob die Übernahme nach zwei oder zweieinhalb Jahren erfolgte. So lange ist es also schon her. In jedem Fall übernahmen Sebastian und Gregor nach kurzem Zögern die Geschäftsführung: "Es ging damals nicht unbedingt schlecht", sagt Sebastian, "nur lag dem Erstbetreiber die Gastronomie vielleicht nicht so im Blut. Darum hat er uns gebeten, seine Anteile zu übernehmen, nachdem wir schon so viel Herzblut hineingesteckt hatten. Ich war ja schon von Anfang an dabei, also haben wir es schließlich getan." Eine weise Entscheidung.

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Das Skelett des Sass. Foto: Alfred Zacharias

Gastronomie können die beiden tatsächlich, denn ein Hauptgrund, worauf der Erfolg des Sass fußt, ist sicher der Querschnitt aus elektronischer Musikkultur und gepflegter Barkultur. "Wir haben die richtige Größe, wir können uns gar nicht so sehr verbiegen. Uns kann man nur gut oder schlecht finden und Gott sei Dank gibt es einen stabilen Querschnitt an Leuten, die gern zu uns kommen", sagt Gregor auf die Frage, was denn das Erfolgsrezept sein könnte. Und er hat recht: Man fühlt sich willkommen, wenn man das Sass betritt. Nicht selten wird man mit einem Begrüßungsshot empfangen. Sie sind dabei auch noch kreativ – eine Bloody Mary habe ich in Wien noch nie davor "kurz" gesehen.

Musikalisch gesehen, mag das Sass nicht die Zentralversammlung der Gegenkultur sein, aber das muss es auch nicht. Vielleicht steht es im Gegensatz zum zweiten großen Jubilar 2017, dem Fluc (Happy Birthday auch von mir zum 15er). "Bei uns passen Extreme nicht so gut", stellt Sebastian fest, "sind wir zu hart, werden wir schnell zu trashig. Sind wir zu weich, sieht das aus wie in einer Cocktailbar, weil wir so klein sind".

Das Sass steht in jedem Fall für gehobene Housekultur in allen Schattierungen. Ob es nun die Conaisseure von Deep Baked mit ihrem Format Localized sind oder Technopräsident Gerald Van der Hint mit seinem (Vinyl und House) Format Mutter: "Alle DJs spielen bei uns irgendwie den Sound, der zum Sass passt. Der sich auch ruhig davon unterscheiden kann und soll, was sie in der Forelle oder im Volksgarten spielen", meinen die beiden unisono. Wichtig für die Umsetzung des Konzeptes war auch, dass man sich vor etwa drei Jahren Nick Jacobs und Max Schell ins Haus holte. Zwei motivierte, musikaffine Personen (selbst DJs und Veranstalter), die nun die Vorstellungen aller in die richtige Reihenfolge brachten.

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Klar darf es manchmal auch ein wenig Techno sein und hie und da etwas ganz anderes, aber zu große Abzweigungen von der Hauptstraße wird es hier nicht geben. Die Leute wissen ganz klar, was sie in etwa erwartet und kommen genau deswegen.

Foto: Alfred Zacharias

Ein großes Thema im Sass war immer schon und blieb bis heute natürlich die sonntägliche Afterhour. Lange Zeit wurde sie durch DJ Alecantes Sunday Mornings bedient. Vor zwei Jahren erfolgte die Umstellung auf die Eigenmarke Morgengymnastik, aber das Ende der Zusammenarbeit war nicht ganz freiwillig, denn irgendwann musste man das Eintrittssystem modulieren. Die Rechnungen wollten bezahlt werden und nur von den Bareinnahmen war dies nicht möglich: "Vielleicht sahen uns damals deswegen viele Gäste als typische Afterhour-Location, weil sie ausschließlich am Sonntag kamen und erst irgendwann im Suff mitbekamen, dass wir auch Donnerstag- oder Freitagabend offen haben" sagt Sebastian schmunzelnd.

Es gäbe auch jene, "die am Samstagmorgen ganz perplex sind, weil wir um 06:00 Uhr zusperren." Wichtig sei nun, dass man die Afterhour genau so führe wie den Abend. Das heißt, ohne Bänder für "wichtigere" Gäste und mit besserer Türselektion, was gleichzeitig auch bedeutete, dass man es musikalisch wieder etwas breiter gestalten wollte. Geschadet hat es in jedem Fall nicht – ohne ein böses Wort über Sunday Mornings zu verlieren, das natürlich auch eine große Anhängerschaft hatte.

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Apropos Donnerstag: Als einzigen Club, der auch wochentags öffnet, gelang es nach dem mühsamen Beginn, mittels eines sehr studentenfreundlichen Eintrittsystems, den einstigen Premium-Weggehtag in Wien wieder voll zu bekommen. Das Rezept war simpel, wenn auch mit langem Atem verbunden: Man nehme eine motivierte Crew, lasse sie fett promoten und hoffe auf viele Freunde.

Seit einiger Zeit platzt der Donnerstag (mit Ausnahme des Hochsommers, wo er pausiert) aus allen Nähten. Die beiden anderen Tage musikalisch zu pointieren, klappte nicht ganz so. Man ließ es schließlich sein und arbeitete auch hier mit credibilen Hosts zusammen. Es funktionierte auch ohne genaue tagesspezifische Unterscheidung bestens.

Sind das die Besucher nach einer Afterhour oder doch nur Müllsäcke? Niemand weiß es. Foto: Alfred Zacharias

Anekdoten und Geschichten über das Sass gibt es genug: "Wir waren nie erpressbar", sagt Gregor und spricht damit die Schutzgeldgerüchte an. "Uns war es immer ein Anliegen, dass unser Publikum durchmischt ist. Nicht homophob, nicht sexistisch und nicht ausländerfeindlich. Manchmal mischen sich eben Leute darunter, bei denen man denken könnte, die hätten etwas mit dunklen Geschäften zu tun, was sich meist als falsch herausstellt. Der Durchschnittsösterreicher denkt sich das dann aber ab und an." Wenn es aber einmal alle paar Jahre hart auf hart gehe, hole man die Exekutive. Es sei aber schon sehr sehr lange nicht mehr notwendig gewesen.

Das Sass hat auch viel Glück mit der Wohnsituation in der Immobilie. Es gibt nur mehr wenige Mieter. "Einige sind tatsächlich gestorben, andere weggezogen", sagt Sebastian. "Wir sind auch gut gedämmt und haben daher keine Probleme mit den verbliebenen Nachbarn, einer ist sogar Haustechniker bei uns." Das Glück hatten andere Läden in der vergangenen Zeit leider nicht immer (siehe zum Beispiel Market, Morrison, Celeste).

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Was auch sanfter als anderswo ausfiel, war die Umstellung auf einen Nichtraucherclub. "Der Karlsplatz ist groß und der böse Nachbar, der uns anzeigt, sobald einer spricht, fehlt uns auch", sagt Gregor. Auch sei der Wechsel unauffälliger und ohne schweren Besucherrückgang vonstatten gegangen.

Ein weiteres Phänomen ist wohl jenes, dass sich ein Teil der Besucher am liebsten in den engsten und ungemütlichsten Räumen des Clubs (oder eben gar nicht IM Club) aufhält: "Man kommt rein, steht in einer winzigen Küche und hat 200 Toiletten, auf denen man mit 110 db Beschallt wird",erklärt Sebastian sarkastisch seine Zukunftsidee für einen Club. Die bei Gott nicht charmante Miniküche hinter der Bar dient hierfür als bestes Beispiel und Kommunikationszentrum. Hier werden Räder neu erfunden, Pläne zur Erringung der Weltherrschaft geschmiedet und "Host schon ghert"-Gerüchte gestreut. Man muß dabei gewesen sein.

"Wer Gäste nach ihrem Aussehen selektiert, hat schon verloren."

Große Renovierungen hat das Sass noch nicht gebraucht. Die revolutionärste war die Übersiedlung des DJ-Pultes von hinter der Bar zum jetzigen Ort. Vor zwei Jahren gab es nach einem Wasserschaden eine Generalsanierung und Vergoldung und Reinigung der legendären Luster, was auch ständig die nervige Hauptarbeit ausmache. Und ja, Puber war auch schon auf den Sasstoiletten.

Die Türpolitik ist unaufgeregt. Kein Dresscode, kein Reichtumszwang, kein Armenbashing, jeder darf rein, solange er nicht einer zehnköpfigen, aufgepumpten Männergruppe angehört. "Wer nur einen Spritzer oder Mineral trinken mag, ist genauso willkommen, wie jene, die Champagner trinken wollen", erklärt Sebastian das simple Gastrokonzept: Wer Gäste nach ihrem Aussehen selektiert, hat schon verloren.

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Die musikalischen Highlights waren ebenfalls breit gestreut: Ben Klock spielte einst einmal vor gefühlt 30 Leuten, kurz vor dem großen Hype. Vielleicht ein Mitgrund, beim härteren Techno vorsichtig zu sein. Basti (Tief-)Schwarz zog sein T Shirt aus und rockte sechs Stunden die Hütte. Viele andere bekannte Namen legten in der Früh noch eine Extraschicht ein. Und Alle Farben Frans sorgte bei seiner Small Club Tour für lange Schlangen vor dem Club. Fast alle Acts lieben das Sass – ob aufgrund seiner Größe oder dem angenehm warmen Sound, der bei richtiger Einstellung absolut genügt. Es muss nicht alles dröhnen und scheppern. Dazu ist das Sass auch zu viel Kommunikationsort. Nach dem Motto: "Bist du öfters hier?"

Und weil sich ja in der Früh oft viele ganz fest liebhaben, gibt es auch etliche Sexvideos, die sich im Laufe der Zeit auf den Sicherheitskameras angesammelt hätten. Den Jubiläumsporno wird es aber nicht geben. Nicht nur aus Datenschutzgründen, die Videos wurden sowieso bereits gelöscht. Doch eine Liebeserklärung auf Video an das Sass ist erlaubt, man wünscht dem liebsten Kleinclub Wiens alles Gute.

Vieles von all dem findet man auch oft in den launigen Postings von Sebastian wieder, der lustige Fundstücke postet (die Uhr eines Riesen) oder die Bestellplattituden mancher Gäste aufs Korn nimmt: "Der Komparativ von "A Glasl Wosser!" ist "A Glasl Wosser aufg'spritzt auf an Hoibn!" Ich will gar nicht erst wissen, was dann der Superlativ sein könnte …" Vielleicht schreibt auch er einmal ein Buch.

Von 11. bis 14 Mai feiert man ausgiebig das Zehnjahresbestehen, unter anderem mit Mann & Klamm, Roman Rauch, Hito und Dusty Kid über vier Tage und drei Nächte. Man sollte einmal auf eine Bloody Mary vorbeischauen.

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