„Wenn man das nur schlucken muss, explodiert man irgendwann“—YouTuberin Taylor Davis über das Mobbing von Nerds

FYI.

This story is over 5 years old.

Interview

„Wenn man das nur schlucken muss, explodiert man irgendwann“—YouTuberin Taylor Davis über das Mobbing von Nerds

Obwohl sie in der Schule fertig gemacht wurde, trat Taylor Davis vor die Kamera und hat heute dank ihrer Violinencover ein Millionenpublikum.

Foto: Screenshot von YouTube aus dem Video „Binks' Sake" von Taylor Davis

Taylor Davis hat sich selbst überrascht. Vor sechs Jahren stellte sie sich—schüchtern und steif, in blumigem Cardigan—mit ihrer Violine bewaffnet vor die Kamera und spielte Final Fantasy-Soundtracks nach. Ihre Nachbarin saß am Klavier. Echt nerdig, oder? Aber es hat einen Nerv getroffen, von dem sie nicht mal wusste, dass dieser überhaupt existieren könnte. Heute hat sie über 1,5 Millionen YouTube-Abonnenten und ihr Fluch der Karibik-Cover zählt fast 25 Millionen Views.

Anzeige

Davis hat sich als Powerfrau gemausert und macht mittlerweile fast alles alleine: Kompositionen, Aufnahmen, Produktion—bis aufs Mastering. Sie lacht viel, hat ein sonniges Gemüt. Zitiert man sie, wie sie über alte Dämonen, über ihre „traurige und einsame Zeit" gesprochen hat, kichert sie unverkrampft. Denn ja, die gab es. Bevor ihr YouTube-Kanal solch einen Aufwind bekam. Bevor sie im Mittelpunkt stand und verehrt wurde, war sie Zielscheibe für garstige Raufbolde und Kleinstadtzicken. Zu Schulzeiten wurde sie hart gemobbt, hing suizidalen Gedanken nach und verkroch sich in die schillernden Welten von Online-Rollenspielen. Heute ihr Karrieresprungbrett, damals die Flucht aus all dem Horror.

Jetzt ist Taylor Teil der Maschine: Eine Musikerin im Blickfeld anonymer Zuschauer. Popsternchen aus aller Welt prägen das stilisierte Bild nahezu perfekter Frauenkörper, spalten die Kluft zu den normalaussehenden Gesichtern, die es nie so weit bringen werden. Ganz automatisch bilden sich so Angriffsflächen, jeder Makel wird medial kommentiert, zerpflückt. Taylor Davis, selbst Opfer von jahrelangem Mobbing, findet im Interview die richtigen Worte: Wie geht man damit um? Was kann sich ändern? Wo fängt Sexismus an? Was sollten Hater und Gemobbte lernen?

Noisey: In deiner Kindheit warst du besessen von Videospielen. Wie kam das?
T. Davis: Ich habe einen drei Jahre älteren Bruder, den ich immer vergöttert habe. Ich wollte alles machen, was er gemacht hat, also spielte ich mit G.I. Joe-Action-Figuren und natürlich Videospiele. In der Mittelschule habe ich echt viel gezockt, da entdeckte ich Chrono Trigger und Final Fantasy VII—das ist mein Lieblingsspiel bis heute. Seitdem habe ich mehr Zeit mit Videospielen als mit der Violine verbracht.

Anzeige

Ernsthaft?
Ja, meine Mum hat mir befohlen, mindestens 30 Minuten Violine zu spielen, bevor ich wieder zocken durfte. Mit meinem Mann spiele ich heute noch League Of Legends, in den Pausen von der Bearbeitung der Aufnahmen. Heute kriege ich ein kurzes Match hin, früher war ich vier Tage am Stück gefesselt. Das ist aber während meiner Deadlines echt tödlich.

Gerade in der Mittelschule wurdest du ja hart gemobbt.
Ich hatte kaum Freunde. Als ich mitten in der vierten Klasse war, ist meine Familie von Illinois nach Michigan umgezogen. Seitdem fiel es mir schwer, Freunde zu finden. Ich war mehr für mich und Videospiele waren meine Flucht. Ich habe mich danach gesehnt, nach Hause zu kommen. Ich war voll in EverQuest drin. Ich musste nicht mehr über meine reale Lebenssituation nachdenken, konnte jemand Anderes sein, jemand Mächtiges. Ich wurde gemobbt für mein Aussehen und meine Hobbys. An meiner Schule gab es nicht viele Gamer, besonders keine Mädchen. Das hat mich anders gemacht, ich wurde zum Ziel.

Klingt aber nicht so, als hättest du dich allein gefühlt.
Exakt. Mein echtes Leben war nicht so toll, aber die Spiele haben mir geholfen. Ich konnte mich auf etwas Anderes konzentrieren, anstatt darüber nachzudenken, was in der Schule abging. Als ich dann in die neunte Klasse kam, also unsere High School, habe ich meinen heutigen Ehemann kennengelernt. Bei unserem ersten Date mit 14 haben wir uns in Super Smash Bros. auf der Nintendo 64 herausgefordert. Wir waren echt nerdy unterwegs, das hat meine Welt verändert. Auf einmal bekam ich einen besten Freund, mit dem ich 99 Prozent der Interessen teilte.

Anzeige

Wurde er auch gemobbt?
Ja, haha, er war echt klein, als wir uns kennenlernten. In dem Alter bietet das Angriffsfläche. Ich sah, wie ihm das Essensgeld abgenommen wurde, während er an das Schließfach gedrückt wurde. Einmal ist er glaube auch in einen Mülleimer gesteckt worden (kichert). Wir haben einige Geschichten, die wir teilen können.

In Europa denken wir, das passiert nur in den amerikanischen Teenie-Filmen.
Ja. Sogar manche unserer amerikanischen Freunde sind überrascht, haha.

Heute kannst du drüber lachen, aber wie war das damals?
Es war sehr traurig, ehrlich gesagt. Natürlich willst du nicht gemobbt werden wegen dem, was du gerne tust oder wie du aussiehst. Du willst die Missbilligung und die Angriffe nicht spüren. Es war hart, ich war deprimiert. Es war eine einsame Zeit. Rückblickend können wir drüber lachen, aber es ist gar nicht so lustig, weil heute Kinder immer noch solche Erfahrungen machen. Zum Glück wird man dadurch stark und begreift, dass diese Typen hoffentlich erwachsen werden und nicht mehr diese gemeinen Kinder sind, die dumme Sachen machen.

Gab es richtig schlimme Verletzungen für dich?
Ich habe Gerüchte über mich gehört, wurde ins Schließfach geschubst, habe ein Tablett übern Kopf gezogen bekommen. Es gab nicht das eine schlimme Ding, eher, wie die Lehrer damit umgingen. In meiner Klasse haben zwei Mädchen auf einem anderen rumgehackt, das geistig behindert war. Ich wollte sie aufhalten, also gingen sie auf mich los und versuchten immer wieder, mir den Stuhl beim Hinsetzen wegzukicken. Also habe ich den Spieß umgedreht und einer ihren weggezogen. Sie hat ihren Kopf an der Tischkante angeschlagen, aber war nicht wirklich verletzt. Also ging sie zur Lehrerin und ich bekam Ärger. Ich wollte ihr erklären, dass die Beiden das ständig machen, niemand einschreitet und ich irgendetwas unternehmen musste. Sie hatte kein Verständnis und sagte, es ist mein Fehler. Ich sollte darüber hinwegkommen. Das finde ich falsch. Wenn man das nur schlucken muss, explodiert man irgendwann. Es ist wichtig, dass man solche Sachen wahrnimmt und für andere einsteht. Ich bin Teil einer Kampagne, die sich "I Witness Bullying" nennt. Der Punkt ist: So viele Menschen sind Zeuge von Mobbing, aber sie greifen nie ein. Weil sie denken, es würde nix bringen, oder weil sie Angst haben, selber Ziel zu werden. Aber nur, indem du zeigst, dass du gesehen hast, was passiert ist, macht es für die Person, die gemobbt wird, einfacher. Weil sie nicht mehr allein damit ist, eine Gemeinschaft hat. So kann man positiv eingreifen, nicht wie ich damals, indem ich zurück attackiert habe. Ignorieren ist nie gut.

Anzeige

Aber wie war das in der digitalen Welt? Auch da können die anonymen Typen echt grob sein.
EverQuest war eher klassisch, bei League Of Legends gab es eine so üble Community. So viele Menschen haben so gemeine Sachen gesagt. Darum haben wir mit Freunden ein Team gebildet.

Hattest du Angst, als du zum ersten Mal mit der Violine vor die Kamera getreten bist und Cover-Songs von Videospielen performt hast?
Ja, ich wundere mich immer noch, wie ich mich dazu bringen konnte. Das ist nicht Teil meiner schüchternen Persönlichkeit. Es ist so seltsam, dass ich davon leben kann, eine Karriere habe. Und überwältigend.

Fühlst du dich immer noch seltsam, wenn du für Instagram-Posts wie ein Model posierst?
Ja, haha. Ich nehme die Sachen aber nicht zu ernst, ich kann darüber lachen.

Kam das für dich überraschend, dass die Gaming-Nerds deine klassischen Cover so abfeiern?
Es war überraschend zu sehen, wie viele Leute es da draußen gibt, die diese Art von Musik schätzen. In meiner kleinen Welt in der Schule war ich ziemlich allein. Ich hätte nie gedacht, dass es solch ein riesiges Publikum gibt. Ich sah mich als Weirdo, der sich Final Fantasy-Soundtracks als Mixtapes gebrannt hat. Es ist schön zu sehen, wie das wächst. Wenn man tourende Orchester sieht, die Videospielmusik live spielen.

Nicht böse gemeint: Aber es ist echt überraschend, wie hart man nach negativen Kommentaren unter deinen Videos suchen muss. Gab es die zum Anfang?
Ja, jeder, der was online stellt, bekommt diese Kommentare. Was ich heute so sehe, dreht sich um: „Oh, ist die fett", „Sie hat an Gewicht zugelegt" oder solch wahlloser Unsinn. Ich habe jetzt aber so viele Videos online, dass ich nicht mehr alle Kommentare checke. Noch pflege ich die Tradition, dass ich die ersten beiden Tage nach Veröffentlichung eines neuen Videos versuche, so viele wie möglich zu beantworten. Als Dankeschön für die Abonnenten. Ein paar sehr perverse habe ich gelöscht, weil meine Mum die Kommentare durchstöbert. Sie hat mir etwas gezeigt, weswegen mein Herz jetzt noch traurig darüber ist, dass sie das lesen musste. Das war so widerlich, deswegen lösche ich manche.

Anzeige

Interagierst du auch mit deinen Hatern?
Vor ein paar Jahren habe ich mir bewusst gemacht: Wenn du nicht alle positiven Kommentare beantworten kannst, warum sich dann mit den negativen herumschlagen? Wenn ich aber rassistische oder sexistische Kommentare sehe, lösche ich sie. Ich habe viele junge Mädchen als Follower. Ich möchte nicht, dass sie denken, ich wäre okay damit, wenn Leute so etwas sagen. Ich möchte ein alternatives Beispiel für junge Frauen im Unterhaltungsraum sein. Viele Mädchen fühlen sich sehr wohl damit, in ihrem Image sexualisiert zu werden. Damit fühle ich mich aber nicht wohl. Ich, mein Image und meine Marke sagen: Mut zum Normalsein.

Lauren Mayberry von Chvrches hat einen offenen Brief gegen frauenfeindliche Kommentare im Netz geschrieben. Hast du das verfolgt?
Nein, das ist sehr mutig von ihr. Wer solche Diskussionen nämlich entfachen will, bekommt solch eine Hass-Attitüde entgegen. Jeder, der sich über Sexismus beschwert oder sich als Feminist hinstellt. Es sollte eine Diskussion geben, da gibt es ein richtig und falsch. Es ist schwer, darüber zu reden. Viele Jungs denken, sie geben einem mit solchen Kommentaren Komplimente. In Wirklichkeit fühlt man sich durch diese aber unwohl. Männern kann es aber genau so gehen.

Bekommst du auf Tour auch sexuelle Anfeindungen?
Nein, im echten Leben weniger. Alles online ist so anonym. Leute denken, sie könnten all das loswerden, was sie einem anderen niemals ins Gesicht sagen würden. Weil sie die Reaktion nicht sehen müssen, keine Verantwortung spüren. Und: Sie sehen auch nicht die Absichten. Mir haben Menschen offensive Dinge gesagt, die geschrieben sicher richtig anstößig wären. Aber ich konnte sehen, wie sie nervös über ihre Zunge stolperten und immer noch lächelten. Sie wollten nicht gemein sein. Online kann man die Körpersprache nicht sehen, die Absichten dahinter nicht entdecken. Text kommt immer härter als Interaktionen im echten Leben.

Anzeige

In einem Kommentar unter der „I Witness Bullying"-Kampagne schreibt ein ehemaliger Gemobbter, dass er zwei Jahrzehnte gebraucht hat, um die negativen Grundgedanken, die er durch das jahrelange Mobbing davontrug, zu erkennen und zu eliminieren. Hast du was davon getragen?
Nein, aber es hat eine Weile gedauert, drüber hinweg zu kommen. Warum ich mich so glücklich schätzen kann, ist wegen meinem Mann. Wir wurden erst beste Freunde, jetzt sind wir fünf Jahre verheiratet und seit 15 Jahren zusammen. Jemanden zu haben, den man so sehr liebt, der in diesen Zeiten für dich da war sowie wundervolle Eltern, das war so unglaublich hilfreich. Mir ging es darum, was diese Leute von mir denken, darum konnte ich die negativen Sachen abschütteln. Hätte mich meine Mum getrollt mit widerlichen Kommentaren, dann wäre ich heute sehr traurig, haha.

Hast du dich damals deinen Eltern geöffnet?
Wir standen uns damals nicht so nahe wie heute. Ich habe ihnen etwas davon anvertraut—ein paar meiner suizidalen Gedanken und dass ich mich geritzt habe. Mein Dad wollte nichts davon wissen. Dabei wurde er selbst gemobbt, weil er ein Nerd und sehr klein war. In ihrer Generation war das Motto eher: „Sprich nicht darüber, lebe damit." Er hat bestimmt emotionale Probleme davongetragen, weil er nie ausdrücken kannte, was er gefühlt hat.

Das ist also sicher nicht der Tipp, den du jungen YouTubern geben würdest. Was rätst du ihnen?
Es ist sehr wichtig, ein paar Menschen in eurem Leben zu haben, die einem regulären Leben nachgehen. Denn das schenkt Perspektive. Freunde, die dich lieben, weil du du bist. Nicht, weil du online groß geworden bist.

Und was gibst du den Mobbern mit auf den Weg?
Löscht eure Accounts! Haha, nein. Manchmal werde ich wütend, aber meistens tut es mir leid für die Leute. Wenn sie wirklich nichts Besseres mit ihrer Zeit zu tun haben, als anderen—die sie nicht mal kennen—schlechte Gefühle zu schenken, dann ist das traurig. Sie sollten die Zeit nutzen, damit es ihnen selbst gut geht, damit sie vorankommen im Leben, ein neues Ziel erreichen. Ich glaube, dass diese Leute nicht notwendigerweise schlechte Menschen sind. Sie sind vielleicht etwas verloren, wütend und wissen nicht, wie sie das produktiver kanalisieren können.

Folge Noisey auf Facebook,Instagram und Snapchat.