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Wiener Clubkultur

Warum Wien den Salon zum Club der Discotiere scheiß dringend braucht

Sehr bald wird es im Volksgarten Dialoge geben, die der maroden Wiener-Feierkultur den Rettungsring zuwerfen wollen.

Header und alle Fotos mit freundlicher Genehmigung Salon zum Club der Discotiere

"Hallo, mein Name ist Wien und ich habe ein Clubkultur-Problem." Wäre Wien ein Mensch, dann wäre er der älteste Mensch der Welt und würde aus seinem Wohnzimmer-Fenster jeden anschreien, der Spaß hat. Wie es bei alten Menschen nunmal ist, würde er auch recht wenig schlafen, weshalb er selbst in der Nacht die Unterarme auf dem Polster tiefenentspannt, damit er seine Energie in Wut-Gesänge stecken kann.

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Wien ist voller Leute, die versuchen, diesen Menschen zu zähmen. Spannende Projekte entstehen, Leute wollen mit ihrer Zeit in die Zukunft investieren. Dass diese Versuche viel zu oft im Keim erstickt werden, spiegelt sich in seit geraumer Zeit in der Musik- und Clubszene des stur barocken Wiens wider. Wie genau daran endlich etwas geändert werden kann, soll im Salon zum Club der Discotiere besprochen werden. Hier sollen Ideen entstehen, die die Wiener Feierkultur relevant machen, aufatmen lassen. Ab dem 10. Mai werden wöchentlich Podiumsdiskussionen mit Menschen stattfinden, die nicht mehr zuschauen, sondern etwas ändern wollen.

Was wir uns davon ganz genau erwarten können, wem ihr dort begegnen werdet, warum diese Stadt dieses Forum so dringend nötig hat und was das konkrete Ziel des Salons ist, haben wir David Kreytenberg, dem ihr unter anderem die Jessas-Events verdankt, gefragt.

Noisey: David, du versuchst ja immer wieder, dieses sture Wien zu einem freieren und besseren Ort zu machen. Wann war dir klar, dass einfach noch mehr notwendig ist?
David Kreytenberg: Wien ist – was Clubkultur betrifft – gerade ein ordentliches Trauerspiel. Wir Musik-Fans können grade zusehen, wie wesentlich kleinere Städte wie München oder Leipzig völlig an uns vorbeiziehen. Das sieht praktisch ein Blinder, dass wir hier in dieser Stadt mehr Kreativität, Clubs und Veranstaltungs-Formate brauchen. Dringend!

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Was führt deiner Meinung nach dazu, dass Wien im internationalen Vergleich nicht mithalten kann?
Leider geht es hier in Wien oftmals schon sehr "höfisch" zu und ich beobachte, wie Ideen toddiskutiert werden, oder man zu viel Angst vorm Versagen hat. Es geht bei Projekten nicht darum, am Ende gut auszusehen, sondern das Flugzeug in die Luft zu bekommen. Es ist wichtig, dabei Hilfe und Unterstützung anzunehmen, sich auszutauschen und Kritik zuzulassen. Das machen hier viele Menschen leider falsch. Man spricht zu wenig miteinander. Genau das will ich mit dem Salon der Discotiere auch erreichen: Austausch. Diskurs. Gemeinsam anpacken!

Wie wird so ein Abend ablaufen?
Der Salon ist als Grundkonzept eine Party-Reihe zwischen Disco und Diskurs. Es wird getrunken, geflirtet, getanzt und geredet, wie bei jeder anderen Party auch. Was aber hinzukommt, ist eine Speakers-Corner, die ebenbürtig mit dem DJ sein soll, sich aber gegenseitig nicht stört. Man könnte es als einen "zweiten Floor" für Austausch und Diskurs bezeichnen. Zusammen ergibt das ein Format für musikinteressierte Zuhörer und Denkende.

Ah, siehst du, ich dachte, es wird zuerst diskutiert und dann Party gemacht. Was werden so die Überbegriffe des Forums sein?
Wir sind natürlich noch am Anfang, aber für mich ist es wichtig, ein urbanes Diskurs-Forum über Musik, Kunst und Kultur, Politik, Kreativ-Branche und die damit verbundenen Prozesse, Strukturen und Gesellschaftsprobleme zu schaffen. Wenn ein privates Schicksal oder interessante Projekte für uns relevant sind, sodass wir beispielsweise Spendenaufrufe oder so dafür generieren möchten, wird es genau so aufgenommen wie Ideen und Konzepte aus anderen Ländern, die wir gerne vorstellen möchten, um Denkanstöße einzubringen.

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OK und was wird beim Salon thematisch ausgespart?
Was es nicht geben wird, sind Boulevard Themen, wie Ernährung, StartUps oder Finanzen. Wir sind schließlich street und bodenständig.

"Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass wir den Druck nicht aushalten. Dann geben wir das zu und machen das Format eben kleiner."

Haha, verstehe. Ihr wollt das ja wöchentlich machen. Das ist schon sehr ambitioniert – vielleicht zu ambitioniert?
Eine Vision muss groß sein, finde ich. Downgrading ist immer leichter als upgrading. Meine Meinung dazu: Beim Downgrade werden Sachen perfekt, beim Upgrade nur aufgeblasen.
Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass wir den Druck nicht aushalten. Dann geben wir das zu und machen das Format eben kleiner.

Fehler zugeben zu können, ist so essentiell und ich werd nie verstehen, warum das für manche ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Ich hab keine Angst vor Kritik. Im Gegenteil ich fordere sie ein – genau dafür machen wir diese Eventreihe.

Welche DJs und Acts habt ihr denn bisher?
An den Plattentellern steht am ersten Abend Niemand geringeres als I-Wolf, Mitglied der Sofa Surfers und einer der erfolgreichsten Produzenten der Stadt. Am zweiten und dritten Abend spielen Sebastian Schlachter und Christopher Just. Für die zwei Stunden vor dem Main-Act haben wir ein Netzwerk aus Resident-DJs geschaffen, das Discotiere-DJ Team, mit dem wir sehr happy sind.

Nice! Und wen wird man so am Podium zuhören können?
Dort werden Martin Mühl (Geschäftsführer The Gap und Biorama) mit Markus Huber (Herausgeber der Indie Magazine, Fleisch und Wald) über Printmagazine in Wien sprechen. Das ist für mich ein absolutes Highlight, weil ich mit beiden Menschen seit Jahren arbeite und sie sehr gut kenne. Ich weiß, wie schwer sie es haben. Hinzu kommt, dass sie trotz eines ähnlichen Geschäftsmodells völlig unterschiedlicher Meinung sind. Das wird ziemlich großartig und spannend. Beim zweiten Event spricht Peko Baxant (Gemeinderat der Stadt Wien) mit Jan Ernst von Tanz durch den Tag. Ein brandheißes Thema, das für viele Städte grade eine ziemliche Challenge ist. Weiter geht es mit Booking Konzepten von Paul Uhlmann vs. Rudi Wrany. Der Plan für Juni steht auch schon fast und wird großartig.

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Wer kann hinkommen?
Jeder! Wirklich ausnahmslos jeder, der Musik liebt und sich mit den Themen identifizieren kann. Die Musik und das großartige "discoeske" Booking von Nick Hanzo, ist genau so gewählt, einen Jahrgang 1945 oder einen Jahrgang 1999 zu unterhalten. Dazu kommt diese großartige Location. Der Volksgarten Pavillon ist seit meinem ersten Tag meine absolute Lieblingslocation in Wien, wunderschön, mitten in der Stadt und groß genug. Der Eintritt ist günstig und die Bar liefert Leitungswasser bis Champagner, der unter den Bäumen am Fluss getrunken werden kann. Einfach herrlich!

"Alle sind sich einig: Wien ist scheiße und wir werden wohl nie eine Weltstadt. Das ist Schwachsinn."

Welches Ziel hat der Salon?
Es geht um volksnahe, inspirierende Menschen, die beim Gast Ideen, Konzepte und Fragen zurücklassen, über die man sich nach dem Gespräch weiter austauschen kann. Wir möchten indirekt Neues schaffen. Menschen vernetzen. Projekte kreieren. Banden bilden. In der Zeit um Hofer und VdB ist uns aufgefallen, wie wichtig Auseinandersetzungen innerhalb der Lager wirklich sind und wie wenig das im Wiener-Alltag eigentlich betrieben wird. Jeder sudert, jeder grantelt herum und am Ende sind sich alle einig: Wien ist scheiße und wir werden wohl nie eine Weltstadt. Das ist Schwachsinn. Alles beginnt im Kleinen und mit viel Schweiß. "In Schönheit zu sterben" ist wie Sex mit Gummipuppen – langweilig und nix für uns.

Wird das Diskutierte auch umgesetzt? Wie wollt ihr Ergebnisse in die Realität umsetzen?
Wichtig ist mir, dass das Format von Podiumsdiskussionen aufgebrochen wird und man die Möglichkeit hat, mit Menschen zu sprechen, die etwas in dieser Stadt tun. Wir packen die "Wiener Macher" also dort, wo es wirkt: bei der Eitelkeit.

Zum Abschluss: Warum liegt dir die Wiener Clubkultur so sehr am Herzen?
Es geht nicht um Clubkultur, es geht um Freizeitkultur oder noch besser: Feierkultur. Es geht darum, diese Stadt bunt, lebensfroh und abwechslungsreich zu machen und die Mitmenschen nicht zu vergessen. Feste sind Ausbildungslager für Menschlichkeit. Mir geht es gut, denen geht es gut. Man rückt mal mit Unsicherheiten raus, man redet mal von Enttäuschungen. Man trinkt zusammen, feiert zusammen und ist offen für Neues. Hier werden für mich Ideen geboren. Hier wird gelebt und zwar zusammen. Das Ziel ist der Tag, an dem die Stadt erkennt, dass eine ordentliche Feierkultur gesellschaftsnotwendig ist, die Sperrstunde abgeschafft und unsere Clubs und Partylocations gefördert werden müssen. Wien kann nicht Jahrhunderte lang vom altem Ruhm und Jugendstil leben.

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