Eine Chronik wirklich aller Clubs an der Langstrasse
Foto: Anna Luna

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Nachtleben Zürich

Eine Chronik wirklich aller Clubs an der Langstrasse

Von illegalen Drum-and-Bass-Partys bis zur Perle.

Die Langstrasse ist der Dreh- und Angelpunkt des Zürcher Nachtlebens. Nirgendwo anders treffen Nachteulen aller Generationen aufeinander. Da ist es eigentlich nicht verwunderlich, wenn sich eingesessene Kulturschaffende über die Eröffnung des neuen Hiltl-Clubs Perle echauffieren und sich ernsthaft Sorgen um die Gentrifizierung des Chreis Cheib machen. Es sind sich alle einig, dass Zürich ohne das Ausgangsquartier definitiv etwas fehlen würde.

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Dass Zürich – und damit auch die Langstrasse – viele Facetten hat und eine bewegte Stadt ist, sieht man am besten am Nachtleben. Clubs eröffnen und schliessen, das Angebot wird den Trends und dem Markt angepasst, an einer Adresse gehen im Jahrestakt neue Clubs auf, einige Namen geraten in Vergessenheit, andere werden zu Legenden. Den Überblick, was alleine in den letzten 20 Jahren Langstrassen-Clubgeschichte passiert ist, verliert man schnell. Um eine Chronik wirklich aller Clubs an der Langstrasse zusammenzustellen, habe ich mich mit Alexander Bücheli von der Bar & Club Kommission Zürich zusammengesetzt. Wir haben uns über die Zürcher Clubkultur an der Langstrasse von 1993 bis heute unterhalten. Doch so selbstverständlich wie heutzutage rund um die Langstrasse gefeiert wird, war es nicht immer.


Die aktuell geöffneten Clubs an der Langstrasse:


Zürichs schillerndes Nachtleben war nicht immer so schillernd, obwohl bereits um 1888 keine Sperrstunde existierte – 1900 gab es in der Stadt Zürich über 1.000 Wirtschaften, die Sittlichkeit wurde zu einem leidenschaftlich diskutierten Thema. In dieser Zeit liess die Regierung den Zürchern ziemlich viele Freiheiten, was sich jedoch im Verlauf des 20. Jahrhundert grundlegend änderte. 1916 wurde die Sperrstunde wieder eingeführt, um das Nachtleben zu regulieren. Es gab Tanzverbote an Sonntagen und christlichen Feiertagen, erst 1998 mit der Liberalisierung des Gastgewerbegesetzes und im Jahr 2000 mit der Einführung des liberalen Ruhetags- und Ladenöffnungsgesetz erhielt das Zürcher Nachtleben wieder einen dienlicheren Rahmen.

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Lange konnte man in Zürich nur legal in der Nacht geöffnet haben, wenn man eine spezielle Bewilligung erhielt. Diese Nachtbewilligung war geknüpft an die Bedürfnisklausel. Heisst: Es musste für die Stadtverwaltung klar in der Bevölkerung das Bedürfnis existieren, länger weggehen zu können. 1993 bis 1998 wurden von den Zürcher Behörden keine Bewilligungen für lange Öffnungszeiten an die Gastrobetriebe ausgestellt. Die einzige Ausnahme zu dieser Zeit waren die Cabarets, welche sich an der Langstrasse befanden. So fanden sich in den Cabarets auch viele Menschen wieder, die einfach noch nicht nach Hause gehen wollten.

Die späten 80er und frühen 90er Jahre waren die Zeit der illegalen Bars und Partys. Es wurde in Bunkern, Kellern, Hinterhöfen und unter Brücken gefeiert. Diverse Ateliers und Gastronomiestätten boten diesen illegalen Partys Platz, um das Nachtleben in Zürich zu fördern und am Leben zu halten. Zwei der bekanntesten Veranstaltungslokale zu dieser Zeit waren das Volkshaus und das Limmathaus. Letzteres wurde in den 50er Jahren gebaut und ist heute das X-TRA.

Bei den Jugendlichen aus den 90ern Jahren war die Langstrasse jedoch nicht unbedingt die erste Wahl, um auszugehen, da nur wenige illegale Anlässe dort stattfanden und es nicht die geeigneten Räumlichkeiten gab, da die Langstrasse viel zu prominent und ausgestellt für etwas Illegales war. Doch in den Seitengassen ein paar hundert Meter weiter gab es eine zunehmende Anzahl illegaler Bars, welche teilweise auch nur einmal pro Woche geöffnet hatten. Alex meint dazu: "Früher, als wir noch kein Handy hatten, sind wir einfach mit dem Fahrrad losgefahren. Wir haben alle gängigen Spots abgefahren und dort, wo du viele Fahrräder stehen sahst, wusstest du, dass etwas läuft. Oder du hast irgendwo mal einen Flyer aufgelesen. Ich weiss gar nicht mehr, in wie vielen verschiedenen Kellern wir damals feiern waren."

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Erst mit der Digitalisierung und der damit zusammenhängenden Verschiebung des Konsums von nackter Haut ins Internet, war das Angebot der Cabarets, wie zum Beispiel des Longstreet oder der St. Pauli Bar, weniger gefragt. So konnten die Räumlichkeiten zwischengenutzt werden. Anstatt Freiern fand man Feierlustige in den Cabarets, die deren Bewilligung für lange Öffnungszeiten nutzten.



Der richtige Anstoss für ein lebendiges und legales Zürcher Nachtleben fiel Anfang der 90er Jahre. Damals wurde den Behörden durch einen Bestechungsskandal bei der Polizei (Fall Huber), den Spätfolgen der Jugendunruhen um die Rote Fabrik und das Dynamo und eine Techno-Welle klar, dass sich etwas ändern muss. Dazu kam noch, dass sich die produzierende Industrie aus dem Kreis 5 zurückzog und so leere Räumlichkeiten für andere Nutzungen entstanden. All diese Faktoren führten 1996 zur Abstimmung über die Liberalisierung des Gastrogewerbes. Die Änderungen wurden angenommen und 1998 umgesetzt. Die strikten Regelungen und die sparsamen Bewilligungen wurden mit der Liberalisierung des Gastgewerbes und der Aufhebung der Bedürfnisklausel gelockert. "Durch die gleichzeitige Techno-Welle entstanden in relativ kurzer Zeit viele neue Clubs. Es wurde investiert und es war in dieser Zeit lukrativ, einen Club zu eröffnen. Man verdiente ordentlich damit. Der Markt ist auch heute noch nicht gesättigt, aber es braucht eine gute Idee und viel Liebe zum Projekt, um damit erfolgreich zu sein, es gibt viel mehr Auswahl und Konkurrenz als früher", sagt Alex zu Noisey.

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Mit der fortschreitenden Gentrifizierung der Langstrasse zum hippen Wohnviertel, die laut Alex auch ohne Langstrasse Plus passiert wäre, werden die Häuser zunehmend renoviert und es entsteht teurer Wohnraum. Bei den Umbauten ist ein Nachtclub oft nicht vorhergesehen, da eine andere Nutzung rentabler ist oder weil man Bedenken hat, dass der Lärm nicht mit dem Wohnen zusammengeht, und so verschwinden immer wieder Räumlichkeiten, die früher von Nachtkulturunternehmen genutzt wurden – zum Beispiel die St. Pauli Bar oder der Tessinerkeller. Ausnahmen sind der Klaus (ehemals Alte Metzg und Kinski) sowie ganz aktuell ein Hiltl-Restaurant inklusive Club Perle im Keller an der Ecke Lang-/Brauerstrasse.

Grafik von Noisey

Kanzleistrasse 56, 8004 Zürich

1993 eröffnete die Kanzlei beim Helvetiaplatz. "Der Bunker war besetzt und es fanden dort auch Konzerte und Tanzveranstaltungen statt. Das müsste Anfang der 80er Jahre gewesen sein. Etwas später wurde dann das Schulhaus auf dem Platz besetzt. Die Turnhalle, in der die heutige Kanzlei beheimatet ist, diente seit den 80er Jahren immer wieder als Party-Location", erzählt Alex.

Militärstrasse 84, 8004 Zürich

Der Latin Palace hielt sich rekordverdächtig lange: Eröffnet wurde er 1998 und schloss erst 2016 wieder. Nach dem Latin Palace zog an der Location das Lexy ein. Der Techno-Club konnte sich jedoch nicht wirklich durchsetzen und steht gerade zum Verkauf.

Badenerstrasse 109, 8004 Zürich

Das Plaza wurde 1924 als Kino gebaut und hiess dazumal noch Kosmos. Mit der Zeit wurde viel dazu gebaut und der Name veränderte sich. 2010 wurde offiziell der Plaza-Clubbetrieb aufgenommen. Der zweite Floor trägt heute den Namen Kosmos.

Langstrasse 83, 8004 Zürich

Trotz der seltenen Bewilligungen und vielen illegalen Partys, gab es in den 90er Jahren ein rechtliches Schlupfloch: die Einzelbewilligung für eine Party. Diese nutzten von 1994 bis 1995 die Veranstalter von Drum-and-Bass-Partys im Soho-Kleidergeschäft an der Langstrasse 83. Die Partys wurden "Tram und Bus" genannt, weil das ähnlich klingt wie Drum and Bass und die Tickets oder Flyer wie VBZ-Mehrfahrtenkarten gestylt waren.

Nach dem erfolgten Umbau, zog 2007 Das Haus in die Location der "Tram und Bus Partys". "Es hiess Das Haus, weil oben ein Kleiderladen und darunter der Club drin war. Das ganze Haus wurde also benutzt. Diese Partys waren sehr HipHop-lastig", sagt Alex. 2011 musste Das Haus schliessen.

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Nach der Schliessung von Das Haus, zog 2011 der Latinoclub Diva für etwas weniger als ein Jahr ein. 2012 folgte der Club District 4. Die Lebzeit des Dubstep- und Electro-Club betrug jedoch nur etwas mehr als ein Jahr und 2013 wurde er wieder von einem neuen Club abgelöst, das Café Gold – geleitet von den ehemaligen Pfingstweide-Machern. Durch ein gutes Techno-Booking hielt sich der Club wacker bis 2016 – gemunkelt wurde, dass die Café-Gold-Macher die immense Miete nicht mehr stemmen konnten oder wollten. Nach dem Café Gold zog 2016 die Latino-Lounge Euphoria ein. Obwohl das Konzept in eine völlig andere Richtung ging als jenes des Vorgängers, musste auch dieser Club nach wenigen Monaten wieder schliessen.

2017 zog das Babette ein, das wieder auf Techno setzte. Nachdem alle ursprünglichen Veranstalter nach nur einem halben Jahr dem Babette wieder den Rücken kehrten, kam es zu internen Wechseln – darum wurde es direkt nach dem Wechsel sozusagen zum zweiten Babette. Wir werden sehen, wie lange sich dieser Club hält: Die Location an der Langstrasse 83 hat schon viele Wechsel erlebt und wird deshalb auch das verhexte Haus genannt – die Ladenfläche oben steht schon seit mehr als fünf Jahren leer.

Update: Das Babette schloss am 25. November 2017. Dafür wird am ersten Dezember 2017 das Below 83 eröffnet.

Langstrasse 92, 8004 Zürich

Das Longstreet entstand 2006 aus einem Cabaret an der Langstrasse 92. Seitdem besiedeln seine Besucher jedes Wochende die Piazza Cella.


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Der Türsteher des Longstreets im Portrait:


Langstrasse 93, 8004 Zürich

2008 entstand auch hier aus einem ehemaligen Cabaret ein Club. Das Cocuna – eine Mischung aus Club und Bar, die besonders bei Jüngeren beliebt war. 2011 löste das Bagatelle das Cocuna ab und besteht bis heute.

Langstrasse 112, 8004 Zürich

Dieses Haus prägt auch eine spezielle Geschichte. Der erste Club, welcher hier einzog, war die Alte Metzg, die 2008 eröffnete. Der Metal-Schuppen schloss 2010, weil das Haus umgebaut wurde.

Nach zwei Jahren Umbau zog 2012 der Rockclub Kinski in das renovierte Gebäude ein, dieser wurde 2015 jedoch wieder geschlossen. 2016 liess sich der Klaus im Haus nieder – womit der Joke um die deutsche Schauspiellegende Klaus Kinski komplett wäre – und hat sich schnell als Fixpunkt an der Langstrasse etabliert.

Langstrasse 117, 8004 Zürich

2011 eröffnete die Schneiderei, ein kleiner Privat-Club "zur Kulturerhaltung", wie die Macher selbst schreiben. Der Club hat zwei Eigenheiten: Anfangs diente ein Member-System dazu, das neu eingeführte Rauchverbot in Clubs zu umgehen. Das Member-System besteht heute noch, obwohl nun auch in der Schneiderei nicht mehr geraucht wird. Und um in den Club zu kommen, muss man durch eine Fastfood-Bude laufen.

Langstrasse 134, 8004 Zürich

Das St. Pauli entstand 2006/2007 aus einem Stripclub an dieser Adresse und bestand bis 2010. Mittlerweile befindet sich in dem ehemaligen Stripschuppen ein Aperto-Shop. Getrifizierung ahoi! "Das St. Pauli war eine der ersten 'Hipsterbars' Zürichs. Sie nutzten das ehemaligen Striplokal für Party und kleine Konzerte – das Interieur war original, inklusive Tanzstange", berichtet Alex.

Langstrasse 135, 8004 Zürich

2011 wurde gegenüber von der Olé Olé Bar das Gonzo gegründet. Der Keller lädt zu ausgelassenem Feiern ein und trotz Umbau des Gebäudes konnte das Gonzo bestehen bleiben und die Macher des Clubs sogar den Imbiss nebenan als Bar und Pizzaladen Fat Tony's übernehmen.

Hohlstrasse 18, 8004 Zürich

Der kleine Techno-Club Revier eröffnete 2011 im Herzen des Rotlichtlichtviertels – natürlich in den Räumlichkeiten eines alten Cabarets. 2016 wurde der Club zum Opfer der Langstrassen-Gentrifizierung und musste einem Business-Hotel weichen. Das Hotel Regina, bei welchen der Club Untermieter war, erlebte dasselbe Schicksal.

Kurzgasse 4, 8004 Zürich

In der Kurzgasse befand sich ab 2007 das La Catrina. Der Club, der vor allem für Live- und Gitarrenmusik stand, wurde bis zum Frühjahr 2017 betrieben. Seit Sommer 2017 ist nun der Sender, die Bar von GDS.FM, eingezogen.

Neufrankengasse 22, 8004 Zürich

Das Bling öffnete in der Neufrankengasse 2008 seine Tore für Zürich. 2011 wurde aus dem Bling das Apartment 22 und 2013 wurde das Apartment 22 auf Heile Welt umgetauft. Bis heute kann man dort mit direktem Blick auf das Gleisfeld seine Nächte durchtanzen.


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Dienerstrasse 33, 8004 Zürich

Als die legendäre Dachkantine schloss, wurden eigentlich zwei Clubs als ihr Nachfolger gehandelt: Einerseits das Hive/UG, das von einigen Dachkantine-Veranstaltern gegründet wurde und die Zukunft, die sich aus Teilen der ehemaligen Betreiber bildete. Zweiterer Club war mit seiner Eröffnung 2005 der erste legale Techno-Club an der Langstrasse und prägte das Quartier massgeblich als Ausgangsquartier von Zürich mit. Der Vorgänger an dieser Adresse war das D33, ein Lokal, in welchem Rockmusik gespielt wurde.

Brauerstrasse 37, 8004 Zürich

Das Modegeschäft Perla-Moda versorgte die Langstrasse und deren Einwohner über Jahr mit Kleidung. 2012 wurde der Kleiderladen geschlossen und der freie Raum wurde zur Location für Kunst, Musik und Partys unter dem gleichen Namen zwischengenutzt.

Der Kulturraum musste 2016 schliessen, das Gebäude wurde abgerissen und ein Neubau erstellt. Darin hat erst vergangenes Wochenende das Hiltl sein Restaurant und auch den Club Perle eröffnen. Für viele ist das Gebäude das Feindbild der Gentrifizierung.

Keine Adresse bekannt

2012 eröffnete die Kasheme an der Langstrasse, wobei in dieses Wohnzimmer nicht jeder reinkam. Die Kasheme war mehr ein Ort für gemütliche Jams und DJ-Sets als ein Club und musste im Herbst 2017, nach langem Hickhack mit der Stadt und dem Vermieter, wieder schliessen. "Es war ein gemütliches Wohnzimmer und es legten immer wieder Stars wie Public Enemy dort auf", schmunzelt Alex.


Die Bar­ & Club Kommission Zürich ist eine im Jahr 2011 gegründeter Interessengemeinschaft von Kulturunternehmen, welche im Zürcher Nachtleben tätig sind. Als Dachverband setzt sich der Verein für die Anliegen und Interessen der Zürcher Bars, Clubs sowie Eventveranstalter ein und Vertritt diese gegenüber der Politik, Wirtschaft und der breiten Öffentlichkeit.


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