Warum Ed Sheeran eigentlich nur macht, was wir von ihm wollen – Gedanken zur Aufgabe von Popstars
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Warum Ed Sheeran eigentlich nur macht, was wir von ihm wollen – Gedanken zur Aufgabe von Popstars

Ed Sheeran inszeniert sich mit Gitarren-Gassenhauern als Anti-Pop-Star und wird dafür von der Musikkritik regelmäßig in der Luft zerrissen. Trotzdem macht er zurzeit die mit erfolgreichste Musik für die Massen.

Seien wir mal einen Moment ehrlich: Ed Sheeran gibt uns mit seinen kleingeistigen Liedern von großen Gefühlen eigentlich nur das, was wir von ihm wollen: knöcheltiefe Gedanken, Kitsch und Postkartenphilosophie. Er widmet sich den Fragen, die man sich beim Zähneputzen stellt – etwa in "Thinking Out Loud", dem meistgespielten Song auf Hochzeiten: "And I'm thinking 'bout how people fall in love in mysterious ways / maybe just the touch of a hand" – Herzen flattern, und Eds Kasse klingelt. Vielleicht ist er sogar so etwas wie der rothaarige Messias - ein Strubbelhaar-Songwriter, der sich traut, Banalitäten, die sich Menschen mit einer emotionalen Grund-Selbstachtung nur halblaut zu denken trauen, in so einer patscherten Weise mit so patscherten Worten zu trällern, dass die daraus resultierenden Wellen der Fremdscham noch bevor sie ans Ohr der Hörer gelangen, einfach neutralisiert werden. Genau das wollen wir und das, obwohl wir wissen, dass Holzfällerhemden und Akustikgitarren bieder sind wie ein Abend mit AnnenMayKantereit.

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Ed Sheeran ist mit seiner aufgespielten, für jeden durchschaubaren, wahnsinnig unpunkigen, nur durch einen Bart und Schlabberklamotten evozierten Egal-Art eine Allegorie der Uncoolness. Er ist eine lebende self-fulfilling prophecy mit dem Schicksal, niemals hip zu sein. Und das ist gut so, deshalb liebt man ihn auch. Im post-ironischen Pop-Wahnsinn, da gibt es einen, der es wagt, mit Lagerfeuergitarre und Loop-Maschine ein Stadion zu bespielen. Das ist auf eine so offensichtliche, nachvollziehbare Art anti, dass es hunderttausende wandelnde Schmalztöpfe zum Schmelzen bringt.

McDonald’s und Haute Cuisine

Trotzdem macht Ed Sheeran keine "Musik für Menschen, denen Musik egal ist", wie Christian Schachinger, der Geschmackspolizist vom Standard, in gewohnt böser Manier in die Tasten drosch. Im Grunde stehen wir doch alle ein wenig auf sentimentalen Trash. Je nachdem, woher wir unseren Kitsch beziehen, halten wir uns für mehr oder weniger kultiviert. Warum sulzige Balladen von The Smiths Kult sind und Ed Sheeran nicht, ist eine Sache der Rezeption. Und außerdem: Was erwarten wir von einem Menschen, der Musik für die Massen macht, der sich gerade durch seine Nichtinszenierung markanter präsentiert als viele andere? Wer zu McDonald’s geht, erwartet keine Haute Cuisine – und wer das doch tut, enttäuscht sich selbst. Ed Sheeran weiß selbst ganz genau, wer ihn mag, und wer nicht. "But then I never had an enemy, except for NME.", rappt er in seiner teeniehaft-trotzigen Abrechnung "Take it back" und klingt dabei so knuffelig zornig.


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Back & Forth mit Ed Sheeran und Stormzy:


Einer von uns

Ed Sheerans Aufstieg zum Megastar ist einer von vielen Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichten der Musikindustrie, aber mehr noch ein logisches Resultat aus dem aktuellen Weg der Popmusik. Was die Billboard-Charts neben einer Mainstreamkultur, die sich unbewusst selbst parodiert, ans Licht bringen, ist der Tod der klassischen Band, die schier unüberschaubare Zahl an Solokünstlern. Jeder kann auf seinem Smartphone Songs produzieren, für wenig Geld ein kleines Homestudio kaufen und seine Songs im großen Stil verteilen. Musikmachen ist zum einsamen Schlafzimmergig geworden und Ed Sheeran als der selbstinszenierte Straßengitarrist auf der großen Bühne zum Zeichen der Zeit. Ist er deswegen schlecht oder gar böse?

Nein, denn es ist wie mit allem: Er war zur richtigen Zeit mit dem richtigen Zeug und der richtigen Pose am richtigen Ort. Seine vornehmlich einfachen und ehrlichen Songs tätscheln mit gezupften und gitarrengeklopften musikalischen "Hier solltest du stehen"-Parolen die Köpfe von Fans, die getröstet werden wollen. Dieser Trost wird jetzt nicht mehr von Hochglanzcoverstars, nicht mehr von Mannequins mit Mikros oder Gruppen von übersexuaisierten Playbacksängern gespendet, sondern von einem Mann mit Kupferbart und Akustikgitarre – von einem "singer that you never want to see shirtless", um es mit seinen eigenen Worten zu sagen. Auf ausverkauften Bühnen steht einer, für den in der Popwelt eigentlich kein Platz sein sollte. Einer von uns.

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