Vom Beruf Bankier, privat Raver – Portraits von Menschen und ihrer Work-Rave-Balance

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Vom Beruf Bankier, privat Raver – Portraits von Menschen und ihrer Work-Rave-Balance

"Gerade erst durch meinen Job hab ich nun mehr Geld, um fortzugehen."

*Damit diese lieben Leute nicht ihre Jobs verlieren, bleiben sie hier anonym. Alle Grafiken von der Autorin

Als ich etwa vor zwei Jahren an einem Freitag oder Samstag in der Grellen Forelle bei einem Techno-Booking die Leute beobachtet habe, hätte ich vieles von ihnen geglaubt, aber nie, dass sich unter ihnen Ärzte, Anwälte oder Bankiers befinden.

Denn ein Raver-Klischee hatte sich in meinem Kopf manifestiert: Dass ein Raver viele Drogen nimmt, vermutlich keinen "seriösen" Job hat, daher irgendwo in der Kreativ-Branche hackelt (wo eh alles relativ und wurscht ist), oder doch eventuell aus der Gastro ist oder gleich beim Staat ein Dauer-Geld-Abo hat, als Arbeitslosengeldbezieher.

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Solltest du ähnliche Ansichten gehabt haben (so wie ich einst), kannst du ja auch noch immer eines Besseren belehrt werden. Weshalb ich mit ravenden Ärztinnen, einem Bankier, einem Anwalt und weiteren beeindruckenden Menschen über ihre Work-Rave-Balance geredet habe und wie sie die beiden Lebensstile vereinen.

Andreas M.*, 29 Jahre, Projektleiter im Anlagenbau für ein großes österreichisches Unternehmen

"Die Zeit war unvergesslich! Ich denke gerne daran zurück und würde es auch genauso wieder machen. Vermissen tu ich aber nichts, da ich nach wie vor Party mache."

Bei Andreas gibt es ein paar Arbeitskollegen, die von seinem "Doppelleben" wissen, das sind aber nur jene, die selbst eines führen und die Zeichen deuten können: "Wenn du und ein Kollege bemerken, dass ihr Freitag bis Sonntag ähnliche Interessen habt, kann das der Beginn einer tollen Freundschaft sein. Da wird aus Afterwork vielleicht auch mal Afterhour." Dass die anderen sich ihren Teil schon mal gedacht haben, kümmert ihn wenig – solange es nicht offiziell ist und die Leistung im Job stimmt. Ganz im Gegenteil, eher fühlt er sich ihnen gegenüber etwas erhaben: "Es ist witzig, dein Gegenüber in der Arbeit anzusehen und nachzudenken, wie viel Spaß er am Wochenende nicht hatte. Für ihn ist es vielleicht witzig, dich anzusehen und zu denken, wie viel weniger du weiterbringst."

Auch der Konsum von Drogen ist ein anderer als vor sieben Jahren, als er mit dem Raven begonnen hat. Er hat auch manchmal geringe Dosierungen genommen, um zu lernen. "Jetzt kenne ich die Wirkungen und die Nachwirkungen, es ist eher ein Mittel zum Zweck", sagt Andreas. Mittlerweile nimmt er auch während der Arbeit nichts mehr: "Es hat nie etwas gebracht. Die Energie ist nur geborgt und man zahlt sie später doppelt zurück."

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Sein Beruf und seine Beziehung sind ihm einfach wichtiger geworden, als krampfhaftes durchfeiern von Freitag bis Sonntag. Aber wenn es gute Bookings gibt, lässt er sich trotzdem noch sehr gerne gehen.

"Ich hätte meinen anstrengenden Job vielleicht schon aufgegeben, wenn ich als Ausgleich privat nicht so viel erlebt hätte. Wenn man sein Leben und seinen Beruf auf die Reihe bekommt, kann man sich und seinem Hirn auch mal einen Reset gönnen. Wie häufig und wie intensiv man das ohne Probleme machen kann, muss jeder für sich selbst herausfinden."

Übertreiben wird er selber es trotzdem nie: "Feiern ohne abzustürzen funktioniert wie Schoko essen, ohne fett zu werden. Es sollte eine Belohnung sein, kein Hauptnahrungsmittel."

Michael T.*, 27 Jahre – Bankier

"Alles mit Maß und Ziel."

Michael geht schon seit elf Jahren auf Raves, dazwischen machte er vielleicht eine zwei- bis dreijährige Pause. Feiern tut er heute aber mehr als früher: "Die Ressourcen dazu muss man sich schaffen", sagt er, "aber ist schon ganz gut so, dass man nicht jedes Wochenende Zeit, Kraft, Bock oder whatever hat. Ich weiß nicht, ob ich mit 45 Jahren noch immer in irgendeinem abgefuckten Club steh, um mir vom DJ die Bässe um die Ohren fliegen zu lassen. Aber solange es mir Spaß macht und es das Arbeits- und Privatleben zulässt, werde ich sicher weiter raven."

In seiner Arbeit weiß niemand etwas von seinem Doppelleben und vor allem nicht, dass er privat ab und zu mit Drogen konfrontiert ist. Welche in der Arbeit zu nehmen, kommt für ihn nicht in Frage – diese beiden Welten wird er nie vereint sehen: "Ich sehe das Raven gewissermaßen als Ausgleich zum manchmal schwer seriösen Arbeitsalltag. Da genieße ich es dann schon, mich einfach gehen zu lassen ohne Rücksicht auf die Etikette. Jedoch sollte das wilde Treiben am Wochenende das Business unter der Woche nicht beeinträchtigen, also alles mit Maß und Ziel. Dann funktioniert das auch, als unter der Woche 'gestriegelter Banker' und am Wochenende 'hart feiernder Raver'."

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Sein Geheimnis? "Die Afterhour auch mal auslassen und pennen gehen. Jede Party hat einmal ein Ende, denn eine durchgefeierte Nacht hält definitiv jünger, als drei durchzechte Nächte."

Mulan A.* 25 Jahre, Management in einem 5* Hotel

"Es ist zu geil, um ein Ende in Sicht zu sehen … Rave until the Grave!"

Nachdem Mulan seit vier Jahren fleißig feiert, sieht sie sich selbst mittlerweile schon als eine Heilige im Vergleich zu ihren Anfangszeiten in der Wiener Techno-Szene. Trotzdem ist es schon einmal passiert, dass sie wegen einer Afterhour nicht nüchtern in die Arbeit kommen konnte. Den Job hat sie allerdings noch. In erster Linie fand sie die Aktion eher unnötig, aber vor allem flashig.

Ob ihre Mitarbeiter manchmal etwas mitbekommen? "Nicht direkt. Sie wissen, dass ich oft auf der Piste bin. Montags sind sie deshalb oft genervt und sekkieren mich deswegen", sagt Mulan. Aber sie bereut nichts. Auf die Frage, ob sie glaubt, dass sie ohne dem Feiern erfolgreicher gewesen wäre, sagt sie: "Vielleicht ein bisschen, aber ich war immer ehrgeizig, auch wenn ich etwas langsamer dabei war. Bin trotzdem super vorangekommen."

Ihr Tipp, um nicht abzustürzen: "Die Arbeit mindestens genauso ernst nehmen wie das Feiern, vor allem weil man sich das Leben ja schließlich finanzieren muss. Einen guten Concealer kaufen und weil montags auffallend schleppend ist, ab der Wochenmitte in der Arbeit strebern."

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Micom, 30 Jahre, juristischer Mitarbeiter in einer namhaften Rechtanwaltskanzlei

"Die Zeit verwende ich dann doch für Dinge, die mir wirklich viel Spaß machen und mir sinnvoller erscheinen, als eine vermeintlich steigende Zahl auf meinem Bankkonto zu beobachten."

In der Szene ist Micom quasi noch ein Neugeborenes, er hat die Liebe zum Rave erst vor einem Jahr für sich entdeckt. Seine Ressourcen haben sich seit dem für ihn vermehrt: "Da die Musik, Freunde, Good-Times und so weiter einem ja Energie zurückgeben, so wie beim Sport etwa. Früher trank man vor allem Alkohol beim Fortgehen, was – in my opinion – die furchtbarste Droge ist." In seiner Arbeit wissen alle über seinen neuen Lebensstil Bescheid: "Ein Kollege hat mal gesagt: 'Der eine geht in die Oper, der andere nimmt sich am Tag nach dem Superbowl frei, und der Micom fährt aufs Lighthouse Festival.'"

Micom kifft seit 13 Jahren und empfindet seinen 30er als den neuen 20er, weshalb er sich zurzeit etwas ausprobiert. Eines seiner Credos ist: "Don't be afraid and never say no." Dennoch, etwas Verantwortungsbewusstsein muss schon sein: "Man sollte vor jeder Substanz Respekt haben, sich ausgiebig informieren und abgesehen davon, was die anderen von ihren Erfahrungen erzählen, auch die Wirkung im Speziellen seinen eigenen Körper und Geist beobachten, sowie daraus lernen."

Schlechtes Gewissen kennt er nicht, er habe nämlich im Vergleich zu anderen, an sich gearbeitet, meint er. Zu Menschen, die seine Freizeitgestaltung am Wochenende nicht verstehen, sagt er: "Ich kann niemanden zum Glück oder zur Weisheit zwingen, ich versuche jedoch schon als Testimonial beziehungsweise Botschafter zu fungieren."

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Silvia C.*, 26 Jahre, Tierärztin

"Alles in allem bereue ich lieber die Dinge, die ich getan habe als die Dinge, die ich nicht getan hab."

Silvia schließt dieses Semester ihr Veterinärmedizin-Studium ab und arbeitet nebenher in einer Tierarztpraxis. "Ich wäre bestimmt schneller im Studium gewesen und hätte rascher im Berufsleben Fuß gefasst", sagt sie über Tatsache, dass das Raven vielleicht Einfluss auf ihr Studium hatte. "Nun hat sich das alles ein wenig verzögert. Jetzt werde ich wenigstens nicht von dem Gefühl geplagt, irgendetwas verpasst zu haben", erzählt sie weiter.

Angefangen hat ihre Liebe zum Rave vor etwa drei Jahren in Berlin. "Bis dato war ich eigentlich fest davon überzeugt, dass ich zu elektronischer Musik nicht tanzen kann und fand es unvorstellbar, dass DJs so gefeiert werden – als wären sie Rock-Stars", sagt sie. Damals war es auch Standard, freitags auszugehen und erst am Sonntag wieder nachhause zu kommen. Heute überlegt sie zweimal, ob sie ausgeht.

In den Genuss von Drogen kam sie ebenso zum ersten Mal in Berlin: "Selbst in Wien, wo ich eigentlich davon überzeugt war, dass niemand konsumiert, waren plötzlich alle drauf." Mittlerweile geht sie aber sehr respektvoll mit dem Konsum um: "Durch mein Studium weiß ich genau, was so ein Rausch in deinem Körper verursachen kann. Das jagt mir eine große Angst ein und dann verzichte wieder eine Zeit lang komplett darauf und verbringe wieder mehr Zeit mit Leuten außerhalb der Szene. Ein gemischtes Umfeld hält am Boden."

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Zu denken, ihre Arbeitskollegen würden etwas verpassen, weil sie nicht den gleichen Lebensstil praktizieren, käme ihr nicht in den Sinn: "Das wäre ja ein bisschen traurig, würde ja sonst bedeuten, dass man Leute nur noch auf ihre Hobbys reduziert. Aber generell denke ich, dass es vielleicht schon ein Vorteil ist, zu wissen, wie der Körper auf manche Substanzen reagiert."

Anna D.*, 27 Jahre, Ordinationsassistentin

"Gerade erst durch meinen Job hab ich nun mehr Ressourcen [Geld], um fortzugehen."

"Feiern ist mein Ausgleich zu meiner stressigen Woche. Am Montag ist es oft nicht so leicht, aber am Dienstag ist das fast wieder vergessen", sagt Anna. Sie feiert seit genau 12 Jahren, heute auch mehr als früher und nebenbei bildet sie sich auch weiter weiter. Ab und zu nagen sie die Gewissensbisse, das passiert aber nur beim Runterkommen.

Sie geht dann auch oft "restfett" in die Arbeit, aber das empfindet sie jedes Mal als "machbar". Niemand in der Arbeit weiß genau über ihr rigoroses Nachtleben bescheid: "Ich versuche Privatleben und Arbeit so gut wie möglich zu trennen, sowie den richtigen Ausgleich zwischen Arbeitswoche und Wochenende zu finden und seine Grenzen kennen!" Sollte sie je gefragt werden, ob sie Drogen nimmt, würde sie das auch ganz klar verneinen.

Viktoria N.*, 28 Jahre, Ärztin

"Ich finde Raven auf die Art, wie wir es machen, verändert Menschen total – aber zum Positiven. Man wird viel offener und toleranter."

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Viktoria würde nie unter Drogeneinfluss arbeiten gehen: "Das würde ich mir niemals erlauben, da hätte ich einen anderen Job wählen müssen, weil es verantwortungslos wäre, teilweise geht es da auch um Leben und Tod", weshalb sie sich mittlerweile vielleicht nur mehr einmal im Monat erlaubt, sich richtig die Kante zu geben. Etwas vermisst sie die Zeit, in der sie öfters unterwegs war. In der Szene ist sie schon seit fünf Jahren und bereut auch nichts, denn mit dem Studium kam sie auch vor dieser Zeit etwas langsam voran.

Irgendwann sieht sich selbst in einer Praxis und mit Kinder, aber bis dahin wird sie diese Leidenschaft weiterverfolgen. In Puncto Beziehungen hat sie übrigens zudem noch folgende Ansichten: "Als Pärchen, finde ich, sollte man sich auf jeden Fall schon mal gemeinsam weggeschossen haben bevor man es seriös angeht."

*Unbedarfter Drogenkonsum kann schwere körperliche und psychische Schäden verursachen. Noisey will dich nicht zum Konsum animieren, wohl aber dazu, dass du dich, solltest du Drogen nehmen, möglichst gut darüber informierst. Hier findest du aktuelle und generelle Informationen von checkit!

Bilderquellen via Flickr | horantheworld | DANIEL HUNTLEY | Lonnie Dunn | toel-uru | Freddycat1 | Walt Stoneburner | Jonas Bengtsson | Matthias Mueller | Jennifer C. | Anderson's All-Purpose | Holly |Eric Prunier | Archives de la Ville de Mo… | Dave King | Kate Gardiner | Prayitno | courtney | CC BY-NC-SA 2.0 |  CC BY 2.0 | CC BY-SA 2.0 |

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