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Was uns Google Trends über den Musikgeschmack der Schweiz verrät

Das Tessin ist eine in Miley Cyrus vernarrte Folk-Hochburg. Der Berner liebt seinen Worship. Und im Wallis gehört Gangnam Style schon zu jedem Trachtenverein.
Montage Noisey: Foto WikimediaCC BY-SA 2.0

Nachdem VICE mit Google Trends den allgemeinen Seelenzustand der Schweiz ergründet hat, wollten wir auch wissen, wie es um den Soundgeschmack der Schweizer steht. Was Menschen in ihr Google-Fenster tippen, beschäftigt sie und gibt Auskunft über offene und heimliche Schwärmereien. Wir haben über 100 Musik- & Szenebegriffe durch die Google Trends-Analyse gejagt, um für jede Region ein psychologisches Profil des lokalen Musikgeschmacks zu erstellen.

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Aargau

Foto: Sandro Senn via Wikimedia Commons cc

Suchbegriffe: ABBA, Alpenrock, DJ Bobo, Kanal K, Kettenbrücke, Mundart

Geliebter Aargau, du hast so zuverlässig keinen Geschmack. Gelobt seien deine Post Indie-Kiddies, die wenigstens ABBA für sich entdecken. Oder sind das Erst-Generation-Fans, die nicht von dir loskommen? Muss wohl so sein, denn alle anderen Jung, Wild & Sexy-inspirierten Stromer und Turnvereinsvorstände ergoogeln sich eh nur die Öffnungszeiten vom Alpenrock. Auf zukünftige Generationen kann man dafür hoffen: Momentan kommt die Kettenbrücke (KBA) zwar noch in der Trends-Liste vor, aber der Schandbalken jeder Freitagnacht wird jetzt abgerissen.

Beide Basel

Suchbegriffe: Sommercasino, Tinnitus, Fame, Musical, Oper

Analyse: Obwohl sich die Basler für den Fremdschäm-/Selbsthass-Ausgang im Fame vorbereiten müssen, kennen sie Hochkultur. In niedrigen Dosen erträgt er auch ein Musical und ausgewählte Geschöpfe gehen in die Oper. Ob man sich den Tinnitus eher im Fame oder in der Oper holt, sagt uns Google Trends leider nicht. Bei ultralokalen Begriffen wie „Triple Nine“ oder „FCB + Hymne“ war das Suchvolumen zu gering, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass alle Basler mit Ghettoblaster in der Langen Erle sitzen.

Bern

Foto: Michael Schmid Flickr cc

Suchbegriffe: Gampel, Freundin Luca Hänni, Greenfield, Greis, Rock, Drums, Saxophon, Polo Hofer, Indiziert, Knackeboul, Florian Ast, Worship,Stephan Eicher, Stiller Has

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Analyse: Bern hört Bern. Berndeutsch sei der Dialekt schlechthin für Mundartmusik. Wenn alle Mundartmusik Berndeutsch ist und alle Mundartmusiker Berner sind und alle Berner Berner Berndeutsch-Musiker suchen, ist Berndeutsch wohl die Mundartrock-Sprache wegen der lokalen Nachfrage. So lange in Bern 13-Jährige den Beziehungsstatus von Luca Hänni und 63-Jährige (nach Lebenszeichen von?) Polo Hofer googeln, ist das easy und sympathisch. Unangenehm ist eher, dass die Rechtsrock-Band Indiziert in der Liste auftaucht. Da haben wir noch die Berner lieber, die ihre Erlösung—christlich mit Worship oder sexuell mit Florian Ast—suchen.

Genf

Suchbegriffe: The National, EDM, John Travolta, Country, Kanye West

Analyse: Genf ist Clash of Civilizations! Die Grenzrepublik hat ihre Orientierung verloren, so dass die gequälten Bartträger von The National den Schmerz der sensibleren Genfer kitten sollen. Während Kanye West Seelenstreichler der dreckigen Quartiere ist, gibt es im Umland eine starrköpfige Gemeinschaft, die auf westliche Werte von John Travolta und Country setzt.

Graubünden

Suchbegriffe: Bruno Mars, Schlager, Radio Rumantsch

Analyse: Graubünden war mal das CH-Rap-Paradies schlechthin, aber Liricas Analas, Gimma und Sektion Kuchikäschtli werden in ihrer Heimat nicht gegoogelt. Das mag ein Hinweis auf Landflucht sein. Die einen oder anderen 16-Jährigen sind anscheinend trotzdem im Bündnerland geblieben, denn Bruno Mars ist hier beliebt. Hoffen wir, dass dieser Mainstream-Einfluss im Untergrund fruchtet und in Graubünden eine Generation urchiger R&B-Sänger aufwächst.

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Luzern

Foto: Travis Crawford via Flickr cc

Suchbegriffe: Line Dance, Jodel

Analyse: Aaah! Der schlimmste importierte Tanz trifft das schlimmste Schweizer Exportgut und das nur zur Unterhaltung von chinesischen Touristen.

Schaffhausen

Suchbegriffe: Party, Spotify, Stars in Town,Zollmusik, Beats

Analyse: Die Schaffhauser beschäftigen sich mit sich selbst. Musikalisch sieht es darum bescheiden aus. Aber das Tosen des Rheinfalls beruhigt die Beat-Sehnsucht eh, weshalb der Schaffhauser geduldig das Stars in Town abwartet. Diese zwölf Monate lassen sich mit Spotify, ein bisschen Party (Da ist man nicht heikel–Party halt.) und Zollmusik-Gigs überbrücken.

Solothurn

Foto: Stuart Sevastos via Wikimedia Commons cc

Suchbegriffe: Nickelback, Gölä, Stress, Bushido, Voice of Switzerland, Stefanie Heinzmann

Analyse: Das Internet scheint dem Literaturkanton Solothurn zu schaden, denn anscheinend leben hier nur noch Prolls. Nickelback: Ieeh. Gölä: Verirrte Seelen. Bushido: Ok. Voice of Switzerland: Castingshow-Mainstream. Vielleicht wird der Musikgeschmack in Solothurn besser, wenn Castingshows einen höheren musikalischen Anspruch haben. Was wohl so ungefähr dann sein wird, wenn Stress Juror bei Voice of Switzerland ist. Ah, ist er ja schon.

St. Gallen & beide Appenzell

Suchbegriffe:Yolo, Tickets gewinnen, Udo Lindenberg, Kay One, Stereoanlage, Uwe Ochsenknecht, Horn, Single Charts, Takt, Tanzkurs, Bregenzer Festspiele

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Analyse: Die Ostschweiz braucht auch für den einfachsten Lifestyle der Welt eine Anleitung: You only live once. Und sobald man den begriffen hat, will man „Tickets gewinnen“, egal für welchen Event. Wählerisch sind die Ossis auch nicht. (Udo, Kay One—same shit, different name.) Denn sie wissen—nach der Lektüre des entsprechenden Wiki-Artikels, dass man nur einmal lebt.

Tessin

Foto: Anthony Easton via Flickr cc

Suchbegriffe: Bob Dylan, Selfie, Karaoke, Justin Bieber, Miley Cyrus, Music Fails, Zac Efron, Folk

Analyse: Das Tessin ist eine Arena voll psychischer Teenies, die sich selbst in Selbstinszenierung ersäufen. Diese Gladiatoren üben Druck auf den Rest der Gesellschaft aus, so dass alles, was einen Internetanschluss hat, sich über Selfies informiert. Miley Cyrus und Justin sind da regelrechte Gurus. Auch sonst erfreut sich das Tessin an allem, das seine Jugend an Disney verschwendet hat. Da sind wir froh, dass es eine analoge Generation von Bob Dylan-Fans gibt, die immer nach Inseraten zu noch „not digitally remastered“ Folk-Platten suchen.

Thurgau

Suchbegriffe: Openair Frauenfeld, Soundtrack GOT, Seenachtsfest

Analyse: Die Thurgauer hören zum Einschlafen am liebsten den Soundtrack von Game of Thrones. Sie träumen sich dann in eine Welt, die ihrer eigenen nicht unähnlich ist. Burgen und Schlösser, epische Landstreifen und eine frühmittelalterliche Atmosphäre, in der man dem Nachbarn nicht traut. Die indigene Sprache klingt zwar nicht so schön, wie wenn Khaleesi „Dothraki“ spricht, ist aber genauso bedrohlich. Am Openair Frauenfeld zelten die Mostindien-Dothrakis jedes Jahr in traditionellen Budget-Festzelten.

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Uri, Schwyz & Unterwalden

Suchbegriffe: Helene Fischer, Beatrice Egli, Radio Energy, Mani Matter, Obwaldner Lied

Analyse: Die Urschweiz ist Schlagerland. Diese Vorliebe kommt von den Skilift-Bügeln, die den Innerschweizern ständig auf den Hinterkopf schlagen. Trotzdem: Die Region, in der Mani Matter auftaucht, hat den besten Geschmack. Wir hoffen, dass alle, die Helene oder Beatrice googeln, bloss nach den neusten Glückspost-Homestorys suchen.

Waadt, Fribourg & Jura

Foto: crazy-andy via Flickr cc

Suchbegriffe: Shania Twain, Microspot, Stress, Bastian Baker, Rihanna, Chanson, Carrousel, Disney, Electrosanne, Edith Piaf, Electro House

Analyse: Die Wessis hören was sie verstehen. Direkt nach der Disney-Phase kommt drum der Bastian. Was nämlich Hänni für die Fännis ist, ist der Baker für die frankophonen Teenies. Lieber gar keine Lyrics, wenn sie denn nicht französisch sind. Darum ist elektronische Musik als Brückenbauer über den Röstigraben so populär. Um weitere kulturelle Differenzen zu verhindern, ist Electro hier simpel: 128 Bpm und so absehbarer Aufbau, dass auch jeder am Electrosanne den Drop erwartet und abfeiert.

Wallis

Suchbegriffe: Gangnam, David Guetta, Casting, Festival, Ave Maria

Analyse: Der Verdacht liegt nahe, dass die Walliser online ihre eigene Karriere planen. Stefanie Heinzmann hat es ihrem Kanton vorgemacht: Vom Landei über Raab zum Star. Die Walliser wollen die grosse Welt entdecken wie die Massenauswanderer vor 150 Jahren. Aber heute nicht mehr für eigenen Bauernhofs in Argentinien, sondern eine Monokultur-Farm auf dem Chart-Olymp. Gangnam Style und Guetta zeigen: Musik muss nicht anspruchsvoll sein.

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Zürich

Foto: mlaiacker via Flickr cc

Suchbegriffe: Sportfreunde Stiller, DJ Tatana, Bloodhound Gang, Gimma, Schaumparty, DJ Ötzi, Deep House, J.S. Bach, Guggemusig, Brandhärd, Arie, Action Bronson, Sektion Kuchikästli, Deep House, Tech House, Sarah Connor, Virtual DJ, Hemmige, MDMA, Trance, Larry F, Zauberflöte, Noemi Nadelmann, Ländler, Berghain, Schnappi, Sidi Abdel Assar, Liricas Analas, Eels

Analyse: Zürich ist überfordert und überflutet. Hier können nicht nur die Digital Natives das Internet nach passendem Weekend-Programm durchforsten: Auch Guggemusig und Ländler stehen hoch im Kurs. Zürcher sehnen sich nach einem Gefühl der Verbundenheit. Nach Identifikation als Zürcher. So muss sich der Zürcher Virtual DJ runterladen, um im Club-Chaos etwas Hood-Feeling zu ergattern. Irgendwann googelt er resigniert das Berghain, weil er gemerkt hat, dass Zürich Berlin kopiert. Spitze gegen Westen: Die „B wie Basel“-Rapper Brandhärd werden in Zürich mehr gesucht als am Rheinknie. Soviel zu Lokalpatriotismus.

Fazit

Die Google Trends-Musikanalyse kann jedem Kanton Peinlichkeiten nachweisen. Wahrscheinlich verhält sich das ähnlich wie in privaten Plattensammlungen: Jeder versteckt „Bailando Summer Mix“-Sampler irgendwo hinter der Morrissey-Anthologie. Zum Glück gibt es in jedem Kanton mindestens einen Begriff, der den Glauben an die Möglichkeit eines guten Musikgeschmacks erhält. Auf zehn Helene Fischers kommt eine rätoromanische Hiphop-Crew und darum lohnt es sich zu leben.

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