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Thump

Was ich beim technofeministischen DJ Workshop von Discwoman gelernt habe

Auf Hauspartys glänze ich manchmal mit manuellen Fade Ins & Outs auf Spotify. Aber warum hatte ich nie richtig mit dem Auflegen angefangen?

Eine Teilnehmerin (nicht die Autorin) mixt ihren Track rein. Alle Fotos von der Autorin.

Es war Samstag und der Sommer zeigt nach langer Zeit endlich mal wieder sein wahres Gesicht. Ich aber denke gar nicht daran, mich dem schönen Wetter hinzugeben. Viel mehr freue ich mich darauf, den sonnigen Nachmittag in einem dunklen Raum, und zwar im OHM, zu verbringen. Denn Discwoman ist in Berlin, das technofeministische DJ- und Produzentinnen-Kollektiv aus New York. Frankie Hutchinson, Emma Burgess-Olson und Christine Tran—drei Gründerinnen mit einer gemeinsamen Vision: weibliche und queere DJs zu unterstützen und zu repräsentieren. Gemeinsam mit der Partyreihe/Label Creamcake veranstalten sie heute einen gratis DJ Workshop—"by and for women and LGBT". Mitzubringen sind lediglich ein paar Tracks auf einem USB-Stick.

Es ist ein sehr befremdliches Gefühl, das OHM als Ort der kompletten Stille wahrzunehmen. Leer, unverraucht und sogar ich bin hier zur Abwechslung mal nüchtern. Der Raum füllt sich langsam, die Teilnehmerzahl bleibt überschaubar. Eine besondere Spannung liegt in der Luft. Alle sind neugierig und niemand weiß genau, was passieren wird. Bis Emma, auch bekannt als Umfang, sich vor die Decks stellt und anfängt, zu erzählen.

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Mittels Beamer und Bildschirmübertragung erklärt sie die Grundstruktur eines CDJ-2000 Players und wie man diesen bedient. Durch die vielen geöffneten Browser fühlt sich alles ein bisschen wie eine Post-Internet Performance an. Sie zeigt ein Bild mit einer Übersicht von allen Funktionen und Reglern. "Es ist wichtig, dass ihr wisst, dass es nur auf den ersten Blick so einschüchternd wirkt", fährt Emma fort. "In Wirklichkeit ist es das gar nicht."

Die Teilnehmerinnen lassen sich die Grundstuktur eines CDJ-2000 erklären.

Ein Detail aus dem OHM

Ich frage mich, ob ich deshalb niemals angefangen habe, Musik aufzulegen. Hat mich die scheinbare Komplexität etwa abgeschreckt?

Nein, schüttle ich im selben Moment den Kopf, und bin auch froh darüber. Das hätte nämlich bedeutet, dass ich den selben Fehler gemacht hätte, wie die, die das abgedroschene Vorurteil "Frauen kennen sich nicht so gut mit der Technik aus wie Männer, deshalb können sie nicht so gut auflegen" am Leben erhalten. Dazu sage ich nur: Bullshit.

Außerdem geht es beim Auflegen ja wohl um weitaus mehr als nur um die Technik und genauso wie bei jeder anderen Form der Kunst ist es doch vor allem der Charakter des Schaffenden, der das Ergebnis beeinflusst, die Sensibilität für das Medium, das Können, bestimmte Atmosphären zu kreieren und damit andere zu bewegen. Ob eine Frau, oder ein Mann agiert, macht dabei keinen Unterschied.

Aber wieso stehen dann trotzdem so wenige weibliche DJs auf den Line-Ups der Clubs und Festivals, die ich besuche? Hängt es damit zusammen, dass durch die geringere Anzahl an weiblicher DJs auch weniger gebucht werden können? Kommen dadurch dann wiederum weniger Frauen auf die Idee, selbst damit anzufangen? "Unser Ziel ist es, genau diese Wahrnehmung und Denke im Bezug auf die Musikbranche zu ändern.", erklärt mir Frankie, die Managerin und Bookerin des Kollektivs. "Wir wollen Frauen dazu inspirieren und auch überhaupt erstmal auf die Idee bringen, das selbst auszuprobieren.".

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Hier hören alle noch zu, gleich folgt aber ein mehrköpfiges b2b Set

Und nicht nur das. Hinter der mittlerweile großen Community rund um das DJ-Kollektiv steckt noch viel mehr: "Besonders wichtig ist uns der Support untereinander. Mittlerweile haben wir ein großes Netzwerk an tollen Frauen. Wir unterstützen uns beim Musikmachen, aber auch bei allen anderen Angelegenheiten, in denen Frauen gegenüber Männern heutzutage immer noch Nachteile erfahren müssen." Frankies Stimme klingt bestimmt, ihr Auftreten ist durch und durch sympathisch.

"Ich will, dass hier alle superstark und als Badasses rausgehen!", sagt sie lachend. Sie ist dabei ein gutes Vorbild. "Gemeinsam sind wir stark." Einfaches Motto, das trotzdem irgendwie immer funktioniert.

"Ich weiß nicht, ob ich früher so richtig auf die Idee gekommen wäre, aufzulegen. Ich habe mich das nie wirklich getraut.", erzählt mir eine andere Besucherin des Workshops. "Durch die Rückenstärkung der Crew weiß ich, dass das kompletter Schwachsinn war."

Emma ist mit ihrer Präsentation fertig. Jetzt sind wir an der Reihe. Das frische Wissen mal ausprobieren.

Eine Schlange bildet sich und nacheinander kann jede ihren Track abspielen, den sie mitgebracht hat. Es ist eine endlose back-to-back Schleife. Währenddessen genießt der Rest die Musik, es wird getanzt und zwischen den Songs applaudiert.

Nach einem High-Five von meiner Vorgängerin bin ich an der Reihe. Mein Herz spüre ich ein kleines bisschen schneller schlagen, sobald ich mich am Drücker befinde. Meine DJ-Kenntnisse liegen ungefähr bei Level null, bei Hauspartys glänze ich manchmal mit manuellen Fade Ins & Outs auf Spotify—wow.

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Jetzt aber befinden sich ein paar Regler mehr vor mir. Es läuft noch die Techno-Nummer meiner kurzzeitigen back-to-back Partnerin, die man sonst wohl eher an einem Sonntagmorgen im Berghain hören würde. Mein Track passt da alles andere als darauf—abschrecken lasse ich mich davon nicht. Höhen raus, Bässe raus, Lautstärke hoch, Bässe rein.

Applaus.

Mein erster Übergang auf einer größeren Anlage fühlt sich gut an. Musikalisch war er ganz okay, aber die Übung macht halt bekanntlich erst die Meisterin.

Ich bin glücklich, vor allem, weil ich weiß, dass es hier heute um viel mehr geht, als das mal auszuprobieren. Es geht darum, ein Statement zu setzen – dass es scheißegal ist, welches Geschlecht man hat, wenn man hinter den Turntables steht. Ich schaue grinsend in die Menge und weiß, dass der Applaus uns allen gilt.

Discwoman sind aktuell auf Europatournee und spielen mehrfach noch in Deutschland, u.a. heute, am Freitag, dem 19. August, in Berlin. Creamcake veranstaltet im Oktober das 3hd Festival.

Das Fazit des Abends

Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen.

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