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Warum ich meine Kinder Deutschrap hören lassen würde

Rap ist Jugendmusik und sie der Jugend zu verbieten ist wahrscheinlich dumm.

Screenshot via YouTube

Irgendwann kommt man in ein Alter, in dem viele Freunde bereits einen Beruf haben und erwachsen sind. Man selbst nimmt sich jedes Semester an die 75 ECTS vor, damit man den Bachelor-Abschluss in einem nicht wirklich berufsfähigen Fach endlich in die Hand gedrückt bekommt. In diesem Alter bin ich gerade. Ich habe in meinem Freundeskreis drei Lehrerinnen. Eine davon unterrichtet unter anderem Musik in einer Unterstufen-Klasse. Dieser Klasse—mit den 13- und 14-jährigen Gfrastern—hat sie letztes Jahr die Aufgabe gegeben, über ihren Lieblingskünstler zu referieren. So weit so gut, mussten die meisten von uns irgendwann machen. Es gab so einen Referatswisch, in dem die Kinder ihren Künstler und ihr Datum eintragen konnten. Ein Junge trug Sido ein. Sie—die Lehrerin und eine Freundin von mir—war damit einverstanden und war richtig gespannt, welchen Sido der Junge vorstellen wird. Wird es der Aggro-Sido von früher oder der Universal-Music-Sido von heute? Wie sieht die heutige Jugend, ihre Jugendmusik? Vor der Klasse hat sie mit allen Kindern abgeklärt, dass das Beispiel-Lied keine Schimpfwörter enthalten darf. Egal in welcher Sprache, egal welcher Künstler.

Drei Tage später stand eine entzürnte Mutter vor dem Lehrerzimmer und wollte mit ihr Reden. Sie habe ihren Sohn erwischt, wie er dieses Referat macht—dieser frecher Bengel—und will sofort wissen was das soll. Gut, ich erzähle bereits schon zu lange die Vorgeschichte: Die besorgte Mutter möchte nicht, dass ihr Kind Deutschrap hört und überhaupt, wenn andere Eltern mitbekommen, dass so etwas in der Schulzeit präsentiert wird und so weiter und so fort. Meine Freundin musste schlucken, gab sich geschlagen und der Junge hielt ein Referat über Andreas Gabalier. Kein Scheiß. Meine persönliche Anmerkung: Erschießt mich, wenn ich so werde. Übervorsichtige Mütter sind zu 90% superpeinlich und kontraproduktiv für die Entwicklung des Kindes, wenn man mich fragt. Die Reaktion meiner Freundin, nach der ganzen Referatswelle, waren zwei Unterrichtsstunden über die Berechtigung jeder Musikrichtung in der Welt. Wird den armen Jungen halt auch nicht helfen. Wir waren und sind uns beide einig, dass man sehr wohl seine Kinder Deutschrap oder auch alles andere hören lassen kann. Vielleicht weil wir mit Deutschrap aufgewachsen sind—ich habe vor ein paar Monaten die gängigsten Fragen die man als Hörer immerwieder beantworten muss, niedergeschrieben. Hier kommt Teil 2, die Kinder-Version:

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„Kinder sind zu leicht beeinflussbar”

Wenn du deine Kinder jemals so erziehst, dass dein Vertrauen über ihre Hirnmasse nicht vorhanden ist, dann solltest du dich bestrafen und einschränken. Und nicht dein Kind. Wenn ein Kind autonom handeln und denken kann—und wir gehen davon aus, dass es mit 13 möglich sein wird—wird es verstehen, dass „Bitches ficken, Drogen nehmen” eine Überspitzung ist. Außerdem, kann man das ja mal erwähnen. Deine Kinder werden nicht früher sexuell reif oder bekommen Lust auf alle Drogen. Genauso wie Kinder die Andreas hören, nicht anfangen Tracht zu tragen und den Beruf Landwirt ergreifen wollen. Ich habe immer schon Deutschrap gehört und ich hatte weder früher noch ärger als meine Mitschüler sexuelle Erfahrungen. Drogen waren während meiner gesamten Jugend absolut kein Thema für mich. Ich hatte eher sehr viel Respekt davor. Ich kenne auch niemanden, der Rap gehört hat und deshalb ein Problemjugendlicher wurde. Eher umgekehrt.

„Da werden Drogen und Gewalt verherrlicht”

Sachen, dir mir hingegen Deutschrap beigebracht hat: hohes Moralempfinden, hohes Loyalitätsempfinden, Humor und kritisches Denken. Auf jeden Track der Drogen oder Gewalt verherrlicht kommt ein pädagogisch wertvoller Song, in dem es darum geht, seine Familie zu ehren, seinen Freunden zur Seite zu stehen, keine Drogen zu nehmen, nicht gewalttätig zu sein und seinen Partner zu respektieren. Das kommt entweder in direkten Erziehungstracks von Kool Savas oder Sido, oder aber auch mit Tracks wo es um abgestürzte Homies geht. Das habe ich damals ernster genommen als die überspitzten Tracks, meine Lehrer und meine Eltern zusammen. Rapper wissen meistens, dass sie auch eine pädagogische Aufgabe haben. Könnte ich nicht von anderen Genres behaupten. Bis heute sehe ich meinen Freundeskreis als eine Wahlfamilie, die es zu beschützen, unterstützen und lieben gilt. Unreflektierten Drogenkonsum genauso, wie auch eine unreflektierte Einstellung zu Drogen—also in beide Richtungen—verabscheue ich seit immer.

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„Es ist sexistisch”

Ja. Stimmt eh. Aber eigentlich würde mir ad hoc, außer Klassik, nicht ein Genre einfallen, dass nicht zumindest mit sexistischen Bildern arbeitet. Ich bin ein Mädchen. Und ich fand es Klasse mit 15 Jahren Sachen über Schlampen und Co. zu hören. Was es mit mir gemacht hat? Ich habe persönlich ein Problem mit One Night Stands, gehe sehr bewusst und bestimmt sexuelle Beziehungen ein und habe einen Feinsinn dafür entwickelt, ob mich ein Mann respektiert oder nicht. Was es mit meinen Kumpels gemacht hat? Sie respektieren vielleicht nicht jede Frau gleich, wenn sie sich aber verlieben, dann sind sie die schnulzigsten und liebsten Boyfriends, die ich je beobachten konnte. Man muss sich nur die Rap-Liebeslieder anhören. Nicht das ich One Night Stands verwerflich oder verschiedene Respekt-Level gut finde, aber das sind meine Einflüsse des sexistischen Raps. Man will nicht die Schlampe sein, über die sie rappen. Man will auch keine Schlampe haben. Grob gesagt. Ich weiß nicht, ob dieselbe Lektion ernsthafte Pussycatdolls-Hörer bekommen haben. Oder irgendeine Lektion.

„Die verwendete Sprache ist unter aller Sau”

Ja, Achselhaare föhnen, gehört zum überzeichneten Stil eben dazu. Die Wörter gehen nicht weg, nur weil man sie dem Kind verbietet. Überhaupt ist verbieten so eine Sache. Es mag Kinder geben, die damit umgehen können, ich konnte es nie. Apropos: Wir reden hier von einem Alter, in dem Musik wichtig wird—passiert selten vor dem zwölften Lebensjahr. Ein 7-Jähriger muss natürlich nicht unbedingt den „Arschficksong” können. Wenn ein 7-jähriger sowas hört, sollte man sich ein paar W-Fragen stellen. Schimpfen hat noch niemandem zu einem schlechteren Menschen gemacht. Man braucht sich nur die ganzen Wortspiele im Rap ansehen. Außer, dass sie ganz stark meinem Flachwitz-Humor gefördert haben, haben sie mich Sprache immer als ein Instrument sehen lassen, mit dem man kreativ sein kann. Resultierend daraus, hatte in der Klasse der weibliche Rap-Hörer Teil bei den Deutsch-Schularbeiten die besten Noten—gut wir waren nur zu zweit, trotzdem. Der männliche Teil hat stets die besten und kritischsten Aufsätze gehabt. Schade, dass Rap keine Beistrich-Regeln beibringt.

Abschließend lässt sich sagen, dass Rap grundsätzlich Jugendmusik ist. Jugendmusik der Jugend zu verbieten, weil man seinem Kind nicht vertraut, ist in meinen Augen schlicht und einfach dumm. Mein pädagogischer Tipp wäre, sich die Musik mit dem Kind anzuhören, über gewisse Themen aufklären und wenn es einem Elternteil wirklich missfällt, andere Musik zeigen. Oder Stock aus dem Arsch nehmen. Yo.

Fredi liebt auch auf Twitter Rap:@Schla_wienerin

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