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Warum Stars wie Kanye West, Justin Bieber und Ariana Grande die größten Hoffnungen der Popmusik sind

"Große Popstars können mittlerweile nur ihre Relevanz behalten, wenn ihr Sound nicht nach Stangenware klingt, sondern eine Verbindung—wenn auch keine tiefgehende—zum progressiven Sound hat."

Foto via Flickr | DisneyABC | CC BY 2.0

"You gonna love this. You can't touch this. Cause I'm a bad bitch." So beginnt Madonnas "Bitch I'm Madonna" auf ihrem letzten Album Rebel Heart. Popmusik ist oft auf ganzer Linie genau so hohl wie diese Textzeile. Eine Aneinanderreihung von Aussagen, die einen in keinster Weise weiterbringen, Beats und Build-Ups, die berechenbar sind und Melodien, die man beim ersten Mal Hören mitsummen kann, weil sie einfach alle gleich klingen. Das ist die unschöne Seite von Popmusik. Wir widmen uns jedoch der schönen Seite—der Musik, mit der wir über das Radio,Viva oder MTV sozialisiert worden sind.

Die Musiknerds und -puristen unter uns können Pop oft nichts abgewinnen. Und irgendwie ist das auch verständlich. Auf qualitativ hochwertigen Pop von Künstlern wie Michael Jackson, Prince oder der frühen Madonna können sich die meisten Menschen—teilweise auch die eingefleischten Pop-Hasser—noch einigen. Dann kamen die dunklen 90er Jahre, in denen seelenlose Boygroup-Musik, Eurodance und Shania Twain ihr Unheil anrichteten. Die 00er Jahre verbrachte die Musikwelt damit, sich von den 90ern zu erholen und Ami-Rap groß zu machen. Jetzt haben wir Justin Bieber, Rihanna und Taylor Swift.

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Die Pop-Industrie ist nach wie vor eine sehr berechnende Maschinerie. Allem voran kommt der Umsatz. Dann kommt Musik, die sich bewährt hat. Ein bisschen EDM hier, ein wenig Tropical House da, eine abgefuckte Hook, die sich wirklich jeder merkt und ein neuer Hit ist geboren. Für Innovationen bleibt wenig Platz. "Große Popstars können mittlerweile nur ihre Relevanz behalten, wenn ihr Sound nicht nach Stangenware klingt, sondern eine Verbindung—wenn auch keine tiefgehende—zum progressiven Sound hat", meint Jakob Cygan vom Wiener Veranstalter-Kollektiv Vihanna. Jakob und seine Kollegen bedienen mit ihren Club-Bookings wie Inkke, Suicideyear oder Zora Jones seit Jahren die tiefsten musikalischen Nischen. Manche ihrer Gastacts haben es zu ansehnlichen Karrieren in der Branche gebracht und sind teilweise nicht mehr leistbar für kleinere Club-Events. "Progressive Producer gewinnen sehr wohl Einfluss auf die Pop-Industrie, weil sie durch Web 2.0 bis 3.0 viel schneller Trends auslösen können", meint Jakob.

Pop ist also nicht so verdorben, wie es auf den ersten Blick wirkt. Selbst die großen Stars lassen junge und talentierte Produzenten aus dem sogenannten Underground ran. Ob das jetzt die alleinige Entscheidung des Künstlers ist oder das Major-Label der Meinung ist, dass es gerade cool wäre mit Cashmere Cat eine Nummer zu machen, das weiß man oft nicht so genau. "Hier findet viel Culture Vulture statt," meint Maximilian Matschnig von der Wiener Club-Reihe Canyoudigit. Er hat einige junge Produzenten wie Rustie, Lil Silva oder Sophie in den letzten Jahren gebucht. Solo machen sie oft Musik für den Dancefloor. Im Hintergrund werden sie dann ganz nebenbei beispielsweise von Diplo engagiert, um einen Track für das neue Madonna Album zu machen. Ihre eigenwilligen Solo-Produktionen wären für den Mainstream viel zu wenig eingängig und hätten einfach keine Chance. Genau diese Eigenwilligkeit macht sie jedoch für die Stars so interessant. Eine Prise von Sinjin Hawkes Choral-Wahnsinn und Cashmere Cats weichgewaschene Synths geben Wolves auf Kanye Wests neuem Album The Life Of Pablo die Originalität, nach der Yeezy immer strebt. Wir haben euch eine Auswahl der interessantesten Nummern von Mainstream-Künstlern der letzten Zeit zusammengestellt.

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Jack Ü—"Where are Ü now feat. Justin Bieber (Rustie Remix)"

Justin Bieber muss man wirklich nicht mögen. Sowohl musikalisch als auch menschlich. An der Nummer vom Jack Ü-Duo Diplo und Skrillex kommt man aber trotzdem nicht einfach so vorbei. Bei der gelungenene Vermengung von massentauglichem Trap, EDM und der lieblichen Stimme von Justin ist für viele etwas dabei. Wer ihn nie gemocht hat, das ist wahrscheinlich die Nummer, die ihr euch am ehesten schmerzfrei anhören könnt. Rustie hat mit seinem offiziellen Remix den Vogel wohl abgeschossen. Sein Album Glass Swords ist heute schon ein Evergreen der elektronischen Musik und sicherlich nichts für den typischen Radiohörer. Gut, dass sich Diplo und Skrillex davon nicht beirren lassen und ihn trotzdem für einen Remix engagiert haben.

Ariana Grande—"Be My Baby (co-prod. von Cashmere Cat & Lido)"

Cashmere Cat ist schon lange kein kleiner aufstrebender Produzent mehr. Mit dem belgischen Label Pelican Fly und seiner Mirror Marru EP hat sein steiler Aufstieg begonnen. Cashmere Cat hat jetzt seinen festen Platz im Pop-Himmel und produziert für Leute wie Kanye West, Ludacris oder Britney Spears. By the way ist die Durchbruchs-Rate mit Leuten wie Sinjin Hawke oder Lido auffällig hoch für so ein kleines Label wie Pelican Fly.

Ariana Grande glänzt nicht unbedingt mit innovativen Produktionen, Cashmere Cat scheint sie jedoch treu zu bleiben. Neben "Be my Baby" hat sie sich sogar auf seinem eigenen Release Adore featuren lassen.

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Madonna—"Bitch I'm Madonna (prod. von Diplo & Sophie)"

Ein eher wenig gelungene, jedoch gut gemeinte Produktion ist beim letzten Madonna Album entstanden. "Ich finde die Nummer schrecklich!", meint Max, ein Fan von Sophie, der diese Nummer mit Diplo zusammen produziert hat. "Der Sophie-Part ist ok. Aber der Diplo Trap Breakdown gar nicht. Der Style steht Madonna einfach nicht.", meint er weiters. Wer diese Meinung teilt, der kann sich hier eine von Diplo befreite Version anhören.

Sophie ist unter anderem durch seine Zusammenarbeit mit dem Label PC Music bekannt. Das Label hinter dem Gründer A. G. Cook hat mit seinen unkonventionellen Releases noch vor kurzem einige Wogen geschlagen. Aber "PC Music ist (so gut wie) tot", wie unsere Redakteurin Antonia in ihrem Jahresrückblick 2015 getitelt hat. Das tut der Arbeit von Sophie keinen Abbruch. Er macht weiterhin seine Releases auf Numbers und produziert für Künstler wie Charli XCX oder Le1f.

QT—"Hey QT" (Diplo Remix)

Das mit Diplo ist so eine Sache. Er hat einen unbestritten bedeutenden Einfluss auf Mainstream-Musik. Das bringt mit sich, dass schon viel Scheiß-Musik auf sein Konto geht. Was man ihm jedoch nicht vorwerfen kann, ist sich für die Musik abseits des Mainstream aktiv nicht zu interessieren. Er bringt auf seinem Label Mad Decent Künstler wie Mumdance, Mr. Carmack oder Zebra Katz heraus. Mit seinem Projekt Major Lazer hält er seit Jahren die Tür für Dancehall zum Mainstream offen und hat schon Acts wie Vybz Kartel, Busy Signal oder Mr. Vegas gefeaturet. Seine Vorliebe zu PC Music hat ihn schon zu der nicht gelungenen Kooperation mit Sophie auf Madonnas Album geführt. Sein Remix von Sophies und A. G. Cooks QT Nummer ist ihm da schon etwas besser gelungen. Den EDM-Proll lässt er zwar noch immer relativ stark heraushängen, aber hier auch wieder: Es ist gut gemeint.

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DJ Dodger Stadium—"Love Songs"

Kanye hat den ganzen Urheberrechts-Shit fest im Griff. Man findet genau keine einzige Nummer von The Life Of Pablo auf Youtube. Deshalb haben wir stellvertretend einen Track vom Produzenten-Duo DJ Dodger Stadium hingetan, die gleich fünf Tracks auf dem neuen Album co-produziert haben. Kanye schien laut einem Interview eine besondere Vorliebe für ihre gospelartigen Vocals zu haben. Das Album ist ja dann am Ende auch eine Liebeserklärung zum Gospel geworden. Und DJ Dodger Stadium hat es wohl einen ziemlichen Boost in ihrer Karriere beschert.

Drake—"Worst Behaviour (Eric Dingus Remix)"

Der 6 God hat nicht nur ein Gefühl für Hotline Blings und schräge Tanzmoves, sondern kümmert sich auch ein wenig um den Underground. Mit seinem Label Ovo Sounds und gesignten Rappern wie Majid Jordan, PartyNextDoor oder Roy Woods hat er es nicht nur mit der Elite des Rap-Biz zu tun. Eric Dingus ist noch einmal einige Nummern kleiner und mit seinem ambient-lastigen Beats auch eher untypisch für Drakes Sound. Offiziell gibt es noch keine Kollabo von den beiden, aber immerhin hat es Erics Remix in die Ovo Sound Radiosendung geschafft.

Weiters hat Drakes Signing auf Skeptas und JMEs Label Boy Better Know dieses Frühjahr für Aufsehen gesorgt. Gut für die derzeit starke britische Grime-Bewegung.

Kanye West—"I Am A God (co-prod. Hudson Mohawke)"

Kanye West wird hier nicht umsonst mehrmals erwähnt. Sein unkonventioneller Zugang, Musik zu machen, hat Tradition. Er scheut nicht davor zurück, sich seine Nummern von Arca oder Evian Christ produzieren zu lassen. Besonders Hudson Mohawke hat es ihm angetan, der seit Yeezus regelmäßig für ihn produziert und auf seinem Label GOOD Music gesignet ist. Mohawke ist wie Cashmere Cat schon längst eine große Nummer unter Producern, bleibt aber seinem Glasgower Label und Talentschmiede LuckyMe weiterhin treu und vergisst nicht auch seine eigenen Hits zu releasen.

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Ein unschöner Zwischenfall zeigt jedoch auch, dass es nicht immer angenehm ist, mit Major Labels zusammenzuarbeiten. In einer Tweet-Serie von Hudson Mohawke prangert er die Nicht-Zahlung von Honoraren für Arbeiten für Drake und Kanye West an.

Ludacris—"Party Girls feat. Jeremih, Cashmere Cat, Wiz Khalifa (Sinjin Hawke Remix)"

Wenn man Kanye mag, dann muss man auch nicht weit nach Sinjin Hawke suchen. Wie Cashmere Cat hat er seine ersten Schritte auch beim Label Pelican Fly gemacht. Sein letzter Streich war das von ihm koproduzierte "Wolves" auf The Life Of Pablo. Solo ist er mit seinem eigenen Label Fractal Fantasy, das er mit der österreichischen Produzentin und seiner Freundin Zora Jones von Barcelona aus betreibt und Kooperationen mit Just Blaze oder MikeQ auch sehr aktiv.

"Grundsätzlich verschwimmen die Grenzen immer mehr. Früher wäre Panda von Desiigner auch kein Chart-Hit geworden.", sagt Max zu der Entwicklung von Popmusik. Der Pop-Industrie und ihrer unsympathischen Arbeitsweise kann man durchaus kritisch gegenüber stehen. Dass sie sich aber vollkommen abschottet und nur Einheitsbrei produziert, kann man fairerweise nicht so stehen lassen. Die zunehmende Experimentierfreudigkeit der Industrie erklärt sich Jakob so: "Das ist für mich auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens auf die größere Schwierigkeit am musikalischen Zeitgeist zu bleiben, was zum Rückgriff auf die aktuellen Innovators führt. Zweitens wohl auch ein finanzieller Faktor, da unbekanntere und unetablierte Producer sicher billiger sind als etablierte Hitschreiber." Solange Popstars dafür sorgen, dass innovative Künstler durch Engagements gefördert werden, können die Biebers und Madonnas dieser Welt so viel Trash produzieren, wie sie wollen. Hauptsache es gibt genug Sinjins und Sophies, damit ich kein Radio hören muss.

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