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Was ich von meinem ersten Besuch auf dem Coachella lernte

Kein Festival in Deutschland oder Europa wird dich jemals auf das Coachella vorbereiten können.

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Anm. d. Red.: Dieser Artikel ist aus dem Jahr 2014.

Das Coachella findet weit außerhalb von Los Angeles statt—also wirklich weit. Du kannst nicht einfach vom Flughafen ein Taxi dorthin nehmen; und wenn du drauf bestehst, wird es dich um die 300 Dollar kosten. Stattdessen musst du Facebook auf der Suche nach jemandem durchforsten, der eine kostenlose Mitfahrgelegenheit anbietet, und dann an einem Freitagnachmittag bei einer völlig fremden Person zuhause aufschlagen, nur um festzustellen, dass dort alle Blunts rauchen und Smoothies trinken. Du setzt dich dann mit diesen Fremden in ein Auto und wirst auf der Fahrt total breit. Euer einziger Stopp ist eine In-N-Out Filiale, bei der du dir den „Animal Style“ Burger bestellst, weil das eine „coole Sache“ zu sein scheint, obwohl du insgeheim eher schlichte Burger bevorzugst. Auf diesem Wege lernst du ein paar neue Freunde kennen, musst nur einen Teil vom Spritgeld für die Fahrt bezahlen und, wenn du richtiges Glück hast, werden sie dir zum Abschied noch ein paar Pappen mit LSD in die Hand drücken.

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Kein Festival in Deutschland oder Europa wird dich jemals auf das Coachella vorbereiten können. Ich glaube, das, was dem Geiste von Coachella wohl am nächsten kommt, ist die Einführung von Stiflers kleinem Bruder in American Pie: Die nächste Generation. Im Vergleich zum SXSW, das ich Anfang des Jahres besucht habe, stellt Coachella so etwas wie den Antipoden dar. Weder Musiker noch Leute von der Musikindustrie werden dir hier über den Weg laufen. Das Publikum besteht vor allem aus Teenagern in verschiedenen Stadien der Nacktheit, einigen Promis und komischen alten Menschen, die so aussehen, als ob sie darauf warten, das RHCP spielen, obwohl diese gar nicht auf dem Line-Up stehen.

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Das Erste, was dir auffällt, ist, dass hier wirklich alle extrem durchtrainiert sind. Es gibt keine Bierbäuche, keine unnötige Körperbehaarung, Impfnarben oder Schwangerschaftsstreifen; alle sind gut gebräunt, in Form gebracht und getrimmt, um so gut auszusehen, wie es ihnen ihre Gene erlauben. Diese physische Fitness wird allerdings von einigen furchtbaren Modeverbrechen wieder wett gemacht. Wirklich alle auf dem Festival sehen so aus, als ob sie rückwärts und mit verbundenen Augen durch einen New Yorker gestolpert wären. Die Jungs tragen ärmelfreie Tops mit furchtbaren Slogans wie „The Summer Never Ends“. Die Outfits der Mädels scheinen wiederum mit dem einzigen Anliegen zusammengestellt worden zu sein, sich gegenseitig an ‚Hotness’ zu übertreffen.

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Unweigerlich ertappst du dich dabei, wie du das geile Figur vs. beschissene Klamotten-Spiel spielst—einem ständigen Wettkampf zwischen den symmetrisch ansprechenden Proportionen einer Person und den abgrundtief hässlichen Anziehsachen, die sie trägt.

Die berühmten Menschen, die du auf dem Festival siehst, sind auch WIRKLICH so BERÜHMT, dass sie die VIP Area eines jeden europäischen Festivals wie eine extrem öde Staffel Promi-Big Brother aussehen lassen. In den ersten zehn Minuten auf dem Festival sah ich schon A$AP Rocky, Jordan Dunn, Jared Leto, Emma Roberts und Ke$ha, die ihre Haare blau, gelb und grün gefärbt hatte—wahrscheinlich aus Solidarität mit den Menschen in Ruanda.

Du braucht beim Coachella auch einfach solche Beschäftigungen wie das Stil-vs-Schönheit-Spiel oder eben die paar Celebritys, das Line-Up ist nämlich ziemlich durchwachsen. Es gab tagsüber ganz gute Sets von Haim und Nicolas Jaar, aber keins davon haute einen wirklich um. Zwischen den Auftritten wurde es mit den Auftritten von Acts wie Ellie Goulding und Girl Talk auf der Mainstage auch noch ziemlich furchtbar. Mir fiel auch auf, dass Ellie Goulding offensichtlich viel mehr Hits hat, als mir in Erinnerung geblieben sind. Das liegt wahrscheinlich an dem gleichen psychischen Mechanismus, der dich dazu bringt, die Erinnerungen an menschliche Grausamkeiten tief in deinem Unterbewusstsein zu vergraben, weil dein Körper sie einfach nicht verarbeiten kann.

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Gril Talk setzt immer noch voll auf Mash-Ups. Mash-Ups sind der Brunftschrei des gut-gebauten-aber-Filzhut-tragenden Bros und der Broettes. Während dann „Niggas In Paris“ über das Gitarrenriff von „Song 2“ gespielt wird und Klopapier über eigens dafür angefertigte Geräte abgefeuert wird, fangen alle an, sich enthemmt aneinander zu reiben.

The Knife waren allerdings wirklich gut. Ihre abgefahrene Performance bestand zu 80% aus Ausdruckstanz und zu 20% darin, dass Karin Dreijer Andersson in ein Mikrophon schrie, als ob du Edward mit den Scherenhänden vor ein Chris Cunningham-Video setzen würdest. Die Tracks von Silent Shout, das inzwischen acht Jahre auf dem Buckel hat, klingen noch immer so ungewöhnlich und spektakulär, wie sie es bei ihrer Veröffentlichung getan haben. Oh, und ich konnte P. Diddy und Cassie dabei beobachten, wie sie zu „Like A Pen“ ihre Hintern in Bewegung setzten.

Und dann gab es natürlich noch Outkast! Outkast! Ihr erster Auftritt seit über zehn Jahren! Der eigentliche Grund, warum wir alle hier sind! Sie eröffneten ihr Set mit „Bombs Over Baghdad“ und, wie meine neuen Brofreunde sagen würden, „shit is popping off“. Warum rasten dann die meisten hier gar nicht aus? Es hat auf jeden Fall was, sie durch das beste Material von Aquemini und ATLiens mit der gleichen technischen Finesse rasen zu sehen, die sie schon in ihren Anfangstagen zur Schau stellten. Gleichzeitig bekommt man aber schnell den Eindruck, dass sie eigentlich gar nicht hier sein wollen. In den ganzen Jahren, die sie nicht mehr im Geschäft waren, haben sie ihre Bühnenshow nicht groß überarbeitet und können auf diesem Festival nicht wirklich mit den ganzen fanfreundlichen Setlisten und aufwändigen Produktionen der anderen HipHop-Headliner mithalten. Viele Menschen hauen während des Auftritts ab und als sie „The Way You Move“ und „Hey Ya“ spielen, ist nur noch ein Drittel des Publikums übrig. Es war bestimmt cool, sich das Set zuhause am Rechner anzuschauen, aber mit dem schlechten Sound und dem komischen Vibe kommt es qualitativ nicht einmal in die Nähe des fantastischen Solosets, das Big Boi vor ein paar Jahren abgeliefert hat.

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Wenn du das Gefühl hast, dass die Besucher auf europäischen Festivals wie Schlachtvieh behandelt werden, warte ab, bis du zum Coachella kommst. Nach Outkast war die Schlange zu den Taxen ungefähr fünf Stunden lang und neben selbstorganisierten Shuttlebussen und den Autos der Carsharingfima Uber, die mal eben ihre Preise vervierfacht hatte, gab es keine Möglichkeit, vom Festivalgelände zu kommen. Nachdem wir bis 4 Uhr morgens ohne Wasser, Toiletten und irgendwelchen Taxen in Reichweite in einem eingezäunten Wartebereich ausgeharrt hatten, mussten wir uns schließlich den kapitalistischen Halsabschneidern beugen und zahlten 300 Dollar für eine 30 Minuten Fahrt mit Uber zu unserem Schlafplatz—der gleiche Preis, den eine Fahrt von Los Angeles hier hin gekostet hätte.

Fick dich, Coachella, dafür dass du deine Gäste wie Scheiße behandelst und fick dich, Uber, dafür, dass du mit dem Festival zusammenarbeitest und so tust, als ob du einen tollen Service anbieten würdest, nur um deine Preise zu vervierfachen, weil du weißt, dass die Leute verzweifelt sein werden. Das ist eine ziemlich beschissene Art, ein Festival zu organisieren.

Immerhin habe ich noch das LSD.

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