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Warum du auf Konzerten niemals im Backstage rumhängen solltest

Der Backstagebereich wird oft wie das Tor zu einer Parallelwelt dargestellt, in der die wenigen Auserwählten die großartigste Zeit ihres Lebens verbringen. Das ist eine Lüge.
Symbolfoto: Ville Valo (imago | Seeliger)

Es gibt viele verrückte Gerüchte und Mythen im Bezug auf den Backstagebereich auf Konzerten. Man berichtet von exzessiven Partys, Unmengen von Drogen, Alkohol und leicht bekleideten Mädchen. Generell wird der Backstagebereich oft wie das Tor zu einer Parallelwelt dargestellt, in der die wenigen Auserwählten die großartigste Zeit ihres Lebens verbringen. Parallel dazu begnügt sich das Fußvolk unwissend vor der Bühne und kann nur neiderfüllt und deprimiert erahnen, was für ein Riesenspaß ihm entgeht. Warum solche Geschichten erschreckend oft irreführende Lügen sind und du dich im Zweifelsfall lieber gegen den Backstage und für den Platz vor der Bühne entscheiden solltest, werde ich dir jetzt erklären.

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Niemand wird dich mögen

Sicher, wenn du aus irgendwelchen Gründen bis zum Backstagebereich deines Lieblingskünstlers vorgedrungen bist, wirst du erst einmal völlig aus dem Häuschen sein. Vielleicht wirst du sogar aufgeregt auf allen sozialen Netzwerken berichten, dass du das Ziel, an dem so viele vor dir kurz vorher gescheitert sind, erreicht hast. Doch deine Euphorie wird nur so lange anhalten, bis du die Tür dorthin geöffnet hast.

Sobald du dich drinnen befindest, wirst du dich inmitten völlig fremder Menschen wiederfinden. Sie werden kurz zu dir rüberschauen, dich nicht erkennen und sich dann unbeeindruckt wieder abwenden. Einige werden grimmig bis apathisch auf ihre Handys starren, wieder andere werden sehr beschäftigt mit wichtigen Gesprächen sein—aber auf keinen Fall mit dir. Auch wenn du die Künstler in und auswendig kennst, heißt das noch lange nicht, dass sie Interesse daran haben, sich mit dir zu unterhalten. Denn wären sie wirklich auf der Suche nach seichtem Smalltalk, überschwänglichen Umarmungen, Selfies und Komplimenten, wären sie—richtig—nicht hinter der Bühne. Der Backstage ist der Rückzugsort des Künstlers. Wenn du ihnen nicht gerade eine wichtige Mitteilung bezüglich des Ablaufprogramms überbringen musst oder ein enger Freund bist, werden sie genervt von deiner Anwesenheit sein. Und egal, wie höflich sie vielleicht doch reagieren werden, wenn du ihnen stotternd deine Lieblingssongs aufzählst, werden sie innerlich hoffen, dass irgendjemand seitens der Veranstalter dich möglichst bald rausschmeißt.

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Du wirst dich zu Tode langweilen

Du weißt jetzt, dass sich mit hoher Wahrscheinlichkeit absolut niemand mit dir unterhalten wird. Dementsprechend wirst du versuchen, dich möglichst schnell möglichst stark zu betrinken, um die Scham aus dir rauszuspülen und dich ein bisschen aufzulockern. In jedem guten Backstage gibt es Getränke umsonst. Da die Künstler sich jedoch bereits seit mehreren Stunden in diesem Raum aufhalten, wirst du dich mit den Resten des meistens sowieso schon spärlichen Caterings begnügen müssen. Dies beinhaltet, dass im Regelfall sämtlicher Alkohol bereits vernichtet wurde und selbst Softdrinks eine Rarität darstellen. Also wirst du mit ein bisschen Glück und eventuell Tränen der Verzweiflung eine halbe, abgestandene Cola ergattern können und dich damit dann in die Ecke eines kleinen, überfüllten Raumes stellen. Dort kannst du dann die nächsten drei bis vier Stunden verharren und peinlich berührt über halb aufgeschnappte Witze mitlachen, die in dem Gespräch vor dir gerissen werden.

Spätestens jetzt wirst du anfangen, an dir und deiner Entscheidung zu zweifeln. Wenn die Künstler dann schlussendlich den Raum verlassen und auf die Bühne gehen, wirst du draußen tosenden Applaus und kreischende Menschen hören, während dich jemand aggressiv anrempelt und darauf aufmerksam macht, dass du dort, wo du stehst, die Tür zum Klo versperrst.

Sie werden dir nicht abkaufen, dass du kein Groupie bist

Vielleicht stellst du dich aber auch nicht ganz so blöd an. Oder du bist von Natur aus total sympathisch und jeder, der dir begegnet, möchte unbedingt mit dir rumhängen. Nun, selbst wenn du glaubst, dass du alles richtig machst, dich zum Beispiel gelassen und unbeeindruckt gibst und tust, als wärst du einer von ihnen: Sie werden dich früher oder später durchschauen. Du bist in ihrem Backstage. Sie haben die Oberhand. Sie sind unter sich. Du bist keiner von ihnen, und das wirst du für sie auch nie sein.

Falls du ein Typ bist, werden sie in ihrer jahrelang hart erarbeiteten Überheblichkeit und anhand einiger trauriger Erfahrungen davon ausgehen, dass du versuchst, ihnen dein Mixtape zum passenden Zeitpunkt in die Hand zu drücken oder auf den richtigen Moment wartest, einen Freestyle zu kicken. Als Mädchen hast du es fast noch schwerer. Da wird die Hälfte der anwesenden Menschen direkt davon ausgehen, dass du heute Abend Slip und BH zueinander passend ausgewählt hast, da du die Chance deines Lebens witterst, endlich von deinem Star besprungen zu werden. Tatsächlich werden dich deshalb im Laufe des Abends mehrere irrelevante Typen versuchen anzugraben. Das beginnt mit dem Kumpel des Musikers, verläuft Richtung Stiefbruder des Drummers, der jetzt auch im Backstage rumlungert und sich langweilt, bis hin zum Praktikanten des Kabelträgers.

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Du verpasst das Konzert

Sobald du dein Ticket für das Konzert gekauft hast, beginnen die Tage, Wochen oder Monate der Vorfreude. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber jedes Mal, bevor ich auf ein Konzert gehe, auf das ich mich so richtig freue, höre ich ein bis zwei Tage vorher die gesamte Diskografie des Künstlers nochmal durch und singe laut mit, in voller Vorfreude auf den Moment, in dem er oder sie diesen einen besonderen Song live spielen wird und eine Masse von Menschen, die meine Leidenschaft teilt, ihn mit mir zusammen feiert.

Diesen Moment wirst du leider zwangsläufig verpassen, wenn du dich im Backstage aufhältst. Dann kannst du ihn nur in deiner misslichen Lage über sehr schlechte Boxen hören oder du bekommst Ausschnitte davon mit, die durch die Wände des trostlosen Raumes hallen, in dem du dich zum gegebenen Zeitpunkt aufhältst. Selbst wenn du das Privileg hast, dich an die Bühne stellen zu dürfen und das Publikum dir gleichermaßen verfluchende und bewundernde Blicke zuwirft: Du wirst von den falschen Leuten umgeben sein. Das Publikum wird feiern und Spaß haben, aber niemand, der auf deiner Seite der Bühne steht, wird mit dir zusammen den Refrain mitgröhlen oder die Arme in die Luft heben. Und falls du in einem unachtsamen Moment ein Feuerzeug anzündest, damit es ähnlich dramatisch lodert wie dein Herz bei einem melancholischen Song, wird dich irgendjemand entnervt darauf aufmerksam machen, dass du hier kein Feuer anzünden darfst. Jeder, der sich mit dir im Backstage aufhält, ist im Normalfall kein Fan. Diese Menschen haben diese Songs entweder bereits unzählige Male live gehört oder sind schlichtweg in ein intensives Pseudo-Business-Gespräch vertieft. Oder sie machen einfach nur entnervt ihren Job und freuen sich auf den Feierabend.

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Foto: Jussi Särkilahti

Falls du Kontakte knüpfen willst, wirst du bitter enttäuscht werden

Vielleicht bist du auch gar kein Fan, sondern ein aufstrebender junger Musiker, der versucht, sich seinen Weg nach oben zu ebnen, indem er auf jeder noch so unbedeutenden Veranstaltung probiert, wahllos Kontakte zu knüpfen. Vielleicht hast du dir auch vorgenommen, dich so richtig schön nach oben zu schlafen oder einfach ein kleiner Arschkriecher zu sein. Auch in diesem Fall wirst du höchstwahrscheinlich nicht erfolgreich sein. Jeder, der sich im Backstage aufhält, ist irgendwie mit dem Musiker auf der Bühne beschäftigt. Das heißt, sie sind zwar aus beruflichen Gründen vor Ort, aber du platzt ja auch nicht mitten in ein Meeting und rufst „Hallo, jetzt geht es aber auch mal um mich!“. Bestenfalls hört sich irgendjemand aus Mitleid oder weil du extrem unnachgiebig nervst, deine YouTube-Akkustik-Coversongs an, aber dass ernsthaft etwas für dich bei der Sache rausspringt, ist zu bezweifeln.

Wenn du Pech hast, ist dein Lieblingskünstler in Wirklichkeit ein selbstverliebtes Arschloch

Wenn du eine Band extrem feierst und die Musik jeden Tag in Dauerschleife hörst, werden diese Songs irgendwie ein Teil deines Lebens. Und genauso ist es mit dem Künstler. Du verfolgst gespannt seinen Werdegang, seine Entwicklung und jeden neuen Song, den er herausbringt. Was aber, wenn du diese Person irgendwann in der Realität triffst und sie unausstehlich ist?

Ihr werdet drei bis vier Minuten reden, er wird nicht über deine Witze lachen, stattdessen aber über deine Frisur. Er wird vielleicht behaupten, deinen Lieblingssong im Vollrausch geschrieben zu haben und ihn im Grunde zu hassen. Oder verraten, dass das traurige Lied über seine Mutter komplett erstunken und erlogen ist, weil er Geld brauchte, um die Raten für seinen Benz zahlen zu können. Es wird dich zermalmen. Denk an den Song, zu dem dein Ex-Partner und du immer rumgemacht haben, kurz vor eurer hasserfüllten Trennung, und den du jetzt sofort ausmachst, wenn er im Radio gespielt wird. So oder so ähnlich wird es sich anfühlen, wenn du backstage auf einen Menschen triffst, der so ziemlich alles widerspiegelt, was du im Grunde verachtest. Das ist ein Moment, den du nie wieder rückgängig machen kannst. Überlege dir gut, ob es das alles wert ist.

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Alles in allem gibt es keinen vernünftigen Grund dafür, ein gutes Konzert zu ruinieren, indem du im Backstage rumhängst. Solange es nicht dein Konzert ist oder du irgendeine wichtige Aufgabe zu erfüllen hast, nimm immer den Weg Richtung Publikum wahr. Du wirst tanzen, singen, feiern, anregende Gespräche führen und die Bar wird dich niemals im Stich lassen. Sicher, du wirst für deine Drinks zahlen müssen, aber du wirst in der nächsten Stammtischrunde definitiv mehr und weitaus Positiveres zu erzählen haben, als die ganzen Personen im Bereich hinter der Bühne. Für die ist das alles nämlich immer noch Arbeit, auch wenn die Außenwelt gerne suggeriert, dass das alles eine riesengroße Party ist. Gönn dem Künstler seine Privatsphäre, ein bisschen Ruhe und einen Rückzugsort und er wird dir dankbarer sein, als bei jedem Kompliment, das du ihm in einem aufgezwungenen Gespräch zu einem unpassendem Zeitpunkt entgegenschmetterst. Außerdem fühlt es sich manchmal doch viel besser an, solche Menschen gefeiert auf der Bühne in Erinnerung zu behalten, als entnervt und gelangweilt in einem Raum, der beunruhigende Parallelen zu einer Besenkammer aufweist.

Und wenn dir das nächste Mal jemand euphorisch berichtet, dass er es in irgendeinen VIP-Bereich geschafft hat und den ganzen Abend mit den Stars verbringen durfte, lächle stumm in dich hinein und gönne ihm seine Prahlerei. Denn du weißt es besser.

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